Gootloader infection cleaned up

Dear blog owner and visitors,

This blog had been infected to serve up Gootloader malware to Google search victims, via a common tactic known as SEO (Search Engine Optimization) poisioning. Your blog was serving up 160 malicious pages. Your blogged served up malware to 19 visitors.

I tried my best to clean up the infection, but I would do the following:

  • Upgrade WordPress to the latest version (one way the attackers might have gained access to your server)
  • Upgrade all WordPress themes to the latest versions (another way the attackers might have gained access to your server)
  • Upgrade all WordPress plugins (another way the attackers might have gained access to your server), and remove any unnecessary plugins.
  • Verify all users are valid (in case the attackers left a backup account, to get back in)
  • Change all passwords (for WordPress accounts, FTP, SSH, database, etc.) and keys. This is probably how the attackers got in, as they are known to brute force weak passwords
  • Run antivirus scans on your server
  • Block these IPs (5.8.18.7 and 89.238.176.151), either in your firewall, .htaccess file, or in your /etc/hosts file, as these are the attackers command and control servers, which send malicious commands for your blog to execute
  • Check cronjobs (both server and WordPress), aka scheduled tasks. This is a common method that an attacker will use to get back in. If you are not sure, what this is, Google it
  • Consider wiping the server completly, as you do not know how deep the infection is. If you decide not to, I recommend installing some security plugins for WordPress, to try and scan for any remaining malicious files. Integrity Checker, WordPress Core Integrity Checker, Sucuri Security,
    and Wordfence Security, all do some level of detection, but not 100% guaranteed
  • Go through the process for Google to recrawl your site, to remove the malcious links (to see what malicious pages there were, Go to Google and search site:your_site.com agreement)
  • Check subdomains, to see if they were infected as well
  • Check file permissions

Gootloader (previously Gootkit) malware has been around since 2014, and is used to initally infect a system, and then sell that access off to other attackers, who then usually deploy additional malware, to include ransomware and banking trojans. By cleaning up your blog, it will make a dent in how they infect victims. PLEASE try to keep it up-to-date and secure, so this does not happen again.

Sincerly,

The Internet Janitor

Below are some links to research/further explaination on Gootloader:

https://news.sophos.com/en-us/2021/03/01/gootloader-expands-its-payload-delivery-options/

https://news.sophos.com/en-us/2021/08/12/gootloaders-mothership-controls-malicious-content/

https://www.richinfante.com/2020/04/12/reverse-engineering-dolly-wordpress-malware

https://blog.sucuri.net/2018/12/clever-seo-spam-injection.html

This message

Grütze plus Sahne

Einleitende Worte…

Wer, wie, was?! Wieso, weshalb, warum?! Es ist noch nicht lange her, dass ich mich entschied ein Heft zu schreiben. Das war in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass ein gewisser Fenomen einen ungeheuren psychischen Druck auf mich ausübte. Aber auch mein extravagantes Leben mit all seinen Kosten, musste irgendwie finanziert werden. Es entstand „Grütze mit Sahne“, ein Heftchen mit einer ziemlich geringen Auflage, da ich der festen Überzeugung war und noch immer bin, dass es ein Kunstwerk geworden war und Kunst unter massenhaften Vertrieb leidet. Die Nachfrage war allerdings so groß, dass ich schnell vor der schwierigen Entscheidung stand, ob es eine zweite Auflage geben wird. Ich entschied mich dagegen. Die Einmaligkeit von „Grütze mit Sahne“ musste erhalten bleiben. Aber da ich (manchmal) kein Unmensch bin, ging zumindest eine leicht modifizierte Ausgabe namens „Grütze und Sahne“ in Druck. Kurze Zeit später meldete der NOFB-Shop erneut „ausverkauft“, was aus meiner Sicht aber nicht weiter tragisch war – alle, die lesen wollten waren versorgt.

Nachdem „Eine Reise dorthin, wo der Osten schon wieder Westen ist“ erschienen war, gab es vereinzelte Anfragen, ob mein Erstlingswerk noch in irgendeiner Form verfügbar sei. Um diese Nachfrage zu decken, entschied ich mich für eine neue, dritte Ausgabe. Um die künstlerisch wertvolle Einmaligkeit der Vorgängerversionen nicht zu gefährden, habe ich die Tradition der Namensvariationen fortgesetzt. Du hälst nun also ein Exemplar von „Grütze plus Sahne“ in der Hand. Herzlichen Glückwunsch! Und wie den zufriedenen Lesern der beiden großen Vorbilder, will ich nun auch dir einige Worte mit auf den Weg geben…
Lesern, die vor allem an packend geschriebenen Spielberichten mit Liebe zu taktischen und fußballerischen Details oder aber an den Geschehnissen auf den Rängen, also brennenden Fanblöcken und um Hilfe schreienden Polizisten interessiert sind, muss ich leider mitteilen: Fehleinkauf! Der Fußball kommt in dieser Lektüre größtenteils genauso wenig zu Wort wie das Treiben der Fans, was nicht daran liegt, dass ich an diesen Sachen keinen Gefallen finde, nein, die von mir besuchten Spiele bieten dafür einfach kein Potential. Wer dennoch wissen will in welcher taktischen Grundformation Levadia Maardu im Spiel gegen TVMK Tallinn auflief oder aber wie viel Mann der Heimmob von Karlslunds IF umfasst, dem empfehle ich, sofort wieder einen Bezug zur Realität herzustellen. Wenn mal etwas außerhalb der Norm für stattfindende Leibesübungen von 22 Leuten passierte, wird es auch kurz erwähnt – zum Großteil liefen aber die von mir besuchten Veranstaltungen FIFA- und UEFA-gerecht ab. Um ein wenig Abwechslung zu bieten habe ich zwei Gastschreiberlinge eingestellt. Einerseits den im Internet geliebten und gehassten „Budapester“, mit einem Bericht über einen Polenausflug, und andererseits meinen Fastcousin und ehemaligen Kollegen RalleRalinski, mit seinen geistigen Ergüssen und Reflexionen über den Sommer 2004. Die restlichen Seiten wurden mehr oder minder sinnvoll von mir gefüllt.
Die Berichte werden im Laufe des Heftes immer länger, aber keinesfalls langweiliger. Hinweisen muss ich wohl noch darauf, dass „im zweiten Teil“ (ab 2005) ein Quotensuffbericht ebenso fehlt wie eine distanzierte und kritische Betrachtung meines Tun und Handelns. Für heroische Selbsteinschätzung ist demnach gesorgt, dazu noch meine natürlich Arroganz gegenüber allem – Hach, die Welt ist schön!

11.08.2002 Demminer SV 3:2 ESV/Empor Greifswald
6. Liga Deutschland – Stadion der Jugend

Hossa! Artig dankte ich imaginär dem Spielplangestalter, denn dieses Spiel sollte Mecklenburg-Vorpommern-untypisch an einem Sonntag stattfinden. Doch was heißt hier nur Spiel?! Ein regionales Derby sondergleichen stand an und das in Liga 6! Ein kurzer Blick ins Internet, dem Videotext und der sonntäglichen Presse offenbarte mir aber, dass heute nicht dieser mythen- und sagenumwobene Tag X war, an dem bekanntlich Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Das ließ natürlich Raum für wilde Spekulationen und führte zu kontrovers geführten Diskussionen, denn wenn dieser Zusammenprall von zwei Extremmomenten nicht den Tag X bedeutete, was sollte dann erst an diesem Tag X geschehen?! Das Nord-Süd-Derby Wolfsburg gegen Stuttgart und das Hass-Derby Bielefeld gegen Köln an einem Tag, dazu verkündet die Regierung die Subventionierung von „Mixery“ und Friseure färben und schneiden blonde Strähnen mit dazugehörigen Hahnenkamm kostenlos?! Ich möchte es sich nicht ausmalen und viele Sachen, da bin ich mir sicher, sollte der Mensch besser nicht wissen. Doch kommen wir zurück zur Bewältigung des Sonntagnachmittags in der grenznahen Stadt Demmin. Unter dem frenetischen Applaus der anwesenden Dorf-„Jugend“, die, demografischer Wandel sei Dank, die Bewohner Demmins vertraten – Rentner und Frührentner, betraten die Spieler den Rasen, der in der Saison 1973/74 und 1977/78 immerhin schon von DDR-Liga-Stollenschuhträger malträtiert wurde. Wie in einen Derby üblich schaukelten sich die Emotionen hoch, es gab strittige und unschöne Szenen auf und neben dem Platz – und es gab einen überraschenden Ausgang. So ein Derby hat ja bekanntlich seine eigenen Gesetze.

Baltikum Tour August 2002

Der Stralsunder (im Folgenden der Einfachheit wegen Stralsundisti genannt) und ich saßen im Zug von Szczecin nach Gdansk, als der Zug plötzlich in unserer schönen pommerschen Pampa liegen blieb. Unser Zeitpolster von vier Stunden strahlte auf uns Ruhe und Gelassenheit aus, weshalb wir ganz relaxt aus dem Fenster schauten und Grashalme zählten. Nachdem unsere Zeitreserve aber anfing in den Minusbereich zu rutschen, wurde aus relaxt paranoid. Gefühlte zwei Stunden – also 15 Minuten in der realen Zeitmessung – nach Überschreiten unseres zeitlichen Vorrats ruckelte es und der D-Zug setzte die Fahrt endlich fort. Irgendwie musste der Zug bis Gdansk dann mehr Strom über die Oberleitungen erhalten haben, denn bis Gdansk fuhr der Zug 25 Minuten wieder rein. Für die, die bis jetzt mitgerechnet haben ist klar, dass wir exakt fünf Minuten vor Anstoß Gdansk Glowny erreichten, für alle anderen jetzt auch.
So wurde es auch nix mit vorher Busticket nach Vilnius kaufen und Schließfach für den Rucksack suchen, denn immerhin konnten wir doch nicht den Anstoß verpassen; ach früher… Ideale und so… Und so ging’s rein ins Taxi, raus aus dem Taxi und rein in den Ground!

15.08.2002 Lechia Gdansk 2:4 Powilem Dzierzgon
5. Liga Polen – Stadion Lechia

Geniales Stadion! Knapp 1.000 Zuschauer bei dem Fünftliga-Knaller, gauden Zaunfahnen und ein großer Fanclub von Rudolf Heß. Letzterer näherte sich uns gemächlich, so dass wir pünktlich zur Halbzeit Reißaus nahmen. Unser Gepäck sah nun einmal nicht gerade einheimisch aus…

Bevor wir in den Bus gen litauische Hauptstadt stiegen, verpflegten wir uns noch kurz und die Fahrt konnte beginnen. An Bord gab es eine Unmenge von Borschtsch vertilgenden Rentnern, deren Ausdünstungen konkurrenzlos zu allem waren, was sich bisher den Weg zu meiner Nase gebahnt hatte. An Schlafen war auch nicht zu denken, da man entweder a) Angst hatte, der Opa neben einem schläft gleich für immer ein oder b) diese einsame Landstraße durch die Masuren – kein Gegenverkehr, keine Laternen – man nur noch auf die illegale Straßensperre wartete. In Vilnius kamen wir deshalb ziemlich gerädert an, aber alles Leiden war schnell vergessen. Seit meinem ersten Besuch in Vilnius hat es mir diese Stadt angetan! Schicke Altstadt in Ockertönen, schicke Mädels und für mich genau der richtige Mix aus russischen und westeuropäischen Einflüssen. Ein Spiel gab es an unserem Anreisetag leider nicht, dafür Bier aus dem Minimarkt – an der Kathedrale konsumiert. Die Nacht verbrachten wir tiefschlafend in der Juhe und der nächste Tag begann mit Groundspotting und endete mit nächstgenanntem Spiel:

17.08.2002 Zalgiris Vilnius 2:3 KB Kaunas
1. Liga Litauen – Stadion Zalgiris

Ein charmant verfallenes Stadion und immerhin zwei, wenn auch kleine, Fanszenen. Es gab hier ein bisschen Rauch, da ein bisschen Singsang und als kleine Zugabe besten Sonnenschein, welcher ausgiebig genossen wurde. Nach dem Spiel hieß es für uns auch schon wieder „Winke! Winke!“ Nicht nur zum Stadion sondern auch zur Stadt und wir näherten uns langsamen Schrittes dem Busbahnhof.

Im Bus sitzend, schloss ich gerade die Augen, um mir einen schlafähnlichen Zustand vorzugaukeln, als der Fahrer das grelle Bordlicht anschaltete. Wir waren da. Herrlich, Riga, 3 Uhr in der Nacht! Wohin also? Der Rucksack wurde aufgeschnallt und wir schauten erst einmal in der Innenstadt vorbei. Dort erblickten unsere müden Augen ein 24-Stunden-Internetcafe – Strike! Eine Stunde später war uns das aber schon zu langweilig und unser Verdauungssystem wollte auch nicht arbeitslos werden, so dass wir eine Futterpause einlegten! Eine Bank wurde per vorgehaltener EC-Karte zum Aufmachen gezwungen und wir nahmen drinnen Platz. Konservenwurst, osteuropäisches Weißbrot und mit E-Stoffen voll gepumptes Zuckerwasser – mehr braucht der Mensch zum Leben nicht! Die Diskogänger, die sich aus dem Geldautomaten frische Lats zogen, guckten zwar verwundert, aber hey, wer von uns verdient mehr Geld?! Mit den ersten Sonnenstrahlen bevölkerten wir den Park nahe dem McDoof und hach… Wer da jemals gewesen ist, weiß wovon ich rede…
Aber da auch in Lettland König Fußball regierte, mussten wir schließlich unser Kleinod verlassen, denn es sollte noch zum Zweitliga-Knaller zwischen Vergessen und Weiß-ich-nicht-mehr gehen. Im (eigentlichen) Spielort, dem Universitätsstadion, fand aber der Baltik-Rugby-Cup statt und Professor Platzwart hatte mal wieder keinen Plan, so dass wir unverrichteter Dinge davon trotteten und uns auf den Weg zum Skonto-Stadion machten.

18.08.2002 Skonto Riga 4:0 SK Valmiera
1. Liga Lettlland – Stadion Skonto

Skonto hatte einen kleinen Mob, Valmiera nicht – Letten mögen Sonnenblumenkerne, ich nicht – hier ist das vielleicht Fußball, bei uns nicht!

Nach dem Spiel konnte das Projekt „Zeittotschlagen“ erfolgreich bewältigt werden und unsere Fahrt ging weiter in Richtung Estland – Tallinn rief!
Wie heißt ein altes deutsches Sprichwort so schön?! „Der frühe Hopper fängt den Ground!“ Oder so ähnlich… Jedenfalls erreichten wir die estnische Hauptstadt um 5 Uhr in der Früh – Ha, da waren’s ja nur noch vier Stunden bis die Geschäfte ihre Türen öffneten! Aber wenigstens gab es in Tallinn eine Menge zu besichtigen, so dass die Zeit recht zügig vorüber ging. Da wir auch mal wieder ein Bett sehen wollten, ging es auf eine abenteuerliche Suche. Die Juhe war natürlich mit Backpackers überfüllt, so dass wir uns schnell in einem Büro wiederfanden, das private Zimmer vermittelte. Gleich die erste Karteikarte offerierte folgendes Angebot: 10 Euro, knappe viertel Stunde von der Innenstadt und direkt neben dem Busbahnhof – klang vielversprechend! Der Inhaber der Zimmervermittlung rief sofort an und die gute Dame am anderen Ende der Leitung hatte sogar zwei Betten frei. Also hieß es: Abmarsch Richtung Dusche!
Die anvisierte Ghettosiedlung wurde schnell gefunden und die richtige Hausnummer (wie wir annahmen) auch. Wir klingelten bei der Hausnummer 17, Wohnung 14, aber nichts passierte. Übung macht den Meister, also versuchten wir es ein zweites und ein drittes Mal. Endlich hörten wir eine Stimme und siehe da, die Hauseingangstür öffnet sich mit einem lauten Surren. Die ganzen Hakenkreuze und eingeworfenen Fenster im Hausflur wirkten zwar nicht wirklich einladend auf uns, aber schließlich wollte man ja nicht hier, sondern in einer der Wohnungen übernachten. In der obersten Etage vermuteten wir unsere Betten und klingelten. Nix. Wir klopften. Nix. Wir klingelten wieder und eine alte krächzende Stimme im besten Estnisch gab sich zu erkennen. Leider war bis auf das Wort „Jalgpall“ unser Finno-ugrischer Wortschatz doch sehr beschränkt – wer kennt nicht mehr den Schlager: „Jalgpall, Jalgpall spielen wir – Jalgpall, Jalgpall die ganze Nacht“… Seltsam war zudem, dass uns eigentlich eine englischsprachige Übergangsmutter versprochen worden war. Aber was soll’s, dachten wir. „Aufmachen hier, wir sind’s, hello the two guys from germany!“ Da ging auch schon die Tür auf und vor uns stand eine völlig bedröppelt schauende Oma in sehr ärmlicher Kleidung. Sie sagte uns etwas völlig unverständliches und schlug die Tür gleich wieder zu. Nun war der Aufschrei groß – Betrogen wurden wir! Immer gegen uns Ossis! S-K-A-N-D-A-L!
Wir zermaterten unsere Hirne und überlegten, wie wir den Mord am Zimmervermittler am besten als Unfall aussehen lassen könnten und die Beine spurteten zurück. Ha! Da waren wir wieder. Geld her, wir lassen uns nicht verarschen! Der gute Mann versuchte zu beruhigen und rief wieder bei der Dame an. Es war niemand bei ihr gewesen, gab sie übers Telefon zu verstehen. Ging’s noch?! Wir waren doch gerade da. Geld her! Ob wir bei der richtigen Hausnummer gewesen seien? Hallo?! Na klar! Bei der Nummer 17, wie uns gesagt wurde.
Wer konnte zu diesem Zeitpunkt schon ahnen, dass es so einen großen Unterschied gibt, zwischen 17 und 17a. Typischer Fall von gestörter Kommunikation.
Aber uns war’s egal und wir machten uns auf den Weg zur richtigen Wohnung. Dort wurde geduscht, danach Bier gekauft und anschließend ging es zum Spiel.

19.08.2002 TVMK Tallinn 0:4 Levadia Maardu
1. Liga Estland – Stadion Kadrioru

Schicke Eintrittskarte, den Ground schuppst man auch nicht von der Bettkante und das Spiel… Tssss… Fuhren wir deshalb zum Groundhopping ins Baltikum?

Nach dem Spiel wurde der langen Weg zurück in die Innenstadt zusammen mit einem Mädel bewältigt, das der Stralsundisti aufgegabelt hatte und auf die eine ähnliche Beschreibung zutraf, wie auf den Ground zuvor. In der Herberge gab’s dann noch ein paar Bier und die Äuglein wurden geschlossen.
Mit der Fähre ging es am nächsten Morgen in die finnische Hauptstadt. Das obligatorische Touristen-Programm wurde abgespult und die Zeit bis zum Kick Off auf den Felsen am Stadion genossen.

20.08.2002 Finnland U21 0:1 Irland U21
Freundschaftsspiel – Finnair-Stadium

Das Stadion war recht voll und für einen Neubau nett anzusehen. Lediglich die lütten Kinder mit ihrem penetranten „Suomi“ brachten uns auf die Dauer echt auf die Palme.

Vielleicht wirkte es aber auch abführend, denn nach dem Spiel musste ich ein ziemlich großes Geschäft auf dem örtlichen Örtchen abwickeln. Das ist ja seeeehr interessant, wird der gemeine Leser nun denken. Aber das ist es auch, denn als ich da so saß, hörte ich plötzlich (es war schon 15 Minuten nach Spielende), wie die Ordnungskräfte das Klo abschlossen ohne zu gucken, ob da vielleicht noch, wie in meinem Fall, wer war. Zum Glück reiste ich nicht alleine und der Stralsundisti konnte die Security überzeugen noch einmal aufzuschließen.
Nach diesem unglaublichen Abenteuer überlegten wir, was man denn noch so Schönes tun könnte. Immerhin galt es ein bisschen abzuhängen in der Hochburg des billigen Suffs. Tauscht man „ein bisschen“ mit knappen neun Stunden und „Hochburg des billigen Suffs“ mit Helsinki, dann kann sich der Leser den Rest denken… Der Mond hatte schon lange Freigang und die aus Estland importierten Biervorräte näherten sich auch schon bedrohlich dem Leerstand, als plötzlich zwei finnische Mädels neben uns im Park Platz nahmen. Nach irgend so einem „Wer-verliert-muss-es-tun“-Spiel, das ich natürlich verlor, war ich der Auserwählte, der die Beiden ansprechen durfte. Die Zwei studierten Englische Literaturwissenschaft, hatten ne Flasche Rotwein dabei und waren konversationsbedürftig. Während wir ganz gut am Labern waren (wir saßen übrigens im Pestpark; hier wurden zur Zeit der Pest die Toten begraben), unterbrach eine der Beiden plötzlich das Gespräch, zog ein Gedichtband hervor und trug daraus vor. Dann fragte sie uns, ob wir nicht auch der Meinung seien, dass genau diese Gedichtspassage zu der momentanen Stimmung in dem Park passte (Mondschein und blablabla…) – ja klar und TSCHÜSS!
Nach diesem Treffen der ganz besonderen Art zogen wir es nun vor, schon einmal zum Hafen zu gehen, wickelten uns dort in unsere Fahnen ein und machten es uns auf der Parkbank vor dem Terminal bequem. Halb erfroren fuhren wir am nächsten Morgen zurück über die geliebte Ostsee nach Tallinn. Direkt nach der Ankunft ergatterten wir am Busbahnhof unsere Tickets für den Übernachtbus nach Vilnius und schauten den örtlichen Frauen in der Altstadt beim Contest: „Der kürzeste Minirock 2002″ zu. Anschließend ging es zum Stadion.
Sparsam wie ich war, hatte ich bis auf einen kleinen Rest mein gesamtes Barvermögen schon für mehr oder weniger sinnvolle Anschaffungen verbraucht und musste nun feststellen, dass dieser Rest nicht mehr für den Eintritt reichen würde. Am Ticketschalter erblickten meine Augen dann aber, dass alle Menschen unter 16 für genau diesen Rest, der mir noch zur Verfügung stand, Eintritt erhielten. So fragte ich auf Englisch nett, ob es nicht vielleicht möglich wäre… NEIN! Hundeaugen aufgesetzt. NEIN! Hopperblick aufgesetzt. Na gut…

20.08.2002 Estland 1:0 Moldawien
Freundschaftsspiel – A le Coq Arena

Leider war die Bierarena noch nicht ganz fertig gestellt, aber das, was man sah konnte durchaus überzeugen. Zwar was es viereckig und ein All-Seater wie nun fast überall, aber, hmm, keine Ahnung – hatte was. Stralsundisti verliebte sich in ne attraktive Ordnerin (tss, auch wenn sie weiblich war – Ordner ins Regal!) und ich folgte dem munteren Treiben auf dem Platz. Ich meine mich erinnern zu können, dass Moldawien besser war – oder andersrum – na ja, wird Günther Jauch eh nie fragen…

Nach dem Spiel spendierte Stralsundisti noch ein paar schmackaziöse Bierchen, die wir uns im Park unterhalb der Burg schmecken ließen. Dazu genossen wir die letzten Stullen mit leckerer Jagdwurst aus der Konserve, als plötzlich zwei Polizisten vor uns standen. Bier trinken war in der estnischen Öffentlichkeit verboten, also sollten wir doch mal bitte unsere Pässe zeigen, das Bier wegschütten und mit auf die Wache kommen, zwecks „Strafzettel“ samt Bezahlung. Glücklicherweise konnten wir ihnen mit unseren Bustickets beweisen, dass wir das Land in ein paar Stunden schon wieder verlassen würden und unsere leeren Geldbörsen lieferten ein weiteres schlagkräftiges Argument, um die ganze Geschichte unter der Rubrik „Bubenstreich“, abzuharken, und so ließen sie uns laufen. Freiheit riecht so gut!
Aufgrund einer falsch aufgeschriebenen Abfahrtszeit oder falsch gemerkten Abfahrtszeit oder nicht umgestellten Uhr (nicht mehr nachvollziehbar…) – wobei ich keinen an den Pranger stellen möchte, nur soviel: ich war jedenfalls nicht Schuld – kam uns auf dem Weg zum Busbahnhof ein großer Reisebus mit Ziel Vilnius entgegen. Ein wenig ins Zweifeln kommend, wurden diese am Busbahnhof bestätigt – der Bus war schon weg. Der nächste Bus fuhr erst am nächsten Morgen und wir hatten in Vilnius lediglich ein Zeitpolster von zwei Stunden, um den Bus nach Gdansk zu bekommen. Zum Glück konnten wir aber ohne Aufpreis die Fahrkarten umtauschen, so dass wir nun „nur“ noch die Nacht in Tallinn rum bekommen mussten. Erster Anlaufpunkt war das Kalevi-Stadion. Dort stiegen wir unterm Zaun durch, ohne dass der anwesende dumme Köter anfing zu kläffen, und schon waren wir im Ground. Ein halbwegs gemütlicher Schlafplatz war auch schnell gefunden, aber tja, die Rechnung wurde ohne den Platzwart gemacht. Dieser hatte in der Nacht doch tatsächlich nichts Besseres zu tun, als ein paar Stadionrunden mit Taschenlampe zu machen. So musste der Rucksack also flott aufgesattelt und schnellsten Fußes über den Zaun abgehauen werden. Nächster Stopp war der Busbahnhof. Hier mussten wir aber neidlos erkennen, dass wir das Assitum nicht erfunden hatten und überließen den Alteingesessenen ihr Revier. Die letzte Möglichkeit, die Nacht im Reich der Träume zu verbringen, war für uns nun der Hafen, immerhin gab es dort ein Terminal. So machten wir uns zu Fuß einmal quer durch die Stadt, um am Ziel ernüchternd festzustellen, dass der Terminal von 23 Uhr bis 6 Uhr geschlossen war. Da der Körper aber Ruhe verlangte, blieben wir vor Ort und nahmen mit dem unüberdachten, nicht windgeschützten Parkbänken am Hafen vorlieb. Auf den Wecker mussten wir zum Glück nicht warten, übernahm diese Funktion doch die örtliche Putzkolonne im Straßenreinigungsauto. Zitternd begutachteten wir eine Uhr und realisierten das, was wir uns aufgrund des noch dunklen Himmels schon dachten: der Morgen samt Sonne war noch entfernte Begierlichkeit. Stralsundisti schmiss mit seiner verbliebenen Kleingeldsammlung eine Runde Tee in einem Imbiss, wodurch wenigstens dem Zittern und Bibbern Einhalt geboten werden konnte. Von dort ging es schnellen Schrittes zum Busbahnhof. Kaum hatte der Wachmann den Schlüssel im Türschloss des Warteraums im Busbahnhof umgedreht, da saßen wir schon mit freudigem Gesichtausdruck im beheizten Eldorado. Hier konnten wir uns vor unserer Abfahrt noch ein wenig aufwärmen.
Bald danach stiegen wir auch schon in den Bus Richtung Vilnius. Dort tauschten wir unser Restgeld gegen Fressalien und machten uns auf den Weg weiter nach Gdansk. In der polnischen Hafenstadt angekommen wurde KFC supportet und mit dem Zug ging es über Szczecin weiter nach Swinoujscie. Schließlich kamen wir mehr als nur gerädert in jenem Örtchen an und bewältigten den vier Kilometer Sparziergang zur Grenze. Nach überstandener Passkontrolle erwartete uns das bestellte Abholkommando in Form der Eltern, von denen wir mit einem: „Puh, ihr riecht aber streng“ begrüßt wurden.
„Achwo, das ist unser neues Parfüm: Katowice Glowny – pour homme!“.

02.03.2003 Hansa Amateure 2:1 TSG Neustrelitz
4. Liga Deutschland – Sportplatz Trainingsplatz

Ein Mann sollte in seinem Leben ein Haus bauen, ein Kind zeugen und alle umliegenden Sportplätze am Ostseestadion abhoppen. Der Grundlage zur Vollendung eines dieser Vorhaben war ich an diesem Tag ein gutes Stück näher gekommen. Nein, weder hatte ich plötzlich die finanziellen Mittel oder gar handwerklichen Fähigkeiten um ein Haus, und sei es auch nur ein Baumhaus, zu bauen, noch fand ich eine entzückende Bekanntschaft oder den Weg zur Samenbank. Die Bewerkstelligung des dritten Punktes konnte ein Stück voran getrieben werden. Was war passiert? Aufgrund der eisigen Temperaturen war das traditions- und sagenreiche Volksstadion in Rostock gesperrt worden, weshalb die Amateure auf den Rasentrainingsplatz der Profis ausweichen mussten. Was für Briefmarkensammler die blaue Mauritius ist, ist für den gemeinen Groundhopper dieser Platz und ich wähne mich nun im stolzen Besitz eines Kreuzes für diesen Platz. – Nun habe ich genug im Leben gesehen, ich kann auf Haus und Kind verzichten.

Über Polen in die Diktatur

Der Pass mit dem Visum kam überpünktlich einen Tag vor meiner Abreise an, Vaters Zettel mit den wichtigsten Russisch-Brocken in kyrillischer und lateinischer Schrift war auch verpackt und so konnte es zum ersten Mal in eine der vielen ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken gehen. Reisepartner war wie schon oft zuvor der Stralsundisti aus dem Mecklenburg-nahen Stralsund und ein dolles Rahmenprogramm war auch organisiert.
Mit dem Zug ging es ab über die Grenze und erst in Katowice erwachte ich wieder. Endlich war ich wieder im Schlaraffenland, dem Landstrich der vollkommenen Freiheit, im Land der Schokolade! Moment mal, ich träumte ja noch von den Simpsons… Erst als ich meine Augen öffnete, begriff ich die Realität – Katowice Glowny. Ein wenig verschlafen trotteten wir zum Anlaufpunkt Nummer Eins für deutsche Hopper – der großen Katowice-Karte in der „Empfangshalle“ (obwohl man sich fragen muss, was man hier empfangen will; Pest, Aids oder den Tod durch Gestank?!). Gerade als wir uns orientiert hatten, erklang eine fragende Stimme aus dem Hintergrund, wo denn nun der Gornik-Ground sei. Der Name des Fragenden ist mir mittlerweile entfallen, aber er war (oder ist) Erfurt-Fan, hatte alle Grounds bei der WM 94 gemacht und wohnte nun in Polen, nahe der deutschen Grenze. Mit ihm machten wir noch einen kurzen Abstecher in den Supermarkt, um die autarke Versorgung im Stadion sicherzustellen. Anschließend fuhren wir mit dem Bus gefühlte fünf Stunden durch alle Siedlungen von Katowice, ehe wir den Ground sichteten.

10.05.2003 Gornik Katowice 1:2 Pogon Swiebodzin
3. Liga Polen – Gornik

Am Einlass gab es eine nette Eintrittskarte, die mir unglücklicherweise bis zur Unendlichkeit zerrissen wurde. Das Stadion war ein ganz passabler Ort für Leibesübungen. Eine Seite besaß eine leicht gammlige Stahlrohrtribüne mitsamt Anzeigetafel, die von einem kleinen Wicht bedient wurde, der in ihr hauste und dessen einziger Kontakt zur Außenwelt ein winziges Guckloch war. Der Rest der Anlage war leider nicht begehbar, aber eine Zeche im Hintergrund rundete das Bild ab. Auch wenn ich mich heute daran nicht mehr erinnern kann, Fußball wurde wohl auch gespielt.

Nach dem Spiel fuhren wir mit dem Zug nach Ruda Slaska, wo wir am Bahnhof einem Taxifahrer zu erklären versuchten, dass er uns zur 60. Minute am Stadion Grunwald aufgabeln und nach Gliwice befördern solle. Da die Zeit drängte, hofften wir, dass er unsere kurze Einweisung verstanden hatte und fuhren mit dem Bus zum Ground. Das Busticket wollte ich mir natürlich sparen. Und da diese Story nicht als Thriller konzipiert ist und ich deshalb auf einen konstruierten Spannungsbogen verzichte, schildere ich sofort, was sich mittlerweile wahrscheinlich eh schon jeder denken kann – ich wurde erwischt. Der Herr Kontrolleur forderte eine Handvoll Zloty und ich das Recht auf Touristenbonus in Ruda Slaska. Dank des beherzten Eingreifens der übrigen Passagiere (alle Ü90) konnte der Typ gar nicht anders, als mich in Ruhe zu lassen. Die verbliebenen Meter legten wir daraufhin zu Fuß zurück und erreichten pünktlich den Fußballtempel „Grunwald“.

10.05.2003 Grunwald Halemba 0:3 Lech Zielona
3. Liga Polen – Grunwald

Eine Seite des Stadions war mit etwa zehn Stufen bestückt, jede mit Sitzschalen versehen. Im Hintergrund ragte eine riesige Kraftwerksanlage dem Himmel empor und auf der zur Straße gelegenen Seite konnten wir fünf Stufen bestaunen – komplett mit Gras überwachsen. Zur 60. Minuten verließen wir wie geplant den Ground und siehe da – das Taxi stand wie bestellt vor der Tür.

Dumm war nur, dass der Fahrer keine Ahnung von Gliwice hatte und somit auch nicht von der Lage unseres Ziels – dem Stadion von Piast. Während wir versuchten den Kampfplatz in der Autokarte zu finden, bemühte er sich über Funk – da sage noch einer, Deutsche und Polen könnten nicht zusammen arbeiten! Kurz vor Anpfiff nahm aber alles ein glückliches Ende, wir sprangen aus dem Taxi und staunten beim Betreten des Stadions nicht schlecht:

10.05.2003 Piast Gliwice 2:1 MKS Myszkow
3. Liga Polen – Piast

Links von uns bemühte sich ein aktiver Mob bester polnischer Herkunft und rechts lagen Omas und Opas auf dem angrenzenden Friedhof. Das Stadion bestand aus einer nicht überdachten Tribüne und im Rest des weiten Rundes aus sechs, sieben Stufen, in den Kurven ein bisschen weniger. Der Heimmob stand mittig auf der Gegengerade und gab sein Bestes. In Anbetracht des nichtvorhandenen Gästebesuchs war es ganz beeindruckend. Der Vorsänger, gebaut wie ich, wenn ich drei Jahre ins Fitnessstudio gehen und mir ein paar Spritzen setzen würde, gab jedem der nicht mitsang eine Ohrfeige – harte aber gerechte Mittel! Ein bisschen Pyro gab es auch noch zu bestaunen und hey, ich weiß noch etwas vom Spiel! Ich würde fast behaupten, dass Myszkow lange Zeit völlig unverdient führte, da Piast im Sturm Stefan Stolperstürmer und Ulf Unfähig aufgestellt hatte. Letztlich gewannen aber doch die Richtigen…

Mit dem Zug fuhren wir anschließend weiter nach Chorzow, wo wir zwar zehn Minuten zu spät ankamen, aber wer die 80 Minuten nicht ehrt, ist die 90 Minuten nicht wert.

10.05.2003 Ruch Chorzow 1:1 Garbania Jaworzno
1. Liga Polen – Ruch

Der Heimsektor war halbwegs gut gefüllt, nur im Gästeblock blieb doch der eine oder andere Platz frei – Jaworzno halt. Die Wenigen, die sich doch trauten, boten aber immerhin eine Luftballonchoreo und ein Hauch von Pyro wehte zu uns herüber. Ruch spulte sein Standardprogramm ab; also mehr als man in Deutschland bei fünf Spielen vernehmen kann…

Nach dem Spiel wurde unser Schlendern zum Bahnhof abrupt unterbrochen, da vermummte Ruch-Hools, Messer aus den Schuhen ziehend, in den nahen Park stürmten. Wohl eine Art Treibjagd – Samstagnacht halt. Am Bahnhof standen wir dann noch gefühlte drei Morde aus, waren wir, neben 50 Hools von Ruch, doch die einzigen Gäste. Um unnötige Blickkontakte zur vermeiden, studierten wir eine halbe Stunde den Abfahrtsplan – Chorzow Batory ist leider nicht gerade ein Knotenpunkt. In Katowice holten wir unser Gepäck ab und weiter ging unsere Reise Richtung Opole. Die obligatorische Abasselstunde fand ebenso statt, wie die immer wieder einmal aufkeimende Frage nach dem Sinn unseres Tuns. Der Zug nach Skierniewice war, wie hätte es auch anders sein können, ein reiner Schlafwagenzug, so dass wir sitzend auf Barhockern im Restaurantwaggon ins Träumen gerieten. Aber es war nur ein kurzer Traum. Der anwesende Zugbegleiter, der zugleich auch Kellner war, ermahnte uns mit erhobenem Zeigefinger, so dass wir es uns auf dem Boden bequem machten. Spätestens wenn ich 50 Jahre alt bin, werde ich mit schmerzverzerrtem Gesicht an diese Nacht zurückdenken.
Am frühen Morgen erreichten wir Skierniewice und wechselten in eine Vorortbahn, mit der wir kurze Zeit später Lowicz erreichten. Die Innenstadt war sehr kompakt und verfügte über eine schön anzusehende Kirche. Vor dem Stadion fanden wir endlich eine offene Kneipe, in der wir Konrad, einen jungen Polen, trafen. Unser Gespräch auf Grundlage einiger Frühstücksbiere war sehr lustig, aber bald schon rief uns die Pflicht.

11.05.2003 Pelikan Lowicz 2:1 MKS Mlawa
3. Liga Polen – Pelikan

Die Eintrittskarte für diesen Drittligakracher passte erst in die Hosentasche, als sie fünfmal gefaltet war… Der Ground wusste für 11 Uhr am Morgen zu gefallen, nur der Dauerregen ging uns doch langsam auf dem Sack. Das gebotene Ambiente (keine Gäste, Stadion) erinnerte uns stark an Tschechien – es fehlten nur der Bier- und Würstchenstand.

Mit der Vorortsbahn fuhren wir völlig durchnässt zum Bahnhof Warszawa Wschodnia, wo wir uns unser Nachtzugticket nach Minsk sicherten wollten. Am internationalen Schalter wurde ein Betrag genannt, der uns aber so gar nicht entgegenkam. Und so suchten wir uns einen Probanden, der noch einmal auf polnisch den Preis erfragen sollte. Da dieser aber auf den Groszy genau die selbe Antwort erhielt, half alles zedern und zaudern nichts; eine größere Zlotysumme verließ uns und machte aus wohlhabenden Touristen vom Pleitegeier verfolgte Vagabunden.
Die Eltern unseres Probanden konnten ganz passabel Deutsch sprechen, da der Vater bei Siemens Warszawa arbeitete, und fuhren uns zum Legia-Ground. Da in meinem Brustbeutel nur noch ein kaum nennenswerter Kapitalrestbestand verfügbar war, mussten wir mit den unüberdachten Plätzen auf der Gegengerade vorlieb nehmen.

11.05.2003 Legia Warszawa 1:0* Wisla Plock
1. Liga Polen – Wojska Polskiego

An die 50 Repräsentanten der Stadt Plock und des Vereines Wisla Plock machten es sich im Gästebereich bei Dauerregen gemütlich, während sich wenigstens ein paar der restlichen 8000 Besucher auf der Haupttribüne ihre Frisur nicht versauten. Für die Fotofetischisten unter den Hoppern sind Plätze bei den Piotr Normalverbrauchern übrigens weniger zu empfehlen, da ein circa 99 Meter hoher Zaun fingerdicke Objektive erfordert.
*Das Spiel wurde übrigens mit 3:0 für Legia gewertet, da Wisla zu viele Ausländer einwechselte.

Da man ja weniger nass wird wenn man läuft, entschieden wir uns für den Bus. Im Bahnhof Warszawa Wschodnia erfolgte ein Kleiderwechsel, was so manchen Voyeur unter den Pennern zu uns lockte. Damit die nassen Sachen besser gammeln konnten, wurden sie alle in eine Tüte vakuumdicht verpackt und der gebuchte Nachtzug bestiegen. Ganz nützlich erwies sich, dass eine der Schaffnerinnen in unserem Waggon ein wenig Deutsch sprach. So konnten wir schnell das richtige Bett finden und beziehen. Kaum hatten wir uns in die Horizontale begeben, da träumten wir schon von Wohlstand, Frauen und Aljaksandr Lukaschenka. Aber mitten im Tiefschlaf störte uns die Miliz beim Geldausgeben und Jaguar fahren. In voller Montur und düster dreinblickend betraten die Uniformierten unser Schlafgemach und forderten Etwas. Nur was? Zum Glück eilte die Schaffnerin herbei, die uns erklärte was nun Phase war. Wir sollten unsere Devisen deklarieren und unsere Taschen auspacken. Zum Glück für die Miliz interessierten sie sich nicht für unseren Vakuumbeutel, sonst wäre ihre Laune wohl noch bedrückender geworden. Die weißrussischen Einwohner schienen gut unter dem Pantoffel der Miliz zu stehen, denn wie ängstlich unser Mitfahrer im Abteil alles sorgfältig ausfüllte war mehr als auffällig. Und da sage noch jemand, dass nur Frauen ein solches Machtgebaren an den Tag legen können. Die Tiefschlafphase war endlich wieder erreicht, als uns die Schaffnerin durch energisches Klopfen an unserer Tür zurück in die Realität holte. Minsk Pass war erreicht. Unsere erste Amtshandlung war die Beschaffung von Fahrscheinen für die Weiterfahrt nach Vilnius. Dank Grenzüberquerung war der Kilometerpreis fast höher als bei der Deutschen Bahn, aber was macht und bezahlt man nicht alles, um seine Idole von Sviesa Vilnius endlich einmal live erleben zu dürfen?! Der heimtückische Dauerregen (es tropfte nicht nur vom Himmel, nein, man wurde auch nass!) verfolgte uns weiterhin unerbittlich, so dass die Devise für die kommenden Tage nur heißen konnte: Aufessen – um jeden Preis, denn schon in frühster Kindheit hatten wir gelernt, dass nur wenn alle Teller leer sind, auch die Sonne scheint. In einem Büro des Dinamo-Stadions, welches meiner Meinung nach mit zu den Stadtsehenswürdigkeiten zählte, es sei denn man ist Architekturstudent mit Schwerpunkt sowjetischem Empire-Stil, bekamen wir die Bestätigung für unser geplantes Spiel und eine Anfahrtsbeschreibung mit der Metro zum Stadion von Torpedo. Die fünf Prozent, die der Zweite Weltkrieg von der Innenstadt übrig gelassen hatte waren schnell abgearbeitet und auf Zelluloid gebannt. Infolge des kompletten Wiederaufbaus der Stadt wurden viele zum Verweilen einladenden Grünflächen geschaffen und ausreichend breite Straßen gebaut, die wohl auch als Landebahn für Großraumflugzeuge dienen könnten. Warst du in Minsk, warst du in Wolgograd. Auf dem Weg zum Traktor-Stadion passierten wir eine große Fabrik in der, die Destination verrät es schon, Stadien ähh, Traktoren gefertigt wurden. Eine große Plakette mit der Aufschrift: „Für hervorragende Qualität“, ausgestellt in der DDR, war eine von vielen in einer Art Plakettenpark, der wohl den ersten Touriansturm seiner Geschichte erlebte.
Im Traktor-Stadion angekommen bemerkten wir, dass der falsche heimlich geäußerte Wunsch in Erfüllung ging. Es hörte zwar auf zu regnen, aber das, was wir eigentlich gehofft hatten, dass Zwezda Minsk im Traktor-Stadion spielte, war nicht erfüllt worden. Immerhin konnte uns aber eine der dort anwesenden Personen verraten, wo das Spiel stattfinden sollte. Ein Blick auf die Karte erweckte kurzzeitig Flusen im Kopf – Halbzeithopping inklusive horrender Taxikosten oder Oldschool?! Wäre ich nur bei Frauen auch von der alter Schule, Kavalier und so, viele sinnlose Wochenendausflüge wären mir erspart geblieben. Aber sei es drum, was beim schwachen Geschlecht nicht angewendet wird, bekommt eben das Hobby.

12.05.2003 Torpedo Minsk 2:1 Neman Grodno
1. Liga Belarus – Torpedo

Vor dem Stadion lungerten schon viele Jugendliche herum, die entweder alle Betriebsunfälle in einer Mähdrescherfabrik oder, als Symbol ihres politischen Denkens, keine Haare mehr hatten. Die Verzierungen auf den Schwarz-Weißen Schals ließen aber eher letzteres vermuten. Für osteuropäische Verhältnisse war es insgesamt aber ein ganz imposanter Mob – ein Derby gegen Dinamo dürfte sich lohnen. Aus dem, von vornehmlich Polen besiedeltem Gebiet, waren etwa 20 Mann angereist, die versuchten, ihre Helden zum Auswärtssieg zu animieren – ohne Erfolg. Als Eintrittskarte bekamen wir übrigens eine Karte von einer Automobilausstellung im Design der allseits beliebten Kinokarte. So nicht und vor allem nicht mit mir! In der Halbzeit suchte ich den Milizchef auf und verdeutlichte ihm wild gestikulierend mein Problem. Daraufhin brachte er mich zum Klubdirektor, welcher mein Problem, dank meines arg beschränkten slawischen Wortschatzes, nicht wirklich verstand. Folgerichtig wurde ein Journalist zur Problemlösung miteinbezogen, der für mich artig übersetzte. Letztlich stellte sich aber heraus, dass es gar keine normalen Tickets gab und so schenkte mir der Klubdirektor seine Jahreskarte. Spasiba!

Trotz Aufessens fing es wieder an zu regnen, weshalb wir Unterschlupf im Bahnhof suchten, um bis zur Abfahrt des Zuges wenigstens trocken zu bleiben. Zur Ausfüllung des reichlichen Zeitpolsters kreierten wir neue Spiele wie: „Wie viele 100 Rubelscheine passen auf eine Marmorplatte“ oder „Mit wie vielen Scheiben Salami und Käse lässt sich ein Brötchen belegen ohne Maulsperre zu bekommen“. Kurz vor dem Erreichen eines neuen Rekords für das Guinness-Buch trudelte der Zug ein. Als wir das erste Mal in der Lage waren uns gemütlich umzudrehen, konnten wir uns schon wieder aus dem Bett drehen – 4.20 Uhr Vilnius Hauptbahnhof. Auf dem kalten Boden ging das Schlafspiel in die Verlängerung, bis pünktlich mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen die werktägliche Geschäftigkeit und Fluktuation an einem hauptstädtischen Bahnhof einsetzte. So machten wir uns auf in die City, auf zur Kathedrale!
Dort angekommen gerieten wir wieder ins Träumen. Das erste Kind würde sicherlich ein Junge werden und für den Haushalt wären wir beide zuständig. Gewissermaßen sah ich mich mit Kind und Kegel schon an der Kurischen Nehrung nach einem harten Arbeitsjahr im Urlaub. Stralsundisti und seine Uhr holten mich schlussendlich doch in die harte Realität zurück, die da lautete: FBK Kaunas vs. Sviesa Vilnius. Mit einem Kleinbus fuhren wir in atemberaubender Geschwindigkeit, Zeit und Manier nach Kaunas. Kurzer Innenstadttest, für Träumer geeignet, und ab ging es ins Nationalstadion.

13.05.2003 FBK Kaunas 1:0 Sviesa Vilnius
1. Liga Litauen – Gireno Stadion

Wie würde Sviesa den Abgang des besten Torschützen Kutka verkraftet haben? Werden Nerijus Astrauskas, Ramûnas Radavièius, Donatas Vencevièius oder aber Gediminas Butavièius diese große Lücke schließen können? An diesem Spieltag jedenfalls nicht, denn Sviesa agierte im Sturm nicht drangvoll genug, das Mittelfeld um Audrius Veikutis und Dainius Šuliauskas setzte den Sturm nicht wie gewohnt in Szene. Trotzdem ein Highlight meines Lebens, dass ich Sviesa Live sehen durfte.

Der Tätigkeit, die ich nach Schlafen und Dummlabern am Besten kann, Abgammeln, galt es nach Abpfiff bis zum Eintreffen des Busses nach Olsztyn nachzugehen. So saßen wir beide am Busbahnhof, verharrten der Dinge und erzählten und dieses und jenes. Bald war dieses und jenes erzählt, doch vom Bus war soviel zu sehen wie vom Bernsteinzimmer. Die Geschichten begannen in immer früheren Zeiten und wir näherten uns der Phase, als es zu unterscheiden galt, ob die Geschichte wirklich so passiert war oder sich nur, von den Eltern aufgepeppt, als märchenhafte Anekdote in unsere Erinnerungen eingeschlichen hatte, als der von uns erwartete Bus endlich eintraf. Dieser war zwar mehr als nur ein wenig verspätet, aber das war in diesem Moment völlig egal, denn Zeit zum Denken wäre verschwendete Schlafzeit gewesen.
Sparfüchse wie wir hatten errechnet, dass ein Aussteigen in Olsztyn und von dort die Inanspruchnahme der polnischen Bahn bis Swinoujscie billiger war, als eine Weiterfahrt auf der Straße bis Gdansk und dort dem Konduktor dzien dobre zu sagen. Das dabei gesparte Geld dürfte spätestens in Greifswald für ein Bier an der Tanke draufgegangen sein…

26.03.2004 Concordia Hamburg 1:1 TSV Kropp
4. Liga Deutschland – Stadion Marienthal

Jörg Pilawa rief – und wir kamen! Das Ziel schien nah: Weltreisen, sorgenfreies Leben und solariumsgebräunte Torten bis zum Abwinken; die einzige Hürde die sich uns in den Weg stellte war das Casting zur Rateshow „Das Quiz“ mit dem wohl begehrtesten Schwiegersohn der Nation: Jörg Pilawa. Da ich danach natürlich keine Zeit mehr zum Hoppen haben würde, denn die Torten wollen auf der Weltreise ja unterhalten werden, entschied ich mich mit RalleRalinski schon Freitags nach Hamburg zu reisen. Cordi rief nämlich auch und unser Dach über dem Kopf für die beiden Nächte konnte meine Begleitung erhuren. Kurz bevor die Protagonisten den Rasen betraten, taten wir selbiges, nur eben mit den Traversen. Ein richtig schöner Ground und dazu Hamburger Amateurfußballatmosphäre – Hopperherz, was brauchst du mehr… bis morgen jedenfalls. Der traditionsreiche, ruhmreiche und mehrfache Sieger der Kroppschen Meisterschaft, der TSV Kropp erwies, mit einigen Anhängern im Gepäck, Cordi die Ehre heute aufzuspielen. Mit einem dieser fanatischen Allesfahrer, der sich später als Manager des Schleswiger Vereins herausstellte, entwickelte sich eine lang anhaltende verbale Auseinandersetzung. Sich über den baufälligen Zustand des Stadions mokierend war er bei mir natürlich an der falschen Adresse. „Dann fahr wieder auf deine Koppel und guck den Kühen beim Grasmähen zu!“ knallte es von mir auf sein auf Zustimmung hoffendes Trommelfeld. Nun war er in seinem Stolz als Manager des einzig wahren TSV Kropp getroffen. Die weiteren verbalen Entgleisungen würden sicherlich den Rahmen sprängen, es war jedenfalls mehr als lustig. Ach ja, Sonntag weilten wir bei einem Kreisligakick in Roggendorf; aber wer will schon auf Weltreise gehen?!

Einmal Nordkap und (noch ein Stückchen weiter) zurück…

Da stand ich nun also am Hamburger Hauptahnhof und hielt es in der Hand: mein ScanRail-Ticket 2004. Einhundertsechzig Euro hatte ich dafür zu zahlen, aber das schmerzte mich keinesfalls. Cousin Martin hatte mir schon einige Woche zuvor die vierzehntägige Reise zum Nordkap äußerst schmackhaft gemacht. Aber das war es gar nicht, was mich an dieser Tour so reizte. Nordkap, Lappland, Mitternachtssonne – pah! Nein, es war die Aussicht auf das eine oder andere Fußballspiel in Skandinavien; wenigstens drei Länderpunkte konnte ich machen – ich fühlte mich wie im siebten Himmel! Das war meine Chance! Nach dieser Tour war ich endlich in der beneidenswerten Situation das Recht zu besitzen den Groundhopper-Informer zu kaufen. Wöchentlich wäre auch ich dann privilegiert meine Heimspielbesuche von Anker und Hansa als Tourplan in diversen Foren zu posten. Für den Rest meines Lebens wäre ich – getreu dem alten Zivi-Leitspruch – Einmal Hopper immer Hopper! Das Leben kann so schön sein, wenn man dämlich ist…
Die Wochen strichen ins Land und Cousin Martin verfeinerte ständig, nein, stündlich muss es heißen, die Details der Fahrt. Ich hingegen war in der äußerst glücklichen Situation, dass ich mich, bis auf das Ausfüllen meines Urlaubscheins, praktisch um nichts kümmern musste. Er durchforstete das weltweite Datennetz nach Buslinien und Zugverbindungen, orderte Fährtickets und durchstöberte den Kicker-Matchkalender um die Reise zum nördlichsten Punkt unseres Erdteils mit einigen Ausflügen in diverse nordeuropäische Fußballstadien zu bespicken. Natürlich waren die zwei Wochen mehr Urlaub als Tour. Die vier geplanten Spiele auf unserer Reise waren nur nettes Beiwerk, das man gern mitnimmt.
Im Laufe dieser Planungen war der Cousin aber nicht ganz mit sich und der Welt im Reinen. Zwar war auch er der Ansicht, dass eine Reise zum Nordkap ein wunderbarer Skandinavienurlaub sein würde, aber den ganzen Sommer ohne eine „richtige“ Hopping-Tour, nein, das war nicht seine Vorstellung von einem vollkommenen Sommer, da fehlte was. Und so spielte er mit dem Gedanken direkt im Anschluss an die zwei Wochen Nordeuropa noch ein paar fußballintensivere Tage im Herzen Europas zu verbringen – in der Slowakei. Die Aussicht, das Heimatland meiner Vorfahren zu bereisen und einen Tag im Geburtstagsdorf von Vater Montschko zu verbringen, war Grund genug auch zu diesem Plan Ja und Amen zu sagen. Und dann erwachten auch wieder diese Gedanken in mir, von wegen noch mehr Länderpunkte und noch mehr Foren und noch dämlicher zu werden…
Der Juli hatte gerade sein Bergfest gefeiert, der letzte Arbeitstag vor dem Jahresurlaub war hinter uns gebracht und wir saßen im vollbesetzten Zug von Rostock nach Greifswald. Von dort wollten wir am folgenden Tag auf Deutschlands größte Insel fahren und mit der Fähre aufbrechen. Nach unserer Ankunft erwarben wir erst einmal noch den letzten Reiseproviant; die guten Müsliriegel von Gletscherkrone und ein Kasten Sternburg Export. Denn auf ein gepflegtes Feierabendbierchen wollten wir auch in Skandinavien nicht verzichten. Und obwohl wir bestverdienende Auszubildende waren – auch wir hatten nur ein gewisses Budget zur Verfügung, welches nicht überschritten werden sollte. Dass dies dann doch nicht geklappt hatte, merkte ich aber erst zweieinhalbe Wochen später, als mir der Bankautomat in Kosice kein Geld mehr geben wollte…
Die letzte Nacht auf heimischem Boden sollte kurzentschlossener Weise in der Greifswalder Mensa verbracht werden. Dort sollten ein paar Damenherzen gebrochen werden, die sich just an jenem Abend in uns verlieben sollten, deren Einladungen auf eine gemeinsame Zukunft oder aber wenigstens eine gemeinsame Nacht mit Hinweis auf unsere bevorstehende dreiwöchige Abwesenheit dann aber abgelehnt werden mussten. So war der Plan. Dass dieses Vorhaben aber kläglich scheitern würde, war schon abzusehen, als wir begannen obdachlosen Bierhumpen unser Asyl anzubieten. Spätestens allerdings, als ein Kumpel von Cousin Martin von einer fremden Schönheit angetanzt wurde, die scheinbar kurzzeitig vergessen hatte, dass sie nicht ohne nordafrikanische Begleitung gekommen war. Diesem gefiel das gebotene Szenario natürlich überhaupt nicht. Er versuchte die Sache durch eine Jackie-Chan-ähnliche Flugeinlage zu beenden, was allerdings dazu führte, dass die ganze Angelegenheit in ein kurzes Handgemenge überging, welches wir aber nach Punkten für uns entscheiden konnten, trotz Abzügen wegen direkter weiblicher Beteiligung. Aber wie heißt es so schön: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. So war der Plan. Dass dieses Vorhaben aber kläglich scheitern würde, war schon abzusehen, als die Security begann, einen nach dem anderen, an den Schultern gepackt, hinauszutragen. Dort erwartete uns schon die Polizei. Der Grund dafür ist mir im Nachhinein nicht mehr wirklich bekannt. Es ging, so glaube ich mich zu erinnern, um eine teure, zerstörte Brille. Abschließend will ich dazu nur noch erwähnen, dass der Polizei die Geschichte anfangs leicht verfälscht dargelegt wurde. Dort hieß es doch glatt, dass nicht die schöne Fremde antanzte, sondern angetanzt wurde. Aber als Cousin Martin im Polizeiauto als Zeuge verhört wurde, konnte diese Unwahrheit glaubhaft widerlegt werden. Wie er das gemacht hat wird wohl eines dieser ungelüfteten Geheimnisse bleiben. Denn eigentlich war zu diesem Zeitpunkt Reden eine äußerst schwierige Angelegenheit für ihn…
Am Freitagmorgen machten wir uns ziemlich verschlafen auf den Weg zum Greifswalder Bahnhof. Auf eine letzte morgendliche Dusche verzichteten wir, da die Nacht eh schon kurz genug war und der Wecker erst nach seinem dritten Mahnruf ernst genommen wurde. In der Bahnhofsbuchhandlung hatte ich dann die Qual der Wahl bei der Auswahl meiner Urlaubslektüre. Mit der Aussicht auf stundenlanges Verweilen in Bussen, Bahnen und auf Fähren setzte ich mein Augenmerk dabei mehr auf Quantität als auf Qualität, so dass ich kurze Zeit später „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ mein Eigen nennen durfte. Noch ein wenig später begann sie dann, unsere Fahrt. Mit der Bahn fuhren wir nach Sassnitz, von wo aus wir eigentlich unter Verwendung unserer Füße zum Fährhafen nach Mukran gelangen wollten. Aber ein kurzer Blick auf den Stadtplan verhieß nichts Gutes, da der zurückzulegende Weg überhaupt nicht in Einklang mit den herrschenden Wetterbedingungen, geschweige denn mit der Abfahrt der Fähre zu bringen war. Deshalb zogen wir es dann doch vor, den öffentlichen rüganer Nahverkehr finanziell zu unterstützen und gemütlich zum Anleger zu fahren.
Bei bestem Sonnenschein hieß es dann Abschied nehmen, die Überfahrt konnte beginnen… Auf dem Sonnendeck stießen wir auf den gelungenen Beginn des Urlaubs an; wenige letzte Blicke auf das immer ferner erscheinende Rügen und es dauerte nicht lang und um uns herum war nur noch sie, die Quelle allen Lebens – die Ostsee. Mit ihr kam allerdings auch der Wind und mit ihm die Kühle, so dass wir uns einen wohlig warmen Platz unter Deck suchten, um uns dem bei uns zur damaligen Zeit äußerst beliebten Spiel der Könige hinzugeben – dem Knacken. Während der knapp vierstündigen Überfahrt wurde so manches Blatt gedroschen, es gab Sieger und Besiegte, es gab ernste und heitere Momente, es war schlichtweg eine gelungene Spielrunde im Herzen der MS Trelleborg. Wir vertieften uns dabei dermaßen in das Spiel, dass wir erst durch die Reinigungskräfte erkannten, die mittlerweile damit begonnen hatten, das Schiff für die Rückfahrt reisefertig zu machen, dass unser erstes Etappenziel erreicht war: der Namensgeber für unser Schiff. Wir packten unsere Siebensachen zusammen und machten uns auf den Weg zum Terminal. Leider mussten wir dabei feststellen, dass schon wieder ein Plan nicht aufgehen würde: und zwar der mit unserem allabendlichen Bierchen. Die ausgiebige Knackorgie auf der Überreise hatte unseren Vorrat bereits arg dezimiert.
Mittlerweile war es 22 Uhr und da standen wir also im Terminal. Der Bus in Richtung Malmö ging erst in acht Stunden und es galt nun, diese Zeit möglichst sinnvoll zu verbringen. Da uns aus der vorherigen Nacht noch das eine oder andere Stündchen Schlaf fehlte, machten wir es uns unter einer Treppe, versteckt hinter einem riesigen Gummibaum, bequem und verabschiedeten uns relativ fix ins Reich der Träume. Doch was war das plötzlich?! Ich spürte einen leichten Stups am Fuß, dazu ein grelles Leuchten im Gesicht und meine Ohren vernahmen fremdklingende, aber aufgrund der Betonung doch deutliche Laute. Die örtliche Security hatte uns entdeckt und verfrachtete uns ohne lange Diskussionen vor die Tür. Ein Blick auf die Uhr verriet uns, dass es ein relativ kurzes Vergnügen gewesen war, welches wir im Terminal hatten. Es war wenige Minuten nach Mitternacht und nun hatten wir noch immer gute sechs Stunden bis unsere Reise fortgesetzt werden konnte. Kalt war es draußen geworden; für unser beider Geschmack zu kalt. Deshalb verwarfen wir auch ziemlich schnell die Idee einfach auf den Bänken vor dem Hafen zu schlafen und wir machten uns auf den Weg in die Stadt, denn schließlich hatten wir auch noch keine schwedischen Kronen in der Tasche und wer weiß, vielleicht hatte das beschauliche Städtchen ja einen ebensolchen Busbahnhof zu bieten. Dem war aber leider nicht so. Ein paar Holzbänke waren alles, was man uns anzubieten hatte.
Inzwischen zeigte sich die Sonne bereits am Horizont und die Uhr am nahen Glockenturm schlug viermal in Folge, da machte Cousin Martin plötzlich eine für ihn umwerfende Entdeckung. Erst tapste nur einer von ihnen hinter der Hecke vor, aber schnell waren sie zu zweit, dann zu dritt und schließlich ein gutes Dutzend – Pfaue. Im Laufe der Reise hatten wir auf eine Begegnung mit Rentieren oder Elchen gehofft, aber Pfauen… Nach ein paar Gruppenfotos verloren aber auch diese gefiederten Schweden ihren Reiz und kurze Zeit später fuhr auch schon unser Bus in Richtung Malmö ein.
Von Malmö aus wollten wir mit der Bahn über Göteborg nach Uppsala fahren, um in Schwedens größter und ältester Studentenstadt die Nacht zu verbringen. Am dortigen Bahnhof machten wir während unseres kurzen Aufenthalts Bekanntschaft mit einem frisch verliebten H&M-Studentenpärchen aus Frankfurt; Kategorie: dumm und dümmer. Nachdem sie merkten, dass auch wir aus ihrem Heimatland kamen, entwickelte sich ein kurzes einseitig geführtes Gespräch, in dem sie sich vollkommen überrascht zeigten, dass Zugfahren in Schweden ja so viel teurer sei als in Deutschland und sie damit überhaupt nicht gerechnet hätten. Nun wüssten sie gar nicht, wie sie die ganzen Fahrkarten bezahlen sollten. Ihr Ziel war eine Rundreise durch Südschweden. Aber die musste nun wohl verkürzt werden…
Während ich es mir im Zug gen Göteborg waagerecht auf den Sitzen bequem machte, entdeckte Cousin Martin in einer Wettquoten-Zeitschriften, dass am Nachmittag in Örebro ein Fußballspiel stattfand, doch war aus der Lektüre leider nicht zu entnehmen, um was für ein Spiel es sich genau handeln würde. Ein Männerspiel der ersten Ligen schien ausgeschlossen, das hätte er bei seinen Planungen entdeckt. Auch die beteiligten Mannschaften klangen im ersten Augenblick wenig vertraut. Aber das war egal. Örebro lag sowieso auf unserem Weg und Uppsala konnte sicher auch noch ein paar Stunden auf uns warten.
Am Nachmittag kamen wir bei herrlichstem Sonnenschein in dieser, zu den ältesten in Schweden gehörende Stadt an, was sich auch bei unserer kurzen Sightseeingtour bemerkbar machte. Eine imposante Burg in der Stadt und eine Handvoll alter Kirchen und Gebäude waren den einen oder anderen Schnappschuss wert. Zusätzlich versuchte Martin tatsächlich einen ganzen Film mit verschiedenen Springbrunnen zu verknipsen. Unfassbar was er plötzlich für einen Anfall bekam; er war in jenem Moment nicht mehr Herr über sich selbst. In jeden Hinterhof mussten wir gucken, jede kleine Straße durchwandern, nur wegen seines Wahns, dass sich just dort noch ein weiterer Brunnen versteckt haben könnte…
Schließlich erreichten wir auch das Stadion Eyravallen. Noch war die Art der Partie völlig unbekannt für uns, aber als wir vorm Ticketschalter standen, wurde schnell klar, dass wir in wenigen Minuten einem Spiel der ersten schwedischen Damenliga beiwohnen würden. In den Stadionkomplex integriert war ein Hessburger, wo wir vorher noch fix ein kostengünstiges, nein, DAS kostengünstigste Brötchen mit Klops zu uns nehmen wollten. Der Brunnenmarathon hatte geschlaucht. Und so stand ich also vor der hübschesten Bedienung, die ich je in meinem Leben gesehen hatte und teilte ihr mein Anliegen mit. Doch aus mir unerfindlichen Gründen verstand sie mich nicht wirklich und verkaufte mir irgendeins von diesen großen Menüs, die sie im Angebot hatten. Und gerade als ich dagegen protestieren wollte, trafen sich unsere Augen und ich konnte ihr ihren Fauxpas nicht übel nehmen. Ich bezahlte brav meine Schulden und schwebte beim Verzehr der Pommes und der Burger im siebten Himmel. Sex sells…

17.07.04 Karlslunds IF 1:4 Djungarden/Älvsjö
1. Liga Schweden Damen – Eyravallen

Eigentlich gibt es zu diesem Spiel nicht viel zu sagen. Achthundertachtundfünfzig Zuschauer verirrten sich an diesem Samstagnachmittag in das Stadion des heimischen Männer-Zweitligisten und genossen eher die Sonne als das angebotene Programm. Das Stadion besaß zwei überdachte Sitzplatztribünen der neueren Baureihe und im völligen Gegensatz dazu gab es hinter den Toren zwei alte Stahlrohr-Stehplatztribünen, die aber bedeutend mehr Charme versprühten. Die erste Viertelstunde verbrachte Cousin Martin damit, irgendeinen eintrittskartenähnlichen Schriebs zu bekommen, da am Einlass zwar stolze vier Euro gelassen werden mussten, man aber keinen Beweis dafür bekam tatsächlich dabei gewesen zu sein. Auffallend, neben den Cheerleadern in der Halbzeitpause, war der Libero, die Libera, das Libere – na ja, halt die Spielerin, die die Position von Franz Beckenbauer von früher innehatte. Sie hatte die Statur eines finnischen Holzfällers und den Wumms eines brasilianischen Linksaußen). Da das Spiel aber mehr nicht zu bieten hatte, verzogen wir uns in Hälfte Zwei auf die Gegentribüne, um ein wenig der Sonne zu entfliehen und die Zeit sinnvoll zu nutzen, in dem wir erste Postkarten schrieben.

Nach dem Spiel machten wir uns dann mit dem Zug auf den Weg nach Uppsala. Unser Plan sah vor, da die Nacht kostengünstig überstanden werden sollte, das heißt ohne Unterkunft, in einen der vielen Studentenclubs zu gehen und dort bis zum nächsten Morgen zu bleiben. In Gedanken spielten wir natürlich auch hier wieder damit, so wie am Abend vor unserer Abreise aus Deutschland, der Damenwelt die Herzen zu brechen… Und alles begann auch nach Plan. Während einer Partie Knack im Zug machten wir uns ausgehfertig und beseitigten überflüssige Körpergerüche mit Deo und Pfeffi. In Västeräs wechselten wir vom Zug in den Bus und genossen dabei eine Freifahrt, da der Bus völlig überfüllt mit jugendlichen Sportlern war, die vom BalticCup aus Göteborg kamen. Dank unseres jugendlichen und vor allem sportlichen Aussehens hielt man uns wahrscheinlich zur Gruppe gehörend. Gegen 22 Uhr kamen wir in Uppsala an, schlossen unser Gepäck ein und machten uns auf den Weg in die Innenstadt. Schnell schon fanden wir den ersten Club, der allerdings ziemlich edel auf uns wirkte und wir in unserem Outfit wenige Chancen besaßen, dort hineinzugelangen. Aber bei tausenden Studenten musste es noch eine Menge Lokalitäten mehr geben. Auf unserem Weg schauten wir noch an der Sehenswürdigkeit des Ortes vorbei, dem Dom, und folgten anschließend dem immer dichter werdenden Fußvolk. Und da standen wir. Endlich schien einmal ein vorher gefasster Plan aufzugehen, wir waren nur noch wenige Schritte von unserem Tages-, bzw. Nachtziel entfernt. Aber es war ja irgendwie schon klar, dass auch dieser Plan nicht funktionieren würde. Am Einlass wurde uns mitgeteilt, dass man in uppsalasche Studentenclubs nur Zutritt hat, wenn man auch an der dortigen Uni eingeschrieben ist und einen dort ausgestellten Studentenausweis besitzt. Toll, da standen wir also, die Uhr zeigte noch nicht einmal Mitternacht und wir hatten noch acht Stunden über die Runden zu bringen. Acht Stunden, in denen wir eigentlich das schwedische Studentenleben kennen lernen wollten. Ein kurzer Blick um die Ecke eröffnete uns noch die Möglichkeit über den Diensteingang in den Club zu gelangen. Aber gerade in dem Moment, als wir uns durchgerungen hatten, wer zu erst hineingehen würde, war die Tür auch schon zu. So setzten wir uns in die Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite und genossen die letzten Schlucke Pfefferminztee, die noch übrig waren. Es zeriss uns das Herz; aus dem Club schallte die Musik zu uns hinaus und immer mehr schöne, schönste Mädels liefen lächelnd an uns vorbei. Das war auf die Dauer zu viel für uns und wir entschlossen uns schweren Herzens zurück zum Bahnhof zu gehen. Da dieser aber erst um halb Vier öffnete, verdrückten wir uns zwischenzeitlich in den Vorraum einer Bank um zwar ungemütlich, aber wenigstens im Warmen, zu dösen.
Wie schon in den beiden Tage zuvor, ziemlich verschlafen und ohne richtige Morgentoilette, wie man so schön sagt, machten wir uns am Morgen weiter auf den Weg. Unser Ziel war der schwedische Fährhafen Kappelskär, von wo aus wir am Abend mit der Fähre nach Estland übersetzen wollten. Da wir von Uppsala schwer enttäuscht waren, nahmen wir gleich den ersten Bus und erreichten schon am frühen Nachmittag das kleine verschlafene Ostseestädtchen und hatten nun den halben Tag Zeit uns zu beschäftigen, bis die Fähre bestiegen werden konnte. So entschieden wir, es uns am Strand bequem zu machen, und während ich mich mit einem Sonnenbad zufrieden gab, konnte Cousin Martin sich zu einem eisigen Ostseebad durchringen. Es waren ein paar ganz angenehme Stunden. Während wir uns die Sonne auf den Pelz schienen ließen, wieder einmal eine Dose Fisch und Müsliriegel zum Mittag hatten und ein büschen dösten, verging die Zeit recht fix.
Am Nachmittag reichte es uns dann aber auch und wir machten uns zum auf Terminal. Es waren zwar noch ein paar Stunden bis zum Check-in, aber langsam verlangte der Körper nach ein wenig Zuwendung, so dass das Waschbecken im Klo zur Dusche umfunktioniert wurde. Nebenher wurden nasse Fahnen getrocknet, die am Strand von tsunamiartigen Monsterwellen genässt wurden und es fanden sich auch ein paar Minuten für das Spiel der Spiele, dem Knacken. Und wenn das alles zu langweilig wurde, dann hatten wir noch immer die Möglichkeit aus dem Fenster zu schauen… Im Laufe der Zeit füllte sich das Terminal zusehends, vor allem mit russischen Esten, die den Eindruck vermittelten, mehr oder weniger erfolgreich vom BalticCup zu kommen. Mit der Ruhe war es somit vorbei. Dass uns dieser Lärm noch die ganze Fährfahrt über verfolgen sollte, ahnten wir zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Nachdem der Schalter öffnete, holten wir die, von Cousin Martin t-e-l-e-f-o-n-i-s-c-h bestellten, Tickets ab. Einmal für Martin Czikowski und einmal für Alf Manamme. Alles klar. Für wen?! In diesem Augenblick wurde mir schlagartig klar, dass ich bei der Bestellung ein Schauspiel, oder besser: ein Hörspiel sondergleichen verpasst hatte…
Um 20 Uhr verließen wir Kappelskär und machten uns auf die elfstündige Überfahrt nach Estland. Mittlerweile war es die dritte Nacht, in der wir mit irgendwelchen Bänken und Böden vorlieb nehmen mussten. Heute Nacht wollten wir es dabei aber wenigsten warm und ruhig haben. Wir hatten es uns gerade an den Schließfächern im Inneren des Schiffes gemütlich gemacht – Schlafanzug, Schlafsack, Schlafbeleuchtung – als der erste Offizier zu uns kam. Die anfängliche Hoffnung, dass er uns lediglich eine geruhsame Nacht wünschen möchte, zerschlug sich spätestens in dem Augenblick, als er uns auf das Oberdeck verwies. Und da lagen wir nun: Vor uns die offene Tür des Außendecks und um uns herum diese wilden Sportkinder, die sich beim BalticCup anscheinend nicht genug verausgabt hatten. Zumindest hatten sie noch genug Energie, die ganze Nacht um uns herum zu tollen und zu schreien. Hach, die Kleinen…
Am nächsten Morgen erreichten wir eine Stunde vor Plan Paldinski. Oder besser gesagt, wir erreichten den Fährhafen von Paldinski, der ein wenig vor den Toren der Stadt lag. Von Paldinski aus wollten wir den Bus nach Tallinn nehmen und dann direkt weiter an die russische Grenze nach Narva fahren. Und so machten wir uns mit Sack und Pack auf den Weg, immer an der Straße entlang, in Richtung Paldinski. Das Ortseingangsschild war noch lange nicht zu erkennen, da kam uns ein Reisebus mit der Aufschrift Paldinski – Tallinn entgegen. Auf unser Handzeichen hin hielt der Bus und wir waren glücklich und zufrieden auf dem Weg in die estnische Hauptstadt. Auch, dass der Bus im Laufe der Fahrt immer mehr die Ausmaße eines Viehtransports annahm, war uns ziemlich egal.
In Tallinn angekommen, machten wir uns sofort auf den Weg zum Busbahnhof, da bereits um halb Zehn unser Bus nach Narva fuhr. Martin kannte den Tallinner Busbahnhof schon aus vorherigen Besuchen, so dass alles ziemlich fix ging und wir äußerst gut im Zeitplan lagen. Dieser wurde erst bei unserer Ankunft gehörig durcheinandergewirbelt. Um die Karten für den Bus zu bezahlen brauchten wir noch estnische Kronen aus der Wand, doch die Schlange vorm Geldautomaten machte einen starren Eindruck. Nachdem wir diesen Akt endlich hinter uns gebracht hatten, blieben uns fünf Minuten um die Karten zu kaufen, den Bus zu finden, einzusteigen und loszufahren. Klappte alles.
Die dreistündige Busfahrt verdösten wir größtenteils. Gegen Mittag erreichten wir den estnischen Grenzort und unser erste Weg führte uns zur Touristeninformation um eine Bleibe für die Nacht zu finden; drei Nächte ohne Bett machten sich langsam bemerkbar. Auf den ersten Blick versprühte Narva den Charme einer jeden heruntergekommenen sozialistischen Stadt, also ziemlich wenig. Da unser Abstecher jedoch rein fußballtechnisch begründet war, konnten wir darüber besten Gewissens hinwegsehen. Zudem wollten wir die darauffolgende Nacht in Tallinn verbringen und würden sicherlich für diese Entbehrung reich entschädigt werden. Auf unserer Suche nach der Touristeninformation entdeckten wir dann aber den beschaulichen Teil der zweitgrößten estnischen Stadt. Direkt am Grenzfluss gelegen, präsentierte sich uns das Wahrzeichen der Stadt: die Hermannsfeste, eine imposante Burganlage mit zahlreichen Basteien und Kirchen in ihrer Umgebung. Und als ob dies noch nicht reichen sollte, wurden unsere Augen auch noch mit der Entdeckung des örtlichen Badestrandes beglückt, den wir ausgiebig inspizierten. Anschließend riefen wir uns aber unser eigentliches Vorhaben ins Gedächtnis zurück: die Suche nach einer Unterkunft. Die junge Dame an der Auskunft konnte uns schnell helfen und legte eine Liste mit den ortsansässigen Hotels vor. Nun hatten wir die große Auswahl; gut ein Dutzend Herbergen buhlten um unsere Aufmerksamkeit. Farbfernseher, Dusche, Restaurant, alles hatten sie zu bieten. Aber danach suchten wir gar nicht. Wir suchten nach der günstigsten Bleibe und da fiel uns sofort das Hotel Julian ins Auge. Ein Doppelzimmer mit Dusche auf dem Flur für zehn Euro pro Kopfpaar – gebucht! Auch die entsetzten Blicke der Vermittlerin und ihre Versuche uns von jenem Hotel abzuraten konnten uns von unserer Entscheidung nicht abbringen und wir machten uns auf den Weg.
Da das Hotel Julian am anderen Ende der Stadt lag, mussten wir bei sengender Hitze einen gut einstündigen Fußmarsch hinter uns bringen, um schließlich in einer Plattenbausiedlung zu landen, in der laut Karte unsere Übernachtungslokalität gelegen war. Immer tiefer drangen wir in die Gebäudekomplexe vor, wir ließen Karree um Karree hinter uns und da lag es – das Hotel Julian, in einem fünfgeschossigen Wohnhaus, über eine Seitentür zu erreichen, mit eigener Assikneipe und wohlbekannten süßlichen Gerüchen in der Luft. Wir legten unsere Sachen ab und machten uns anschließend gleich wieder zurück in die Altstadt, da nun die Hermannsfeste ähnlich intensiv beglückt werden sollte wie der Badestrand zuvor. Außerdem knurrten auch die Mägen so hartnäckig, dass wir sie ja nicht vergessen würden.
Unglücklicherweise lag der größte Teil der Burganlage auf russischer Seite, so dass wir nur ein kleines Stück der Feste beehren konnten. Aber unser touristischer Ausflug war dennoch äußerst lohnenswert. Hinter seiner reizlosen Schale hatte Narva wirklich einen weichen Kern zu bieten. Im Überschwang der Gefühle ließen wir uns dann auch in einer nahen Taverne nieder, die, wenn wir bei Sinnen gewesen wären, wahrscheinlich kritischer beäugt worden wäre… Es war ein kleines Etablissement, in der wir die einzigen Gäste waren. Im Hintergrund dudelte Musik von Georg Michael und der Kellner war, salopp ausgedrückt, als Lederuschi verkleidet. Aber in jenem Moment machte uns das nix. Wir aßen gut, wir tranken gut, und weil die Sonne so nett schien, gönnten wir uns obendrein noch einen Nachtisch…
Bis zum Spiel am Abend, dem eigentlichen Grund des Abstechers hierher, war nun noch ein wenig Zeit und wir entschieden uns, noch ein zweites Mal die Hermannsfeste zu begucken. Dabei beobachteten wir eine deutsche Erklärbär-Familie, die sich doch tatsächlich hierher verirrt hatte. Doch viel mehr Aufmerksamkeit erweckten drei junge Estinnen bei uns. Um sie besser im Auge zu haben und ihren Gesprächen zu lauschen, die wir sowieso nicht verstanden, machten wir es uns in der Burgkneipe bei einem Bierchen bequem. Doch just in dem Moment, als uns der kühle Gerstensaft überreicht wurde, bemerkten die Drei ihre zwei Verehrer, fühlten sich allerdings gar nicht beehrt und verschwanden grußlos. So gab es auch für uns keinen Grund mehr dort zu verweilen, wir genossen ein Sturzbier und machten uns auf den Weg ins Kreenholmi Staadion.

19.07.04 FC Narva Trans 0:6 FC Levadia Tallinn
1. Liga Estland – Kreenholmi-Staadion

Einhundertfünfzig Sonnenblumenkerne verschlingende Zuschauer waren an diesem Montagabend bereit, 1,30 Euro für das Gastspiel der Hauptstädter zu berappen. Unter ihnen war auch ein junger Mann, den wir wenige Stunden zuvor noch mit weiblicher Begleitung in der Altstadt gesehen hatten, wie wir Tourist spielend. Hach, der machte den richtigen Urlaub mit seiner Freundin. Das Stadion besaß nur an einer Seite eine zehnstufige Betontribüne. Die übrigen drei Seiten waren mit Gras bewachsen bzw. mit einer Sporthalle bebaut. Insgesamt passte es hervorragend in seine Umgebung hinein, da man nicht genau sagen konnte, ob es nun schon bessere Tage gesehen hatte, oder noch sehen würde. Da das Spiel nicht aufregender war als ein mecklenburgisches Landesligaspiel, vertieften auch wir uns in die Kunst des Sonnenblumenkernevertilgens ohne Zuhilfenahme der Finger.

Nach dem Spiel versorgten wir uns noch schnell auf dem nebenan gelegenen Markt mit dem nötigen Reiseproviant für die kommenden Tage und schlenderten dann zurück über die Straße in unsere Unterkunft. Die Entscheidung für Julian war in jeder Hinsicht die Richtige gewesen. Nach einer Dusche hieß es dann zum ersten Mal auf unserer Urlaubsreise, Decke über den Kopf und gute Nacht.
Der nächste Tag begann früh, da wir den ersten Bus zurück nach Tallinn nehmen wollten, um unsere touristische Pflicht in vollen Zügen wahrzunehmen. So machten wir uns im Morgengrauen auf zum Busbahnhof und verließen den Osten Estlands. Nach knapp 220 Kilometern und drei Euro ärmer erreichten wir die alte Hansestadt Reval. Da uns die letzte Nacht mit einem Dach über dem Kopf so gut gefallen hatte, planten wir die kommende Nacht ebenso zu verbringen. Aus diesem Grund führte unser erster Weg in die Jugendherberge vor den Toren der Altstadt, die schon beim Betreten den Eindruck einer Hippie-Kommune auf uns machte. Es gab Tee und Kaffee, vor der Tür mussten die Schuhe ausgezogen werden und alle verstanden und unterhielten sich echt supi. Uns war das aber alles ziemlich egal. Wir wollten uns nur ein Bett sichern und hatten Glück, dass ebensolche im Moment unserer Ankunft frei wurden.
Nun hatten wir den ganzen Tag um uns in der estnischen Hauptstadt zu vergnügen, womit wir auch sogleich begannen. Erster Anlaufpunkt war der Domberg, von wo wir einen herrlichen Blick über die Altstadt hatten. Danach schlenderten wir gemütlich durch Ober- und Unterstadt, schossen unsere Erinnerungsfotos, kauften Postkarten für die Daheimgebliebenen und gönnten uns ein belebendes Kühlgetränk in einer der zahlreichen Straßencafés. Tallinn trägt den Titel Weltkulturerbe völlig zu Recht; es ist eine der schönsten Städte, die ich je besucht habe. Nach ein paar Stunden Sightseeing verschlug es uns schließlich an den Hafen, wo wir Aussicht, Sonne und Erfrischungsgetränke genossen und den Plan schmiedeten, wieder in die Stadt zurückzukehren um die Vorzüge der hiesigen Damensommerbekleidung zu genießen. So landeten wir schließlich auf einem Überbau am Eingang zur Altstadt und erfreuten uns am dargebotenen Unterhaltungsprogramm. Cousin Martin erzählte von einem vorherigen Aufenthalt in der Stadt, bei dem er mit seiner Begleitung in eine polizeiliche Kontrolle kam, da sie öffentlich Bier tranken. Aber das konnte uns heute nicht passieren, denn das wäre ja so gewesen, als ob ein Blitz zweimal an der gleichen Stelle einschlägt – völlig unmöglich. Im Laufe der Zeit kam ich auf die Idee, die vorbeilaufenden Mannequins für die Nachwelt festzuhalten und begann jede einzelne von ihnen zu fotografieren. Erst Wochen später, als ich die Bilder im heimischen Rossmann begutachtete, merkte ich, dass dies ein verlorener Film gewesen war. Denn, es muss die Sonne gewesen sein, ich hatte wirklich alles fotografiert, was einen Rock trug. Nachdem uns auch dieser Programmpunkt zu langweilen begann, hatte Cousin Martin den Gedankenblitz, mich in jenen Park zu entführen, in dem er einst seine Unterhaltung mit der estnischen Polizei hatte. Wir machten es uns auf einer Wiese bequem, genossen wie schon so oft zuvor den Sonnenschein und gerade in dem Moment, als Cousin Martin dem Drang nachgab, der aus der Mitte seines Körpers kam, standen sie plötzlich vor uns: zwei Männer in Uniform. Ich will es kurz machen; Martins Versuch, sein Bier in der Hose zu verstecken, misslang kläglich, da uns die Beiden tatsächlich am gesamten Körper abtasteten, um anschließend unsere letzten Vorräte der Natur zu schenken und kurzfristig unsere Reisepässe zur Personalienaufnahme zu konfiszieren. Glücklicherweise konnten wir ihnen glaubhaft versichern, dass wir Estland schon am nächsten Tag verlassen würden, so dass sie von weiteren erzieherischen Maßnahmen absahen. Welch Déjà-vu-Erlebnis für den Herrn Cousin.
Um Tallinn wirklich am nächsten Morgen verlassen zu können, fehlten uns allerdings noch die Fährtickets Richtung Helsinki, so dass wir uns auf den Weg zum Fährhafen machten, um eben jene zu besorgen. Nachdem auch dieses Anliegen erledigt war, machten wir noch letzte Besorgungen in einem der vielen Supermärkte am Hafen. War dies doch für uns die vorerst letzte Möglichkeit, uns kostengünstig zu versorgen. Vollbepackt kehrten wir dann zurück in die Jugendherberge, blöde beschaut, da wir auf unsere Hippie-Freunde für eine Nacht, einen befremdlichen Eindruck machten; wirkten wir doch in diesem Moment nicht wirklich besser als die Unmenge von Finnen, die täglich mit der Fähre von Helsinki kommen, um am Hafen einzukaufen; bevorzugt Bier und Schnaps. Uns aber war es egal, wir waren versorgt. Und müde, weshalb wir recht schnell einschlummerten.
Um 8 Uhr verließ unser Motorschiff Meloodia Tallin und machte sich auf die Fahrt über den Finnischen Meerbusen. Das Highlight der dreistündigen Überfahrt war zweifelsfrei eine gut vier Zentner schwere Zigeunerfrau, die völlig grundlos damit begann mich zu beschimpfen, verwünschen und was weiß ich noch alles… Ein Grund dafür könnte die Wahl ihres Parfüms gewesen sein; Wodka Gorbatschow – aber ich will nicht unken… Eine Stunde vor Mittag legten wir in der finnischen Hauptstadt an und hatten bis zu unserer Weiterfahrt ins Landesinnere gute vier Stunden Aufenthalt. Das war genug Zeit für einen kurzen Gang durch die Stadt und das (äußere) Beschauen der wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Vorm Dom hielten wir kurz Rast zum Mittagsmahl, wie die Tage zuvor (und wie die folgenden Tage) gab es Dosenfisch mit Brot. Nachdem wir unseren Rundgang beendet hatten, machten wir uns noch ein Stündchen im Park lang und verließen am Nachmittag Helsinki mit dem Ziel Hämeenlinna, um dort ein wenig Fußball zu schauen.

21.07.04 FC Hämeenlinna 1:2 MyPa Anjalankoski
1. Liga Finnland – Kaurialan-Stadion

Für zehn Euro Eintritt erhielten wir Einlass in das Kaurialan-Stadion. Auf zwei Seiten gab es beschauliche überdachte Tribünen, die in den das Spielfeld umgebenen Hang gebaut waren, und unter die sich die meisten der 1.337 Zuschauer zurückgezogen hatten. Die restlichen Besucher zogen es vor, oberhalb des Hügels zu stehen und die Idylle möglichst aufrecht zu erhalten, in dem sie das Spiel relativ emotionslos verfolgten, so dass die ganze Veranstaltung eher einem Heimspiel des Greifswalder SV glich. Aber viel Grund zur Freude hatten die heimischen Sportkameraden auch nicht. MyPa gewann verdient und der mitgereiste Auswärtsmob, bestehend aus Ersatzspielern, Co-Trainer und Zeugwart, freute sich zu Recht.

Erst kurz vor Mitternacht fuhr unser Nachtzug nach Kemi, so dass wir noch ein wenig Zeit hatten, die Baudenkmäler des Ortes zu erkunden. In diesem Fall war es eine äußerst sehenswerte Burg, direkt am See gelegen. Nebenan gab es für Cousin Martin noch ein weiteres Highlight, ein Militärmuseum, das – glücklicherweise – aber schon geschlossen hatte, so dass er mit dem bisschen militärischen Gerät im Hof vorlieb nehmen musste. Hämeenlinna vermittelte im Sonnenuntergang einen wirklich idyllischen Eindruck – ja, da hatte die geruhsame Stimmung im Stadion bestens gepasst. Bis zur Einfahrt des Zuges blieb uns am Bahnhof noch eine gute Stunde. Mittlerweile war es ziemlich kühl geworden und der einzige überdachte und vor allem wärmende Aufenthaltsraum war der Fahrstuhl auf den Bahnsteigen. So verbrachten wir die letzten Minuten fröhlich knackend beim lustigen Auf- und Abfahren.
Punkt 23.52 Uhr hieß es dann Abschied nehmen für uns, der Nachtzug zum nördlichsten Punkt der Ostsee wartete. Nun mussten wir für die neunstündige Fahrt nur noch einen Schlafplatz finden, was allerdings nicht so einfach war. Der Zug war bis auf den letzten Platz gefüllt, so dass wir es uns im letzten Waggon des Zuges gemütlich machten. Während ich es mir auf dem Boden bequem machte, zwängte sich der Cousin in eines dieser Fächer, die eigentlich für drei, maximal vier Koffer gedacht sind und versuchte dort sein Glück. Erfolglos, an schlafen war weder für ihn, noch für mich zu denken. Aber im Laufe der Nacht leerte sich der Zug an jeder Station zusehends, so dass wir zumindest die letzten Stunden der Fahrt ein wenig im Sitzen Schlummern konnten.
Am frühen Vormittag erreichten wir die Partnerstadt meines Heimatortes und ich fühlte mich gar nicht wohl. Die Reise mit dem Nachtzug war mir gar nicht bekommen. Obwohl wir die bisherigen Tage stets Glück mit dem Wetter hatten und die Sonne auch jetzt schon wieder am Himmel strahlte, fühlte ich mich schlapp und verkühlt. Und das war dann auch meine Ausrede, als Cousin Martin mich eindringlich dazu aufforderte, hier am nördlichsten Zipfel des Baltischen Meeres, in die Fluten zu springen und mit ihm zu plantschen. Aber nein, ich brauchte noch ein paar Stunden an diesem 22. Juli um auf Betriebstemperatur zu kommen. Er ließ sich davon aber nicht beirren und verschwand für einige Zeit in den eisigen Fluten…
Kemi war relativ übersichtlich, weshalb uns der Abschied am Nachmittag auch nicht allzu schwer fiel. Die letzte Stunde vor der Abfahrt gen Rovaniemi verbrachten wir am Bahnhof, um Dosenfisch mit Brot zu essen und eine Art Inventur durchzuführen. Wir waren erst sechs Tage unterwegs, aber mit dem Gepäck waren wir schon jetzt leicht überfordert. Es schien, als ob sich unser Reisegut verdoppelt hätte. Nichts passte mehr in die Rucksäcke, Cousin Martin trug schon fünf Plastiktüten als Ersatzrucksack mit sich herum…
Nach anderthalb Stunden gemütlicher Zugfahrt erreichten wir pünktlich die Hauptstadt Lapplands um dem heimischen FC Rovaniemi PS im Abstiegskampf beizustehen.

22.07.04 FC Rovaniemi PS 1:0 AC Allianssi Vantaa
1. Liga Finnland – Rovaniemen Keskoskenttä

Das mit 1.694 Zuschauern besetzte Stadion machte einen gut gefüllten Eindruck. Im Gegensatz zum Spiel am vorherigen Tag machten sich die Besucher – zumindest durch rhythmisches Klatschen bei Ecken und dem zweimaligen Jubel (beim Tor und zum Abpfiff) – akustisch bemerkbar. Das Stadion besaß auf beiden Geraden eine überdachte Sitzplatztribüne, die aber unterschiedlicher kaum sein konnten. Das Spiel wusste durchaus zu gefallen, war es doch ein recht kurzweiliges und spannendes Vergnügen.

Bis zur Abfahrt unseres Busses nach Raudanjoki, wo wir die Nacht in der Jugendherberge verbringen wollten, blieb uns noch ein bisschen Zeit, die wir aber aufgrund mangelnder Sehenswürdigkeiten im örtlichen McDonald’s verbrachten. Die Hauptstadt der Provinz Lappland wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört und erst Anfang der 50er Jahre neu aufgebaut. Das einzige, was das Tor zum Norden heute noch zu bieten hatte, war ein Vergnügungspark vor der Stadt, dem Weihnachtsmanndorf. Da unweit nördlich von Rovaniemi der Polarkreis verläuft, rühmt sich die Stadt damit, die Heimat des Weihnachtsmanns zu sein. Überall war dies unübersehbar. Weihnachtsmänner an jeder Ecke und dazu eine Unmenge an Schlitten, die von Rentieren gezogen wurden. Uns faszinierte das alles überhaupt nicht; es wirkte eher nervig. Für mich als guten Christenmenschen war das sowieso überhaupt nichts; war mir doch seit frühster Kindheit klar, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt, sondern das Christkind für die Geschenke zum Heiligen Abend verantwortlich ist…
Punkt eine Stunde vor Mitternacht verließ unser Bus Rovaniemi. Dass wir dem Phänomen Mitternachtssonne immer näher kamen, wurde hier schon immer deutlicher. An der Südspitze Skandinaviens machte sich diese Erscheinung anfangs nur durch eine kurze Nachtphase bemerkbar, aber nun war es selbst in der Nacht nicht mehr dunkel, viel mehr waren wir nun von einer ständigen Abenddämmerung umgeben. Nach einer Stunde Fahrt erreichten wir Raudanjoki im Herzen Lapplands. Von hier, so hatten wir es mit unserem Herbergsvater abgemacht, sollten wir mit dem Auto abgeholt werden, da unsere Unterkunft noch etwa vier Kilometer entfernt im Wald lag. Allerdings wussten wir in diesem Moment noch gar nicht genau, ob es sich nun um Herbergsvater oder -mutter handeln würde. Bei seiner Planung für diese Nacht hatte Cousin Martin regen Email-Kontakt mit Janne, der Kontaktperson für unsere auserkorene Jugendherberge. Und dieser Name, Janne, ließ nun viel Raum für Spekulationen. Wir hofften auf eine weibliche Janne, die das ganze Jahr, völlig einsam das gute Anwesen bewirtschaftete, wunderschön und nur darauf wartend, dass zwei deutsche Kerle sie einmal beglücken würden. Für diese Idee sprach, dass ich eine Großcousine habe, die eben diesen Namen trägt. Gegen diesen Gedanken sprach unter anderem Janne Ahonen, Janne Kujala und Janne Niinimaa, allesamt finnische SportlER. So standen wir mit Sack und Pack da, hielten Ausschau nach einer drallen Finnin und warteten. Und dann erblickten wir von Ferne ein Auto, dass sich direkt auf uns zu bewegte. Je dichter es kam desto aufgeregter wurden wir, bis es schließlich stoppte und ein Mittvierziger ausstieg, leicht untersetzt, mit Brille. Das war es also, unser finnisches Abenteuer…
Doch diese Enttäuschung hatten wir spätestens bei unserer Ankunft in Visatupa verschmerzt. Was uns hier erwartete übertraf all unsere Erwartungen; wir waren im Paradies auf Erden. Da die Jugendherberge kurzfristig überbucht war, bekamen wir statt eines Zwei-Bett-Zimmers ein eigenes Häuschen direkt am See, mit Sauna, Küche und Fernseher. Aber das war es gar nicht, was den Reiz dieses Ortes ausmachte. Es war die Umgebung. Die Landschaft. Die Mitternachtssonne hinter den Baumwipfeln. Der Wald, der sich im See spiegelte. Der Nebel, der über dem Wasser schwebte. Der rote Himmel am Horizont. Es war unfassbar. Saugeil. Zwei Fotofilme wert.
Am nächsten Morgen wachten wir genauso zufrieden auf, wie wir uns Stunden zuvor ins Bett gelegt hatten. Bis zur finalen Etappe, der Fahrt zum Nordkap, hatten wir noch ein paar Stunden Zeit, die wir – jeder auf seine Weise – nutzen wollten. Während ich es vorzog finnische TV-Spielshows zu analysieren, machte es sich Cousin Martin in der hauseigenen Sauna bequem und nahm anschließend ein Bad im See. Kurz vor Mittag fuhr uns Janne zurück an die Hauptstraße nach Raudanjoki, wo wir in den Linienbus zum Nordkap einstiegen. Zehn Stunden waren wir nun nur noch vom Ziel unserer Reise entfernt. Entgegen unseren Erwartungen war der Bus aber nur spärlich besetzt. Zu Spitzenzeiten hatten wir gerade einmal fünf Mitfahrer, am Ende fuhren wir zu Dritt durch den Nordkaptunnel. Zurückblickend kann ich nur sagen, dass mir diese Reiseroute die schönsten Flecken Erde gezeigt hat, die ich in meinem kurzen Leben bisher gesehen habe. Erst die weiten Wälder Lapplands und anschließend die atemberaubenden Fjorde der norwegischen Nordküste. Und endlich bekamen wir auch Elche und Rentiere vor die Linse, die in regelmäßigen Abständen unsere Weiterfahrt verzögerten, da sie es sich auf der Straße bequem gemacht hatten
Gegen 22 Uhr erreichten wir die Insel Magerøy und nun waren es nur noch wenige Minuten bis zum Nordkap, dem vermeintlich nördlichsten Punkt Europas. Erst später erfuhr ich, was nur wenigen bewusst ist: ein gewisser Richard Chancellor bezeichnete den besagten Felsvorsprung irrtümlich als nördlichsten Punkt des Kontinents. Eigentlicher Sieger in diesem Wettstreit ist die als Knivskjelodden bezeichnete Nordspitze von Magerøy. Sie befindet sich exakt 1’08“ nördlicher. Aber das wussten wir damals ja noch nicht und auch heute ist es mir eigentlich völlig schnurz.
Bevor wir allerdings den heiligen Boden betreten durften, galt es zunächst Eintritt zu zahlen um auch wirklich in das gelobte Land einzumarschieren. In einer kleinen Baracke, die den Anschein einer Grenzstation erweckte, durfte ich 190 Kronen entrichten, umgerechnet etwa 16 Euro. Cousin Martin kam ein wenig günstiger in den Genuss des Eintrittbelegs, da er dieses wunderschöne Mädchen hemmungslos mit seinem im Bus vergessenen Studentenausweis betrog. Aber ich konnte diese Missetat einfach nicht vollbringen. Es war wie zu Beginn unserer Reise im Hessburger von Örebro. Ich sah ihre Augen und sagte: „Nein, ich bin Vollzahler…“
Und da waren wir also, am Nordkap. Bei unserer Planung war eigentlich angedacht, dass wir hier um die Mitternachtszeit herum Klärchen untergehen sehen, obwohl sie gar nicht untergeht. Hier, in der perfektesten Umgebung, wollten wir die Mitternachtssonne in Vollendung bestaunen. Aber dieses Vorhaben reihte sich nahtlos in die bereits zuvor nicht in Erfüllung gegangenen Vorstellungen ein. Im Laufe der Fahrt hatte es sich schon angedeutet und nun war es vollkommen: der Himmel war wolken- und nebelverhangen. Irgendwo hinter einer riesigen Wand aus kleinsten Wassertröpfchen versteckte sich die Sonne. Trotzdem bot sich uns ein imposantes Bild. Der Felsvorsprung und seine kleinen Brüder in der Umgebung gaben in diesem dichten Nebelschleier ein phantastisches Bild ab. Nachdem wir uns auch durch die Nordkaphallen gekämpft hatten – ein zum Teil völlig sinnloser Bau, mit historischen Ausstellungen (dem einzig Sehenswerten), dem nördlichsten Postamt Europas, Restaurants, Souvenirshops und Nordkapdiplomstelle, wo man für entsprechenden Obolus ein Diplom bekam, dass man wirklich am Nordkap war… – und auch ein kurzes Erinnerungsfoto am berühmten Mitternachtssonnenstraßen-Denkmal gemacht hatten, machten wir es uns ein wenig abseits gemütlich und hielten bei Dosenfisch, Brot und dem letzten estnischen Bier Mitternachtssonnenmahl ohne Mitternachtssonne. Die Strapäzchen, um hierher zu gelangen, hatten sich wirklich gelohnt.
Nach drei Stunden hieß es dann Lebewohl sagen, der letzte Bus nach Honnigsvag ging um 1 Uhr; unsere Rückfahrt begann. Um die teuren Busse zu sparen hatten wir ursprünglich vor, mittels Trampen unser nächstes Etappenziel Tromsö zu erreichen. Aber schon bei der Fahrt durch das nördliche Norwegen mussten wir erkennen, dass dies ein ziemlich verwegener Plan gewesen wäre, da die Begegnung mit einem Auto ein äußerst seltenes Vergnügen war… Mit den Worten des ersten Touristen am Nordkap, Francesco Negri, einem Priester aus Ravenna in Italien, der besessen davon war, herauszufinden, wie die Menschen so weit im Norden überleben konnten und daraufhin allein zum Nordkap reiste, wollte ich mich von diesem Ort verabschieden: „Hier steh ich nun am Nordkap – am letzten Außenposten der Zivilisation – und ich kann sagen, dass meine Wissbegier nun befriedigt ist. Ich reise nun zufrieden heim – so Gott will.“ Doch gerade als ich diese Sätze in den Wind schreien wollte, damit er sie um die ganze Welt tragen möge, tat uns der Wind einen ganz anderen Gefallen. In dem Moment als der Busfahrer die Türen schloss und losfahren wollte, blies er für ein paar Minuten eine Lücke in die Wolken- und Nebelwand und die Sonne kam tatsächlich doch noch einmal zum Vorschein. Dadurch verzögerte sich die Abfahrt ein wenig, da beinahe die gesamte Busbesatzung panikartig aus dem Bus sprang, um wenigstens noch ein Foto vom großen Himmelsstern zu machen.
Eine Dreiviertelstunde später erreichten wir den größten Ort der Insel Magerøy, Honnigsvag, und hatten nun das Problem, dass wir zwar ziemlich müde waren, aber kein Plätzchen zum Schlafen hatten. In diesen nördlichen Breiten war es in der Nacht schon ziemlich kalt und der erste Anschlussbus fuhr erst um kurz vor 6 Uhr. Dem Busfahrer war unsere Geschichte allerdings nicht wirklich neu und so bot er uns an, dass wir die Nacht im Bus verbringen könnten, da auch er erst am nächsten Morgen seine Fahrt fortsetzen würde. Und während er sich in sein Bettchen in einem nahen Bungalow verdrückte, schloss er uns gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Obdachlosen in den Bus ein.
Am nächsten Morgen war Honnigsvag nicht wiederzuerkennen. Vom Nebel der Nacht war nichts mehr zu sehen. Der Himmel war so weit wir blicken konnten azurblau und die Sonne schien ohne jede hinderliche Wolke auf uns herab. Pünktlich zur Abfahrt unseres Busses in Richtung Tromsö wurden wir auch aus unserem Nachtquartier befreit und wir machten uns auf die gut sechshundert Kilometer gen Westen. Wie schon auf der Busfahrt am Tag zuvor kamen wir auch heute gar nicht mehr mit dem links und rechts aus den Fenster gucken hinterher. Tiefe Fjorde, schneebedeckte Gipfel, blaues Meer, strahlender Sonnenschein, einsame Hütten und immer wieder ein Rentier auf der Straße. Eine perfekte Landschaft.
Nach elf Stunden Fahrt erreichten wir am späten Nachmittag die Stadt mit der nördlichsten Universität, der nördlichsten Kathedrale, der nördlichsten Brauerei und dem nördlichsten Fußballerstligisten der Welt – Romsa, wie die Samen sagen. Unser erster Weg führe uns zur Jugendherberge, die wir nach dem einen oder anderen Irrweg, den wir unterwegs einschlugen, auch fanden. Nach einer ausgiebigen Dusche und einem köstlichen Mahl – nachdem wir tagelang nur von Dosenfisch und Brot gelebt hatten, war in diesem Moment auch eine einfache Tomatensoße mit Spaghetti ein kulinarischer Hochgenuss für uns – machten wir uns auf den Weg an einen nahegelegenen Steg, um Pläne für den kommenden Tag zu schmieden. Am Abend stand der Besuch des Heimspiels von Tromsö IL an, aber vorher wollten wir doch zumindest eine kleine Wanderung durch die nähere Umgebung machen. Und während wir so da saßen, uns die Sonne auf die Plauze schienen ließen und einen Wettkampf im Wer-kann-durch-einen-Stein-ins-Wasser-werfen-die-größte-Welle-fabrizieren durchführten, standen plötzlich drei Norwegerinnen vor uns, wie sich später herausstellte Mutter, Tochter und Enkelin. Auf den ersten Blick schien diese Kombination allerdings wenig glaubhaft, da Mutter und Tochter viel eher wie Schwester und Schwester erschienen. Und um es noch genauer zu sagen: wie gutaussehende Schwester und noch besser aussehende Schwester. Es dauerte auch nicht lange und wir kamen mit den Beiden ins Gespräch. Wir erzählten, dass wir bisher absolutes Glück mit dem Wetter hatten, uns am Tag zuvor der Nebel allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, weil uns dieser am Nordkap die Mitternachtssonne vorenthalten hatte. Daraufhin erwähnten sie, dass, wenn wir auf den Storsteinen steigen würden, dem sogenannten Hausberg von Tromsö, heute noch einmal die Chance haben würden, die Mitternachtssonne von dort in ihrer vollen Pracht zu bestaunen. Außerdem hätten wir von dort auch einen beeindruckenden Blick auf die Stadt und die umliegenden Berge. Heute wäre allerdings die letzte Chance, da bereits morgen die Sonne für einen kurzen Augenblick wieder hinterm Horizont verschwinden würde. Diese Chance mussten wir nutzen. Es war zwar bereits am frühen Abend, aber wenn wir uns beeilen und flotten Schrittes unterwegs sein würden, könnten wir es bis Mitternacht nach oben schaffen. Damit waren zwar unsere Pläne für den nächsten Tag wieder hinfällig, aber das konnten wir verschmerzen, waren wir es ja eh schon gewohnt.
So machten wir uns, bewaffnet mit Dosenfisch und Bier, für ein zünftiges Mitternachtsmahl, auf den Weg. Am Fuße des Storsteinen hatten wir noch die Möglichkeit, mit der Seilbahn die Strecke hinauf zurückzulegen. Aber nicht nur die sieben Euro, sondern auch der deutsche Wandergeist in uns ließen dieses Angebot an uns abprallen. Und so wanderten wir um zehn Uhr am Abend bei schönstem Sonnenschein erst durch den Wald, später durch Sträucher und Wiesen und schließlich über teilweise schneebedeckte Steinfelder. Unterwegs machten wir kurz Bekanntschaft mit einem Rotfuchs, der rechts aus einem Busch schoss, mitten auf dem Weg stehen blieb um uns genauso bedeppert anzuglotzen wie wir ihn und dann links im nächsten Busch verschwand. Man muss sich vorstellen, dass wir wie zwei dämliche Stadtkinder regungslos vor diesem Tier standen und einfach nur dumm guckten. Aber der Fuchs stellte sich auch nicht viel besser an…
Pünktlich zur Mitternacht erreichten wir dann die Spitze des Berges und saßen im genau richtigen Moment, als die Sonne auf ihrem tiefsten Stand, aber nicht hinterm Horizont verschwunden war, auf den Felsen und stießen darauf an, dass wir sie doch noch gesehen hatten: die Mitternachtssonne in Vollendung. Wir genossen in kindlicher Verzückung unseren Ruhm und sinnierten vor uns her, als in Cousin Martin plötzlich eine innere Unruhe aufkam. Ihm reichte das alles noch nicht. In naher Entfernung grüßten weitere, höhere Gipfel und er verabschiedete sich für ein Stündchen, um wenigstens einen von ihnen zu erklimmen. Dabei entwickelte er das Power-Wandern, das er eine Woche später in der Hohen Tatra noch perfektionieren sollte. Währenddessen vertrieb ich mir die Zeit mit dem Aufrichten von Steinen zu säulenartigen Gebilden. Aus dem Cousin wurde nur noch ein schwarzer Punkt in der Ferne, dann war er ganz meinen Augen entschwunden und nach einer Weile erschien er anfangs wieder als schwarzer Punkt und schließlich stand er wieder in voller Pracht vor mir, allerdings mit einem seligen Grinsen im Gesicht; auf dem nahen Gipfel hatte er die Sonne im fernen Atlantik spiegeln sehen. So hatte jeder von uns sein Glück gefunden.
Da wir wegen unseren Ausflugs erst am frühen Morgen ins Bett kamen, schliefen wir bis in den Nachmittag hinein und erwachten gerade rechtzeitig, um pünktlich den Weg ins Alfheim Stadion zu finden.

25.07.04 Tromsö IL 0:3 HamKam
1. Liga Norwegen – Alfheim-Stadion

Das Stadion war, allein des Storsteinens im Hintergrund wegen, ganz ansehnlich. Die Haupttribüne war ein relativ frischer Neubau und wie die Stahlrohrtribüne auf der Gegenseite und hinter einem der Tore recht gut gefüllt. Insgesamt hatten sich wohl rund 6000 Zuschauer an diesem Sonntagabend in die Arena der Gladiatoren verirrt. Unter ihnen auch eine gut zwanzigköpfige Gesandtschaft aus dem zweitausend Kilometer entfernten Hamar, die ihre grün-weißen Farben, wohl auch aufgrund des positiven Spielverlaufs, immer wieder akustisch vertraten. Zu Beginn des Spiels gab es eine (offizielle) Bengalenshow des Heimvereins zu bestaunen, bei der auf beiden Seiten des Spielfeldes jeweils acht Leuchtfeuer entzündet wurden. Dazu liefen die Mannschaften, begleitet von martialischer Musik und dem Eisbär-Maskottchen von TIL, auf. Den Zuschauern gefiel es. Auf der einzigen Hintertortribüne hatte sich ein fünfzig Mann und Frau starker Fanblock versammelt, der sich immer wieder redlich mühte, auch die übrigen Besucher wenigstens zum rhythmischen Klatschen zu animieren. Dies gelang aber nur phasenweise und vornehmlich bis kurz vor der Halbzeit, da die Gäste in diesem Moment durch einen Konter zur glücklichen Führung einschießen konnten. Das Spiel war auf ganz ansehnlichem Niveau und HamKam konnte es durch zwei späte Tore endgültig und unverdient für sich entscheiden. Heimniederlagen waren die Gastgeber in jener Saison noch nicht gewohnt, hatten sie bis zu unserem Besuch doch noch keine Punkte im heimischen Alfheim-Stadion abgegeben.

Nach dem Siel machten wir noch einen kurzen Rundgang durch die Stadt, vor allem durch den Hunger getrieben. Auf die einzige Nahrung, die uns in der Herberge erwartete, hatten wir nicht wirklich Appetit, Dosenfisch mit Brot hatten wir zuletzt zur Genüge. Aber auch in der Innenstadt verging uns selbiger relativ fix. Döner für sieben Euro, mmh, nein, das war nicht unsere Welt. Und für den Tipp in unserem Begleitbuch, dass es am Hafen einen ganzen Eimer mit Schrimps zu angemessenen Preisen geben sollte, waren wir wohl etwas zu spät. So machten wir uns also wieder auf den Weg, in Gedanken dann doch schon wieder bei Sardelle in Tomatensauce, als wir einen kleinen Imbiss entdeckten, bei dem es für ein humanes Taschengeld Hotdogs gab. Also wechselten 2,50 Euro den Besitzer und da hatten wir es in der Hand – unser Abendessen. Und bereits nach dem ersten Bissen wussten wir: Wir hatten das beste Abendessen unseres Lebens in der Hand. Das war nicht einer dieser pappigen Ikea-Hotdogs, das war ein Wunderwerk an Würstchen im Brötchen. Ein gaumenbefriedigendes Erlebnis, das wir so nicht erwartet hätten. Frisches Brötchen, knackige Wurst, dazu eine wohlschmeckende Mischung aus verschiedensten Soßen und als Bonbon obendrauf gebratenen Speck. Den Rest des Abends verbrachten wir bei einer Runde Knack ganz gemütlich im Zimmer und gingen früh zu Bett. Wohlwissend, dass uns am nächsten Morgen die Rückfahrt nach Stockholm erwartete, wir ununterbrochen fünf Stunden im Bus und einundzwanzig Stunden im Zug sitzen würden.
Die Rückfahrt begann ganz entspannt, unsere Busfahrt bis Narvik verging wie im Fluge. Dort mussten wir bei unserem halbstündigen Aufenthalt noch zwei Plätze für den Nachtzug reservieren, mit dem wir gleich fahren wollten. Und der gute Herr Schaffner hatte tatsächlich noch ein kleines freies Kontingent – im Hundeabteil. Da wir aber eh keine andere Wahl hatten, freuten wir uns auf einundzwanzig Stunden Gekläffe und Gejaule. Und so wie wir es erwartet hatten, trat es auch ein: Es war eine Fahrt mit Gekläffe und Gejaule. Allerdings waren die Ursache dafür nicht unsere vierbeinigen Begleiter, sondern eine Horde wilder Einsiedlerkinder im Nachbarabteil, die es für notwendig hielten den ganzen Zug zu unterhalten. Nachdem sie im Laufe der Fahrt damit begonnen hatten das Gepäck ihrer Mitreisenden genauer zu untersuchen, wurde es dem Schaffner allerdings zu bunt und wir wurden Zeugen eines absolut unterhaltsames Mitternachtskrimis. Etwa gegen ein Uhr in der Nacht betraten ein paar uniformierte Gesetzeshüter den Zug und räumten das anliegende Abteil mit – gereizter – Härte auf. Es war ein Augenschmaus. Die zuvor noch laut- und halbstarken Affen versuchten anfangs noch gegenzuhalten, aber nachdem der erste von ihnen mit dem Kopf gegen das Fenster geschleudert wurde und einer nach dem anderen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Zug geworfen wurde, war Ruhe im Karton. Herrliches Schauspiel. Oscarreif. Immer wieder gern.
Gegen Mittag erreichten wir nicht wirklich ausgeschlafen die schwedische Hauptstadt und hatten noch etwa drei Stunden Zeit bis unser Zug weiter gen Süden ging, am Abend fuhr schon unsere Fähre nach Rostock. Cousin Martin nutzte die Stunden um im Internetcafé die anschließende Tour in die Slowakei zu planen und eine für ihn befriedigende Spielausbeute zu finden. Und da man Profiarbeiten dem Profi überlassen soll, einen Herd lässt man ja auch vom Elektriker anschließen, entschied ich mich ihn machen zu lassen und machte das, was ich gut konnte: ein paar Schritte durch die Stadt um wenigstens eine oder zwei Sehenswürdigkeiten zu erhaschen.
Über Malmö erreichten wir schließlich zur PrimeTime unseren Fährhafen Trelleborg. Dort begrüßten wir kurz unsere neuen alten Freunde, die Pfauen und verprassten unsere letzten schwedischen Kronen bei einer kleinen Tüte Pommes bei McDonalds. Auf der Fähre verpassten wir es durch irgendwelche sinnlosen Trödeleien einen Schlafsessel zu sichern, doch hatte Cousin Martin in den vergangenen Tagen des Öfteren bewiesen, dass seine Fahne ein ebensolch komfortabler Nachtplatz sein kann. Am frühen Mittwochmorgen erreichten wir sie dann wieder, unsere ungeliebte Arbeitsstadt Rostock. Mittlerweile war es schon 8 Uhr; so blieb nicht viel Zeit, da wir bereits eine Stunde später unseren Mietwagen plus Mitreisenden abholen wollten, um uns aufzumachen ins Herzen Europas. Natürlich konnte dieser enge Zeitplan nicht eingehalten werden, denn zunächst galt es eine (wieder)belebende Dusche zu nehmen und Klamotten auszutauschen.
Leider kostete uns das alles ziemlich viel Zeit, aber Zeit war ein Gut, das wir nicht wirklich zur Verfügung hatten. Bereits am frühen Abend wollten wir in Österreich sein, besser gesagt in Puch, um uns dort das Vorrundenspiel im ÖFB-Pokal zwischen dem heimischen FC und der USK Leube Anif anzuschauen. Und so fuhren wir kurz vor 10 Uhr in Rostock auf die Autobahn und machten uns auf den Weg in den Süden. Aufgrund unserer Duschorgie am Morgen hatten wir nun einen wirklich engen Zeitplan, so dass wir bis Österreich auf jeglichen Halt an Raststätten verzichten mussten und erst am ersten Supermarkt hinter der Grenze hielten. Ein Tag ohne Nahrung zehrte wohlmerklich an unseren Kräften; von einem gewissen Flüssigkeitsmangel möchte ich erst gar nicht anfangen zu sprechen. Nachdem dieses Problem gelöst war, standen wir allerdings vor dem nächsten Problem. Eigentlich waren es sogar drei: Erstens hatten wir nur noch eine knappe Stunde Zeit bis zum Anpfiff, zweitens hatten wir zwar einen Straßenatlas bei der Hand, aber vom Städtchen Puch war in diesem nichts zu sehen und drittens war nach gut 700 Kilometern der Tank dem Verdursten nahe, doch eine Tankstelle nicht in Sicht. Aber was hatten wir für eine Wahl? Richtig, keine! Und da uns vor allem das erste Problem trieb, fuhren wir erst einmal los, in die Berge, in den Wald… Im Laufe der Zeit kamen wir durch Befragung verschiedener Dorfgemeinschaften unserem Ziel immer näher. Aber immer näher kam auch die Stunde des Anpfiffs. Und auch unsere Reservefahrt war mittlerweile ein wirkliches Problem. Gut einhundert Kilometer sollte unser Ford Focus angeblich nach erstmaligem Aufleuchten der Warnlampe noch durchhalten können. Gefühlt waren wir schon ein gutes Stückchen darüber und so verzichtete ich mittlerweile komplett auf das Bremsen beim Abfahren der Serpentinen, da wir den Schwung gut für den nächsten Berg gebrauchen konnten. Und der kam bestimmt. So ging es noch eine ganze Weile durch die österreichische Landschaft, bis wir endlich am Ortseingangsschild von Puch ankamen und uns dort auch gleich eine heiß ersehnte Tankstelle begrüßte. Mittlerweile musste das Spiel schon eine gute halbe Stunde laufen, aber für Cousin Martin blieb ja noch der verwerfliche Notnagel: Halbzeithopping. Und so machten wir uns auf den Weg, oder besser auf die Suche nach dem örtlichen Sportplatz.Wie dämlich wie wir uns anstellten, nein, das werde ich hier nicht weiter beschreiben. Das ist schlichtweg zu unangenehm. Aber es hatte zur Folge, dass wir pünktlich zwanzig Minuten nach Anpfiff der zweiten Halbzeit die Sportanlage Puch betraten…
Dafür hatten wir also eine Hetz- und Irrfahrt sondergleichen hingelegt?! Damit wir hier nun fünfundzwanzig Minuten unterirdischen Fußball schauen würden und ohne ein Kreuzchen weiterfahren müssen?! Ja, lautete die Antwort. Das klingt jetzt alles dramatischer, als es wirklich war. Görti und mir war es eigentlich ziemlich gleichgültig. Das Sammeln von Kreuzen war nicht wirklich unser Hobby. Wäre es um eine Briefmarke gegangen, oder eine Zuckertüte… Aber ganz umsonst musste die Fahrt hierher vielleicht doch nicht gewesen sein. Es war ein Pokalspiel und der Pokal hat ja bekanntlich seine eigenen Gesetze. Würde das Spiel in die Verlängerung gehen, dann würden 30 Minuten Spielzeit hinzukommen und wir wären insgesamt 55 Minuten vor Ort gewesen und somit hätte der Lodderhopper seine zusammengeflickten 45 Minuten gesehen… Aber auch danach sah es nicht aus, denn just im Moment unserer Ankunft erzielte der Gastgeber das Führungstor und im weiteren Spielverlauf sah es auch nicht so aus, als ob der Baustoffverein den Ausgleich noch erzielen könnte. Erst in den letzten fünf Minuten drängten die Gäste die Pucher immer tiefer in ihre Hälfte und drückten mächtig auf den Ausgleich. Ich hatte schon das eine oder andere Spiel mit Cousin Martin gesehen, aber niemals zuvor fieberte er so mit einer Mannschaft mit. Er sprang auf, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, kaute an seinen verschwitzten Händen. Aber es schien alles nichts zu helfen; Anif scheiterte immer wieder an Torwart, Gebälk oder Unvermögen. Dann schrieben wir die dritte Minute der Nachspielzeit. Ein letzter verzweifelter langer Abschlag vom Torhüter der Gäste, Kopfballverlängerung kurz hinter der Mittellinie, ein wildes Gestochere im Strafraum des FC und plötzlich ein Juchzen von links. Ausgleich in der Nachspielzeit. Verlängerung. Kreuzchen. Gelungener erster Tourabend. Und deshalb nun noch mal:

28.07.04 FC Puch 1:2 n.V. USK Leube Anif
Stiel-ÖFB-Cup – Vorrunde Sportanlage Puch

Da wir den Sportplatz erst nach Beginn der zweiten Halbzeit betraten, blieb es uns verwehrt Eintritt zu bezahlen und eine Eintrittskarte zu bekommen. Auch Cousin Martins Versuche noch irgendwie an einen Schnipsel zu kommen waren erfolglos. Ich nehme an, es gab selbst in Hälfte Eins freien Eintritt an diesem Mittwochabend. Unter dem schwachen Flutlicht hatten sich nur etwa 250 Zuschauer versammelt, um ihre Mannschaften dabei zu unterstützen die Teilnahme an der ersten Runde des Nationalpokals zu erreichen. Aus Anif waren gut zwei Handvoll Menschen mitgekommen, vornehmlich älteren Jahrganges. Insgesamt wurde es aber nur vier Mal laut auf dem Sportplatz. Beim zweiten Tor hörte ich sogar ganz nah ein freudiges Juchzen und sah ein ekstatisches Heben der Arme. Der Sportplatz besaß nur an einer Geraden eine überdachte Sitzplatztribüne mit einem Wellblechdach, das seinem Namen auch alle Ehre machte, war es doch wellenförmig… Auf der Gegengeraden, auf der auch wir es uns bequem machten, gab es vier Stufen, die vereinzelt mit ein paar Holzbänken bestückt waren. Ansonsten erinnerte alles an jeden x-beliebigen Sportplatz in der Heimat. Im Hintergrund trat ein imposanter Berg empor, so dass, wenn schon der Sportplatz nicht attraktiv genug war um zu gefallen, doch zumindest das Panorama sich bemühte, uns zu überzeugen. Später erst erfuhr ich, dass in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Sportanlagen Puch inmitten dieser Idylle ein riesiges Internierungs- und Flüchtlingslager war.

Nach dem Spielschluss machten wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Zeltplatz. Der Tag war lang und am nächsten Morgen wollten wir uns in Richtung Slowenien aufmachen. Allerdings war der Campingplatz vor den Toren Puchs ziemlich teuer, so dass Görti den Eingang über den Zaun nehmen musste…
Früh schon machten wir uns dann auf den Weg gen Maribor. Bevor wir Puch aber endgültig und für immer hinter uns lassen konnten, musste Cousin Martin noch einen Textildiskont ansteuern, hatte er doch beim Wäschewechsel am Morgen zuvor eine komplette Ladung T-Shirts vergessen… Und so fuhren wir schließlich durch das schöne Österreich, über hohe Berge, vorbei an glasklaren Seen und durch gepflegte Dörfer. Und da fiel mir wieder ein, was mir immer auffällt, wenn ich in unserem kleinen Nachbarland bin: Österreich ohne Österreicher könnte wirklich ein schönes Land sein. Kurz vor Mittag machten wir eine kurze Rast an einem der vielen Seen und Cousin Martin ließ es sich nicht nehmen, die am Morgen verpasste Dusche nachzuholen. Dazu muss ich jetzt aber sagen, dass die Seen genauso klar wie arschkalt waren. Kurze Zeit später hielten wir dann erneut, um am Straßengraben einen unserer vielen Pocket-Grills zu nutzen.
Am Nachmittag erreichten wir schließlich Maribor und hatten nun noch ein wenig Zeit bis zum Anpfiff des Spiels, in der wir schon ein Plätzchen für unser Zelt suchen wollten, aber irgendwie nicht fanden. Es war seltsam. Seit unserer selten dämlichen Suche nach dem Sportplatz in Puch stellten wir uns bei den verschiedensten Gelegenheiten immer wieder einmal etwas einfältig an… Schließlich brachen wir die Suche ab und entschieden uns, nach dem Spiel schon weiter in Richtung Celje zu fahren und auf dem Weg dorthin nach einer passenden Örtlichkeit zu suchen. Stattdessen schlenderten wir nun ein wenig durch die Stadt und genossen in einer stadionnahen Kneipe ein wohlschmeckendes Bierchen.

29.07.04 NK Maribor 1:1 FK Sileks Kratovo
1. Qualifikationsrunde UEFA-Cup – Stadion Ljudski Vrt

So wie 3.500 weitere Erdenbürger bezahlten wir knappe 3,70 Euro Eintritt und erhielten Zutritt in das charmante Stadion Ljudski Vrt, in dem an diesem Abend NK Maribor weiter von der Teilnahme am UEFA-Cup träumte. Das Hinspiel zwei Wochen zuvor hatten sie in Mazedonien mit 1 zu 0 gewonnen, so reichte bereits ein torloses Unentschieden zum Weiterkommen. Leider schien das den Spielern ganz genau bewusst zu sein, denn es entwickelte sich ein äußerst unattraktives Spielchen auf dem grünen Rasen. Das Stadion war bis auf die lautstarke und gut gefüllte Fankurve und den verwaisten Gästeblock ein reines Sitzplatzstadion. Die Haupttribüne war mit seinem geschwungenen Runddach äußerst ansprechend, aber fünf Tage zuvor, beim Freundschaftsspiel gegen Arsenal London, sicherlich bedeutend besser besetzt gewesen. Aus der Fankurve drangen immer wieder lautstarke Rufe und Gesänge und nach dem Führungstor der Lieblinge waren auch ein paar bengalische Feuer zu bestaunen. Trotzdem hatte das Spiel nicht wirklich viel zu bieten, so dass wir uns im Laufe der Zeit mehr und mehr der Unterhaltung mit Einheimischen hingaben. Wie so oft in den (süd-)östlicheren Ländern unseres Kontinents war für die Stadionbesucher Fußball in Deutschland gleichzusetzen mit Bayern München. Das war zwar nicht erfreulich, aber auch nicht zu ändern, geschweige denn wichtig. Cousin Martin kaufte für zehn Euro noch einen ganz ansehnlichen Mariborschal für seine heimische Sammlung. Viel lieber als verkauft hätte sein Geschäftspartner getauscht – mit einem Bayernschal – aber woher nehmen?!

Direkt nach dem Spiel machten wir uns dann auf zum Auto, immerhin fehlte uns noch immer ein Platz zum Zelten und so wie wir uns bisher angestellt hatten, würde sich auch der heutige Abend noch ein wenig in die Länge ziehen. Auf halber Strecke nach Celje erreichten wir Ptuj, einen wirklich schöner Kurort, den wir in dieser Nacht mit unserer Anwesenheit beehren wollten. Wir fuhren den erstbesten Zeltplatz an und schlugen unser Zelt direkt vor seinen Toren auf. So hatten wir Toilette und Dusche, aber keine Kosten.
Da das Spiel im nahen Celje erst am frühen Abend stattfand, konnten wir den nächsten Tag geruhsam angehen. Bevor wir uns auf den Weg machten, unternahmen wir noch eine gepflegte Sightseeingtour durch Ptuj, immerhin gilt dieser Ort als älteste Siedlung Sloweniens. Nachdem wir auch das Wahrzeichen der Stadt, die Burg mit dazugehörigem Berg, besucht hatten, machten wir uns auf in Richtung Celje, denn auch die Stadt an der Savinja hatte den einen oder anderen touristischen Leckerbissen zu bieten. Erster Anlaufpunkt war die Burg über der Stadt, von der man einen äußerst guten Blick auf die Stadt und die Umgebung hatte, später flanierten wir noch ein wenig durch die ebenfalls wirklich lohnenswerte Altstadt um schließlich bei der Touristeninformation zwei Probleme zu lösen, die sich uns allmählich aufdrängten. Erstens die Frage nach dem Stadion von NK CMC Publikum und zweitens die Lage eines Badesees in der Nähe. Die gute Dame in der Touristeninformation hätte uns gern auch noch ein Bett für die Nacht vermittelt, doch Schlafen wollten wir eigentlich erst am nächsten Morgen wieder, knapp 700 Kilometer von hier entfernt, irgendwo in der Slowakei. Dass es soweit nicht ganz reichen würde, war für mich zu diesem Zeitpunkt völlig undenkbar. Nachdem sowohl der Stadionneubau lokalisiert werden und auch ein geeignetes Plätzchen zum Plantschen ausfindig gemacht werden konnte, beehrten wir noch den Sanitärtrakt des innerstädtischen McDonalds, nicht wissend, dass ein Jahr später eine „Horde wilder Krawallmacher und Hooligans aus Deutschland“ (Zitat Bild) dieses Restaurant in Schutt und Asche legen würden…
Das Stadion des Erstligisten NK CMC Publikum lag vor den Toren der Stadt, gleich neben einem riesigen neuen Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Neben dem Stadion lag die Sporthalle des Handballvereins, der die Stadt europaweit bedeutender bekannter gemacht hat, als die Fußballer es wohl jemals tun werden.

30.07.04 NK CMC Publikum – NK Kumho Drava 0-1
1. Liga Slowenien – Stadion Sportnega parka Celje

Zum Eröffnungsspiel der si.mobil-vodafone-Liga hatten sich gut 1300 Zuschauer versammelt und knappe drei Euro Eintritt berappt. Das Stadion befand sich noch im Bau, bisher war erst die Haupttribüne fertiggestellt, die komplett mit blauen und gelben Sitzschalen ausgestattet war und sich in keiner Weise von allen anderen Neubauten in Europa unterschied. Auf der gegenüberliegenden Seite konnte man bereits erkennen, dass dort wahrscheinlich der Zwillingsbruder entstehen würde. Noch gab es dort aber nur einen klapprigen Bauzaun, hinter dem sich ein stattlicher Altherrrenmob versammelt hatte, die sich abwechselnd am Zaun festhielten oder sich auf ihre Stöcke stützten. Der Namensgeber des Vereins, CMC, war zugleich das ausführende Bauunternehmen, so dass auch die Frage nach dem Sinn dieses Neubaus beantwortet war. Aus Drava hatten gut drei Dutzend wackere Freunde des Fußballs den nahen Weg auf sich genommen, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Allerdings verzichteten sie darauf den Gästefanblock zu nutzen (eine zehnstufige Stahlrohtribüne, die etwa vier Meter lang war und zwischen ein paar Bauzäunen stand) sondern gesellten sich zu uns an den äußeren Rand der Tribüne. Celje wollte in der neuen Saison, auch Dank des potenten Hauptsponsors, um den Titel mitspielen; Drava war im Vorjahr nur knapp dem Abstieg entronnen. Aber dass Geld allein keine Tore schießt, bewies sich hier wieder einmal allerbest. Trotz langer Unterzahl konnten die Gäste das Spiel nicht einmal unverdient für sich entscheiden.

Direkt nach dem Schlusspfiff eilten wir zu unserem vierrädrigen Gefährt. Eine lange Nacht lag vor uns; über Kroatien und Ungarn wollten wir es direkt bis ins Herz Europas schaffen, in die Heimat unserer Vorfahren. Unglücklicherweise war unser einziger Wegweiser der alte Straßenatlas, der schon bei unserer Suche nach Puch jämmerlich versagt hatte. Und auch jetzt zeigte er uns wieder Straßen, die es nicht gab. So kam es, dass wir zwischenzeitlich über nebelverhangene Bergwege fuhren, auf denen uns kein anderes Auto entgegenkam und ich jeden Moment auf den Hirsch wartete, der unsere Fahrt unsanft unterbrechen würde… Zusätzlich bemerkte ich langsam, dass die Müdigkeit mehr und mehr Macht über mich ergriff und mir beim Fahren immer hinderlicher wurde. Und spätestens, als ich bei der Fahrt durch Budapest am frühen Morgen eine rote mit einer grünen Ampel verwechselte und den immer wieder erwarteten Hirsch mit einem Lkw austauschen wollte, merkte ich, dass es nicht mehr weiter geht. Na ja, eigentlich merkte ich es nicht, aber Cousin Martin und Görti bestanden darauf, dass wir zwei, drei Stündchen auf einer Raststelle vor den Toren der Stadt ein kleines Nickerchen halten.
Und da musste ich dem 7. Sinn Recht geben: Selbst eine kleine Tüte Schlaf wirkt auf langen Fahrtouren Wunder. Am Vormittag erreichten wir schließlich die slowakische Grenze und Kosice war der erste Ort, den wir ansteuerten. Von weitem grüßten uns schon die abscheulichen Hochhäuser vor den Toren der Stadt, die den geneigten Dösbaddel glauben lassen, dass Kosice nichts Sehenswertes zu bieten hat. Es ist in der Slowakei immer wieder erstaunlich, dass hinter den hässlichsten Plattenbauvierteln die schönsten Innenstädte zum Vorschein kommen. Der erste Anlaufpunkt war der Bahnhof, um Geld zu tauschen und eine Sportzeitung zur besseren Planung der kommenden Tage zu kaufen. Zweiteres klappte bestens, nur beim ersten Punkt gab es für mich einige Schwierigkeiten, wollte mir der Bankautomat doch kein Geld geben, da mein Konto angeblich leer war. Da waren mir die zwei Wochen im hohen Norden wohl doch teurer zu stehen gekommen als geplant. Aber wozu war Görti dabei?! Er war ja nicht nur Mudders Sohn, sondern auch Ralles Bruder…
Anschließend machten wir uns auf in Richtung Zemplinska Sirava im Osten der Slowakei, dem größten slowakischen Stausee, mit einer Unmenge von Zeltplätzen in näherer Umgebung. Dort fanden wir auch recht fix einen – für unsere Verhältnisse – spottbilligen Zeltplatz für die Nacht. Da wir erst am späten Nachmittag in Trebisov sein mussten, hatten wir nun noch den ganzen Samstagnachmittag, um ein wenig Urlaub zu spielen. Während – wie schon die Nächte zuvor und danach – Görti und Cousin Martin damit beschäftigt waren das Zelt aufzubauen, begrüßte uns unser Nachbar für einen Tag, ein mittelalter Holländer mit zwei ganz ansehnlichen Töchtern, und gab uns den Tipp, dass wir unsere Behausung ruhig ein Stückchen weiter in der Mitte der Wiese aufschlagen sollten, da des Nachts die Wege beliebte Autorennstrecken seien. Das ließ ja für die kommende Nacht hoffen… Aber so weit war es noch nicht. Wir hielten Dank unserer Pocket-Grills, dessen Vorrat unerschöpflich war, ein herrliches Mittagsmahl und hauten uns die Wampen voll. Anschließend verzog ich mich ins Zelt, da die drei Stunden am Morgen auf der Autobahnraststätte nicht wirklich ausreichend für einen ausgewachsenen Kerl, wie ich einer bin, waren. Görti und Cousin Martin vergnügten sich indessen im zeltplatzeigenen Swimmingpool. Der angrenzende Stausee war zur Zeit unseres Besuches leider zum Baden völlig ungeeignet, da sich das sonst blaue Gewässer wegen Hochwassers in eine braune Brühe verwandelt hatte. Nach vielleicht fünf halben Stunden Dösen, wurde es mir dann aber auch zu öde im Zelt und ich begann den Drang nach einem kühlen Bad im Planschbecken zu verspüren. Schnell war ich meiner Kleidung entledigt und wollte gerade in kindlicher Begeisterung zu meinen beiden Begleitern stoßen, als ich plötzlich den Geruch von verbrannter Pappe in meiner Nase vernahm. Grundsätzlich hätte mich das gar nicht weiter gestört, hätte da nicht auch noch ein kleiner Hauch von Rauch in der Luft gelegen. Und wahrscheinlich hätte mich auch das nicht gestört, hätte sich das alles nicht in unmittelbarer Nähe zu unserem Nachtlager abgespielt. Direkt neben uns begann gerade eine Mülltonne zu brennen. Ach, was heißt hier, sie begann!? Sie brannte bereits. Zwar noch nicht lichterloh, aber durchaus in einer Weise, dass ich mit Nichten der Erste hätte sein müssen, der dieses Feuerchen entdeckte. Und da sich auch nach ein paar Minuten noch niemand erbarmte, dem Treiben Einhalt zu gebieten, verschob ich meine Ganzkörpererfrischung und machte mich auf den Weg zum nahen Ort der Tragödie. Aus der Tonne flammte es nun schon immer stärker und als ich einen Blick hineinwagte, erkannte ich auch den Übeltäter: einen vor sich hin lodernden Pocket-Grill, der benachbartes Papier auf eine hitzige Party eingeladen hatte und die für diese Idee sofort Feuer und Flamme waren. Obwohl, den Übeltäter traf ich erst eine Viertelstunde später, nachdem ich wie ein Dämlack Wasserflasche um Wasserflasche heranschleppte, um ein riesiges Inferno mit unzähligen Verletzten und Toten zu vermeiden, am Pool, quietschvergnügt und völlig unschuldig. Görti der Pyromane…
Für 17 Uhr stand unser erstes Spiel in der Slowakei auf dem Plan und so machten wir uns gemütlich auf nach Trebisov zum heimischen FK Slavoj.

31.07.04 FK Slavoj Trebisov 1:2 FC VIOn Zlaté Moravce
2. Liga Slowakei – Stadion Slavoj

Nicht ganz eintausend Zuschauer hatten sich an diesem herrlichen Sommerabend in das schmucke Stadion verirrt. Trebisov hatte am ersten Spieltag auswärts mit 0 zu 4 verloren und wollte im ersten Heimspiel der Saison den Fauxpas der Vorwoche wettmachen. Das Stadion war ein kleines Schmuckstück, mit einer dieser slowakeitypischen Haupttribünen mit gelben und blauen Holzsitzen und etwa acht Stufen im übrigen Stadionrund, und lag optisch vorteilhaft eingebettet zwischen Eichen und Kastanien. Bis zur Halbzeit war es ein ganz munteres Spielchen, allerdings torlos. Torlos blieb es somit auch für uns, da wir uns pünktlich zum Ende der Halbzeitpause auf den Weg nach Presov machten, um dort nur eine Stunde später dem Heimspiel des FC Tatran Presov beizuwohnen.

Es war nicht leicht, den engen Zeitplan einzuhalten. Der Weg war in einer Stunde eigentlich nicht zu schaffen, aber durch das Eröffnen von zweiten Überholspuren, das Deuten von Ortseingangsschildern als 100-km/h-Begrenzungen und dem Vertrauen auf „Samstags frei für die Polizei!“ erreichten wir nicht sicher, aber lebendig um kurz vor 19 Uhr Presov. Mittlerweile hatte die Abenddämmerung begonnen einzusetzen, so dass auch die Suche nach dem Stadion durch die vier hell leuchtenden Fackeln im Sturm zum Kinderspiel wurde und wir fünf Minuten nach Anpfiff im Besitz einer Eintrittskarte waren.

31.07.04 FC Tatran Presov 0:0 FC DAC Dunajska Streda
Tatran-Stadion – 2. Liga Slowakei

Nicht einmal achtzig Cent kostete uns der Einlass in das Tatran-Stadion. Aber mehr war das Spiel auch keinesfalls wert gewesen. Die exakt und, zwar nicht nachgezählten, aber dafür: nachgelesenen 1201 Zuschauer werden ähnlich gedacht haben. Wahrscheinlich verweigerten sie auch deshalb jegliche lautstarke Unterstützung. Auf den ersten Blick wirkte das Stadion irgendwie riesig. Es hatte eine überdachte Haupttribüne mit grünen Schalensitzen und der Rest des Stadionrundes war mit zwanzig breiten Stufen versehen, auf denen es sich auch die meisten der Zuschauer gemütlich gemacht hatten. Da das Spiel keinerlei Beachtung verdient hatte, verplauderten wir die meiste Zeit mit einem älteren Herrn, der sich als Stadtparlamentarier outete und uns seine Ansichten über Politik, Fußball und das Zigeunerproblem näher brachte. Da sich Cousin Martin direkt nach dem Betreten des Tatran-Stadions irgendwie innig verbunden mit dem Verein fühlte, wollte er seine neue Bekanntschaft auch noch dazu nutzen, in den Besitz eines Schals oder Wimpels zu kommen. Doch trotz des Vordringens bis auf die Ehrentribüne blieb ihm dieser Wunsch verwehrt. Stattdessen investierten wir dann unsere slowakischen Kronen lieber in eine deftige Stadionwurst und salziges Popcorn, direkt aus dem Mülltütenverkauf.

Am späten Abend erreichten wir wieder unseren Zeltplatz am Zemplinska Sirava. Doch seit unserem Verlassen am Nachmittag hatte sich dort einiges getan. An jeder Ecke stand plötzlich ein Bierzelt, in der Ferne lockten Karussells und von überall erklang Tanzmusik. Und da wir keine ungeselligen Menschen sein wollten, suchten auch wir eine dieser Lokalitäten auf und gönnten uns ein Bierchen. Oder auch zwei. Oder auch drei. Und dann muss etwas passiert sein, an das ich mich nicht mehr richtig erinnern kann und wovon es zwei Auslegungen gibt; eine von mir und eine von Cousin Martin. Zuerst einmal meine: Während wir im Bierzelt saßen, begannen vor der Live-Band ein paar Menschen zu tanzen. Vielleicht war es auch gar keine Combo, sondern nur ein DJ, aber das ist auch gar nicht so wichtig. Zumindest erreichten auch uns langsam die Schwingungen und Cousin Martin und ich bahnten sich den Weg auf die Tanzfläche um ein wenig das Tanzbein zu schwingen. Und plötzlich tanzte Cousin Martin mit einer vielleicht vierzehnjährigen Zigeunerprinzessin. Widerlich. Erschreckend. Abstoßend. So weit meine Theorie, nun Cousin Martins: Während wir im Bierzelt saßen, begannen vor der Live-Band ein paar Menschen zu tanzen. Vielleicht war es auch gar keine Combo, sondern nur ein DJ, aber das ist auch gar nicht so wichtig. Zumindest erreichten auch uns langsam die Schwingungen und Ralle und ich bahnten sich den Weg auf die Tanzfläche um ein wenig das Tanzbein zu schwingen. Und plötzlich tanzte Ralle mit einer vielleicht vierzehnjährigen Zigeunerprinzessin. Widerlich. Erschreckend. Abstoßend.
Am nächsten Morgen, dem ersten Tag im August, mussten wir wieder früh aus den Schlafsäcken. Bereits um halb Elf fand das erste Spiel des Tages in Michalovce statt. Und so machten wir uns in die Bezirkshauptstadt und begannen, das städtische Stadion zu suchen. Der Plan war recht simpel: An einem Sonntagmorgen gab es nur zwei Möglichkeiten, wohin sich eine slowakische Menschenmasse bewegen kann; entweder in die Kirche oder ins Stadion.

01.08.04 SK Zemplín Michalovce 1:0 FC Nitra
2. Liga Slowakei – Stadion Michalovce

Die größere Menschenmasse bewegte sich an diesem Morgen zweifelsfrei zum Sportplatz des SK Zemplín; über 3000 Zuschauer drängten sich durch die engen Gitter am Eingangstor. Knappe fünfzig Kronen kostete der Eintritt, dafür bekamen wir auch ein recht ansehnliches und spannendes Spiel zu sehen, mit am Ende ziemlich euphorischen Zuschauern, die das goldene Tor in der Mitte der zweiten Hälfte lautstark bejubelten. Mir als altem Hansafan war der FC Nitra natürlich noch aus alten Intertoto-Cup-Schlachten mit Hansa Rostock bekannt. Im Wendejahr waren sie noch als Plastika Nitra Gegner der Kogge… Wobei, 1989, mmh, da dachte ich doch noch, dass der Jahnplatz der fußballerische Mittelpunkt der Welt sei… Das Stadion konnte auf jeder Geraden eine Tribüne sein Eigen nennen, die aber unterschiedlicher nicht sein konnten. Während die Tribüne zu unserer linken ein verhältnismäßig flacher Bau mit etwa zehn Sitzplatzreihen war, stand die Tribüne gegenüber wie verloren da, auf einem gut drei Meter hohen Unterbau. Aber eins hatten sie beide gemeinsam; sie waren bis auf den letzten Platz gefüllt.

Am Abend stand das Spiel zwischen dem FC Spartak Trnava und dem FK Matador Puchov auf unserem Programm und so durchquerten wir die wunderschöne Slowakei einmal von Ost nach West und erreichten überpünktlich das slowakische Rom.

01.08.04 FC Spartak Trnava 1:0 FK Matador Puchov
1. Liga Slowakei – Antona Malatinskeho

Und da stand ich also in einem der schönsten Stadien, in denen ich jemals gewesen bin, für nur 1,60 Euro. Ich weiß gar nicht, was den besonderen Reiz auf mich ausgeübt hat, aber bis heute bin ich noch hin und weg von der Heimstätte des FC Spartak Trnava. Zu unserem damaligen Besuch hatte das nicht ganz 20000 Zuschauer fassende Stadion auf der Gegengeraden noch seine alte nicht vollkommen überdachte Sitzplatztribüne. Im gesamten Rund gab es ausgewaschene rote Sitzschalen und nur die beiden Geraden waren überdacht. Leider beehrten an diesem Sonntagabend nur knapp 2300 Besucher das Stadion Antona Malatinskeho, sicherlich auch, weil dieses Spiel der Corgon-Liga live im Fernsehen gesendet wurde. Das Spiel konnte mit dieser Ehre gar nicht umgehen und enttäuschte nicht nur das anwesende Publikum, sondern wahrscheinlich auch die Fernsehzuschauer. Und so taten wir das, was wahrscheinlich auch vor den Bildschirmen passierte – wir schalteten ab. Es ist nicht zu glauben, wie viel Freude und Spaß der Kauf einer Tüte Kürbiskerne drei bekloppten Deutschen bringen kann…

Kaum, dass das Spiel zu Ende war, saßen wir auch schon wieder in unserem treuen Gefährt und machten uns auf die Suche nach einer Bleibe für die Nacht, die wir alsbald auch fanden. Während Cousin Martin und Görti (mal wieder) das Zelt nachtfertig machten, hatte ich ein kurzes Gespräch mit einem betrunkenen slowakischen Punk, der es unheimlich witzig fand, „Heil Hitler“ durch die Nacht zu brüllen, nachdem er unser deutsches Nummernschild erkannt hatte.
Am folgenden Morgen machten wir uns – wie eigentlich jeden Morgen – schon früh auf den Weg. Aber am heutigen Tag hatten wir wirklich ein wichtiges Ziel auf unserem Tagesprogramm, den Besuch des Heimatdorfes meiner Großeltern, des Geburtsdorfes meines Vaters, dem Weltdorf der Slowakei – Kniesen. Bis dorthin war es allerdings noch eine weite Strecke und auf eben jener lag auch das Städtchen Martin. Dort legten wir gegen Mittag eine kurze Rast ein, da Cousin Martin vom Wunsch getrieben war, ein T-Shirt dieser Stadt sein Eigen nennen zu dürfen. Aber seine Suche blieb erfolglos und einzig ein Martiner Pils konnte er nach einer halben Stunde Hetze auf der Habenseite verbuchen. Auch in Poprad machten wir noch einen kurzen Halt, war das ehemalige Deutschendorf doch die Bezirksstadt von Oma und Opa gewesen. Und dann, es war kurz vor 16 Uhr, waren wir wieder in unserer alten Heimat. Den Tränen nahe durchfuhren wir jede noch so enge Gasse, fotografierten nahezu jedes Haus und entdeckten im Blumenladen des Dorfes gar Postkarten für zu Hause. Zu unserem Glück fehlte nun eigentlich nur noch der Besuch des alten Friedhofs, waren wir doch auf der Suche nach jedem kleinen Fetzen Erinnerung aus alten Tagen, weit vor unserer Zeit. Doch diese Freude blieb uns verwehrt. Kniesen ist wahrlich kein großes Dorf, doch der Friedhof war nicht zu finden. Erst zwei Jahre später, bei meinem nächsten Besuch in Kniesen, hatte ich die Ehre, den Gottesacker zu betreten. Und wir waren damals gar nicht weit davon entfernt. Auf der Suche nach der letzten Ruhestätte unserer Vorfahren durchfuhren wir gerade eine unzementierte, matschige Straße. Wir kamen nur im Schritttempo voran, da der Weg übersät mit Schlaglöchern war und ein zu schnelles Fortkommen sowohl unserem als auch dem Wohlbefinden des Autos geschadet hätte. Und plötzlich erreichten wir eine Anhäufung von völlig heruntergekommenen Häusern, aus denen dunkle Kinderaugen glotzten, die nur wenige Sekunden später um uns herum standen und uns ansahen, als ob sie uns gleich fressen wollten. Nein, darauf hatten wir keine Lust; da fuhren wir lieber – dann doch dem Wohlbefinden abträglich – möglichst schnell weiter und ließen den Friedhof Friedhof sein. In diesem Jahr war die Straße mittlerweile asphaltiert und wirkte bedeutend einladender. Und direkt von dieser Straße führte ein kleiner Pfad den Berg hinauf, zum Friedhof des Ortes. Aber glücklich wurde ich auch zwei Jahre später nicht; erzählte mir doch die Cousine meiner Großmutter, die noch immer in Hniezdne, so heißt das Dorf heute, wohnt, dass die Eltern der dunklen Augen den Friedhof einst auf der Suche nach Metall arg verwüstet und die alten Gräber geschändet hatten.
(Wenn man die wunderschöne Slowakei besucht, dann kommt man zwangsläufig in Kontakt mit den Sinti und Roma und macht sich unvermeidlich so seine Gedanken über diese Problematik. Ich habe in meinem Bericht bisher versucht dies möglichst wertfrei wiedergeben und will das auch weiterhin so handhaben. Nur soviel: Der weit verbreitete Schmähruf „Zickzack Zigeunerpack!“ ist nicht ohne Grund ein Schmähruf.)
Wie in den meisten, oder eigentlich allen slowakischen Dörfern, bildete auch in Kniesen die Dorfkirche den Mittelpunkt des Ortes. Und so sollte sie auch Mittelpunkt unserer Erinnerungsfotos sein, die vor allem für die ältere Generation der Daheimgebliebenen gemacht wurden. Um das schönste Bild zu schießen, war uns an diesem Tag kein Weg zu weit und so stiegen wir auf einen Hügel hinter dem Dorf (von wo aus wir eigentlich den besten Blick auf den Friedhof hätten haben müssen; aber wir stellten uns ja nicht das erste Mal blöde auf dieser Fahrt an) und wateten durch kniehohes Gras, in der Hoffnung den besten Blick auf die Gemeinde zu erhaschen und den besten Schnappschuss zu schießen. Aber soweit kamen wir nicht. Im Laufe unserer kleinen Wanderung hatte es zu regnen begonnen und die Erde unter dem Gras weichte immer mehr auf und die Anhöhen wurden zu unüberwindlichen Matschrutschen. Unvergessen blieb der Versuch von Görti Halt an einem Büschel Gras zu finden, als er auf einer dieser Rutschen ins Schlingern geriet… So brachen wir unsere Mission ab und gingen zurück zu unserem Auto. Pünktlich als wir es wieder erreichten, schaute auch Klärchen wieder hinter den Wolken hervor und wir überlegten kurz, einen neuen Anlauf zu wagen, aber für diesen Tag hatten wir genug und so zogen wir es lieber vor, uns ein geeignetes Etablissement zu suchen, in dem wir uns zur Feier des Tages den Wanst voll schlagen konnten.
Nachdem diese Freudentat erfüllt war, kehrten wir noch ein letztes Mal nach Kniesen zurück. Mittlerweile war es dunkel geworden, aber bevor wir uns für unbestimmte Zeit von hier verabschiedeten, wollten wir uns noch ein letztes Bierchen im Wirtshaus des Dorfes gönnen. Zwei Bier und dreißig Minuten später war auch das erledigt und wir fuhren in die Hohe Tatra, um dort einen passenden Zeltplatz zu finden und den ereignisreichen Tag im Schlaf zu verarbeiten.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, möchte ich nun mit folgenden Worten fortfahren: Am nächsten Morgen erwachten wir schon sehr früh. Der letzte Tag auf slowakischem Boden hatte begonnen, am Abend wollten wir schon zum Fußball in Österreich sein. Vorher galt es aber noch eine Wanderung durch die Hohe Tatra zu machen. Wenn man ein paar Tage in der Slowakei verbringt, dann gehört eine ordentliche Bergwanderung auf jeden anständigen Wochenplan. Außerdem war Cousin Martin seit seiner Wanderung am Storsteinen in Tromsö völlig heiß auf einen weiteren Marsch in die Berge. Und so suchten wir uns einen netten Berg auf der Karte und wanderten über Stock und Stein zum ausgeschilderten Gipfel. Na ja, der Gipfel war es nicht, aber durchaus ein gutes Stück über Normalnull. Aber Cousin Martin reichte das alles nicht und ich hatte ein Déjà-vu-Erlebnis. Wie am Storsteinen überkam ihn plötzlich eine innere Unruhe und aus der nahen Entfernung grüßten ihn weitere, höhere Gipfel, so dass er sich für ein Stündchen verabschiedete, um wenigstens einen von ihnen zu erklimmen. Görti und mir war es Recht. Während Cousin Martin versuchte die in der Karte angegebenen Zeitangaben um die Hälfte zu unterbieten, genossen wir beide die Wassermelone, die ich Tage zuvor an der Straße völlig überteuert gekauft und Görti hier hinauf geschleppt hatte. Nach einer Stunde stand auch der Bergsteiger wieder voller stolz vor uns und wir konnten gemütlichen mit dem Abstieg beginnen, lagen wir doch bestens im Zeitplan.
Und weiter ging die Fahrt gen Österreich. Das knapp zwanzig Kilometer von Wien gelegene Städtchen Untersiebenbrunn erreichten wir genau pünktlich zum Anpfiff des Spiels

03.08.04 SC Untersiebenbrunn 0:2 FC Kelag Kärnten
2. Liga Österreich – Marchfeldstadion

Das Marchfeldstadion war in Wirklichkeit ein aufgemotzter Sportplatz, wie es ihn in vielen deutschen Oberligen gibt. Es gab eine überdachte Haupttribüne und auf der Gegengerade einen Fetzen Stahlrohr, der ein Gästeblock sein sollte. Am heutigen dritten Spieltag der RedZac-Liga waren beide Tribünen allerdings äußerst gut besetzt, insgesamt hatte das Spiel laut Durchsage 1200 Besucher. Gut einhundert davon hatten den Weg aus Kärnten auf sich genommen, zum größten Teil waren dies aber selbsternannte Pupertät-Ultras, die hin und wieder ein wenig Krach machten, aber trotzdem nicht überzeugen konnten. Die meiste Zeit des Spiels forderten sie von Trainer Peter Pacult die Einwechslung ihres Lieblings, dem kroatischen Ballermann Stanko Bunalo, der später auch noch kam, das zweite Tor erzielte und am Ende der Saison tatsächlich Torschützenkönig wurde. Wir machten es uns auf einer Bank direkt hinter dem Tor bequem und bepöbelten gelangweilt den jeweiligen Torhüter samt Ersatzspieler, die sich dies aber natürlich nicht anmerken ließen… Der SC Untersiebenbrunn erweckte zum Zeitpunkt unseres Besuchs einen erbärmlichen Eindruck. Laut Stadionheft hatten sie einen Kader von 16 Spielern und was dieser auf dem Feld zeigte, war das bisher Schlechteste, was ich in den vergangenen drei Wochen gesehen hatte. Wir mutmaßten damals, dass der Verein das Ende der Saison wahrscheinlich nicht mehr erleben würde. Dem war allerdings nicht so. Der Wiener Vorortclub schaffte sogar noch den sportlichen Klassenerhalt, erhielt vom Verband allerdings keine Lizenz für die Folgesaison und wurde in die dritte Liga abgestuft. Die Funktionäre des SCU drohten daraufhin mit der Auflösung des Vereins, da sie den Klub weiterhin in der Liga halten wollten. Als das Urteil bestätigt wurde, löste sich der Verein auf und man gründete mit dem FC Untersiebenbrunn einen Nachfolgeverein, der dann jedoch in der untersten Spielklasse neu beginnen musste.

Nach dem Spiel machten wir uns auf den Weg nach Tschechien. Unser Ziel am nächsten Tag war Prag. Bis dahin wollten wir zwar nicht fahren, aber ein tschechischer Zeltplatz sollte es aus Kostengründen schon sein. Und so fuhren wir zu fortgeschrittener Stunde ins Grenzgebiet, auf der Suche nach dem im Straßenatlas gewählten Grenzübergang. Alles lief bestens. Die Uhr zeigte zehn vor Zehn und wir hatten den letzten Ort vor der Demarkation bereits erreicht, als mein Blick plötzlich auf den Wegweiser für die Zollstation fiel: „Grenze 5 Kilometer. Öffnungszeiten 6 – 22 Uhr.“ So drückte ich meinen rechten Fuß noch ein bisschen mehr durch und pünktlich zwei Minuten vor Ultimo waren wir auf tschechischem Boden. Gleich im ersten Ort fanden wir auch einen geeigneten Campingplatz und Cousin Martin und Görti hatten binnen kurzer Zeit das Schlafgemach hergerichtet.
Den neuen Morgen ließen wir in aller Ruhe angehen. Immerhin war es auch die letzte gemeinsame Nacht für uns gewesen, in 24 Stunden hatten Cousin Martin und ich schon wieder in der Berufsschule in Hamburg zu sitzen. Wir gönnten uns eine letzte Urlaubsdusche, genossen wie schon so oft in den vergangenen Tagen trockenes Weizenbrot zum Frühstück und packten ein letztes Mal unseren geliehenen Ford. Am späten Vormittag machten wir uns dann auf in Richtung Hauptstadt, nicht ohne zwischendurch noch ein letztes Mal an einem Badesee zu halten, an dem wir eine kleine Tretboottour unternahmen und Martin – natürlich – ein kühles Bad genoss.
Kurz nach dem Mittag erreichten wir schließlich Prag und machten uns sogleich auf die Suche nach der heutigen Spielstätte. Und was wir jetzt ablieferten, passte sich nahtlos in die Peinlich- und Unzulänglichkeiten ein, die wir in der vergangenen Woche produziert hatten. Gut, wir können uns versuchen herauszureden, indem wir darauf hinweisen, dass wir keinen Stadtplan hatten und niemals zuvor in Prag waren. Aber wer glaubt uns das schon?! So erreichten wir nach ein wenig Hin- und Herfahren das vermeintliche Stadion und freuten uns diebisch über den riesigen und vor allem freien Parkplatz davor. Dann stiegen wir aus und machten uns auf den Weg zum Ticketschalter, der allerdings geschlossen war. Und das war auch kein Wunder, waren wir doch am Slavia-Stadion gelandet. So machten wir uns wieder davon, in der Hoffnung, dass uns niemand gesehen hatte und niemals jemand davon erfahren würde. Was hiermit wohl hinfällig wäre…
Letztlich erreichten wir sie aber doch noch, die Toyota-Arena des AC Sparta Prag und in einer Seitenstraße auch einen nahen Parkplatz. Wir kauften unsere Karten und entschieden uns, die verbleibenden vier Stunden bis zum Anpfiff in der Stadt zu verbringen. So wanderten wir in die wohl allgemein bekannte, aber immer wieder sehenswerte Altstadt der tschechischen Hauptstadt.
Wieder zurück am Stadion verprassten wir die letzten Kronen im Fanshop für einen Pin und eine Tüte Pommes im nahen McDonalds, der pünktlich zu Spielbeginn geschlossen wurde.

04.08.04 AC Sparta Prag 2:1 Apoel Nikosia
2. Qualifikationsrunde Championsleauge – Toyota-Arena

Die recht ansehnlich gefüllte Arena (knapp 15.000 Zuschauer) gefiel mir eigentlich nur aufgrund der Farben der Fanfahnen, hatten diese doch eine ungeheure Ähnlichkeit mit der Flagge des stolzen Mecklenburgs. Das Stadion war ein kompletter Allseater und rundum zweigeschossig. Im Gästeblock hatten es sich gut siebzig Zyprioten gemütlich gemacht, die in den folgenden 90 Minuten durchgängig ihre Trommeln malträtierten. Der Fanblock konnte zwar nicht durch Lautstärke überzeugen, zeigte im Laufe der Partie aber immer wieder eine neue Choreographie, deren Sinn und Aussage mir aufgrund meiner mangelnden Sprachkenntnisse aber leider verwehrt blieben. Die Prager führten bereits verdient mit zwei zu null, als zur Mitte der zweiten Hälfte Nikosia zum Anschlusstreffer kam. Da das Hinspiel eine Woche zuvor 2:2-Unentschieden endete, reichte den Gästen nun bekannter Weise ein einziges weiteres Tor, um wenigstens die Verlängerung zu erreichen. Und nachdem die Zyprioten immer stärker auf den Ausgleich drängten und die Prager auch beste Konterchancen nicht nutzen konnten, wurde es langsam unruhig auf den Rängen. Auch wir waren nicht wirklich Freunde einer Verlängerung, lag vor uns doch eine Nachtfahrt gen Hamburg. Letztlich schaukelte Sparta das Ergebnis aber glücklich über die Zeit und träumte von Real Madrid, Ajax Amsterdam und Bayern München.

Wir schlossen uns nach dem Abpfiff den allgemeinen Jubelfeierlichkeiten nicht an. Vor uns lagen 650 Kilometer für die wir zwar neun Stunden Zeit hatten, aber die Fahrt von Celje in die Slowakei war uns noch allen in guter (oder schlechter) Erinnerung. Bis Hannover verlief die Fahrt recht ereignislos. Gut, ich könnte jetzt beschreiben, wie ich mich zwischen Magdeburg und Hannover völlig verfahren hatte, aber für meinen Geschmack hab ich bereits genug Peinlichkeiten offenbart. Auf der A7 zwischen Hannover und Hamburg hörte ich plötzlich eine Stimme von hinten. „Ralf, bist du noch wach?!“ Ich öffnete meine Augen und konnte gerade noch rechtzeitig unseren Weg in Richtung Leitplanke unterbrechen. Gegen 8 Uhr erreichten wir die Hansestadt. Zur rechtzeitigen Ankunft an der Berufsschule war es bereits zu spät, so dass wir in aller Ruhe unseren treuen Begleiter abgabefertig machten und Görti am Bahnhof ablieferten.

Und da stand ich nun also am Hamburger Hauptahnhof und hielt ihn in der Hand: den Zündschlüssel unseres Mietwagens. Zweihundertzwanzig Euro hatte ich dafür zu zahlen, aber das schmerzte mich keinesfalls…
RalleRalinski

28.08.2004 Rot-Weiß Trinwillershagen 1:4 Greifswalder SV
Landespokal M-V – Stadion am alten Park

Das empfangene Fax mit den Instruktionen für mich war eindeutig und klar formuliert. Die Weltmacht schlechthin, die zugleich als Oberinstitution fungiert und über die kleineren Institutionen wie die UNO und die NATO wacht, wollte ihren ranghöchsten und qualifiziertesten Mann auf Deutschlandbesuch schicken, um auch hier den zurückgebliebenen und gegen den Strom des Imperialismus agierenden Menschen vorzuführen, wie die absolutistische Diplomatie funktioniert und arbeitet. Die Vorstellungen der Bundesregierung waren einfach – aber wie in die Realität umsetzen? El Presidento aus der Bananenrepublik sollte sich heimisch fühlen – gesucht wurde ein Stück konservatives und rückständiges Stück Erde in Deutschland. Mecklenburg-Vorpommern war ja klar, nur wo dort? Trinwillershagen war ein Vorschlag und die Prüfung der Durchführbarkeit oblag in meinen Händen. Pluspunkt Nummer Eins war die nicht vorhandene Bahnanbindung, denn gibt’s in der texanischen Einöde Bahnverkehr?! Leider hieß das auch für mich, vom nächstgelegenen Bahnhof 12 Kilometer mit dem Fahrrad anreisen zu müssen. Dabei konnte aber Pluspunkt Nummer Zwei entdeckt, gespürt und schriftlich festgehalten werden: Die Wege hatten Schlaglöcher, waren teilweise nicht asphaltiert und die einzelnen Gehöfte am Wegesrand dokumentierten eine jahrhundertlang anhaltende Degression. Alles wie bei ihm – Trinwillershagen lag aussichtsreich im Rennen. Am Sportplatz aber angekommen, standen mir fast die Tränen in den Augen – Trinwillershagen machte in der Wertung einen uneinholbaren Quantensprung. Die Torwand war verziert mit einem Keltenkreuz und dem „White Power“ Schriftzug. Hier, so war ich mir sicher, würde er sich wohl fühlen. Nach dem kurzweiligen Spiel, ach hätte es doch 20 Jahre früher stattgefunden, es würde lauten: Rotes Banner Trinwillershagen vs. BSG Kernkraftwerk Nord „Bruno Leuschner“ Greifswald, faxte ich meine Machbarkeitsstudie der Bundesregierung…

Chicago ist die Hauptstadt Polens oder Viva Polonia September 2004!

Am Freitagabend bestieg ich in Berlin den Zug, um in Pasewalk auf Nase zu treffen und unsere von ihm zusammengebastelte Viva-Polonia-September-2004-Rundfahrt zu begehen. Schon in Berlin hatte ich was zu lachen, als ein verstörtes Mädel in den Zug stieg. Aber in den Falschen und das nicht zum ersten Mal an dem Tag, was mich doch sehr an meine Fahrt Prag-Berlin erinnerte. Im Gegensatz zu mir machte das Mädel allerdings einen nüchternen Eindruck… Na ja, in Pasewalk eine Stunde Warterei und die Erkenntnis, dass am dortigen Bahnhof das Nutzen der DB-eigenen Bänke als Schlafplatz nicht gern gesehen ist.
Mit Nase dann in die Bahn nach Szczecin, wo man drei Rostocker sah und es sollte nicht die einzige Begegnung mit diesen an dem Wochenende bleiben…
Von Szczecin ging es nach Katowice und gerade als wir uns über den Fund eines leeren Abteils freuten und es uns zur Nachtruhe gemütlich gemacht hatten, kamen zwei Polen rein und der Schlaf war erst mal gegessen. Dafür nette Gespräche mit dem Herren, der mit seiner Frau nach Wroclaw fuhr. Wir lernten, dass der gemeine Pole nur ans Geldausgeben denkt, Chicago die größte polnische Stadt ist und es in Deutschland verdammt einfach ist, etwas weibliches zu klären… Gut, dass Nase und meine Wenigkeit trotz unseres Adonishaften Aussehens schon in Deutschland eher weniger Erfolg aufweisen können, die Aussicht auf eine gesellige Polin an jenem Wochenende war ein bisschen getrübt….
Ab Wroclaw konnte ich endlich pennen; Nase hatte einen angeekelten alten Herren neben sich sitzen und war beim Ausstieg neidisch auf meinen wohlverdienten Schlaf! 🙂
Nach einem kurzen Waschgang bei McDoof, lecker Pivokauf und Zeugs im Schließfach Verstauen fuhr man zurück nach Gliwice und machte sich auf die Suche nach Busbahnhof und Internetcafé, um für morgen früh ein Spiel zu finden. Ersteres gelang nicht, Internetcafés im Zentrum sind rar oder zu, deshalb zurück zum Bahnhof, wo man dann doch Zugang zum weltweiten Netz erhielt, aber zwar Spiele für den nächsten Morgen fand, allerdings alle in Frage kommenden ohne Anstoßzeit. Mit der Adresse des Busbahnhofs fanden wir diesen und waren bei der Ankunft am Stadion um die Erfahrung reicher, dass Gingers Beer kein Bier sein kann und scheiße schmeckt.

11.09.04 Carbo Gliwice 0:1 MKS Sławków
3. Liga Polen – Stadion Carbo

Schon von der Haltestelle sah man die Tribüne und eine hammergeile Anzeigetafel, die wohl schon einen Weltkrieg in den Knochen hat, sieht sehr korrekt aus das Teil!!! Im Stadion nahmen wir auf der ganz netten Haupttribüne Platz, sahen drei Rostocker, ein Auto mit deutschem Nummernschild und Lonsdale-Jäckchen auf’m Sitz, außer den Rostockern und der Autobesatzung noch einen stadionfotografierenden Rucksackträger, wie gesagt die geile Anzeigetafel, einen ähnlich geilen Gästekäfig und ein Spiel bei dem die Arschbacken nicht lange auf der Sitzschale bleiben wollten… 1000prozentige Chancen wurden vergeben, ein wenig auf den Gegner eingetreten, Stimmung war bei ca. 80 Zuschauern keine vorhanden und wir waren doch recht froh, als der Schiedsrichter das Spiel, das Gliwice mit 1-0 verlor, endlich abpfiff!

So, nun hatten wir 45 Minuten um drei Busstationen zur Straßenbahn zu laufen, die uns zum Bahnhof fahren sollte und wir nahmen diese Hürde mit Bravour; die drei Rostocker sah man in der Straßenbahn aber nicht. Am Bahnhof in Sosnowiec auf die Karte schauend, sah man drei Rostocker in ein Taxi steigen. Wer das Geld hat… Wir rannten los und Nase lotste uns dank seines Kartenstudiums am Bahnhof Richtung Stadion, wo wir ca. knapp zehn Minuten vor Spielbeginn ankam. Nase meinte, die ganzen Leute an der Kasse sehend, dass diese die Fanblockkassen seien und so rannten wir weiter, um das Stadion herum um Karten für die Haupttribüne zu ergattern.

11.09.04 Zagłębie Sosnowiec 4:1 Kolporter Korona Kielce
2. Liga Polen – Stadion Ludowy

Die Kassen waren natürlich die Einzigen und so lief das Spiel schon, als wir endlich auf der Tribüne waren und die Fahnenchoreo der Heimfans genau verpassten. Gäste waren keine da, allerdings ein Haufen Robocops in Gästeblocknähe und die Haupttribüne, auf die wir anfangs wollten, war mit ca. 200 Leuten voll. Am Rand der Gegenseite hatte man nahezu perfekte Sicht auf die Zagłębie-Fans und den Gästeblock. Als Nase gerade Trinkelemente holen war, war hinterm Gästeblock Support zu vernehmen, kurz darauf kamen die Leutchen auch an, legten ordentlich los und Nase kam ohne Bier zurück. Heim- und Gästefans ständig irgendwas am Machen, ob Pyro oder Choreo mitten im Spiel, es gab kaum Zeit zum nicht auf die Fans gucken. Eigentlich schade, Spiel selbst war auch nicht von schlechten Eltern, und dass der Tabellenvierzehnte gegen den Spitzenreiter gewinnt, setzte dem Ganzen noch die Korona 😉 auf! Nach der zweiten roten Karte gegen sie, waren die Gästefans erbost und machten sich daran die Robocops zu ärgern. Diese sprühten reichlich Pfefferspray in den Block, ein paar Nettigkeiten wurden ausgetauscht, dann war nach fünf Minuten wieder Ruhe. Nach mehr als genug Nachspielzeit hatte der Schiri endlich Gnade mit uns, denn wir mussten ja weiter nach Katowice.

Dass wir für ca. acht Kilometer weniger als 45 Minuten hatten, störte Nase gar nicht, mich berührte das Wissen um diese Sache schon mehr. Zumal meine Kondition dank Piwo nicht gerade die Beste ist, so war ich nach zehn Minuten Rennerei völlig ausgelaugt und heilfroh, als man ein Taxi auf die Autobahn, neben der wir lang rannten, auffahren sah. Angehalten, eingestiegen und für 32 Geld Richtung Stadion chauffieren lassen. Den Rest des Weges wieder schnellen Schrittes per pedes unterwegs wurde einem am Stadion bewusst, dass man ohne Taxi wohl zum Anfang der 2. Halbzeit den Platz erreicht hätte… Egal, nun war man ja da, kaufte sich Tickets und nahm mittig in der Kurve hinter dem Tor Platz. Erst mal, denn die extremst düstere Atmosphäre und die Tatsache, dass wir mitten unter nicht gerade kleinwüchsigen Glatzen mit imposantem Armumfang waren, die dazu noch einen Gesichtsausdruck hatten, der uns keine große Freude bereitete, zwang uns regelrecht in die Ecke neben den Sanitäter zu verziehen und uns unauffälliger als unauffällig zu verhalten. Noch mal zur Atmosphäre, die war so düster, still, einfach bedrückend, ein richtig geiles Gefühl!!!

11.09.2004 Katowice 4:0 Górnik Łęczna
1. Liga Polen – Ul. Bukowa

Neben den Häuern von Katowice boten die ganzen Kunden, die keinen Eintritt zahlen wollten und das komplette Spiel vom Zaun aus verfolgten einen genialer Anblick! Massig Leute, jung und alt am Zaun hängend, von dort kaum was vom Spiel sehend, am Singen, geil! Der Gästeblock blieb komplett leer, im Gegensatz zur Haupttribüne, zu dessen Füllung auch ein fettleibiger, mit ner Kamera rumspielender Kunde, der mir doch stark bekannt vorkam, beitrug. Zum Abpfiff statteten wir ihm an seinem Wagen einen Besuch ab und hossa, es war der vom Morgen in Gliwice.

Das Jäckchen gehörte wohl dem Mitfahrer, defo, dem ich mal in Stockholm begegnet bin, wär das Teil wohl einige Nummern zu klein… Dieser auf meine Frage, ob er uns in die Innenstadt fährt: „Ach du bist das, nee, andere Richtung“. Besten Dank noch mal, hoffe ihr seid irgendwo nem netten Mob begegnet und sie hatten ein bisschen Spaß mit euch!!!
Also zu Fuß zurück Richtung Bahnhof und unterwegs eine Lokalität geentert, die eine Mischung aus Puff (oben), Pizzeria (unten) und Tag- und Nachtladen (nebenan) war. Essen gab’s in der Pizzeria, zum Klo musste man zum Puff und wenn man lecker Pivo brauchte zum Laden nebenan – schon geil… Nach einer romantischen Abendspeise bei Kerzenlicht war mein Fradi-Flaschenöffner und unsere finanzielle Planung kaputt, aber die Vorfreude aufs Nachtleben in Katowice ungetrübt. Im Internetcafé am Bahnhof noch kurz nach der Adresse des Szczeciner Fünftligisten geschaut, man wollte morgen früh einfach hinfahren und Glück haben, dass die zeitlich passend spielen. Dann konnte es losgehen. Ab zur gesichteten Kneipe, wo uns aber die Preise zu hoch waren. Wie assi ist das bitte; da ist man als reicher Deutscher (und Ungar) in Polen und hat kein Geld für Bier… 🙂 Im nächsten Laden gönnten wir uns ein Pivo, aber gerade als wir kamen, verließ die weibliche Kundschaft die Wirtschaft… Der Zug nach Szczecin fuhr erst um 1.12 Uhr und es war gerade mal 9, also hockten wir noch ein wenig vor unseren leeren Gläsern und Nase erzählte von seinem Liebes“glück“ in einem englischen Zug… Nach Abschluss des Rumgammelvorgangs zog es uns weiter und siehe da, eine vielversprechende, günstige Musikkneipe namens Bob hatte die Ehre. Rein da und aufregen, dass nicht ein Mädel zu uns rüberkommt, wir noch nicht mal eines Blickes gewürdigt werden. So wollte man in Kürze fraulos zum Zug aufbrechen, als plötzlich wie aus dem Nichts zwei Schönheiten vom Nebentisch auftauchten und die, da die Konversation recht flüssig lief, überredet wurden bis 5 mit uns zu verweilen. Nase hatte nämlich die Vision, dass um 6 ein Zug nach Szczecin fährt mit dem wir, falls eins stattfindet, sogar noch nen Kick vor Pogon sehen könnten… Nachdem ein Gitarrist vom Tisch neben uns Geld sehen wollte, ging es mit den Mädels weiter in den kleinen süßen Klub „Hölzernes Pferd“… Dort durfte man erst mal die restlichen Finanzen in Bier investieren, was sich in meinem Fall auch lohnte, denn Magda fand mich fortan immer netter und ich sie auch… Das ist erstaunlich, denn nach zwei Tagen ohne Frischmachen, müssten Nase und ich eigentlich einen gewissen Geruch ausgestrahlt haben; schien meine Herzensdame allerdings nicht zu stören. Nase hatte weniger Erfolg, sein Mäuschen wollte nicht so recht und auch sein Magen nicht, denn plötzlich lag was unter dem Tisch… 😀 Wie zwei Gestörte feierten Nase und der Budapester anschließend „on the dancefloor“, ernteten statt begeistertem Beifall aber eher Gelächter… Die Damen meinten (wohl aufgrund Nases Mageninhalt unterm Tisch), um 5 einen Bus kriegen zu müssen und ich weckte Nase um sie zu begleiten. Jener wollte nicht und ich meinte, er soll hier warten, ich bring die Chiquas zum Bus, worauf er nickte und weiterpennte. Als ich schweren Herzens entschlossen hatte, nicht mit Magda zu gehen, stattdessen mit Nase Szczecin zu besuchen und zum Klub zurückkehrte, war von Nase aber nur noch ein kleiner Rest da, der gerade weggewischt wurde. Übermenschvoll rief dieser mich an, wo ich denn sei und zum Bahnhof kommen sollte, was ich auch tat.
Dort nahmen wir die Sachen aus dem Schließfach, Nase bekam das erste von ca. 400 „Mit der hätte ich nicht nur Halma spielen können, Alter!“, die im Laufe des Tages noch folgten zu hören und man legte sich im leeren Abteil im Zug pennen. Kurze Zeit später kam ein Schaffner und nach der Betrachtung meines Tickets, rüttelte er dermaßen an Nase herum, jeder normale Mensch wäre aufgewacht. Nase allerdings merkte nichts davon und ich musste dem Schaffner ergestikulieren, dass mein alkoholischer Freund auch ein WE-Ticket hat… Bis Wroclaw konnte man pennen und dort völlig verkatert feststellen, dass man erstens völlig fertig war, zweitens ich mit Magda hätte… und man es drittens nicht mehr zeitig zu Pogon schaffen würde! Toll, ich hatte mir überlegt, den ersten Kick für Magda sausen zu lassen und halt nur zu Pogon zu fahren, was hätt‘ ich mich gefreut zu erfahren dass ich kein Fussi mehr sehe an dem Tag… Und Nase hatte sich die Geschichte mit dem 6-Uhr-Zug von Katowice nach Szczecin angesichts der zwei Damen natürlich auch nur ausgedacht… Verzweifelt hockten wir also in Wroclaw rum und Nase beschwerte sich über seinen Kater und seinen Filmriss, als ich plötzlich Singsang vernahm und Fans + Robocops sichtete! Nases feine Öhrchen vernahmen dann einer Durchsage, irgendwas mit Special und Szczecin und eine Polin deutete mir den Weg zu diesem Spezialzug, den wir mit atemberaubender Kondition, weltmeisterlichem Sprint und sehr viel Glück erreichten. Normalerweise wäre uns wahrscheinlich nicht in den Sinn gekommen einen vollbesetzten Sonderzug von Kraków nach Szczecin zu betreten, aber der gute Alkohol und die fehlende Zeit zum Überlegen ließen uns dies doch tun. Und ich ehre den Alkohol dafür noch mehr als je zuvor, denn die Fahrt war ein absolutes Erlebnis!! Beim Einstieg, der Taschenkontrolle und den polnischen Fragen der Wisla-Fans hatten wir noch ein mulmiges Gefühl, aber als wir schließlich mit dem deutschsprechenden Grzegorz ins Gespräch kamen, wendete sich alles zum Guten. Wir erfuhren so einiges über die Krakauer und polnische Szene, tauschten deutsches gegen polnisches Pivo, ich bekam Kostproben von Pivo und Vodka aus Polska und als wir auch noch Messerstiche gezeigt, Aufkleber zugesteckt und Wisla Lieder beigebracht bekamen, war die Stimmung auf dem Höhepunkt – eine GEILE Zugfahrt in einem Bummelzug quer durch Polen! In Szczecin wartete an einem Bahnübergang ein Haufen Pogon-Leute (irgendwo mittendrin TaliJan, wie man erfuhr) unterstützt von Robocops. Und da der Zug recht langsam fuhr, stiegen einige aus, um den Pogon-Leutchen ein wenig Lauftraining zu bescheren, Hammer! Weiter ging’s und an einer Extra-Haltestelle am Gästeblock war die Fahrt zu Ende und eine riesige Horde Robocops erwartete uns und begleitete uns in die Nähe des Gästeblock-Eingangs.
Dort war Warten angesagt, denn nur in Grüppchen von je fünf Leuten wurde man zur ersten Kontrolle gelassen, bei der man Ausweis vorzeigen, Name, Geburtsdatum, Name des Vaters, Anschrift und ich glaube sogar Telefonnummer angeben musste… Die Nächste kümmerte sich um die Taschen, irgendwas wollte man mir in Bezug auf meine Kamera mitteilen, aber als man peilte, dass ich kein polnisch spreche, ließ man mich weiter. Bei der dritten Kontrolle noch mal Taschen geleert und anschließend mussten einige pusten, wer über 0,5 (?) intus hatte, und das waren so einige, durfte draußen bleiben. Bestimmt sehr geil nach zehn Stunden in einem ranzigen Bummelzug von Kraków nach Szczecin draußen bleiben zu dürfen. Ich hatte Glück und musste nicht pusten, denn nach reichlich Vodka und Pivo wäre ich mit Sicherheit nicht mit rein gekommen…

12.09.04 MKS Pogoń Szczecin 0:5 Wisła Kraków
1. Liga Polen – Stadion im. Floriana Krygiera

Der Gästeblock ist ein ranziges Stahlrohkonstrukt, wo man formschöne Äste eines Baumes vor der Fresse hat und kaum was vom Spielfeld sieht. Dazu steht man noch sehr weit von diesem weg und hört nicht sehr viel vom Heimsupport… Dieser war aber soweit man das mitbekam nicht schlecht, meiner Meinung nach der beste Support am WE, die Pogon-Fans waren 90 Minuten in Bewegung. Anfangs gab es von Pogon eine sehr schöne Choreo auf der Haupttribüne, mittig Zettel und Spruchband und außen Fahnen, der Fanblock schmiss Kassenrollen, sah TOP aus das Ganze! Wisla hatte Luftballons in rot, blau und weiß mit, die beim Einlaufen der Spieler gezeigt wurden. Ihr Gesang war nicht so dolle, na ja, die reudig lange Zugfahrt und die draußen gebliebenen Leute waren wohl die Gründe…
Nach dem Abpfiff gab es eine schöne Blocksperre und wir wurden langsam nervös, als Nase einem unserer Bekannten aus dem Zug mitteilte, dass wir unsere Bahn erreichen müssten. Dieser sprach kurz mit dem Ordnungsdienst und schon waren wir frei. Aber es war nicht mehr viel Zeit bis zur Abfahrt und so rannten wir wieder mal durch die Gassen. Gut, dass das Stadion so weit vom Bahnhof entfernt ist… Die Zeit lief uns davon und wir durch die Stadt. Ich war mit den Kräften völlig am Ende, als wir genau zu Nases Abfahrtzeit ankamen und ein kurzer Blick auf den Fahrplan genügte um zu realisieren, dass er wieder mal keine Ahnung hatte und wir uns ruhig eine Stunde mehr Zeit hätten lassen können… Wir besorgten uns noch Speis und Trank und sichteten auf dem Bahnübergang einen riesigen Suptras-Rostock-Aufkleber – Glückwunsch! Von Nase verabschiedet, dessen Bahn kurz nach meiner fuhr, und im Zug traf ich dann auf acht Deutsche, die auch bei Pogon waren… Ich hörte dass Dorfplatz85 seine Fahne aufgehangen hatte im Stadion (Glückwunsch 2), diese aber nicht gezockt, sondern nur überhangen wurde, schade!
Die sinnlose Lauferei zum Bahnhof war ein würdiger Abschluss dieses geilen Wochenendes. Dank an den mir immer noch / schon wieder Bier schuldenden Nase für das Zusammenbasteln der Fahrt!
der Budapester

03.05.2005 SV Halstenbek/Rellingen 3:0 HSV Ama.
Halbfinale Hamburger Pokal – Jakob-Thode-Platz

Montag Abschlussprüfung in Verlagswesen, Dienstag Abschlussprüfung in Rechnungswesen, Mittwoch Abschlussprüfung in Geschäftsprozesse/Märkte und Wirtschaft/Gesellschaft – da kommt schnell Langeweile auf. Nachdem wir Dienstag vor dem lernbrünstigen Gewissen aufgrund fehlender Fußballduelle nur auf den Flughafen fliehen konnten, übrigens ein wirklich schöner Ort um einen Nachmittag zu verbringen, konnte Mittwoch endlich die so wichtige Komplettierung einer Liga voran getrieben werden. Dieses Vorantreiben sollte in einem dieser beschaulichen Vororte von Großstädten im ehemaligen „Drüben“ von statten gehen, die ich so liebe. Alles ist gepflegt, der Rasen wächst nicht höher als fünfzehn Millimeter, vor jedem Haus steht das Auto, besser gesagt, die Limousine, im Lot zur Einfahrt und Blicke sind einem Fremden gewiss. Halstenbek lud also ein, Pokalhalbfinale zwischen dem Underdog, dem SV Halstenbek/Rellingen, und den profihaften Amateuren aus der Ulzburger Str. Auf dem Weg von der S-Bahn-Haltestelle zum Jakob-Thode-Platz hätte ich aber beinahe auf diesen Pokalkampf verzichtet, führte unser Weg doch an einem Schafgehege vorbei. Eines dieser zukünftigen Wollhausschuhe war so süß, ach am Liebsten hätte ich noch Stunden mit ihm gespielt, aber meine fußballnotgeile Begleitung trieb mich hinfort. Seit diesem Tag habe ich mir allerdings eins geschworen: Ich werde in Zukunft mehr auf meine Ernährung achten und versuchen, nur noch Fleisch von Tierarten zu essen, die kurz vor dem Aussterben sind. Solchen putzigen Allerweltstieren kann man doch nicht wehtun. Auf dem Sportplatz erwartete uns dann die oft beschriebene Volksfeststimmung. Alle waren sie da und alle freuten sie sich – mit gutem Grund, schaffte David doch nicht einmal unverdient in einem spannenden Spiel die Sensation. Langeweile kehrte erst an nächsten Morgen wieder ein. Ob es für gewisse Leute auch eine Sensation war, dass wir die Prüfungen ohne Probleme meisterten, sei dahin gestellt…

Grenzerfahrungen

Der Blick auf die Uhr verriet nichts Gutes. Da ich mir und meiner Figur beim, von meiner Ex-Personalchefin spendierten, Essen noch unbedingt ein Eis im „Block-Haus“ gönnen musste, wurde es langsam knapp. Nur noch zehn Minuten, um den letzten Zug von Rostock nach Szczecin zu erreichen. Dank der zuverlässigen Rostocker Tram und meiner überdurchschnittlichen körperlichen Fitness, die seltsamerweise nicht für ein Sportstudium in Chemnitz gereicht hatte, gelang mir mit einer Indiana-Jones-artigen Hechtsprungrolle – gestanden – doch noch der Zutritt in jenen letzten Zug. Sicherlich könnte man auch schreiben, dass der Zug verspätet war und ich ihn nur deshalb erreicht hatte, aber wer will das lesen?! Als ehemaliger Angehöriger eines Springer-Tochterunternehmens weiß ich aus einer Alltagssituation einen Superlativ zu formen.
Zweieinhalb Stunden später erreichte ich dann auch schon den Ausgangspunkt jeder guten Osttour: Szczecin Glowny. Meine müden Augen entdeckten sogar einen Direktzug nach Krakow, den die blöde Deutsche Bahn im Internet gar nicht anzeigt hatte. Also nichts wie rein und dem vollgefressenen Körper Erholung im Reich der Träume gönnen. Krakow empfing mich dann auch gleich mit Sonnenschein, so dass die Rückenschmerzen, verursacht durch die Umfunktionalisierung eines PKP-Sitzabteiles in ein Schlafwagenabteil, schnell vergessen waren. Drei Stunden später war ich dann endlich am Ende der Welt – in Przemysl. Der 15-Uhr-Bus fuhr natürlich nicht, so dass ich es mir gemeinerweise zwei Stunden in der Sonne gemütlichen machen musste, um auf den 17-Uhr-Bus gen L’wow zu warten. Ohne Erhöhung der Pigmentdichte auf der Haut startete ich in die Ukraine und erreichte das Paradies keine anderthalb Stunden später. Schnell tauschte ich noch das nötige Geld und stürzte mich anschließend in das Getümmel im Wokzal.
Bei drei Nachtzügen Richtung Odessa wird schon ein Platz frei sein, so jedenfalls meine auf Fiktionen beruhende Theorie. Nach einer Stunde Warten (die Ukrainer verwechseln allzu oft den Bahnschalter mit einer Theaterkasse, anders kann ich mir nicht erklären, wieso die Leute solange brauchen, um sich einen Platz in einem Zug auszusuchen) war ich an der Reihe und versuchte freundlich ein „Biljet do Odessa“ zu ergattern. Auf die Frage „Wann?“ zückte ich meinen Zettel mit der Abfahrtzeit. Die nette Dame gegenüber nahm den Zettel, meinte aber nur „Njet“ und schrieb als früheste Abfahrtsmöglichkeit Sonntag drauf. Diesen Vorschlag musste ich kurz überdenken: Der Supercup in Odessa war am Samstag. Nein, abgelehnt, das wird ein bisschen zu knapp. Vielleicht waren meine Phantasien, dass die Ukrainer 365 Tage im Jahr arbeiten und somit keine Ferien und Wochenenden haben, doch nicht ganz richtig. Kaum einen Tag „on Tour“ und schon war diese Tour problemtechnisch entjungfert.
Raus ging’s aus dem Bahnhof und ich versuchte meine Wut mit osteuropäischem Zuckerwasser herunterzuspülen. Plötzlich durchdrang ein „Do you have problems?!“ den ukrainischen Luftraum, worauf ich nickte und mich zum Fragensteller begab. Darf ich vorstellen: Wiktor aus L’wow, Major der ukrainischen Armee und gerade von einem 15monatigen Irakeinsatz zurückgekehrt. Meine Rettung. Mein Vorhaben, ohne ein Ticket in den Zug zu steigen und den Schaffner zu bestechen, befand er als keine gute Idee. Er hatte eine bessere, nahm mich an die Hand und begann nun durch alle Instanzen zu gehen, um ein Ticket für mich zu besorgen. Erste Anlaufstelle war der Militärticketschalter, denn Soldaten bekommen in der Ukraine stets ein bestimmtes Kontingent an Tickets. Er zeigte dem Gefreiten am Schalter seinen Majorausweis und schickte ihn in die Spur. Leider war aber auch hier nichts mehr in Richtung Odessa frei. Aber Wiktor hatte noch ein weiteres Ass im Ärmel und so verließen wir erneut den Bahnhof und gingen zurück auf die Straße – zur Mafia. Mit einem Mafiosi und Wiktor ging es dann wieder zurück in den Bahnhof, wo wir in einem dunklen Hinterstübchen vergebens auf eine Person warteten, die aber nicht aufzufinden war. Ob diese Person Tickets fälscht oder ob es in der Ukraine einen Schwarzmarkt für Zugtickets gibt, kann somit nicht geklärt werden. Geklärt werden konnte nur die Sache mit meinem Durst, die Wiktor richtig erkannte und mir ein Piwo spendierte – Spasibo!
Letztendlich wurde dann aber doch mein anfänglicher Plan umgesetzt und wir marschierten ohne Fahrkarte zum Zug. Dieser hatte 30 Minuten Aufenthalt in L’wow und diese Zeit nutzte Wiktor um die Schaffnerin davon zu überzeugen, dass der „Njemjez“ unbedingt zum Supercup nach Odessa müsste. Es hagelte an die 30 Njets, aber als der Oberschaffner zur Abfahrt seine Pfeife betätigte, reichte sie mir die Hand und ich war drin – für 20 Euro.
Um die Mittagszeit erreichte ich endlich das „Paris des Ostens“. Schnell ging es zum Hotel in dem man zufällig auf einen gebürtigen Gelsenkirchener, nun in Berlin wohnhaft, in Kiew zu tun habend und daher das Wochenende in Odessa verbringenden, Schalke-Fan traf. Zusammen ging es zum Stadion, denn ein Schaffner im Zug meinte, dass das Spiel schon ausverkauft sei. Kaum am Stadion angekommen, wurden wir aber bereits auf Tickets angelabert. Nach ein wenig Verhandeln einigte man sich auf 6 Euro für ein 3 Euro-Ticket, so dass ich endlich zum erholsamen Teil der Reise übergehen konnte. Mit Schaschlik gefüllt lässt sich eine deutsche Wampe eben besser in der Sonne brutzeln. Da auch die Wissenschaft nicht zu kurz kommen sollte, untersuchte ich das Strandverhalten von ukrainischen Mädels – Passt! Dem Wasser gebe ich als Fachmann (immerhin bin ich ein Kind der Ostsee) eine 2+. Es wird schnell tief, erfrischt und ist sauber. Nur diese kleinen Steine geben den Ausschlag zu einer 2+.

09.07.2005 Динамо Киев 1:1, 3:4 n.E. Шахтер Донецк
Superpokalfinale Ukraine – TschMP-Odessa

Zur Champions-League-Anstoßzeit ging es nun auch fußballerisch los. Im ausverkauften Stadion dominierten optisch die Jungs aus dem Kohlenpott, akustisch die Tröten und kulinarisch die Sonnenblumenkerne. Die Hauptstädter wollten sich mit allen Mitteln bemerkbar machen, was aber gegen orangefarbene Trikots und unzählige Tröten eigentlich unmöglich war. Sie schafften dies daher nur bei der hiesigen Polizei, indem sie ein bisschen Rauch zündeten. Somit konnte diese wenigstens zeigen, dass sie ihren Knüppelstock nicht umsonst mit sich trugen. Auf dem Spielfeld entwickelte sich in Halbzeit Eins ein interessanter Kick auf technisch hohem Niveau. Beim Stande von 1:1 tauschte man die Seiten und behielt dieses Ergebnis auch nach 90 Minuten bei, so dass es noch zum finalen Showdown vom Elfmeterpunkt kam. Am Ende konnte Donezk seinen Briefkopf erweitern und wir zogen noch in die Kneipe neben dem Hotel, um das Gesehene zu verarbeiten.

Am nächsten Morgen ging es erst einmal in die Sparte „Aggro-Tourismus“ über, wollten doch alle baulichen Sehenswürdigkeiten bis Mittag abgearbeitet sein, um auch die Sehenswürdigkeiten am Strand nicht zu kurz kommen zu lassen. Anschließend, als auch dieses gemeistert war, ging es zum Groundspotting und zur Informationssuche, dem Spielort der Jugend/Reserve von Tschernomorets betreffend, weiter. Schöne Stadien gibt es in Odessa zuhauf, nur schienen die Platzwärter gerade einmal einen Abschluss an der Büffeluniversität zu besitzen. So verwies mich der Platzwart des Spartak-Stadions beispielsweise zu einem anderen Stadion, obwohl am nächsten Tag das von mir gesuchte Spiel in seinem Stadion stattfinden sollte…
Da meine Reisebegleitung mich Sonntagabend Richtung Kiew verlassen wollte und die Hotels in Odessa nicht meiner Preiskategorie entsprachen, setzte ich mich in den Bus nach Illichiwsk, mit der Vermutung, dass es in einer Kleinstadt am Schwarzen Meer preiswertere Unterkünfte geben muss. 36 Kilometer später und 50 Cent ärmer empfing mich eine reine Ghettostadt. Im ersten Restaurant fragte ich nach einem Hotel und wurde zu einem Büro geschickt, welches Zimmer vermittelte. Dort traf ich auf den Besitzer, Typ russischer Abzocker, und einen 20jährigen Bauarbeiter. Dieser sollte mich schließlich für eine Gebühr zum Hotel führen. Das Hotel, dummerweise das einzige im ganzen Ort, versprühte den Charme der 60er Jahre (in der DDR) und das zu Preisen, da will man nicht mehr reisen. Da der Bauarbeiter über ein paar Vokabeln Englisch verfügte, nennen wir es mal Mindestwortschatz, konnte ich ihm klarmachen, dass ich ein Zimmer für etwa zehn Dollar suchte. Er überlegte und bot mir kurzerhand sein Bett an. Na ja, wieso nicht; also folgte ich ihm. Unterwegs versuchte er mir seine Wohnung zu beschreiben, aber es blieb bei einem: „My room is…“ Schnell drückte ich ihm mein Russisch-Deutsch Wörterbuch in die Hand und da war das Wort, was ihm nicht auf englisch einfiel – „unschön“. Da ich aber schon einiges gewohnt war, ließ ich mich von derlei Aussichten nicht vergraulen sondern folgte ihm tapfer durch die Ghettos bis wir schließlich stehen blieben.
Da war es also, das Hotel „Plattenbau“, die Pension „Assi“, die Herberge „Unschön“. Der Hausflur hätte einen kompletten Abriss und einen ebenso kompletten Neubau vertragen, die Wohnungstür war mehr ein Provisorium und sein Zimmer war – sagen wir mal: spärlich eingerichtet. Ein Radio, ein Sofa und ein Schrank. Toilette, Dusche und Küche wurden von vier Wohnungen geteilt und das alles für 60 Dollar Miete. Um mir die Gemeinschaftsdusche zu ersparen, ging’s schnell zum Schwarzen Meer und anschließend zurück in die Wohnung, wo der Hausherr schon mit Abendbrot in Form von Zwiebeln, Eiern und Tomaten wartete. Kulinarisch gut versorgt legte ich mich ins Bett. In der folgenden Nacht träumte ich passender Weise davon, dass es klopfte und ein paar maskierte Kumpels des Gastgebers an der Tür standen. Nachdem ich aber morgens noch mit meinem Geld in den Socken erwachte, war mal wieder klar, dass ich alles richtig gemacht hatte.
Mit einem Frühstück aus dem Supermarkt ging es zurück nach Odessa, wo der Strandsand nochmals meinen geschmeidigen Körper empfangen durfte, bis das Reservespiel anstand, von dem aber immer noch nicht klar war, wann und wo es überhaupt stattfand. Da das Spartak-Stadion der Nase nach direkt auf dem Weg lag, hielt ich dort kurz an und sichtete die ukrainische und die PFL-Fahne. Also, nichts wie rein ins Geschehen!

11.07.2005 Черноморец Одесса Дублеры 2:1 Арсенал Киев Дублеры
1. Reserve-/Jugendliga Ukraine – Spartak-Stadion

Der Platzwart, der gestern noch meinte, in diesem Stadion würde auf keinen Fall gespielt werden, baute gerade die Anzeigetafel auf und erzählte mir, dass um 17Uhr Anstoß sei. Dieser Information schenkte ich Vertrauen und besorgte schnell noch Fressalien um dem Kick gemütlich beiwohnen zu können. Rund 300 Zuschauer bevölkerten den Ground des Drittligsten Palmira, dazu vier Polizisten, Fernsehkameras und Stadionsprecher – Fußballherz was willst du mehr? Das Stadion hatte zwei Tribünen auf den Längsseiten und war in den Kurven unbebaut. Auf dem Rasen boten beide Jugend/Reserve-Mannschaften ansehnlichen Fußball – halt alte osteuropäische Technikschule.

Mit Beendigung des Spiels stattete ich noch kurz dem Internetcafe einen Besuch ab; bei einem Preis von 30 Cent pro Stunde kann man da schlecht nein sagen. Um 22 Uhr wartete der Nachtzug nach Dnepropetrowsk auf mich. Zwölf Stunden Fahrt in einem Vier-Mann-Schlafwagenabteil kosteten mich neun Euro – das wäre in Deutschland wohl nur mit Bahncard 95 möglich. Bei meiner Ankunft bot der Himmel wieder einmal das altbekannte Bild – Sonne und keine Wolken. Langsam wurde es langweilig. Nachdem ich meinen Rucksack im Schließfach eingeschlossen hatte, ging es los zum Sightseeing. Immerhin warteten vier Amphitheater, drei 1000 Jahre alte Kirchen und das Leichentuch von Jesus – upps, da bin ich wohl eine Station zu früh ausgestiegen… Ging ich im Mai noch davon aus, dass Skopje die UNESCO-Liste der schönsten Städte der Welt von hinten anführt, muss ich nun einen Wechsel vermelden – neues Schlusslicht ist Dnepropetrowsk. Von der Brücke über die Dnepro (Bevor die Redaktion mit Beschwerdemails überflutet wird: Der Fluss wird im russischen mit „e“ geschrieben, im ukrainischen mit „i“ -> Da der Schreiberling aber besser russisch als ukrainisch kann, wird die russische Schreibweise verwendet und so versucht, ein wenig Gradlinigkeit in diesen Bericht zu bekommen. L’wow statt L’wiw ist also kein Versuch einen „Pro“-russisches-Wikto-Janukowytsch-Politikum in GRÜTZE MIT SAHNE vom Zaun zu brechen), übrigens in dieser Stadt so breit wie manch ein deutscher See, lässt sich das Ausmaß der Verghettosierung erst richtig erahnen. Schauen Sie nach Norden bis zum Horizont und Sie sehen: Plattenbauten. Schauen Sie nach Süden bis zum Horizont und Sie sehen: Plattenbauten. Schauen Sie…
Bis zum Anstoß schlenderte ich über den Gemüse- und Klamottenmarkt und musste feststellen, dass es sich von den Preisen her hier gut leben lassen würde. Zwei Stunden später entdeckte ich dann, dass mein gekauftes Ticket für den Nachtzug nach Kiew für den falschen Tag ausgestellt worden war. Also hieß es nochmals eine Stunde am Fahrkartenschalter warten und das Ticket tauschen.

12.07.2005 Днепр Днепропетровск 1:3 Таврия Симферополь
1. Liga Ukraine – Stadion Meteor

Den Weg aus Simferopol trat leider kein Fan an, dafür formierte sich ein 100 Mann starker Heimfanblock. Dieser machte auch halbwegs Stimmung und durfte dann kurz vor Schluss noch Bekanntschaft mit der Knüppelbrigade der Polizei machen. Dnepro ging als klarer Favorit ins Spiel und verlor zu Recht gegen die zu beneidenden Bewohner der Halbinsel Krim. Diese spielten klugen Konterfußball, wobei besonders das zweite Tor, ein Sololauf über den halben Platz, in Erinnerung bleiben wird. Die Stürmer von Dnepro dürften am Mittwoch Straftraining gehabt haben, denn was die Jungs vorne an Chancen vergaben, war schon nicht mehr feierlich. Das Stadion, ein Allseater wie überall in der 1. ukrainischen Liga, kam für eine riesige Stadt wie Dnepropetrowsk ein wenig klein daher, bot aber eine nett anzusehende Haupttribüne.

Mittwoch früh um 7 Uhr erreichte ich endlich einmal wieder die ukrainische Hauptstadt. Eine Stunde abasseln war angesagt, bevor drei neue Mitfahrer aus dem sächsischen Landeshauptdorf eintreffen würden. Diese werden, um Anonymität zu wahren, im laufenden Text ihrer Größe entsprechend bezeichnet: der Kleine, der Mittlere und der Lange. Da wir am Abend zu Viert in Richtung Republik Moldau starten wollten, kümmerte ich mich zuerst um Tickets für den Nachtzug nach Odessa. Glücklicherweise gab es auf dem Bahnhof von Kiew einen Bildschirm, auf dem alle verfügbaren Tickets für alle Züge anzeigt wurden. Somit ersparte ich mir eine Stunde Anstehen, denn alle vier Züge Richtung Odessa boten dieselbe freie Kapazität – Null. Plan B, mit dem Zug direkt nach Chisinau zu fahren, scheiterte an der Ankunftszeit in der moldauischen Hauptstadt. 20 Minuten nach Beginn der 2. Halbzeit wäre, um den Ground zu kreuzen, ein wenig spät. Plan C sah vor, sich am Busbahnhof umzusehen. Dort fanden sich gleich drei Direktbusse nach Chisinau, jedoch passte die Abfahrtzeit nicht mit dem Abpfiff des Abendspiels in Kiew überein und so hieß es in den sauren Apfel zu beißen und für 70 Griwna (fast doppelt so teuer wie das Vier-Mann-Abteil im Zug) mit dem Bus nach Odessa zu fahren. Die verbleibende Zeit bis zum Anpfiff wurde zuerst in der Innenstadt genutzt um den ukrainischen Gerstensaft zu probieren und anschließend, um das schöne Haupthaar nicht nass werden zu lassen, im Bahnhof Unterschlupf zu suchen.

13.07.2005 Динамо Киев 1:1 Металлург Запорожье
1. Liga Ukraine – Walerij Lobanowskij

Im schmucken Stadion bekamen wir für 15 Griwna auch wieder die Sonne zu Gesicht. Das Bild rundeten um die 100 Fans aus Zaporosch’je ab, die im Gegensatz zum Heimblock wenigstens ab und zu für so etwas wie Stimmung sorgten. Vor dem Spiel gesellte sich noch der sich zu Königsblau Bekennende zu uns und gemeinsam verlaberten wir größtenteils das Spiel. Kiew spielte bis zum Strafraum flüssigen Kombinationsfußball, wollte den Ball aber scheinbar ins Tor tragen. Da Feldspieler den Ball aber nicht tragen dürfen sondern nur Torhüter, diese aber eher selten im gegnerischen Strafraum zu finden sind, verpatzte Dinamo den Saisonstart gründlich.

Nach dem Spiel ging es per Metro zurück zum Hauptbahnhof, wo uns ein luxuriöser Reisebus empfing. Entgegen meiner Behauptung, dass ich in Reisebussen nicht schlafen kann, wurde ich als einziger mit reichlich Schlaf bedacht, während sich die Sachsen „Knocking on heavens door“ auf ukrainisch anguckten. Ein paar Stunden später erwachte ich im schönen Odessa, wobei meine Mitfahrer nun nicht mehr vom „Paris des Ostens“ sprechen wollten. Schnell kauften wir vier Tickets zu je vier Euro für den 6-Uhr-Bus nach Chisinau und endlich konnte die Reise zu einem neuen Länderpunkt losgehen.
Was haben wir am Tag vorher noch geflachst – Transnistrien, illegal, Schmiergeld… Pah, nichts da, immerhin hatte mir eine Dame der moldauischen Botschaft in Berlin gesagt, man könne das Visum für Moldau auch auf der Strecke Odessa-Chisinau kaufen. Als der Busfahrer sich unsere Pässe anguckte und ein mürrisches „hmm, okay“ hervorbrachte, wurden wir leicht nachdenklich, aber was sollte schon passieren?! Immerhin meinte die Dame der moldawischen Botschaft in Berlin… Am Grenzübergang kamen wir dann auch problemlos aus der Ukraine heraus. Auf der anderen Seite guckten wir uns aber fragend an. Ist die moldauische Flagge nicht Blau-Gelb-Rot mit so’ner Art Pleitegeier in der Mitte?! Na ja, die Fahne, die wir hier erblickten war Rot-Grün-Rot – aber vielleicht war sie auch nur ein wenig ausgewaschen. Schließlich kamen die Grenzer und kontrollierten unsere Pässe. Und nahmen sie mit… Der Lange wurde auserwählt mit den Jungs zu verhandeln. Zehn Minuten später stand die Einigung fest: Pro Mann 20 Dollar und schon hatten wir ein Transitvisum. Das war billiger als gedacht und so überlegten wir schon, was mit dem gesparten Geld sinnloses angefangen werden könnte. Die Grenzer lachten, meinten was von „Bender“, gaben uns das Transitvisum – ein Zettel mit Hammer und Sichel drauf – und weiter ging die Reise. Ausgelassene Stimmung im Bus aufgrund der Tatsache, was für Helden wir doch waren. Mir fiel wieder das „Bender“ ein und ich dachte nach – waren sie Fans von Futurama?!
Erster Stopp hinter der Grenze war Tiraspol. Am Bahnhof sichteten wir eine Wechselstube und wunderten uns ein wenig, da wir von einem Kurs von 1 zu 14 ausgegangen waren. Aber was sollten wir machen und so wurden 30 Euro Eins zu Neun getauscht. Und da Benzin 4 Lei kostete, musste der Kurs ja stimmen. Tiraspol sah so aus, wie es sich für eine Stadt im ärmsten Land Europas gehört. Plötzlich erschien am Horizont eine neue Stadt und am Eingangsportal prangerten ein paar kyrillische Buchstaben – kurz übersetzt – Bendery. In diesem Moment, als ich kapierte, dass wir noch gar nicht in Moldawien sondern erst in der abtrünnigen Teilrepublik Transnistrien waren und uns für zwanzig Euro lediglich ein Transnistrien-Visum gekauft hatten, sahen wir auch schon an der Hauptstraße eine Militärsperre inklusive Panzer. Et voilà, nun hatten wir ein Problem, denn diese Route wird für westliche Europäer ohne Visum nicht gerade empfohlen.
Am Busbahnhof von Bendery stellten sich dann die Ärmsten der Armen im Bus vor und erbettelten sich Geld. Wenn ein 40jähriger Mann ohne Beine auf Krücken seine Tochter im Bus rumgehen lässt um Geld zu sammeln, merkt man erst, dass wir mächtig Glück hatten, in unserem „Sozialstaat“ zur Welt gekommen zu sein. Pünktlich ging die Fahrt dann weiter und wir standen vor der Transnistrien – Moldau Grenze. Bei der Ausreise wurde uns das Transitvisum wieder abgenommen, die Grenzer hatten sicherlich Angst, dass wir zu schwer zu tragen haben. Nächster Halt war die moldauische Grenze. Ein älterer, dem Idealbild des korrupten kommunistischen Grenzers entsprechender Mann betrat den Bus und machte die Passkontrolle. Die Passagiere vor uns hatten natürlich keine Probleme, da sie alle Moldauer waren. Dann kam er zu mir, guckte sich den deutschen Pass an, fand kein Visum, meckerte aber auch nicht sondern gab ihn mir zurück. Puh, Schwein gehabt. Beim Anblick dreier weiterer deutscher Pässe ohne Visum jedoch verwandelten sich seine Pupillen in Dollarzeichen. Die Sachsen machten kurzen Prozess und bestimmten diesmal den Multilinguisten pommerscher Herkunft zum Verhandlungsführer. So folgte ich dem Soldaten in seine Grenzbaracke und los ging es. Er wollte mir erzählen, dass ohne Visum hier nichts geht und wir zurück sollten. Ich meinte daraufhin, wir wollen nur zum Fußball und dann gleich wieder zurück ins gesegnete Land, die Ukraine. Daraufhin malte er mir eine schmucke „100″ gefolgt von einem Dollarzeichen auf einen Zettel. Ich fragte nach einem Schriftstück oder wenigstens einem Stempel in den Pass, um die Einreise belegen zu können – Njet.
„Your risk, kontrola ulica (-> Handschellenzeichen)“. Na ja egal, wenn wir schon mal hier sind, wird’s auch gemacht. So ging ich zurück zum Bus und berichtete meinen Mitfahrern was ich „erhandelt hatte“ und erklärte dem Busfahrer, der wie die Passagiere schon seit über zehn Minuten auf uns wartete, er könne schon ohne uns weiter reisen – wir kommen irgendwie nach Chisinau. Da der Steuermann unseres Vehikels aber ein Guter war, ging er mit zum Grenzer, meinte nur „Dawei, dawei!“ woraufhin der Grenzer die Forderung auf 50 Dollar für uns alle Vier herunterschraubte. Gebongt! Nun hatten wir zwar nicht einmal einen Kassenbon, aber die Reise konnte weitergehen. Im Bus wurden wir mit Applaus bedacht und über die Grenzer nur der Kopf geschüttelt. Nun waren wir in der Republik Moldau – zwar illegal – aber wir waren da!
In Chisinau angekommen wunderten wir uns erst einmal über die Benzinpreise, die hier knapp 8 Lei betrugen. Als wir die ersten Wechselstuben sichteten war klar, dass die Jungs in Transnistrien einen anderen Wechselkurs haben und somit unser Geld bei weitem nicht mehr soviel wert war. Der erste Schritt im neuen Land sollte zur deutschen Botschaft führen, um zu checken, ob wir nicht irgendwie ein Visum nachbeantragen könnten. Die Vorstellung bei einer Personenkontrolle wegen fehlender Aufenthaltsgenehmigung in einen moldauischen Kerker zu wandern war nicht gerade aufbauend. Mit dem Taxi fuhren wir zur Botschaft und erklärten der netten Dame unser Problem. Sie wollte daraufhin unsere Pässe kopieren und dann mit den moldauischen Behörden das weitere Vorgehen besprechen. Alle zückten ihren Pass, bis auf den Langen, der suchte und suchte um schließlich festzustellen, dass der Pass weg war. Da ich mich in solchen Angelegenheiten auskenne, begab ich mich mit ihm auf die Suche zurück zum Busbahnhof. Ich zitiere: „So ein Scheiß und das wegen Fußball, ich fahre nie wieder hoppen!“ Am Busbahnhof fanden wir dann unseren Bus wieder und siehe da, ein Mitarbeiter wedelt in der einen Hand mit dem Pass und mit der anderen machte er das „Zahlen“-Zeichen. Überglücklich und 10 Dollar ärmer meint der Lange: „Geil, jetzt schön den Länderpunkt machen.“ Auf dem Weg zurück zur Botschaft investierten wir sieben Euro in vier Pizzas. Dort angekommen hatten die beiden anderen schon neue Infos für uns. Mit 60 Dollar sollten wir uns auf den Weg zum Einwohnermeldeamt machen und dort versuchen ein Tagesvisum zu bekommen. Nix mit Stadtbesichtigung – Behördengang war angesagt! Im Amt wurde uns mitgeteilt, dass die Behörde, die wir suchten umgezogen sei. Also ging’s wieder ins Taxi. Diesmal waren wir richtig, aber die Infos, die uns der Beamte gab, schockierten einen Teil der Reisegruppe. Für ein Visum müssten wir zum Gericht, was mindestens zwei Tage dauern würde. Am besten wäre, wir würden wieder illegal das Land in Richtung Odessa verlassen. Na wenn das ein Beamter sagt… Auf die Frage, was passiert wenn wir in eine Personenkontrollen auf der Straße geraten, meinte er etwas von Pech gehabt und Gefängnis – das klang doch endlich mal wieder nach Abenteuer.
So schlossen wir unser Gepäck weg, kauften für mein, nicht der moldauischen Norm entsprechenden Haar eine Mütze und gammelten zwei Stunden in einem Café ab. Anschließend flanierten wir noch kurz über die Hauptstraße, um Anschluss zum weltweiten Datennetz zu finden und wichen dabei jedem Polizisten aus – so fühlt man sich also als gesuchter Verbrecher… Eine Stunde vor Kick off ging es dann mit mulmigen Gefühl zum Stadion, denn wo findet man in Osteuropa wohl die meisten Polizisten und Milizen..?

14.07.2005 Отачь Нистру 3:1 Хазар Ленкоран
1. Quali-Runde UEFA-Cup – Respublikanskij-Stadion

Ohne viel zu kommunizieren versteckten wir uns in der Masse und schauten nicht schlecht als es sich auf der Gegenseite 50 Mann aus Aserbaidschan bequem machten, inklusive Blockfahne, drei Banner und vielen kleinen Fähnchen – Respekt. Die Jungs machten dann auch das ganze Spiel über Stimmung, konnten die Niederlage ihrer Helden aber nicht verhindern. Das Spiel war auf gar keinem schlechten Niveau und es gab Chancen, wie man so schön sagt, hüben wie drüben. Am Ende setzten sich dann die clevereren Gastgeber durch.

Nach dem Spiel ging es flotten Schrittes zum Busbahnhof, wo erst einmal das restliche Geld in Bier und Erdnüsse getauscht wurde. Vor der Abreise erklärten wir dem Busfahrer, dass es bei der Ausreise möglicherweise ein paar Probleme geben könnte, da wir keine Visa hatten, was ihn aber nicht weiter störte. So laberten wir in bierseliger Stimmung, bis ein Fahrgast auf uns zu kam und fragte ob wir Deutsche seien. Darf ich vorstellen – Rettung Nummer Zwei.
Unser neuer Freund, dessen Name, wie man an der Betitelung eben jener Person erkennen kann, ich vergessen habe, war Jongleur und arbeitete unter anderem ein paar Jahre für den Zirkus Probst in Deutschland. Im Herbst wollte er für ein Jahr nach Taiwan gehen und auch sonst war er schon gut rumgekommen. So erfuhren wir nicht nur interessante Infos über Moldau/Transnistrien, sondern hatten auch einen kompetenten Berater und Dolmetscher für unser Grenzproblemchen. Und so konnte die Aktion „Illegal wieder raus“ beginnen. An Grenze Nummer Eins, der moldauischen, gab es die übliche Kontrolle und die dazugehörende Frage, wo denn unser Visum sei. Diesmal durfte der Mittlere mit Verstärkung durch unseren Dolmetscher verhandeln. 20 Minuten später durften wir für insgesamt 20 Dollar das Land verlassen. An der Grenze nach Transnistrien das gleiche Problem. Hier sollte wieder einmal das gute Transitvisum Abhilfe schaffen und siehe da, durch unseren Dolmetscher bekamen wir den wahren Preis zu Gesicht – ein Dollar. In Bendery verließ unser Dolmetscher uns leider, aber wir hatten ja nur noch eine Korruptionsgrenze vor uns, die uns raus aus Transnistrien, rein in einen sicheren Rechtsstaat, in die Ukraine bringen sollte. Hier angekommen hieß es für uns Vier wieder einmal aussteigen und warten. Der Grenzer fragte nach unserem Visum, wir zeigten ihm das Transitvisum. Er nahm es und fragte, wie wir heute morgen ins Land gekommen seien und bekam plötzlich einen freudigen Gesichtsausdruck, als er hörte, dass wir am Morgen an genau dieser Grenze 20 Dollar dafür abgedrückt hatten. Sein Händchen ging auf und er stand mit erwartungsfroher Miene vor uns. Alles Fluchen half nichts, jeder gab ihm 20 Dollar, womit er die transnistrische Wirtschaft am nächsten Tag auf einen Schlag um 50 Prozent angekurbelt haben dürfte.
Nun gab es unsererseits „Winke, winke“ und raus waren wir aus diesem herrlichen Landstrich. Hinter der ukrainischen Grenze trennte sich unsere Reisegruppe, da die Sachsen am Grenzbahnhof den Zug Richtung Slowakei bekommen wollten. Um vier Uhr am nächsten Morgen weckte mich der nette Busfahrer, da Odessa Awtobuswokzal erreicht war. Mein Körper war natürlich noch immer schlafbegierig und so checkte ich schnell im Hotel „Zur überdachten Parkbank“ ein. Nachdem drei Stunden später die Geschäftstüchtigkeit auf den Straßen von Odessa zunahm, beschloss ich den Bahnhof aufzusuchen, um bei einer Oma ein Zimmerchen für die nächste Nacht zu buchen. Für zwölf Dollar gab es ein kuscheliges Bett in einem nach Antiquariat anmutenden Zimmer, genau in der Mitte zwischen Bahnhof und dem Tscherno More. Als ich etwas Schlaf nachgeholt hatte, bimmelte auch schon das Handy; die Sachsen konnten nicht von mir lassen und waren auch wieder in Odessa. Ihr Zug war ohne sie losgefahren, weshalb sie die Nacht aus Angst vor freilaufenden Straßenkötern auf dem Grenzbahnhof verbracht hatten. So ging es nochmals zu Viert, um den bei den vorherrschenden Temperaturen schnell aufkommenden Körpergeruch zu bekämpfen, nochmals zu Viert zum Strand, bevor sich die Jungs, diesmal entgültig, von mir verabschiedeten. Auf dem Weg Richtung City machte ich noch einen kurzen Abstecher zum SCA-Stadion, denn hin und wieder gibt es ja diese Zufälle…

15.07.2005 Поpтo-Фpaнко Одесса 2:7 Ришeнй Одесса
Altherren-Liga Oblast Odessa – SCA-Stadion

Da saß ich nun mit 27 anderen Zuschauern bei einem „Veteran-Liga“-Spiel in Odessa. Machen wir es kurz: Das Stadion war erste Sahne und das Spiel – siehe Ansetzung.

Am nächsten Morgen kaufte ein Ticket für knappe 20 Euro nach Gomel/Belarus. Bis zur Abfahrt des Zuges blieb mir noch ein wenig Zeit, um Abschied von der Ukraine zu nehmen und abzugammeln. Nachdem auch diese Mission erfolgreich beendet werden konnte, hieß es für die nächsten 16 Stunden nur nicht all zu doll beim Daliegen zu schwitzen.
Dass Belarus auch nicht mehr das ist, was es einmal war, zeigte sich an der Grenze. Kamen beim letztmaligen Besuch die Grenzer noch mit Maschinenpistole bewaffnet und unfreundlich, wie ich es in einem diktatorischen Staat erwarte, herein und forderten mich auf, alle Devisen, die ich dabei hatte zu deklarieren, gab es diesmal einfach nur den Stempel ins Visum – da kann ich ja gleich nach Belgien fahren… Gomel und der ganze Belarus feierten dieses Jahr „60 Jahre Befreiung vom Faschismus“. Bei der Plakatgestaltung für diese Feierlichkeiten könnten sich selbst heimische Marketingexperten noch ne Scheibe abschneiden. Dank dieser Jubelfeiern gab es um 7 Uhr morgens nirgends eine offene Wechselstube, so dass ich mich ins nahgelegene Lokomotiw-Stadion zum „Corny“-Aldi-Imitat-„Gletscherkrone“-Frühstück begab. Plötzlich vernahmen meine beiden akustischen Empfangsstationen Männergebrüll – ein Fußballspiel war gerade im Gange. Beim Anblick der Darbietungen zeriss es mich innerlich – einerseits waren die Jungs zurück zu den „Roots“ gegangen, sie spielten ohne Schiedsrichter, in T-Shirts, wobei sich eine Mannschaft nicht auf eine Farbe festlegen konnte oder wollte, und ohne Anerkennung der Existenzberechtigung einer Auslinie – andererseits kann man einen Ground so schlecht zählen. So gab es nur Frühstück und Groundspotting. Mit gesteigerten Eiweiß- und Kohlehydratwerten ging ich Geld tauschen und besorgte ein Ticket fürs Abendspiel. Hier kam es wieder mal zum Konflikt zwischen Engel links – Teufel rechts. Rechts: „Nimm die dir Haupttribüne, wie der reiche Weißrusse vor dir auch, kannst Du mir erklären wozu man Fankurven braucht?“ „Halt!“ schreit der Engel von der Linken, „weißt du nicht, dass so was scheiße ist und Haupttribünen stinken!?“ Dank dem guten Engel sparte ich so 1500 Rubel (60 Cent) und ging anschließend zurück zum Bahnhof, wo Kollege Linke in Empfang genommen wurde.
Da mein Magen wieder auf sein Recht der Nahrungszufuhr bestand, gingen wir in den Stadtpark, um eben jenem Bedürfnis nachzukommen. Sogleich wurde ein leckerer Broiler gesichtet und geordert. Erste Bedenken, dass der halbe Hahn doch eine recht blasse Hautfarbe besaß und ziemlich unterkühlt war, wurden vom Hungergefühl in eine Vision eines dampfenden und braunen Hähnchens umgewandelt. Aber drei Bissen später erkannte der Gaumen Geschmacksverwandtschaften mit einem Fisch und der Kopf erinnerte sich an die räumliche Nähe (100 Kilometer) zu Tschernobyl. Ob das angebliche Hähnchen eine „Cäsium-137/Huhn-Fisch“-Mutation war wurde dann aber nicht mehr geklärt, da wir auf Schaschlik umstiegen und den bleichen, leblosen Körper seinem Schicksal überließen. Nach einem längeren Verdauungsspaziergang konnten wir dann endlich auch diesen Tag mit Sinn erfüllen, denn der Kick-off stand kurz bevor.

17.07.2005 ФK Гомель 0:3 Шахтер Солигорск
1. Liga Belarus – Zentral’nyj-Stadion

Nachdem Gomel vor Jahren im UEFA-Cup gegen Schalke aufgrund der Nichttauglichkeit, was immer das heißen mag, ihres Stadions „Luch“ nach Minsk ausweichen musste, gehört dieses erzwungene Groundsharing der Vergangenheit an. Ein nigelnagelneuer „Allseater“ steht im Zentrum von Gomel und hofft darauf, endlich mal 11.000 Zuschauer zu beherbergen. Dies wird in einem Ligaspiel wohl vorerst nicht passieren, wollten doch nur knappe 6000 Leute den Spitzenreiter sehen. Soligorsk dominierte die Partie ohne sich groß anstrengen zu müssen und kam nur kurz nach der Halbzeit etwas in Bedrängnis. Sah sehr souverän aus, was sie dem heimischen Volk und ihren eigenen 50 mitgereisten Sympathisanten boten. Diese machten für Ostblockverhältnisse auch ziemlich viel Stimmung fernab der Lungen-füllen-Tröten-mit-Luft-welche-dann-Geräusche-hervorbringen-Methodik. Nach dem 3:0 gab es sogar einen kleinen Platzsturm, der für manch einen der Soligorsker jedoch mit einer blutenden Wunde endete. Der Heimblock, der wohl eine Freundschaft zu den Gästen pflegte, füllte sich erst zur zweiten Halbzeit als der Eintritt günstiger wurde.

Nach dem Spiel machten wir noch kurz Halt im Supermarkt und gingen dann schnellen Schrittes zum Bahnhof. Unterwegs erzählte 96Linke lustige Geschichten über Schließfächer in Prag, die nicht mehr aufgingen. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr, noch zehn Minuten bis zur Abfahrt, kaufte ich mir noch einen Hotdog, der mich sympathisch anlächelte und wir gingen zu unseren Schließfächern. Dort gaben wir den Code ein und warteten auf die nachgebende Schließvorrichtung der Tür. Ach ja, man brauchte ja eine zweite Kopeke damit die Tür wieder aufgeht. Also machten wir einer Lady im verführerischen, dunklen Kittel klar, was unser Problem sei. Sie wollte den Bon, den man beim Kauf bekommt. Kein Problem. Eine Minute Suchen später war es dann aber ein Problem. Mit Deuten auf die Uhr und energischer Stimme bat ich nun höflichst darum, doch so eine Kopeke zu bekommen. Da auch hier der Kunde König war, dauerte es nur zwei Minuten und ich konnte eine Kopeke mein Eigen nennen. Es ging zurück zum Schließfach und ich warf die Kopeke ein, so dass dem Öffnen nichts mehr im Weg stehen sollte. Aber Stopp, die Theorie stimmte mit der Praxis schon beim Einwerfen nicht mehr überein, denn sie steckte fest, die verfluchte Kopeke. 96Linke rannte wieder zur Lady und machte ihr schreiend klar, dass wir nur noch vier Minuten Zeit hätten und sie den Kasten aufbrechen solle. Hier konnte man nun die Verwandtschaft der deutschen Fluchsprache, aggressiv vorgetragen, mit der russischen Sprache bemerken, denn sie verstand die Komplexität des Problems und kam endlich aus ihrem Kämmerlein. Der Uhrzeiger gab uns noch zwei Minuten, so dass der Sportsfreund aus Pattensen zum Bahnsteig eilte, um die Abfahrt des Zuges zu verzögern. Endlich kam ein Polizist und kontrollierte meinen Pass, woraufhin er nickte, was für die Lady Startsignal war, den Kasten zu öffnen. Nun aber schnell – Rucksack umgeworfen, Trinkflasche in die Hand und schon war ich sportlichen Schrittes unterwegs. Anlaufpunkt Nummer eins war das Bahngleis 2, immerhin fuhren alle „großen“ Züge von diesem Bahnsteig ab. Hier stand auch ein Zug dessen Destination aber nicht mit der von mir erwünschten übereinkam, also ab zu Gleis 3. Hier war komplette Leere geboten, so dass ich mich bückte und unter dem Zug auf Bahnsteig 2 guckte. Und schau an, da stand noch ein Zug, der sich gerade gemächlich davon bewegt.
Es folgten Schimpfwörter in allen Sprachen, die mir in diesem Moment einfielen, aber das reichte nicht, es war noch eine Menge negativer Energie in meinen Körper vorhanden. Doch wohin damit? Da war das Opfer – der Hotdog. Einmal reingebissen und dann weggeschmissen – ha, dir hab ich’s gezeigt! Leicht verstört guckend ging es zurück in den Bahnhof, denn immerhin musste ich aufgrund der Gültigkeit des Visums, das Land morgen wieder verlassen. Der 23.48 Uhr Nachtzug aus Wolgograd nach Brest war heute morgen schon ausverkauft gewesen, aber wer weiß, mit dem richtigen Hundeblick… Da mein Realitätssinn aber noch funktionierte, war klar, dass das alleine nicht reichen würde und so setzte ich den Kompetenzblick auf und hielt nach einer Art Dolmetscher Ausschau. Ich sprach die Erstbeste an und landete gleich einen Treffer. Ksenia besprach mit der Schalterdame das Problem und für 5000 Rubel Umtauschgebühr bekam ich den letzten Platz im Großraumschlafwagen nach Brest – Glück gehabt. Nun stellte sich nur noch die Frage: Was tun bis zur Abfahrt?! So ging ich erst einmal mit Ksenia mit, die ihre Schwester vor dem Bahnhof treffen wollte. Ihr wurde nun mein Missgeschick berichtet, woraufhin sie zu folgendem Schluss kam: „So you go something drink with us“. Na ja, klingt gut; also wollte ich noch schnell Geld aus dem Automaten ziehen. Aber Weronika bestand darauf, dass sie bezahlt; da half selbst mein Argument „I am the german, so I have to pay“ nicht.
Die nächste Bar wurde angesteuert und bei drei leckeren Bierchen ein wenig Informationsbeschaffung betrieben. Die Mutter der beiden Schwestern war bei ihrer Geburt nicht etwa ein Fan von Fantasiebüchern gewesen, sondern sie wollte ihnen keine russischen Standardnamen wie Tamara oder Olga geben. Da Weronika in Minsk für eine Zeitung arbeitete und der Staat nicht gerade demokratisch eingestuft wird, wollte ich mal wissen, wie viele Zeitungen bzw. Zeitschriften unabhängig berichten dürfen. Also wer nach Belarus reist und sich dort aus dem Angebot der 160 verschiedenen Zeitungen/Zeitschriften politisch informieren will, sollte zur Metropolitan oder Elle greifen. Jetzt braucht man sich wenigstens nicht mehr wundern, wenn man oppositionelle Politiker in Belarus mit einer Frauenzeitschrift unterm Arm sieht. Paradoxer Weise war zwei Stunden später meine Birne heller aber auch dunkelrot. So brachten mich Ksenia und Weronika noch zum Zug und wir tauschten unsere Email-Adressen, Bussis und ein Spektakel der Winkereien aus. Getreu dem Motto: „In Klamotten schläft es sich am besten“ machte ich mich lang, um zehn Stunden später festzustellen, dass dies wohl nur zutrifft, wenn Klamotten frisch angezogen wurden und nicht eine Art neue farbige Haut bilden.
Nachdem ich drei Stunden durch Brest irrte, fand ich schließlich auch 96Linke wieder und so ging es gemeinsam zum Stadion Stroitel, um zu schauen, ob dort wirklich am Montag ein Reservespiel stattfand. Fünf Finger des Platzwartes bedeuteten 17 Uhr und so freuten wir uns kurz und machten uns wieder auf Richtung Innenstadt zum Geldtauschen und zur Nahrungsaufnahme. Wie sehnlichst wünschte ich mir ein ganz normales deutsches Imbissbudenessen: Broiler mit Pommes und dazu Mayonnaise, viel Mayonnaise – zu weißrussischen Preisen versteht sich. Das kulinarische Angebot in Weißrussland ist doch eher beschränkt. Hotdog, Pizza aus der Mikrowelle und Sachen die ich lesen – aber nicht verstehen konnte – waren das Angebot, was aber einen wahren Feinschmecker wie mich jedoch bereits nach einem Tag langweilte. So wechselte ich den letzten großen Rubelschein in Zloty um Geld für den nächtlichen Zug zu haben. Anschließend ging es wieder auf die Straße zu einem „Grill“, den ich am Vormittag gesehen hatte. Ein Paradies – mehr möchte ich nicht sagen. Warmer brauner Broiler, leckere Kartoffelspalten und Mayonnaise, viel Mayonnaise für lächerliche 5200 Rubel. Nach 10minütigem Zählen meiner verbleibenden 100 und 50 Rubelnoten bekam die nette Frau zirka ein Kilogramm Papiergeld rübergeschoben. Gut gestärkt und zu blank um das 15 Cent Busticket zu bezahlen, ging es schwarzfahrenderweise zum letzten Kick der Tour.

18.07.2005 Динамо Брест Дублеры 2:2 БАТЭ Борисов Дублеры
1. Reserve-/Jugendliga Belarus – Stadion Stroitel

In Österreich hat man Berge im Stadionhintergrund, in Island manchmal den Atlantik und in Belarus imposante zwölfstöckige Wohnhäuser – hat was. Das Stadion besitzt zwei Tribünen mit an die zehn Stufen, der Rest ist unbebaut. Das Spiel war in der 1. Halbzeit noch richtig grotte, steigerte sich aber in Halbzeit Zwei. In der Schlussminute konnte Dinamo den umjubelten Ausgleich erzielen.

Nach dem Spiel verabschiedete ich mich noch im Bus von 96Linke, der noch ein bisschen in Belarus verweilen wollte und stieg am Bahnhof aus. Der Zug nach Terespol stand schon am Gleis, doch wie sollte ich dahinkommen? Überall waren Grenzer, die an den Enden der Gleise wachten; also musste ich wohl durch den Bahnhof dort hingelangen. Es begann eine kleine Odyssee, die zehn Minuten vor Abfahrt beendet war. Hinter einer winzigen Tür verbarg sich eine hochmoderne Zollstation und ein Duty-free-Shop. Dort ließ ich mein Gepäck durchleuchten und ging weiter zum Mann mit dem Stempel. Dieser schaute sich mein Visum an und meinte etwas in seiner Muttersprache zu mir. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich nichts verstehe, woraufhin er einen kleinen Zettel zeigte, den ich ihm geben sollte. Cool, hatte ich nie bekommen… Auch nach zehnmaligem Zeigen des Einreisebelegs konnte ich nur mit einem Kopfschütteln antworten und deutete auf den Zug. Er sollte doch bloß Stempeln und mich raus lassen. Nun kam sein Kollege und meinte, ich solle zwei Dollar zahlen und dann könnte ich gehen. Hatten wir das nicht schon mal? Da ich nur noch drei 20 Zloty-Scheine und 5,20 Euro in Münzen besaß, gab ich ihm schweren Herzens einen 20 Zloty-Schein, wofür ich im Gegenzug meinen Stempel bekam. Endlich konnte ich den Zug besteigen, der aufgrund der erhöhten illegalen Ausfuhr von Wodka von den Grenzer „nackig“ gemacht worden war – die komplette Innenverkleidung war abmontiert – und zusehen, wie pünktlich nach der Abfahrt viele Reisende mit vollen Taschen Richtung Klo rannten und mit leeren wiederkamen.
Kurz vor Ankunft in Terespol ging ich nach vorne, um die Passkontrolle schnell hinter mich zu bringen, denn der Nachtzug nach Szczecin fuhr sieben Minuten nach meiner Ankunft ab. Also zeigte ich meinen Pass und rannte zur Kasse im Bahnhof. Als Antwort auf die Frage, wie teuer ein Ticket nach Szczecin sei, bekam ich 61 Zloty zu hören – Kurwa! Weder mit EC- noch Kreditkarte konnte ich zahlen und einen Bankautomaten gab es auch nicht. Also hoffte ich das Beste und stieg fahrkartenlos in den Zug. Kurz nach Abfahrt des Zuges kam auch schon der freundliche PKP-Schaffner. Ich fragte ihn nach dem Preis nach Szczecin und er meinte 61 Zloty plus 5 Zloty Gebühr. Ich legte ihm 40 Zloty hin und fragte, ob ich den Rest in Euro-Münzen zahlen könne. Na ja, eigentlich nicht, aber ausnahmsweise… Nun hatte er knapp 60 Zloty, fehlten nur noch 6. Ich zeigte ihm einen Fotofilm, den er aber ablehnte – er war wohl kein Hobbyfotograf. Ich wühlte und wühlte auf der Suche nach etwas Brauchbarem und holte meine moldauischen und ukrainischen Geldscheine im Wert von vielleicht 20 Cent hervor. Seine Augen wurden größer, er deutete auf sich und meinte „Collector“. Na dann, viel Spaß damit und Gute Nacht!

08.01.2006 FSV Treuen 0:9 VFC Plauen
Freundschaftsspiel – Fr.-Ludwig-Jahn-Stadion

„Hölle? Hölle, Hölle!“ – wie der bekannte deutsche Liedermacher und Komponist Wolfgang Petry in seinem Werk „Wahnsinn“ sang, so war es an diesem Tag. Nach einer zermürbenden Überredungstaktik des Chemnitzer Fußballehepaars Penis und Erik war ich bereit, mich auf diesen Trip ins Ungewisse zu begeben. Vierter Mann bei diesem Ausflug ins verschneite Vogtland war Scharfi und so erreichten wir ereignislos Auerbach. Zu dumm/doof/faul den Triebwagen zu wechseln merkten wir unseren Fauxpas erst in der tiefsten Pampa. Zu geizig/pleite/ideell ein Taxi zu ordern starteten wir einen erfrischenden, zehn Kilometer langen Sparziergang. Ein mobiles Gefährt mit vier jungen Vogtländerinnen hielt meinen Daumen sogar für anhaltewürdig, aber da nur ein Platz frei war und ich ja kein egoistisches Schwein bin (Obwohl…) stampften wir weiter mit den Chemnitzer WM-Botschaftern über die verschneite Kreisstraße, ließen uns anhupen, auslachen und mit Dreck bespritzen. Die Idee, dass der Herr Ober-L auch Langweile haben könnte und sich auch diesen Kick als Überbrückung der Zeit zwischen Aufstehen und Schlafengehen ausgesucht haben könnte, erschien eher wie eine durch Kälte und zu viel frische Luft hervorgerufenen Phantasie. Mit dem vermeintlichen Abpfiff zum Pausentee erreichten wir das monumentale Eingangsportal des Stadions und durften zum einen Eintritt löhnen, da das Spiel später angepfiffen werden sollte, und zum anderen Herrn Ober-L sehen. Wieso nutzen wir nicht die modernen Kommunikationsmöglichkeiten, die uns findige Marketingfüchse als so selbstverständlich vermitteln wollen? Wir sind doch die Zielgruppe?! Oder wollten wir unbewusst diese Bekanntschaft mit dem sich wie eine Schlange durch das Vogtland windende asphaltierten Stück Natur machen? „The answer is blowing in the wind.“

Nichts ist so alt, wie die Planung von gestern

Perfekt – die Vögel zwitschern, der Schnee türmt sich auf den Wegen und der Wecker zeigt Montag, den 20. März 2006, 4 Uhr an. Kurzes Wischi-Waschi und liebevoll meinen Reisepartner, der knappe 20 Kilogramm auf die Waage brachte, geschultert. Mit dem ersten Bus ging’s zum städtischen Hauptbahnhof und los konnte die Reise gehen – via Dresden und Praha nach Ostrava.
Ursprünglich wollte ich zu dieser Zeit eigentlich schon im Zug nach Katowice oder im Auto aus Rumänien kommend sitzen, denn Plan A sah ursprünglich vor, schon am Freitag in Rumänien zu sein, um dort bis Sonntag ein paar Spielchen zu schauen. Das Wetter ließ die Rumänen aber den Spieltag verschieben, weshalb Plan B entwickelt wurde: Am Freitag nach Lodz, am Samstag den polnischen Kohlenpott bewundern und am Sonntag dann das tiefste Ostpolen besuchen. Klarer Fall von „Denkste“ da die Polen aufgrund des weißen Hopperalbtraums auch nicht spielen wollten. Nun ja, dann eben Plan C! Dieser sah wie folgt aus: Chemnitz – Ostrava – Kielce – L’wow – Kiew – Chmelnizkij – Kirowograd – Charkow –Shitomir – Nitra – Iwano Frankowsk – Winnizja – Tschernowzy – Ushgorod – Chemnitz. Da aber täglich das Planungstier grüßt, bescherte mir die UEFA-Cup Auslosung drei Tage vor Tourstart Plan D; Rapid Bucuresti kontra Steaua Bucuresti wollte und konnte ich mir nicht entgehen lassen und da Sofia am Sonntag noch das ZSKA-kontra-Levski-Derby bot, wurde kurzerhand Plan D entworfen: Chemnitz – Ostrava – Kielce – L’wow – Kiew – Chmelnizkij – Kirowograd – Charkow – Shitomir – Nitra – Budapest – Bucuresti – Baia Mare – Bucuresti – Sofia – Chemnitz. So sollte es sein! Also Augen zu und kurz vor Ostrava wieder erwacht.
Der Zug hatte 20 Minuten Verspätung, so dass der vereinbarte Termin mit Linke nicht mehr zu schaffen war. Aber wozu gibt es Handys?! Nachdem ich schnell ’nen Text getippt hatte, merkte ich, dass Linkes Nummer gar nicht mehr in meinem Telefonbuch stand. So ging es also laufenderweise in die Innenstadt und von dort mit dem Bus den Berg hinauf. Orientierungsschwächen sollten beim dritten Besuch von Banik eigentlich nicht mehr vorhanden sein…
Vor dem Stadion konnte ich Linke dann doch noch abfangen und – wie klein die Welt doch ist – auch der Budapester lächelte mich von der Tribüne aus an – oder war es sein Bier?!

20.03.2006 Banik Ostrava 0:2 Sparta Praha
1. Liga Tschechien – Stadion Bazaly

Aufgrund der Kälte wurde das Spiel stehend von der Gegengeraden verfolgt. Banik mit ner Choreo zu Beginn, die ich aber wegen meines Standortes nicht sehen konnte. Sparta reiste mit ungefähr 40 Mann an, welche die ganze Zeit auch ganz gut abfeierten, eine kleine Choreo und ein bisschen Pyro boten. Von Ostrava war es stimmungsmäßig aber ganz mau; da hatte ich diese in der Vergangenheit schon wesentlich besser gesehen. Wenigstens gab es noch Vorführungen tschechischer Pyro-Kunst zu bestaunen, so dass der Besuch nicht ganz umsonst war.

Nach dem Spiel gab’s noch schnell ein Bierchen mit dem Budapester und anschließend ging es mit Linke zur Nahrungsaufnahme in die Innenstadt. Da ich die Lokalität wählen durfte, entschieden wir uns für einen 5-Sterne-Imbiss, den ich bei meinem letzten Besuch entdeckt hatte. Von dort ging es noch in eine Kneipe und danach wieder zurück zum Bahnhof. Linke verabschiedete sich Richtung Deutschland und für mich galt es, gepflegt bis 2 Uhr morgens abzuasseln. Der Fernsehraum bot bis Mitternacht Wärme und Unterhaltung, aber dann hieß es, für den Rest der Zeit mit den Metallstühlen Vorlieb zu nehmen. Nachdem ich endlich einen schlafähnlichen Zustand erreichte fuhr auch schon der Zug ein; also nichts wie rein. Glücklicherweise war nicht Sommer, obwohl die Temperaturen dann natürlich weitaus angenehmer gewesen wären, so dass der Praha-Waszawa-Zug nicht von amerikanischen und japanischen Interrailern belagert war. Eigentlich wollte ich nur bis Zebrzydowice fahren, dort ein wenig abasseln und anschließend weiter nach Kielce, aber ein Blick aus dem beheizten Abteil in die unbeheizte polnische Winterlandschaft ließ mich schnell einen neuen Plan entwickeln: Vielleicht hatte ich ja Glück und schaffte es ohne Kontrolle bis Katowice… 15 Minuten vor Katowice betrat dann aber der PKP-Kontrolleur das Abteil. Ich schaute ein wenig verschlafend, drückte ihm das Ticket Ostrava-Zebrydowice in die Hand und guckte dann völlig aufgelöst als er mir erklärte, dass ich zu weit gefahren war – die Ausrede zog aber leider nicht ganz – 17 Zloty waren fällig. Da ich diese natürlich nicht besaß, musste er mit tschechischen Kronen vorlieb nehmen…
Da war ich also mal wieder – es war viel Zeit vergangen seit meinem letzten Besuch – verändert hatte sich aber nichts: Katowice Glowny. Augen zu, den süßlichen Gestank der Penner inhalieren und wissen, man ist wieder hier. Die Zeit bis zur Weiterfahrt schlug ich im Internet tot, bis es schließlich mit dem Nahverkehrzug nach Kielce weiter ging; Schlafdefizit beseitigen inklusive. Nach der Ankunft gab ich meinen Rucksack bei der Gepäckabgabe im Imbiss ab und erkundete die Innenstadt. Die haute mich aber nicht so vom Hocker – da gibt’s in Ostpolen durchaus schönere.

21.03.2006 Korona Kielce 0:0 Zaglebie Lubin
Halbfinale Polnischer Pokal – Stadion na Szczepanianka

Nachdem ich unverschämte 25 Zloty für den Eintritt löhnen musste, ging es hinters Tor, da hier noch die meisten wärmenden Sonnenstrahlen zu erwarten waren. Kielce bot zum letzten Spiel im alten Stadion eine kleine schicke Choreo, dazu ein paar Bengalen – alles in allem schön anzuschauen. Der Support war in der ersten Hälfte teilweise sehr gut, was die Spieler auf dem Platz aber nicht beflügelte. Lubin enterte zur 30. Minute den Gästeblock und verzierte ihn mit ein paar ansehnlichen Zaunfahnen. Unterstützt wurden sie von Ruch Chorzow – diese Verbindung kannte selbst ich noch nicht. Sangestechnisch war aber außer „Zaglebie“ oder dem lang gezogenen „Ruch“ nichts zu vernehmen. Auf dem Platz spielten sich gruselige Szenen ab, aber daran konnte ich mich mit Hinblick auf die noch kommende Spiele ja schon mal gewöhnen. Lubin brachte das 0:0 über die Zeit und zog so nach dem 2:0 im Hinspiel ins Pokalfinale ein.

Nach dem Spiel ging ich schleunigst – getrieben von der eisigen Kälte – zurück zum Bahnhof, wo knappe drei Stunden Wartezeit anstanden – herrlich! Die örtliche Pennerszene bot keine Kunststücke, so dass ich in diversen Zines las, den Abfahrtsplan von Kielce studierte oder einfach nur da saß – Hoppen in Vollendung halt. Mit dem Zug ging es wieder ins „Wohnzimmer“ nach Katowice, um dort – richtig geraten – abzuasseln. Was sind schon drei Stunden?! – Für einen erfahrenen Profi ein Kinderspiel. Ein Straßenmusiker verlegte sein Konzert von der Ulica in den Dworzec, so dass ich die Walkmanbatterien sparen konnte. Da der Mann gar nicht mal so schlecht war, überlegte ich zum ersten Mal in meinem Leben zu spenden, aber der Magen forderte Nahrung und so wurden die letzten Zlotys dann doch in einen Hamburger investiert. Irgendwann kam dann auch der Zug, so dass endlich fünf Stunden in der Horizontalen gewährleistet waren. In Przemysl ging es zum bereits bekannten Badezimmer hinterm Güterbahnhof. Dort vollzog ich meine Mundwäsche und einen Kleidungswechsel, inklusive Thermounterwäsche. Eine Passantin staunte nicht schlecht, als da ein knackiger Typ um 6 Uhr in der Früh am Güterbahnhof in Boxershorts stand… Danach holte ich mein Busticket, um anschließend wieder einmal zu warten. Und plötzlich spielte sich Kurioses auf der Straße ab: Aus dem Nichts stürmten drei Typen in einen kleinen Lebensmittelmarkt, während zwei weitere Deckung hinter einem Auto suchten. Gab es hier die besten Bananen der Welt oder von 7.03 Uhr bis 7.04 Uhr Freisuff?! Die Auflösung kam in Form eines Bullenwagen um die Kurve gefahren – da waren wohl ein paar – Menschen – illegal auf das Gebiet der Europäischen Union gelangt…
Die Befürchtungen den Bus betreffend wurden bei meiner Abfahrt dann Wirklichkeit: Ist dieser im Sommer schon ein Kühlschrank, war er heute eine Gefriertruhe. Nun ja, egal – ich war ja glücklicherweise dick angezogen. An der Grenze dauerte es drei Stunden bis jene passiert werden konnte, so dass mich L’wow Awtowokzal erst gegen Mittag begrüßte. Mit dem Linienbus ging es dann Richtung Hauptbahnhof, um sich dort ein Ticket für den 23-Uhr-Zug gen Kiew zu sichern. Dieser wäre erst gegen 10 Uhr in Kiew gewesen und der Billigste. Die Bahnangestellte gab mir aber zu verstehen, oder besser gesagt: nicht zu verstehen, dass dieser schon voll war – verstanden hab ich es erst, nachdem ein junger Mann unterstützend in den Prozess des Ticketkaufes eingriff. Also gab ich ihm zu verstehen, dass um 19 Uhr ein Spiel sei, das ich sehen wollte und erst danach Richtung ukrainische Hauptstadt aufbrechen wollte. Er gab diese Info der Verkäuferin weiter, welche mir als einzige Chance einen Zug anbieten konnte, der eine knappe Stunde nach Abpfiff fahren und zu allem Überfluss auch schon gegen 8 Uhr in Kiew ankommen sollte. Da es nicht anders ging, bezahlte ich zähneknirschend 26 Griwna, gab meinen Rucksack ab und fand mit Hilfe des jungen Mannes die Bushalte, von welcher der Bus zum Stadion fuhr. Ein kleiner Tipp für Nachahmer: Linie 29 hin und Linie 29a zurück.
Natürlich fuhr ich zu weit, da das Stadion nicht gerade sichtbar emporragte. Also ging es wieder Retour und Dank meines phänomenalen Russischwörterschatzes brachte ich jemanden dazu mir beim richtigen Stopp ein Zeichen zu geben. Da das Spiel schon lange ausverkauft war, laberte ich gleich den erstbesten Schwarzmarkthändler an: „50 Griwna!“ Ist doch richtig… 30 bekommst du bestenfalls (20 Griwna Originalpreis) – Einigung bei 35 Griwna.
Beim nächsten Imbiss gab es die erste richtige Nahrungsaufnahme des Tages – zwei Hot Dogs – und dann machte ich mich gestärkt auf in die Altstadt. Diese hatte ich bisher leider nur in der Nacht erkunden können, so dass ich diesmal nicht schlecht staunte, wie groß und schön diese doch war. Auf jeden Fall eine Reise wert – völliger Kontrast zu den sonstigen tristen postsowjetischen Städten.

22.03.2006 Karpaty L’wow 0:2 Dinamo Kiew
Halbfinale Ukrainischer Pokal – Stadion Ukrajina

Im und vor dem Stadion war schon viel los: Viel Uniform, viele Tröten und noch vielere, nee, noch mehr Zuschauer. Die Anzeigetafel zeigte fünf Grad Celsius Plus an – möchte nicht wissen, wie kalt es ist, wenn hier offizielle fünf Grad Celsius Minus gemessen werden. Zum Einlaufen der Teams auf dem braunen Matschacker traute ich meinen Augen kaum, gingen doch im Heimsektor an die zehn Bengalen an. So etwas hatte ich in der Ukraine bisher noch nicht gesehen – dazu schienen sich die Bullen dafür nicht einmal zu interessieren. Teilweise konnte man sogar von so etwas wie Stimmung sprechen, als die gesamten Heimfans das lang gezogene „Karpaty“ hervorbrachten. Der Dinamo-Mob war pünktlich zum 0:1 im Stadion. Die 1000 Mann waren gut am Ausrasten und im oberen Drittel gingen 15 bis 20 Bengalen an, die dann teilweise auf der nicht olympiatauglichen Laufbahn entsorgt wurden. Nun flogen von Seiten der Nachbarblöcke unter dem wodkaverstärkten Gegröle der „Normalos“ erste Schneebälle in den Auswärtsblock. Daraufhin versuchten sich die Kiewer im Bengaloweitwurf, was die Polizei aber als gesetzeswidrige Sportart empfand und den Block stürmte. Kiew verteidigte sich mit Sitzschalen und Fäusten und konnte die Stellung halten. Die Polizei bildete nun einen Puffer, welcher sich bei jeglichem Anzünden von Pyrotechnik näher zum Auswärtsblock verschob. Irgendwann fiel dann das zweite Tor für die Gäste aus der Hauptstadt, worauf der Torschütze erst einmal vor den Schneeballattacken des Heimpublikums flüchten musste. L’wow zündete ab und zu wieder Rauch und Bengalen und ich verzog mich fünf Minuten vor dem Ende Richtung Bus – ich wollte ja sicher gehen.
Der 29a-Bus stand auch schon abfahrtbereit an der Haltestelle, so dass ich endlich mal von einem guten Timing sprechen konnte. Kurz vorm Bahnhof ging’s raus und ich überlegte mir schon was es Leckeres vom restlichen Kleingeld (6 Griwna) zu Essen gibt, als sich plötzlich meine Blase zu Wort meldete. Also, wie schon (so) oft, verzog ich mich in eine dunkle Gasse. Hose auf, nen Strahl hinaus und weiter ging’s. Nach zehn Meter wurde das Weitergehen aber abrupt beendet – Spanner in Uniform hatten mich beobachtet. „Dokumenti?“ – Konnte er haben. Was ich hier mache? – „Tourist.“ Beim Rest seiner Fragen verwies ich auf den hinter uns liegenden „Bahnhof“. Nach dem dritten verzweifelten: „Ja ne ponimaju“, begriff auch dieser Dämel endlich, dass ich ihn nicht verstand. Also Körperkontrolle – nur nicht so wie man es kennt, also einmal „Frontalkontrolle“ (Beine breit und Abklopfen), sondern diesmal zusätzlich auch von der Seite. Zuerst dachte ich, ich sei Proband für die Körperkontrollen der EM 2012. Aber beim Griff in die Arschtasche, wo mein Kleingeld lagerte, dämmerte es und mir wurde bewusst, dass er mit meinen 6 Griwna heute so richtig auf den Putz hauen würde – und ich hungern. Nachdem mich die Uniformierten ziehen ließen, stürmte ich sofort den Zug und genoss endlich einmal zehn Stunden durchgehenden Schlaf.
Kiew empfing mich am nächsten Morgen noch ein Priese kälter, mein Magen forderte endgültig das verp(r)asste Abendbrot des vergangenen Tages ein und mein Köpfchen begann zu grübeln, was ich an diesem fußballfreien Tag machen könnte. Erst einmal holte ich mir das Zugticket nach Ternopol, da ich so länger schlafen könnte, als wenn ich direkt bis Chmelnizkij fahren würde. Ich formulierte meine Frage, aber alle drei möglichen Nachtzüge waren bereits ausgebucht. So checkte ich noch einmal den Abfahrtsplan und schau einer an – es gab noch einen Direktzug ab Kiew um 3.12 Uhr, der um 9.25 Uhr Chmelnizkij erreichte – ein Traum! Also orderte ich kurzerhand ein Ticket für diesen Zug und bekam es auch. Meine Freude sollte mir später noch vergehen…
Im Bahnhofsklo machte ich mich dann kurz frisch und die Mission „18 Stunden Aufenthalt in Kiew“ konnte beginnen. Für den einen vielleicht schön, interessant und spannend für den anderen langweilig, öde und mit der Frage behaftet: „Was soll das?“ Glücklichweise gehörte ich zur zweiten Gruppe; machte ich doch nicht wirklich zum ersten Mal Halt in der ukrainischen Hauptstadt. So ging ich zum Busbahnhof – immer wieder toll dort – dann weiter zu einem Supermarkt um die Versorgungsvorräte aufzufüllen und schon war es 12 Uhr. Hach, wie langsam die Zeit doch vergehen kann… Also musste ein neuer Plan her: die anderen Stadien der Hauptstadt besichtigen. Um Zeit, aber kein Geld zu verbrauchen, sparte ich mir die Metrofahrt für freche sieben Cent und bewältigte die Strecken per pedes. Die Stadien Lokomotiw und (das) von DFK Ewrobis: so lala; Stadion Start: schon besser. Das ist wohl sogar das Stadion, in dem die Kiewer Auswahl 1942 gegen die deutschen Besatzer spielte und gewann.
Dass Wahlkampf war, hatte ich mittlerweile mitbekommen, was mich dann aber in der Innenstadt erwartete, übertraf alles. Dort standen, wie wohl in jedem demokratischen Staat üblich, Wahlstände. Aber deren Anzahl ließ mich doch stark an den Ukrainern zweifeln. Erst kamen zehn Stände der Orangefarbenen, dann fünf Stände der Blauen, dann wieder 13 Stände der orangefarbenen und dann zehn Stände der weißen Partei – diese Kette ist endlos fortzuführen. Natürlich gab es an den jeweiligen Parteiständen immer die gleichen Materialen; an Sinnlosigkeit also kaum zu überbieten… .
Nachdem ich kurz was gegessen hatte, ging es ab ins Internetcafe, immerhin wollte ich die Ansetzungen mal wieder checken. Die Zweitliga-Ansetzungen für Freitag stimmten noch – gut so. Anschließend kontrollierte ich die für die 3. Liga am Samstag – inakzeptabel wäre wohl der richtige Ausdruck. Alle, bis auf die Spiele auf der Krim, waren verschoben; Sewastopol und Jalta luden ein. Also wurden die Zugverbindungen Chmelnizkij – Krim überprüft: Negativ. Autobus war auch nicht machbar. Schön, dass ich schon das Zugticket nach Chmelnizkij gekauft hatte… Einziges sinnvolle Spiel, das auch ohne 10maliges Umsteigen auf Provinzbahnhöfen zu erreichen war, sollte Donezk versus Arsenal Kiew sein. Von dort weiter nach Charkow wäre auch kein Problem. Da das Montagsspiel in Shitomir auch abgesagt war, könnte ich dann direkt mit dem Zug von Charkow in die Slowakei. Zurück am Bahnhof wollte ich mir natürlich gleich alle Zugtickets für die restlichen Tage sichern. Das Ticket Chmelnizkij – Donezk gab es aber erst am nächsten Morgen zu kaufen, die Karte Donezk – Charkow war verfügbar und den Fahrschein Charkow – Kiew – Ushgorod war gar nicht mehr zu bekommen – der weitere Tourverlauf in der Ukraine war also sehr theoretisch.
Zum Glück war es auch schon 21 Uhr, so dass ich nur noch sechs Stunden abasseln musste. In der warmen Gepäckabgabe aß ich erst einmal Sprotten mit Brot, allerdings nur bis ein Securitytyp kam und mich zusammen mit einem richtigen Landstreicher vertrieb. So blieben noch fünfeinhalb Stunden im zugigen Durchgang. Ungefähr fünfeinhalb Stunden später waren diese fünfeinhalb Stunden dann Vergangenheit…
Der erste sprachliche Erfolg wurde dann im Zug gefeiert. Lag da doch ein Typ in meinem Bett, woraufhin ich ihm zu verstehen gab, dass er im wahrsten Sinne des Wortes falsch lag. Er erklärte, er wolle nur bei seinem Sohn liegen und ob ich nicht sein „richtiges“ Bett ein paar Meter weiter nehmen könnte. Kein Problem – will ja keine Vater-Sohn-Beziehung zerstören. Und das Beste war noch immer: ich verstand ihn und er verstand mich.
Kurz vor 10 Uhr war Chmelnizkij erreicht. Touristen und Globetrotter, die was von sich halten, müssen hier herkommen. Trägt diese Stadt doch Beinamen wie: Hoyerswerda der Ukraine, Bremerhaven des Ostens oder Lens der Ex-Sowjetunion. In der hiesigen Toilette gab es dann mal wieder Körpererfrischung – Zähneputzen und Deoroller. Anschließend wurde das Gepäck abgegeben und, das Wichtigste: Tickets gekauft. Nachdem die Abfahrtszeit des Zuges nach Donezk auf dem Abfahrtsplan überprüft wurde, ging es ohne „Hilfe ich bin Touri“-Hilfszettel zum Ticketschalter. Ich äußerte meinen Wunsch und erhielt einen Orkan verbaler Aggressionskunst zurück. Da war sie wieder, die Servicewüste Ukraine. Meine Situation war nun zu vergleichen mit dem täglichen Studium der Bild Zeitung – ich war nicht schlauer, eher dümmer als zuvor. Da es zwei Ticketschalter gab, probierte ich es kurzerhand noch einmal am anderen, diesmal dann doch mit Hilfszettel. Die Frau sah auch schon netter aus und sprach langsamer und ruhiger – verstanden hatte ich trotzdem nichts. Endlich nahm sie meinen Zettel und schrieb 16 Uhr rauf. Wollte sie ein Date?! War es eine mystische Zahl?! Oder sah sie mir einfach nur an, dass ich zum Fußball wollte und bestätigte mir die Anstoßzeit?! Fragen über Fragen, also verließ ich sicherheitshalber den Bahnhof erst einmal und suchte den Busbahnhof. Angeblich sollte es auch noch einen Direktbus nach Donezk geben. Ich fragte den erstbesten Passanten nach dem Weg und erfuhr, dass es drei Autobusbahnhöfe gab. Zum Glück kannte er sich aus und zeigte mir eine Bushaltestelle, von wo Minibusse zum Busbahnhof 1 verkehrten, von wo wiederum Busse nach Donezk fuhren.
Etwas außerhalb gelegen, in seiner, in kommunistischer Plattenbauarchitektur erbauten, kaum zu übertreffenden Pracht, empfing mich der Busbahnhof. Schnell erfragte ich bei der Infodame den Preis: 130 Griwna. Danke und Tschüß. Über 20 Euro, also knapp der 3fache Preis einer gemütlichen 18stündigen Zugfahrt, waren mir doch zuviel, um das Donbass zu besuchen. Also machte ich retour zum Hauptbahnhof und startete den dritten Versuch einer Informationsbeschaffung. Ich landete wieder beim Schreihals, der das bereits bekannte Programm darbot. Gott sei Dank schrie sie so laut, dass auch die hinter mir stehenden Personen alles hörten. Ein ukrainischer Offizier, des Englischen mächtig, sah meine Verzweiflung und übersetzte: Ob noch ein Platz frei ist wusste der Schreihals erst ab 16.00 Uhr. Warum nicht gleich so?! Da der Anstoß sich zeitlich mit diesem Termin überschnitt, hieß es schnellstmöglich ein Internetcafe zu finden und einen möglicherweise benötigten Plan E auszuarbeiten. Nach ein wenig Umherirren in der trostlosen Innenstadt – kein Haus scheint hier älter als fünfzig Jahre zu sein – fand ich ein Internetcafe: 30 Cent für eine Stunde, 14,4 kB Verbindung – für bahn.de und ein paar Spielplansseiten sollte es reichen. Wenn, wie vermutet, der Zug schon voll sein sollte, blieben folgende Optionen: Mit einem anderen Zug bis L’wow, dort rumasseln, am Nachmittag weiter nach Strij – Strij versus L’wow angucken, zurück nach L’wow und mit dem Nachtbus nach Katowice. Diese Option bekam aber eine schlechte Bewertung. Die nächste Option wäre folgende gewesen: Mit dem Zug nach L’wow, von da mit dem ersten Bus nach Przemysl und dann in Krakow Cracovia und Sonntag Ruch in Chorzow gucken. Vorteil: sehr billig aufgrund des polnischen Wochenendtickets. Nachteil: Grounds habe ich schon. Die letzte Option lautete: Mit dem Zug nach Ushgorod, über die Grenze laufen und weiter mit dem Bus nach Kosice. Dort sollte MFK Kosice spielen und anschließend würde ich per Nachtzug weiter nach Zlaté Moravce fahren, wo Sonntag ein Doppler möglich gewesen wäre. Problem war nur die Zeit; der Zug sollte 12.33 Uhr in Ushgorod ankommen und der Bus vom slowakischen Grenzdorf 12.15 Uhr abfahren. Klingt utopisch aber aufgrund der Zeitumstellung wäre es machbar. Zur Not blieb um 15 Uhr noch Michalovce vs Humenne, hatte ich zwar schon, würde ich dafür aber locker schaffen. Mit diesen Optionen ging ich dann erst einmal zum örtlichen Fußballstadion, wo die tägliche Pflicht erledigt wurde.

24.03.2006 Podillja Chmelnizkij 0:0 Sta‘ Dnjeprodsershinsk
2. Liga Ukraine – Stadion Podillja

Die Haupttribüne war ein neuwertiger Mehrzweckbau, bot er doch an der Außenseite sinnlosen Geschäften Unterschlupf, während die Seite zum Stadion hin eine überdachte Tribüne war. Die Gegengerade war auch komplett mit Sitzschalen ausgestattet und hatte ungefähr acht Reihen, verzichtete, bis auf Toiletten, aber auf weitere sinnlose Zusatzausstattungen.
Da sich sogar die Sonne zeigte, wollte ich diesen erhabenen Augenblick nutzen und versuchen, wieder so etwas wie Wärme zu spüren. So wie ich dachten viele des anwesenden Fachpublikums und zogen zur Gegengerade, wo sich aber schon Uniform formierte. Kein Zutritt, schließlich ist die Haupttribüne ja geöffnet, wo eisiger Schatten und Schneemassen warteten. So blieb ich am Flutlichtmast stehen, fühlte so etwas wie Leben im Körper aufkommen – der Sonne sei Dank – und schaute mir das Gekicke an. Ein spannendes Spiel, normalerweise geht so etwas 5 zu 5 aus, boten die 22 Spieler. Ich würde mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich behaupte, dass Chmelnizkij 51 Prozent Ballbesitz hatte und, und, und…

Nach diesem grausamen Kick ging ich schnellstens zum Bahnhof zurück – jeder Passant, den ich überholte, hätte ja der Käufer des letzten Tickets nach Donezk sein können. Angesteuert wurde dann die freundlichere der beiden Verkäuferin, welche auch sofort eine Auskunft gab: „Njet Plazkart. Njet Kupe – Ljuks 220 Griwna.“ Bei diesen Möglichkeiten brauchte ich wenigsten nicht lange überlegen, also wurde Plan E realisiert. Eine Plazkart nach Ushgorod war noch verfügbar, 27 Griwna wechselten den Besitzer und der geplante Aufenthalt in der Ukraine verringerte sich von ursprünglichen elf auf drei Tage. In der Wechselstube wurden schließlich noch die restlichen Griwna in Dollar gewechselt und das Kleingeld für Wodka und Fressalien ausgegeben. Schon war es 19 Uhr, vor dem Bahnhofsgebäude herrschte ein eisiger Wind und ich musste nur noch knappe sechs Stunden warten. Ich zog die Mütze ganz tief ins Gesicht, setzte meine Kapuze auf und bedeckte mit dem Schal Mund und Nase – so ließ es sich nicht etwa draußen sondern im Warteraum aushalten. Ich las mein Buch, ich durchblätterte ein paar Zines, ich beobachtete ukrainische Bettler – Freitagabend – Mensch, was willst du mehr?!
Irgendwann war es dann soweit und der Zug konnte geentert, die Assidecke ausgerollt, sich darin eingekuschelt, und die Augen geschlossen werden. Gute neun Stunden entfloh ich in eine Traumwelt, wollte dann aber doch noch ein wenig von den Karpaten sehen. Auf räudigen und vollgepissten drei Quadratmetern vollzog ich im Zugklo auf artistische Art und Weise einen kompletten Klamottenwechsel. Anschließend sprach ich noch ein wenig mit der Oma, die mir gegenüber saß und mir Ihre Familie auf Fotos zeigte und die eine oder andere Information über die durchfahrenen Städte zu erzählen wusste, etwas gelesen und die ersten Pferdewagen entdeckt – die Slowakei konnte nicht mehr weit sein. Der Zug rollte sogar ohne Verspätung ein, so dass ich, Wellness- und Sportwoche in Chemnitz sei Dank, schnellstmöglich ein Taxi erreichte. Durch diese selbsterzwungene Hektik blieb aber meine geliebte 1-Euro-Coburg Wintermütze im Zug zurück – nur Kenner der Szene können wohl diesen Verlust deuten.
Einmal zur Grenze bitte; „Dawei!“ „Dawei!“ 12.50 Uhr war ich an der Grenze, wusste aber nicht was mich erwartete. Wäre hier so ein Aufkommen wie in Przemysl, wäre der Bus nicht zu schaffen; aber Glück gehabt – nur ein paar Autos und Fußgänger waren vor mir. Nach einem kurzen Gespräch mit dem ukrainischen Zoll betrat ich um 11.58 Uhr slowakischen Boden. Die Passkontrolle ging schnell vonstatten, nur der Zoll wollte es genauer wissen. 12.08 Uhr war auch das erledigt und ich lief in die erstbeste Richtung, in der Häuser standen. 12.11 Uhr erreichte ich eine Bushaltestelle, fragte kurz nach, ob ich richtig sei – „Tak“, und das Gefühl eines Sieges kam auf. Der Bus kam pünktlich angerollt, ich setzte mich hinein und erholte mich erst einmal. In Michalovce kaufte ich dann schnell eine Sportzeitung – zwecks Sichergehung und Bestätigung der Ansetzungen. Zlaté Moravce sollte am Sonntag auch um 10.30 Uhr spielen und – schau an – es gab tatsächlich ein paar sonntägliche Drittligaspiele in der Gegend – schien ja alles glatt zu laufen.
Um 14.30 Uhr wurde Kosice erreicht. Ich checkte den Stadtplan, ich checkte den Tramplan und anschließend mussten wieder einmal die Füße als Transportmittel herhalten.

25.06.2006 MFK Kosice 6:0 Spartak Trnava B
2. Liga Slowakei – Lokomotiva-Stadion

In der 10. Spielminute erreichte ich den Ground. Dadurch verpasste ich zwar das 1:0, dafür konnte aber endlich der Rucksack abgelegt und ein Pivo genossen werden. Erstaunt war ich über die doch ansehnliche Zuschauerzahl. Nach kurzem Studium des Programmheftes wusste ich, dass der neue Verein in Kosice, auch Dank des sportlichen Erfolges, gut angenommen wird – im Schnitt bestimmt 3000 Zuschauer. Auf dem Platz kontrollierte Kosice das Spiel nach Belieben und hätte eigentlich schon zur Halbzeit 6 zu 0 führen müssen. Eine kleine Fanszene gab’s auch wieder zu bewundern und auch das Stadion ist durchaus für höhere Aufgaben geschaffen. Wenn es normal läuft, sollte hier in der nächsten Saison wieder die erste Mannschaft aus Trnava spielen…
Nach dem Spiel ging es erst einmal zum altbekannten McDoof, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen und anschließend zum Bahnhof, um nach dem Preis für den Zug nach Zlaté Moravce zu fragen. Knapp 400 Kronen wollte die slowakische Bahn haben – geht’s noch?! Dafür kann ich in der Ukraine eine Rundreise buchen. Also ging ich schleunigst in die Innenstadt, um ein Internetcafe zu suchen. Da ich keine Lust hatte umherzuirren, wurde nach Kompetenz Ausschau gehalten und schnell gefunden. Ein Ladenlokal, das sich StudentAgency nannte, wurde gesichtet. Das klang doch schön englisch; also rein da und ich fragte die junge Empfangsdame nach gesuchtem Etablissement: Im Zentrum gab’s schon paar, nur ob diese auch offen waren, wusste sie nicht. Klang nicht so toll. Daraufhin fragte sie, was ich denn machen wollte, woraufhin ich ihr entgegnete, dass ich die eine oder andere Zug- und Busverbindungen suchen müsste. Na ja, das könnte ich auch hier machen – also setzte ich mich an ihren Schreibtisch und surfte zwei Stunden kostenlos.
Ein Doppler wäre in der Slowakei aufgrund der schlechten Busverbindung nicht möglich gewesen, aber man hätte in der Nacht nach Tschechien und am Sonntagmorgen Kunovice und abends Brno machen können. Montag wäre sogar noch Olomouc B möglich gewesen – perfekt! Das bedeutete für mich zwar im Endeffekt eine zweite, nicht eingeplante Übernachtung, aber die Tour war eh schon „verschandelt“. Beim Anblick auf die geöffnete Regionalbusseite der Slowakischen Busgesellschaft fragte sie erstaunt: „From where do you know this site? I’m slovakian and I don’t know this site.“ Tja, wer billig reisen will…
Der Plan wurde weiter verfeinert und nebenher ein wenig Small-Talk geführt. Später ging ich zum Bahnhof, um ein Ticket zur tschechischen Grenze zu ordern. 350 Kronen waren zwar alles andere als billig, aber was sollte es. Mit den restlichen Kronen sollte dann mal wieder mein Magen verwöhnt werden, also ging ich in das erstbeste Restaurant. Nette Bedienung, leckeres Essen und drei Bier für vier Euro – passte. Pünktlich zur Einfahrt des Zuges kam ich am Bahnhof an, fand ein leeres Abteil und schloss für vier Stunden die Äuglein. In Horni Lidec verließ ich den Zug und er war entdeckt: der perfekte Asselbahnhof. 24 Stunden offen, beheizt, Sitze, keine Assis, Wechselstube „Nonstop“, geflieste und kostenlose Toilette und das Wichtigste: ein „Heiße Schokolade“-Automat. Dank der Zeitumstellung ging es schon eine Stunde früher über Vsetin und Hranice na Morave weiter nach Kunovice. Da mein Körper aber seinen Tribut forderte, pennte ich gehörig ein und wachte erst kurz hinter Kunovice wieder auf. Die Bahnfrau fand aber schnell eine Rückverbindung und so enterte ich nur zehn Minuten nach dem Anpfiff den Ground.

26.03.2006 FK Kunovice 2:2 Viktoria Ziskov
2. Liga Tschechien – Stadion Na Belince

Das Stadion bestand aus einer größeren Tribüne, einem überdachten Bereich daneben und kleinen Steh- und Sitzblöcken hinter den Toren – reichlich sinnlos also. Am Verpflegungsstand genehmigte ich mir eine leckere Klobasa und schaute dem Gebolze zu. In der Halbzeit standen plötzlich bekannte Personen aus Dresden vor mir, so dass ich wenigstens ein bisschen reden konnte. Der Schiri schien auf Unentschieden gewettet zu haben, pfiff er doch drei merkwürdige Elfmeter.
Nach dem Spiel ging’s wieder zum Bahnhof, von wo die Dresdner nach Zlin wollten und meine Wenigkeit nach Brno. Beim Schaffner bestellte ich das Ticket und stellte anschließend fest, dass er mir eines für eine falsche Verbindung ausgestellt hatte. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich ein Ticket via Breclav brauchte, was sein mobiler Computer aber nicht anzeigte. Dieser spuckte nur die Verbindung via Breclav mit einem EC aus. Also biss ich in den sauren Apfel und bezahlte ein Ticket bis Breclav und von Breclav noch einmal nach Brno – ein Bier dürfte dabei draufgegangen sein. Eine Station vor Brno hl. n. sichtete ich dann ein riesiges Plakat an einer Bruchbude – Hostel. Ich merkte mir die Station und fuhr mit dem Nahverkehrzug zum Stadion, um dort nach einer Unterkunft zu schauen. Hier war aber alles restauriert und somit nicht meine Preisklasse. Also ging es erst mal mit schmerzenden Füßen und Rucksack zum Stadion.

26.03.2006 1.FC Brno 0:0 1. FC Slovacko
1. Liga Tschechien – Mestsky Stadion

Der Ordner schaute erst ein wenig verwundert, aber Hundeblick und „Tourist“ ließen ihn von einer Kontrolle meines Rucksackes absehen. Das Stadion war gar nicht mal so übel, aber vor dem Verschandeln mit Sitzplätzen sicherlich noch besser gewesen. Die Heimsupporter boten eine kleine Choreo und trällerten ab und zu ein Lied. Slovacko zündete ein wenig Pyro und sang ganz anständig – Ligaalltag eben. Das Spiel? – Welches Spiel?

Nach dem Kick rannte ich unter Schmerzen, Blasen sei Dank, zum Bahnhof zurück, um den frühen Zug zur vermeintlichen Unterkunft zu bekommen. Das ganze ging sogar kostenlos vonstatten, woraufhin ich gut gelaunt in die Herberge ging. Laut Preisschild kostete die Nacht 200 Kronen. Also völlig akzeptabel. Die junge Dame an der, nennen wir es mal freundlich: Rezeption konnte weder Englisch noch Deutsch. Die Kommunikation war nun ein Russisch-, was sie ein wenig konnte, Tschechisch-Mix. Daraus ging jedoch eindeutig hervor, dass alle Zimmer belegt waren. Hundeaugen und tausendfaches Bitten und Betteln um ein Bett für eine Nacht ließen sie kalt. Plötzlich kam ein junger Typ vorbei, der angeblich Deutsch konnte. Er erzählte mir, dass das Hostel voll sei – das wusste ich mittlerweile auch. Da auf der Preisliste noch ein weiteres Hostel in Brno für 140 Kronen erwähnt war, fragte ich ihn nach dem Weg dorthin und er sollte die Rezeptionsdame doch bitten, dort zwecks Verfügbarkeit anzurufen. Das war ihm wohl zu viel Arbeit, also bequatschte er nun zehn Minuten die Dame mir ein Zimmer zu geben und siehe da: Es gab einen 200-Kronen-Schlüssel-Tausch.
Sofort legte ich meine Klamotten ab und genoss die erste Dusche nach sechs Tagen – ich muss sagen, das hat was. Zum Abendbrot gönnte ich mir dann Pivo und Sprotten mit Brot, um anschließend selig einzuschlafen. Zwölf Stunden Schlaf, der Körper vermisste wohl etwas, und schon ging es weiter – wer rastet der rostet. Da ich noch genügend Zeit bis zur Abfahrt des Zuges nach Olomouc hatte, erkundete ich den Busbahnhof. Ein Schlaraffenland an Verbindungen und schau an, sogar_ ein Nachtbus nach Nitra. Zwar war die Ankunft auf 5.00 Uhr terminiert, doch ist das in der Slowakei besser als fünf Stunden Nachtaufenthalt am Bahnhof in Presov. An der Auskunft erfragte ich den Preis – 176 Kronen – und mit einem Lächeln stürmte ich den nahen Supermarkt, um fürs Frühstück zu sorgen. Zwei Bananen und zwei Jogurts später kam auch schon mein Zug und 30 Minuten vor Anpfiff erreichte ich Olomouc. Am Stadtplan checkte ich Lage und Nahverkehrserreichbarkeit des Stadions und rein ging’s in den Bus.

27.03.2006 Sigma Olomouc B 2:2 FK Kladno
2. Liga Tschechien – Spartakiadni-Stadion

Sonne von oben und das Spiel ist im großen Nebenstadion – Hopperherz was willst du mehr? So pflanzte ich mich in die Kurve, zog Jacke und Schuhe aus, dazu gab es Mittag aus der Einkaufstüte – so machte das Ganze schon viel mehr Spaß. Aus Kladno reisten an einen Montag acht Unentwegte an und zogen das komplette Programm durch. 90 Minuten Gesang, kleine Pyroshow und einfach nur bescheuert sein – das erinnert mich doch stark an alte Greifswald-Zeiten. Das Stadion trotzte der Moderne – weit weg vom Spielfeld, nur Stehplätze, kein Catering, kein Merchandising – so und nicht anders!

Nach dem Spiel nahm ich noch schnell eine Eigenfütterung vor und asselte am Hauptbahnhof ein paar Stunden ab, bevor es weiter nach Brno ging. Dort kam ich gegen 22 Uhr an und überlegte, was ich mit den letzten Kronen so machen könnte. 180 wollte ich für den Bus aufheben und den Rest umsetzten – also nichts wie rein in die Kneipe am Busbahnhof, ein Bier gestürzt, zurück in den Warteraum und dort gewartet bis dieser zumachte. Nun fehlten nur noch zwei Stunden bis zur Abfahrt des Busses. Also wurde die Assidecke rausgeholt und sich auf der Bank an der Abfahrtsplattform eingekuschelt.
Mit 20 Minuten Verspätung rollte der Praha-Nitra Bus ein. Ich packte schnell meine Sachen und stürmte hinein. Einmal nach Nitra bitte – 190 Kronen entgegnete mir der Fahrer. Hmm, da ich nur noch 180 Kronen hatte, wurden ihm diese gegeben. Er bestand aber auf seine 10 Kronen, also fragte ich ihn, ob er slowakische Kronen nehme, immerhin war der Bus von einem slowakischen Unternehmen. Das war natürlich nicht möglich – prima, und nun?! Da am Busbahnhof ein Bankomat auch in der Nacht Geschäfte machte, bot ich ihm diese Möglichkeit an – negativ, er wollte nicht warten. Entweder ich bezahlte jetzt 190 Kronen oder ich könne aussteigen. In solchen Fällen bleibt nur noch die Attacke: Ich fragte die Insassen des Busses ob jemand slowakische in tschechische Kronen tauschte; ein Insasse war bereit. Den einen Euro Tauschverlust nahm ich in Kauf und dem dämlichen Fahrer wurde sein Geld auf die Ablage geschmissen.
Im Morgengrauen war dann Nitra erreicht. Der Warteraum am Busbahnhof öffnete um 5 Uhr seine Pforten, also nahm ich dort die erstbeste Bank in Beschlag. Strategisch ein Fehler, stand diese doch an der Wand hinter der sich der Kaffeeautomat, der Treffpunkt aller Ankommenden und Abfahrenden in Nitra, verbarg und somit nicht gerade eine friedliche Einschlafkulisse bot. Für drei Stunden Schlaf reichte es trotzdem. Danach ging ich zu einem Schrottplatz/Parkplatz um mich frisch zu machen. Den aufkommenden Körpergeruch erfolgreich, wenigstens für 24 Stunden, Rexona-24h sei Dank, unterdrückt, ging ich auf Unterkunftssuche, da ich am Mittwoch nach Budapest wollte und aufgrund der geringen Entfernung ein Nachtzug nicht möglich war. Nach zwei Stunden vergeblicher selbständiger Suche vertraute ich dann doch lieber der Hilfe der Touristeninformation. Diese fand auch etwas sehr billiges, per Anruf wurde ich angemeldet und mir wurde eine Wegbeschreibung mitgegeben. Die Unterkunft lag mitten im Zentrum und war eine Art Sanatorium. Man war so freundlich und überließ mir aufgrund der Kapazitätsprobleme ein Doppelzimmer zum Preis eines Einzelzimmers. 270 Kronen wechselten den Besitzer und ich konnte mein Glück kaum fassen – Balkon, edles Bad, weiches Bett und das Ganze für 6,50 Euro. Ich legte meine Sachen ab und ging in die Innenstadt; schließlich musste ich Essen für die nächsten zwei Tage kaufen. Da ich für Ungarn mit 20 Euro, inklusive Zugfahrten, Eintritt und Metro plante und der Nachtzug Budapest – Bucuresti erst am Donnerstag um 13 Uhr ankommen sollte, mussten die restlichen Slowakischen Kronen nun für Essen, Fahrtkosten und Eintritt verplant werden. Eine Packung Würstchen, anderthalb Liter Wasser, ein halbes Brot und delikate Leberwurst waren vom Budget her machbar – es konnte also sein, dass in den nächsten Tage hin und wieder ein Hungergefühl auftreten könnte…
Nachdem das touristische Programm abgespult wurde (Burgbesteigung etc.) ging es zum Stadion.

28.03.2006 FC Nitra 1:3 Spartak Trnava
Halbfinale Slowakischer Pokal – Futbolovy-Stadion

Ich blätterte kurz durch das Programm und traute meinen Augen kaum. Der Fußballgott aus grandiosen alten Gladbacher Zeiten, Igor Demo, schnürte seine Töppen nun für Nitra. Das Stadion besaß Flair: eine große Haupttribüne und der Rest Stufen beziehungsweise Holzbänke, die zum Teil schon abmontiert waren. Aus Trnava reisten 150 bis 200 Mann an, die, wenn sie sangen, eine beachtliche Lautstärke entwickelten. Der Heimmob formierte sich in der anderen Kurve – gut 100 Mann, alles Jugendliche. Dazu das Ambiente des Stadions: sah schon gut nach Polen aus. In der zweiten Halbzeit zeigten sie kurz ihre Heimfahne, nahmen diese aber nach zwei Minuten wieder ab. Vom Support her war es erstklassig, was sie boten. 15 Minuten Durchklatschen, fast durchgängiger Gesang und je näher die Niederlage rückte, desto lauter wurden sie. Ich wechselte dann den Standort, hin zu einem Nachwuchs Berti Vogts, der unentwegt taktische Anweisungen auf Feld rief und die beste Fahne von allen hatte. Im Spiel wurde es nur kurz spannend, als Nitra der Ausgleich gelang; am Ende gewann der Favorit aber souverän.

Nach dem Spiel stöberte ich noch kurz im Internet und bevor es in die Heia ging, gab ich dreimal der falsche Pin ins Handy ein – gesperrt. Aber wozu braucht man schon einen Wecker? Am nächsten Morgen sah ich für die folgenden sieben Tage zum letzten Mal einen Duschkopf. Dann ging es zum Busbahnhof, um die letzte Stunde vor Abfahrt des Busses ein wenig rumzuhängen. Also setzte ich mich in den bereits bekannten Warteraum und wunderte mich ein wenig über den Kauz gegenüber. Auf den ersten Blick machte er nichts anderes als die restlichen Wartenden: er saß auf der Bank, jedoch wechselte er alle zehn Sekunden die Sitzposition. Das Schauspiel ging über gut und gerne fünf Minuten; dann endlich stand er auf und schau an, gerade gehen war nicht mehr drin. Er wankte zum Fenster. Dort angekommen richtete er sich in seiner ganzen Pracht auf und ließ die Hosen runter. Nun dachten alle, der gute Mann würde gleich losurinieren, aber Fehlalarm. Er richtet nur seine Boxershorts, zog die Hose wieder hoch und verließ den Warteraum. Die Normalität war gerade erst wieder eingekehrt, als die Tür wieder aufging und der Bärtige wieder da war. Nun setzte er sich wieder auf seinen Platz und man war erstaunt, wie viele Sitzpositionen doch möglich sind. Da dies aber auf Dauer auch langweilig wurde, begann er mit seiner Hand in seinen Boxershorts umherzuwühlen, die Hand wieder für die Außenwelt sichtbar emporzurecken, um anschließend daran zu riechen. Da dies wohl jeder schon einmal in einer freien Minute und einem unbeobachteten Moment gemacht hat, nahm man es nur zur Kenntnis. Das Prozedere wiederholte sich allerdings drei Mal und plötzlich war Ruhe. Kein Umherrutschen, kein Genitalien befassen, er stellte nun wieder den normal wartenden Passagier dar. Drei Minuten später stand er auf, nahm seinen Rucksack, drehte sich einmal und schau an, entweder es regnete in Beinhöhe oder aber er tätigte ein kleines Geschäft auf der Bank. Herrlich, solche Leute müssen ins Fernsehen, solchen Leute gehört Aufmerksamkeit gewidmet – and the oscar goes to: Der Bärtige! War dies schon sehr lustig, gab es abschließend aber noch den krönenden Abschluss – keine fünf Minuten später betrat ein junger Mann den Warteraum – um in der Masse bloß nicht aufzufallen natürlich mit trendigen Klamotten, Gel in den Haaren und ungesunder Bräune. Sofort erspähte er einen freien Sitzplatz, sah aber nicht die starke Lichtreflexion des Holzes, die eigentlich nur Flüssigkeiten erzeugen, und setzte sich – alle starrten ihn an, aber keiner sagte was – ganz großes Kino in Nitra um 11 Uhr.
Dann hieß es aber Abschied nehmen und so ging es per Bus über Nowe Zamky nach Komarno. Die Grenze wurde zu Fuß überwunden, Geld getauscht und mit dem Zug ging es weiter nach Budapest. In Budapest besorgte ich ein Ticket für neun Euro nach Lököshaza und fragte am internationalen Schalter, was die Sitzplatzreservierung, angeblich obligatorisch, Budapest – Bucuresti kostet. 800 Forint, aber sie möchte doch erst einmal mal mein Ticket sehen. „Das ist ja nur ein nationaler Fahrschein“ – das geht so nicht, auch wenn ich Euro-Domino Rumänien habe. Ich bräuchte noch einen Fahrschein Lököshaza – Curtici. Also fragte ich nach dem Preis, welcher 25 Euro betragen sollte – ist doch richtig! Da ich die wenigen verbliebenen Forint zusammen halten musste, vielleicht mag der Schaffner die ja heute Abend, ging es mit dem Gepäck nach Kispest.

29.03.2006 Honved Budapest 1:0 FC Sopron
Viertelfinale Ungarischer Pokal – Bozsik-Josef-Stadion

Das Stadion hatte ich zwar schon, aber stellte diese Pokalbegegnung die einzige vom Zeit- und Geldaufwand realisierbare Begegnung dar. Die Anabolikaordner guckten natürlich nicht schlecht, als sie den Rucksack erblickten, ließen mich aber passieren. Der Eintritt kostete unverschämte vier Euro für einen Stehplatz. Wenigstens regnete es nicht mehr und ich konnte trocken das Grauen auf dem Platz verfolgen. Ab der 65. Minute begann der Heimblock ganz ordentlich zu singen und Honved schoss in der 80. Minute das Entscheidende 1 zu 0, welches zum Einzug ins Halbfinale reichen sollte – mehr gab’s nicht zu berichten.

Nach dem Spiel, um das Geld für die Metro zu sparen, ging es vom Bahnhof Kispest mit einem IC zum Nyugati Bahnhof und von dort zu Fuß zum Keleti Bahnhof. Budapest bei Nacht soll ja was haben – hab ich nicht gefunden. Der Nachtzug nach Bucuresti hatte natürlich 30 Minuten Verspätung, so dass ich gepflegte drei Stunden vor mich hinvegetierte. Ein freies Abteil war im Zug natürlich auch nicht vorhanden, also fiel die Wahl auf eines mit vier Ü50 Damen. Alsbald kam der Schaffner und erkundigte sich, ob ich wirklich in Lököshaza aussteigen wollte oder doch über die Grenze möchte. Auf die Frage wie teuer denn der Grenzübertritt wäre, meinte er die üblichen 25 Euro – in Forint natürlich. Hatte ich nicht, also tat ich ein wenig so, als würde ich mich bei anderen Passagieren um einen Wechsel bemühen. Daraufhin kam er auf mich zu und meinte, er kenne eine Möglichkeit, die mir Geld spart und ihm Arbeit: Zehn Euro für seine Portokasse und ich wäre in Rumänien. In Curtici wechselte ich dann in ein leeres Abteil und machte mich lang.
Bucuresti erreichte ich mit einer ansehnlichen Verspätung und beim Ausstieg, helle Haarpracht sei Dank, wurde ich gleich von den Taxifahrern umzingelt. Ihre Fahrangebote reichten von Sofia bis Istanbul – ob sie Euro-Domino akzeptierten konnte allerdings nicht geklärt werden. Nachdem ich endlich wieder eine warme Mahlzeit genießen konnte, ging es zum Rapid Stadion, sollte dort doch das Derby im UEFA-Cup angeblich ausverkauft sein. Die Gegengerade gab es für den doppelten Preis – das Spiel sollte es Wert sein, also schlug ich zu. Die restliche Zeit lungerte ich im Einkaufszentrum rum und erreichte eine Stunde vor Anpfiff das Stadion.

30.03.2006 Rapid Bucuresti 1:1 Steaua Bucuresti
Viertelfinale UEFA-Pokal – Stadion Giulesti

2900 Polizisten sollten heute für einen UEFA-konformen Ablauf sorgen. Das hieß im Klartext: drei Polizeiringe ums Stadion, Hubschrauber und massig berittenen Ordnungshüter. Schon einen Kilometer vorm Stadion hörte ich die brachial laut vorgetragenen Gesänge der Heimkurve. Nach der x-ten Kontrolle kam ich endlich im Block an und ging in den zweiten Stock. Der Heimblock war voll wie nichts Gutes, auf der Gegengerade drängten sich die Leute und im Gästeblock war eh kein Quadratmeter ohne menschliche Haut oder Haare zu erkennen. Nur was war denn da hinterm Tor – da blieben locker 500 Plätze frei. Aber auch wenn es nicht ausverkauft war, war es ein Erlebnis. Rapid in der ersten Halbzeit zwar nicht gerade abwechslungsreich, aber wie viele, also praktisch das gesamt Stadion, machten mit – beeindruckend. Steaua rockte dagegen, beflügelt auch durch das frühe Tor, die komplette erste Halbzeit durch. In Halbzeit Zwei wendete sich das Blatt und was nach dem Ausgleich los war, kann man nicht in Worte fassen: 16.000 Leute am Hüpfen und Singen – armes Deutschland. Spielerisch gefiel mir Steaua besser, denn das wirkte schon sehr abgeklärt und das alles auf hohem technischen Niveau.

Nach dem Spiel traf ich auf dem Weg zurück zum Hauptbahnhof einen Ösi, der mir bestätigen konnte, dass es auch Karten im offiziellen Verkauf gegeben hatte. Mein Zug nach Baia Mare fuhr natürlich nicht, aber das hatte ich mir schon gedacht – bahn.de ist in dieser Hinsicht nicht vertrauensvoll. So entschied ich mich für Deva, in der Hoffnung sie würden auch spielen, denn außer dem Rahmenspielplan hatte ich keine Quelle.
Morgens um 7 Uhr durfte ich in Lugoj zwei Stunden den örtlichen Bahnhof erkunden, bevor mich eine Bimmelbahn die letzten Kilometer nach Deva beförderte. In Deva ging ich gleich mal zum Stadion und hatte Glück – Heimspiel um 16.00 Uhr. Die restliche Zeit vertrödelte ich auf der Burg (fantastische Aussicht) und beim Postkartenschreiben im Zentrum.

31.03.2006 CS Deva 3:1 A.C.U. Arad
3. Liga Staffel 7 Rumänien – Stadion Cetate

Zum Glück war der Eintritt frei, denn meine Leis neigten sich langsam dem Ende entgegen. Programme gab es umsonst und auf der einzigen Tribüne tummelten sich gut 300 Leute. Der Wettergott wollte mich allerdings ärgern und schickte ne Ladung Regen. Aber er hatte Pech, nicht mit mir, ich machte den Schirm auf und fertig. Auf dem Rasen ging es hoch her oder war es langweilig?

Nach dem Spiel kaufte ich ein neues Brot und Fleischpastete und ließ mich dabei fachkundig von einer jungen Dame beraten. Sie meinte zwar, das bestehe nur aus Abfällen und so was essen nicht mal die Leute hier, aber hey – der Preis zählte. Danach fuhr ich schlafend mit dem Zug nach Timisoara und von dort sofort weiter nach Bucuresti. Die Hauptstadt begrüßte mich um 6 Uhr morgens. Sogleich kümmerte ich mich fix um die Verbindungen am Abend zur Grenze. Bahn.de verkündete, dass um 20 Uhr ein Zug von Bucuresti Progresu nach Giurgiu fährt, cfr.ro meinte das Gegenteil; also wurde der Verbindungscomputer am Gara de Nord befragt. Der Zug fuhr – also sollte es am Abend einen kleinen Sparziergang geben und auf den frühen und sicheren Zug ab Gara de Nord wollte ich verzichten. Mit einer überfüllten Bummelbahn, die mir ungefähr zehn Kettenraucher bescherte, ging es weiter nach Ploiesti. Am Vest Bahnhof stieg ich aus und es folgten die geilsten 30 Minuten der Tour. Um 8 Uhr in der Früh, die Sonne spendete schon eine Menge Wärme, ging ich ein paar hundert Meter abseits des Bahnhofs zu Fernwärmerohren und vollzog einen kompletten Kleidungswechsel. Dann setzte ich mich kurzerhand auf die Rohre, spendierte meinen Füßen eine Portion frische Luft, dazu genoss ich die Wärme am Arsch und von oben und frühstückte bestes Supermarktessen bei laufender Musik aus dem Walkman – Freiheit pur. Leider zogen meine Essensabfälle immer mehr streuende Hunde an und da der Spielort für das Zweitligaspiel auch noch nicht lokalisiert war, hieß es aufbrechen. Nach dreimaligem Fragen und fünf Kilometer Marschweg erreichte ich das Stadion.

01.04.2006 Petrolul Ploiesti 2:1 FC Sibiu
2. Liga Staffel B Rumänien – Stadion Ilie Oana

Das Stadion lag versteckt in einer Häusersiedlung. Ich bezahlte einen Euro Eintritt und nahm auf den oberen Stufen Platz. Das Stadion war mehr als ansehnlich und fasste gut 15.000 Zuschauer; komplett unüberdacht versteht sich. Eine Fanszene, zwar jung, aber sangesfreudig, war auch vorhanden. Der abgeschlagene Tabellenletzte ging recht schnell in Führung und hätte eigentlich einen Punkt verdient gehabt, aber am Ende fragt eh keiner mehr danach.

Nach dem Spiel ging es mal wieder mit dem billigsten Transportmittel ungefähr drei Kilometer zurück zum Bahnhof Sud. Dort stieg ich in den Zug nach Bucuresti und sorgte bei der Schaffnerin für Verwunderung. Hielt sie doch geschlagene fünf Minuten mein Euro-Domino-Ticket in der Hand und konnte damit nichts anfangen – na ja, das war nicht mein Problem. Am frühen Nachmittag brannte die Sonne in Bucuresti schon sehr stark und ließ mich gut schwitzen. Dank der eigentlichen Reiseplanung waren vorwiegend dickere Klamotten für die Ukraine eingepackt worden.
Schon immer hatte ich den Traum gehabt, einen Halbmarathon mit Gepäck zu laufen – und an diesem Tag wurde er endlich in die Realität umgesetzt. So wurden die knapp vier Kilometer zum Spielort des FC National Bucuresti zu Fuß zurückgelegt.

01.04.2006 FC National Bucuresti 2:0 Gloria Bistrita
1. Liga Rumänien – Stadion Cotroceni

Mitten im Villenviertel war der Ground vom Sinnlosverein FC National gelegen. Am Einlass durfte ich meinen Rucksack entleeren und die billigen Karten zu sieben Lei waren auch nicht mehr verfügbar – die Vorzeichen diesen Verein in mein Herz zu schließen waren also von Beginn an schlecht. Beim Spiel nickte ich das ein oder andere Mal weg und kann deshalb nicht viel berichten. Die Tore fielen kurz vor Schluss und ab und zu versuchte sich ein 10-köpfiger Kinderchor im Stimmungmachen. Gäste waren 0 anwesend, also eine reichlich sinnlose Veranstaltung. Aber ich wollte es ja nicht anders.

Nach dem Spiel ging es weiter, schließlich wartete noch das größte Teilstück meines Halbmarathons. Im Supermarkt kaufte ich noch ein wenig Flüssigkeit und Nahrung und behielt sechs Lei über, um diese dann in Giurgiu zu verjubeln; immerhin musste hier eine Nacht rumgebracht werden. Von einem netten alten Mann ließ ich mir noch kurz die Wegrichtung bestätigen und seine Warnung, dass es sehr weit sei, ins Reich der Fabeln verwiesen. Zwar fuhr auch eine Tram, aber ich hatte ja Zeit, das Wetter passte und überhaupt – Hopping muss wehtun. So wanderte ich also durch die Vorortghettos von Bucuresti, in der Hoffnung baldmöglichst den wunderschönen Bahnhof am Horizont zu erkennen. Nach circa zwei Stunden gab ich aber auf – ich hatte schon locker über zehn Kilometer zurückgelegt und immer noch war kein Ende in Sicht. Ob Weichei oder nicht – egal – ab in die Tram und zur Endhaltestelle. Dort kam ich dann um 19.30 Uhr an und musste zugeben: zu Fuß hätte ich es zeitlich nicht geschafft. Es waren bestimmt noch fünf bis zehn Kilometer, die die Tram zurücklegte.
Nach dem Aussteigen schaute ich kurz verwundert, da dort doch kein Bahnhofsgebäude zu erblicken war. Aber nach kurzer Rückfrage sah ich es endlich: Das Ziel einer langen Reise – Bucuresti Progresu. Ein kleines Gebäude und ein paar Güterzüge standen bereit, aber von einem Personenzug war keine Spur. Also schaute ich mich ein wenig um, woraufhin gleich ein Securitytyp zu mir kam. Hätte man mein Gesicht beim Aufnehmen der Informationen, die mir der Typ gab, gefilmt – um dies zu verstehen reichte mein rumänisch – wäre es sicherlich eine 1:1-Kopie der Szene gewesen, als Lisa Simpson Ralph Wiggum das Herz bricht.
Es folgte multilinguales Fluchen und Gegen-den-Rucksacktreten. Was war passiert?! Der gute Mann meinte, dass keine Züge von hier verkehrten. Ich beruhigte mich kurz und dachte nach. Lösung: Autobus. Ich fragte, ob denn Autobusse nach Giurgiu verkehren würden und die Antwort war ein kleiner Hoffnungsschimmer, denn sie lautete: „Ja“. Also lief ich zurück zur Straße und fragte einen jüngeren Rumänen nach seinen Englischkenntnissen. Sie waren vorhanden – sehr schön. Autobusse sollten von hier verkehren, einen Fahrplan gab es natürlich nicht, wenn einer kommt sollte man halt winken und der Fahrpreis würde wohl knappe 10 Lei betragen. Gut, die hatte ich nicht und ein Bankomat war auch nicht in der Nähe. Da er gut informiert war, wurde er auch gleich mal nach einem Zug gefragt und schau an, eine Brücke war zusammengestürzt und daher die Strecke gesperrt. Was lernen wir daraus? – Cfr.ro hat immer Recht! Der Kumpel von meiner Informationsquelle stoppte plötzlich ein Auto, zwei Arbeiter stiegen ein und plötzlich winkte mich dieser Kumpel zum Auto. Der Typ fuhr nach Giurgiu und hat noch ein Platz frei. Okay, kurz nachdenken, der Fahrer war jung und doch sehr dunkelhäutig, aber was soll’s, besser als am Ende auf einen Bus zu warten, der nicht kommt. Mein Rucksack wanderte in den Kofferraum und schon ging die Reise los. Was man sich dachte wurde bestätigt, erzählte mir der Fahrer doch mit seinen zehn Worten Deutsch, dass er schon mal in München war – Geigenspieler. Mit starker Gestik war eine Kommunikation über die nächsten 50 Kilometer möglich. Bei der Ankunft gaben die beiden anderen Fahrgäste dem Fahrer 5 Lei und stiegen im Zentrum aus. Ich ließ mich weiter in die Nähe der Grenze kutschieren, verabschiedete mich und gab ihm die letzten 6 Lei – gab es eben kein Abendbrot, aber das war man ja mittlerweile gewöhnt. Der Fahrer nahm das Geld, zählte es und meinte, es sei zu wenig. Ich entgegnete ihm, dass die anderen auch nicht mehr bezahlt hatten; er bestand aber auf zehn Euro – für 50 Kilometer – ist doch richtig! Plan A konnte nicht gelingen, denn einfach aussteigen war nicht möglich, der Rucksack war noch im Kofferraum. Also Plan B – handeln. Der Zigeuner wich nicht von seiner in der Grundschule geformten Kleingeistmeinung ab, dass Benzin teuer sei und Deutsche reich. Ach, Scheiß drauf, 30 Lei und wir sind quitt! Er willigte ein und ich gab ihm zu verstehen, dass ich einen Bankomat benötigte, woraufhin er was vor sich hinblubberte. Schließlich wurde ein Bankomat gefunden, aber eine Auszahlung von 30 Lei war dort nicht möglich – 50 war das wenigste. Was man nun ahnte wurde Wirklichkeit – ich gebe ihn 50 und bekomme 5 zurück. Auf die Frage wo die restlichen 15 Lei seien bekomme ich folgende Antwort: „Benzin, Granica – Bankomat – Granica.“ F**K DICH! Da ich absolut keinen Bock auf eine sinnlose Diskussion mit dem Zigeuner hatte, schulterte ich den Rucksack und machte mich auf den Weg zur Grenze.
Glücklicherweise war es schon stockfinster und die Straße führte durch ein Zigeunerghetto. Zogen sich diese Kreaturen anfangs nur an den wartenden LKW hoch um nach Geld zu betteln, veränderte sich die Situation natürlich, als ein nicht südländisch aussehender Typ die Straße entlang trabte. Plötzlich kamen die Gören auf mich zugelaufen und zogen an meinem Rucksack und an der Jacke – paar Lufttritte mit den Bundeswehrstiefeln später verzogen sie sich aber und versuchten ihr Glück wieder bei den LKW-Fahrern. Meine Meinung über diese Minderheit war vorher schon nicht die Beste; nun ist sie nicht mehr zu revidieren. Nach knapp einem Kilometer Abendsparziergang kam mir glücklicherweise eine rumänische Grenzpatrouille entgegen und nahm mich in ihrem Transporter bis zur Grenze mit. Da man die Brücke zwischen Rumänien und Bulgarien nicht zu Fuß überqueren durfte, organisierten sie mir einen Bulgaren, der mich im Auto mit rüber nahm. Dieser schimpfte erst einmal über die rumänischen Zöllner, musste er diese doch mit zwei Tafeln Schokolade und zehn Euro bestechen. Auf der bulgarischen Seite ließ er mich raus, natürlich ohne Geld dafür zu verlangen, und ich passierte die Grenze. Schnell fragte ich noch nach der Entfernung zum Bahnhof – zehn Kilometer, nein danke. Also hielt ich ein Taxi an und ließ mich schnellstens zum Bahnhof fahren, wäre es doch theoretisch sogar noch möglich gewesen, den Nachtzug nach Sofia zu bekommen. Am Bahnhof stieg ich aus und hatte Glück, es war noch eine Stunde Zeit. Also kaufte ich mir zunächst ein Ticket für sieben Euro und führte meinem Körper seine zweite Mahlzeit des Tages zu, nach dem Frühstück in Ploiesti.
Der Zug war mehr als leer, so dass ich mir ein Privatabteil sichern und eine Trockenrasur mit einem Nassrasierer durchführen konnte. Anschließend rollte ich meine Assidecke aus und schlummerte friedlich ein. Nach einiger Zeit weckte mich die Kontrolleurin. Ziemlich verschlafen gab ich ihr das Ticket und wagte einen kurzen Blick nach rechts und traute meinen Augen nicht; lag da doch ein Landstreicher mit Stock und Beutel. Den Gestankwettbewerb gewann er locker gegen mich. Das war das Eau-de-Toilet „Katowice Glowny“ in Vollendung. Beim nächsten Halt flog er allerdings aus dem Zug und ich erwachte erst wieder in Sofia.
Klasse, 6 Uhr morgens in Sofia. Also suchte ich erst einmal einen Park auf, um mir die Zähne zu putzen und kümmerte mich dann um die Rückfahrt. Zwei Möglichkeiten boten sich an: Sonntagabend nach Wien und von dort irgendwie weiter, oder aber ein Hostel nehmen, was mindestens zehn Euro kostete und am nächsten Morgen mit einem Direktbus bis nach Praha fahren. Da ich aus Prinzip auf ein Hostel keinen Bock hatte, machte ich den Nachtbus nach Wien für 40 Euro klar. Um meine Füße zu entlasten besorgte ich mir dann ein Tagesticket für den Nahverkehr und so ging es über die Stationen Internet Cafe und Frühstücken im Park zum Rakovski-Stadion, um die Anstoßzeit für die ausgeguckte Drittligapartie zu klären. Ein jungscher Typ in so einer Art Büro meinte 15 Uhr, was mir gut passte, konnte ich das Spiel so wenigstens komplett sehen. Auf dem Markt vor dem Stadion rannte ich dann gleich mal dem Erkner, einem Bielefelder und einem Meppener in die Arme. So verquatschten wir erst einmal die Stunden, aßen lecker Pizza und wurden fast von einem Mordsweib überrannt. Gegen halb Drei ging ich dann ins Stadion und schau an: Das Mordsweib drehte hier ihre Runden.

02.04.2006 Lewski-Spartak Sofia 2:0 Spartak Petschera
3. Liga Staffel 3 Bulgarien – Stadion Rakovski

Die junge Dame hatte einen ziemlichen Selbstdarstellungsdrang, drehte sie ihre Runden nicht oberhalb der Zuschauerränge sondern auf der Laufbahn, was eine ziemliche Beeinträchtigung der sich warmmachenden Spieler bedeutete. Kurzfristig wurde der Anstoß noch mal vorverlegt, nun auf 14.45 Uhr – Planungssicherheit in Bulgariens Liga 3 ist garantiert. Wie üblich stellten sich die 22 Spieler und die drei Schiedsrichter nun um den Mittelkreis auf, um den knapp 60 Zuschauer zuzuwinken, als just in diesen Moment „Mrs. Joggerin 2006″ auf ihrer Höhe war. Wie sich 25 Paar Augen von der Tribüne zur Aschebahn und von dort weiter in einen Ausschnitt bewegten, bleibt unvergessen. Einem Ersatzspieler reichte es und er schickte die Dame nach oben zum Laufen, wo sie zu unserer Freude weiter ihre Runden drehte. Das Stadion, letztes Jahr noch gespottet, dieses Jahr gekreuzt, ist etwas für Feinschmecker. Eine große Betonschüssel mit einem Fassungsvermögen von ungefähr 25.000, dazu schneebedeckte Gipfel und Hochhäuser im Hintergrund. Im Laufe der ersten Halbzeit traf dann auch die Multikulti-Besatzung; bestehend aus zwei Zwickauern, einem Magdeburger und einem Nürnberger, ein – für diese vier Herren zählte der Ground natürlich nicht – die Groundhoppingpolizei sieht alles! So verquatsche ich den Rest des Spieles, welches wohl auch stattgefunden haben soll.

Nach dem Spiel ging es dann per Bus mit einem Jugendmob von Levski zum Nationalstadion, wo das Derby ausgetragen wurde. Kurz vorm Ticketkauf verlor ich den Bielefelder und den Meppener – so ging’s mit Erkner allein in die Schüssel.

02.04.2006 ZSKA Sofia 0:1 Lewski Sofia
1. Liga Bulgarien – Stadion Wassil Lewski

Die Polizei trennte strikt nach Farben und so war genau die eine Hälfte rot und die andere blau. Selbst auf der teuren Haupttribüne bildeten die Bullen einen Puffer. Kurz vorm Anpfiff gesellte sich noch Magdeburg und Zwickau zu uns und wir warteten gespannt auf die Darbietungen der 15.846 Fans. Vorteile würde ich ZSKA zusprechend – war schon eine immense Lautstärke, die aus ihren Kehlen kam. Hüpf- und Klatscheinlagen der gesamten Kurve und ein bisschen Pyro kamen dazu. Aber auch Lewski müsste sich vor keiner Kurve Europas verstecken. Auf dem Platz spielte sich das gleiche wie nun schon seit zwei Wochen ab – ununterbrochene Misshandlungen der runden Kugel. Insgesamt hatte sich das Derby aber gelohnt und es war schön, den Unterschied, auch wenn es geografisch nicht die Entfernung ist, zwischen Rumänien und Bulgarien zu sehen. Die einen eher melodisch und die anderen rustikal.

Nach dem Spiel gab es noch eine Blocksperre, die aufgrund der einsätzenden Kälte alles andere als gemütlich war. Die beiden anderen wurden verabschiedet und es ging mit Erkner in die Innenstadt Pizza essen und anschließend zum Bahnhof. Dort verabschiedeten wir uns und ich dachte nur noch an Heimat, Waschen und Musik – Chemnitz, ich komme!
Neben mir platzierte sich eine undefinierbare junge Dame, deren Mutter es doch tatsächlich für nötig hielt, den abfahrenden Bus laufend und winkend zu begleiten. Gerade war ich eingeschlummert, als ich meinen Namen hörte: Der bulgarische Zoll wollte meinen Rucksack filzen – wenn die Jungs auf stinkende Unterwäsche stehen, bitte. Das nächste Mal erwachte ich völlig verspannt an der serbisch-ungarischen Grenze. Dort machte ich mich kurz frisch und schaute auf die Uhr – ich lag gut in der Zeit. Mit Glück würde ich noch einen Zug von Wien nach Olomouc bekommen, um noch den Ground von Sigma zu kreuzen. Um 13 Uhr erreichte der Bus Wien-Südbahnhof. Schleunigst ging’s hinaus zur Info: Pech gehabt, Hochwasser, die Züge wurden über die Slowakei umgeleitet, was Verspätungen nach sich zog. Also musste ich doch mit der „einfachen“ Heimfahrt vorlieb nehmen: mit dem Bus nach Brno, von dort bis zur deutschen Grenze, kleiner Fußmarsch und ich wäre wieder in meinem Exil.
So ging es zur Nahrungsaufnahme in den nahe gelegenen Park und ich schmierte mir eine Stulle. Nebenher ein kurzer Blick auf die Uhr – noch vier Stunden. Mmh, was mache ich da? Wie wäre es mit merken, dass die Kamera aus der Tasche gefallen sein muss und daher noch im Bus liegt?! – Perfekter Zeitvertreib. Schnell lief ich zum Eurolines-Ticketschalter am Südbahnhof und erkundigt mich, wo der Bus aus Sofia war. „Der ist zur Reinigung in einem Gewerbegebiet außerhalb von Wien und gegen 20 Uhr wieder hier. Sind sie dann noch hier?“ Nein, nicht wirklich. Also ließ ich den Busfahrer anrufen und mir den Fund der Kamera bestätigen. Der freundliche Eurolines-Typ druckte mir einen Bus- und Tramplan zum Abstellplatz aus und los konnte die Reise gehen; 40 Minuten schwarze Hinfahrt mit ungefähr viermaligem Buswechsel und das ganze retour. Als ich wieder am Busbahnhof ankam, erkundigte ich mich nach den freien Kapazitäten der Busse nach Brno. Da noch eine Menge frei war, ging ich zu Fuß zum Abfahrtort, der laut Auskunft Südbahnhof und laut Internet die bekannte U-Bahn-Station Erdberg sein sollte. Gegen 16 Uhr, nach einem einstündigen Marsch, war ich vor Ort und bestellte mit einem Lächeln ein Ticket nach Brno. „Die Busse nach Brno verkehren seit dem 1. April von Wien Praterstern“ war die Antwort. Nun gab es eine Explosion. Zum Glück konnte ich die Verkäuferin mit dem vollen Vokabular meiner Muttersprache anbrüllen, wieso diese Informationen denn weder im Internet standen noch am Südbahnhof bekannt waren. Achselzucken. Mit der geballten Wut ging ich also knapp fünf Kilometer weiter zum Praterstern – Hunger spürte ich nicht, links und rechts existierten nicht mehr, mein Blick war strikt geradeaus gerichtet. Eine Viertelstunde vor Abfahrt erreichte ich den „neuen“ Abfahrtort und Eurolines hatte Glück, denn sie hatten keine Filiale vor Ort, an der ich meine Wut auslassen konnte. Eine kleine dämliche Bushaltestelle war das einzige, was auf internationalen Verkehr hindeutete. Langsam beruhigte ich mich wieder, der Bus fuhr ein und für 4,70 Euro erreichte ich drei Stunden später Brno. Von dort sollte ein Ticket bis zur Grenze 260 Kronen kosten, also betrat ich mit meinem letzten 10 Euro Schein eine Wechselstube und erkundigte mich, wie viele Kronen das wären. 260 – passte. Ich kaufte das Ticket und vom restlichen Kleingeld, das vom letzten Wochenende noch übrig war, schlug ich mir beim Asiaten den Magen voll. Der Rest der Münzen reichte auf den Heller genau für eine 0,5 Liter Flasche Wasser, welche zusammen mit einem trockenen Stück Kuchen aus Bulgarien bis zum nächsten Morgen reichen musste. Nachdem ich die letzten drei Stunden dieser Tour erfolgreich auf dem Bahnhof abgeasselt hatte, fiel ich in ein leeres Abteil und wachte dank zu leiser Lautstärke meiner Armbanduhr zu spät auf. Der Schaffner hatte ein Einsehen und schrieb eine Notiz auf meinen Fahrschein, mit der ich, zwar verspätet aber immerhin, in Dolni Zleb ankam. Theoretisch sollte ich nun über eine Brücke gehen und dann immer an der Elbe entlang bis zur Grenze – so meinte ich es gehört zu haben. Leider fehlte die Brücke komplett und die Elbe hatte Hochwasser. Also folgte ich dem einzigen Pfad Richtung Deutschland, der aber nach einem Kilometer im Dickicht endete. So machte ich einmal kehrt und fragte den tschechischen Bahnmitarbeiter nach dem Weg. Eine Brücke wäre in Decin aber die Grenze sei wegen des Hochwassers eh gesperrt. Geld für den Zug hatte ich nicht mehr, also wurde weitergefragt, ob es nicht noch eine andere Möglichkeit gäbe nach Deutschland zu kommen. Ich könnte an den Schienen entlang gehen, aber solle vorsichtig sein, da dies eine Hochgeschwindigkeitsstrecke sei. Gesagt – getan. Den ersten Kilometer kam ich noch recht schnell voran, da ich bequem neben dem Gleisbett laufen konnte. Jedoch verengte sich das Ganze und ich musste letztlich auf den Schienen laufen. Von weitem hörte ich die Grenzbimmelbahn entgegenkommen, so dass ich mich schnell ins Gebüsch werfen musste, damit mich die mitfahrenden Grenzer nicht sehen konnten. Danach ging ich die letzten zwei Kilometer abwechselnd über die Gleise oder, wenn begehbar, durch den Wald und da waren sie plötzlich vor mir zu sehen – deutsche Signalanlagen, Schöna. Das letzte Stückchen ging’s dann durch den Wald und schau an, plötzlich stand da ein Grenzschutzvehikel im Nichts. Drei Köpfe drehten sich in meine Richtung, sprangen aus dem Auto und forderten meine Papiere. „Wo kommen Sie denn her?“ „Aus dem Wald, aus Tschechien.“ „Das ist doch nicht Ihr Ernst? Das hier ist doch kein Grenzübergang!“ „Mir doch Wurst!“ Papiere stimmten, also konnte ich die an sich selbst zweifelnden Grenzschützer hinter mir lassen und in die S-Bahn nach Dresden einsteigen – Chemnitz ich komme!

03.06.2006 Post SV Chemnitz 2:0 CSV Siegmar
Kreispokalfinale Chemnitz – Sportplatz Jägerschlösschenstraße

Ich liebe das Studentenleben – man kann sich die Arbeit zeitlich selbst einteilen, im Regelfall so, dass kurz vor Fristende ein riesengroßes und unappetitlich aussehendes Geschwulst an Forderungen an die eigene Geisteskraft, einen makaber anlacht und man mit der Hoffnung eines Zeitaufschubes durch überirdische Kräfte zu Bett geht, denn auch am letztmöglichen Termin ist die Motivation doch eher unterirdisch. Es gibt allerdings auch einen Nachteil: Man lebt konsequent an der Schwelle zum statistisch berechneten Wert zur Armutsgrenze. Da ich zum Ende des Wonnemonats immer noch nicht in Lohn und Brot bei irgendjemanden stand, war die Ausgangslage für den Festivalmonat klar – sparen. Eigentlich wollte ich endlich die Peinlichkeit beseitigen, immer noch kein Spiel im Vogtlandstadion gesehen zu haben, nur sollte allein die Eintrittskarte für das Pokalfinale zwischen dem VFC und dem CFC 5 Euro kosten – und dann noch die Anreise… Realistisch gesehen blieb somit nur eine Möglichkeit, das Fernweh und den Drang nach Abenteuer zu befriedigen – das Kreispokalfinale zwischen dem Post SV und dem CSV Siegmar auf dem Sportplatz von Stahl Reichenhain. Klangvolle Namen mit einer sicherlich anekdotenreichen Historie und dazu noch ein Finale. Um diese Ansetzung runterzuspülen, brauchte ich natürlich noch einen harten Vordrink, der mich visuell so benebeln würde, dass ich folgenlos den Saisonhöhepunkt für die 22 Akteure und deren strähnchengefärbten Spielertussis überleben würde. Eine Halbzeit in der 2. Kreisklasse zwischen dem christlich-gemeinnützigen Verein FC Arche und der zweiten Vertretung des Chemnitzer Polizeisportvereins schien dafür prädestiniert.
Leicht torkelnd begab ich mich also nach Reichenhain und versuchte beim Konsum der dargebotenen Kost nicht zu schmecken – schluckt sich ja leichter. War aber gar nicht so schlimm, schmeckte gut – ich will mehr davon!

Von Gammlern, Herumlungerern und Glotzern – Transkaukasien im Sommer 2006

Auf Klo hat man ja die besten Ideen und wenn dann noch eine Fußbodenheizung vorhanden ist, sind der Fantasie eigentlich keine mehr Grenzen gesetzt. So saß ich also da, an diesen hektischen Tagen zwischen Weihnachten und Silvester, und sinnierte über den Sommerurlaub. Weit weg sollte es gehen, warm musste es sein und unbekannt natürlich auch. Ein wenig im Atlas geblättert und auf der letzten Seite, bevor die alphabetische Ordnung des Ortsregisters das Buch abschließt, verharrte ich: Schwarzes Meer, Kaspisches Meer und der wilde Kaukasus… Die Entscheidung war gefallen! Schleunigst erkundigte ich mich über Einreisemodalitäten und mögliche Anfahrtswege, informierte Bekannte und begann mit der Grobplanung. Interessierte gab es viele, aber auch genauso viele Absagen, und so blieb am Ende nur einer übrig, der ein „vielleicht“ äußerte – LingenFeno. Die Monate verstrichen, aus Schnee wurde Matsch, aus Pullis wurden T-Shirts und aus dem harmlosen Studium wurde die Prüfungszeit. Die Tourplanungen nahmen konkrete Formen an: Von der Ukraine aus wollte ich mit der Fähre übers Schwarze Meer nach Georgien reisen, von dort dann die Nachbarländer besuchen und der Rückweg sollte auf dem Land über die Türkei und – unbedingt auch – Albanien von statten gehen. Ich wartete gespannt auf die Spielpläne, bekam bei einigen Auslosungen Weinkrämpfe, um nur wenige Minuten später beim Abgleichen der zweiten armenischen Liga mit dem feststehenden Programm die Welt zu umarmen oder den Laptop zu liebkosen. Die schriftliche Kommunikation mit LingenFeno erreichte ungekannte Ausmaße; Vor- und Nachteile möglicher Varianten wurden besprochen, um sich zwei Wochen vor Abfahrt auf einen Plan festzulegen.

„Du musst in zehn Minuten deine Tram bekommen“ war der erste Satz, den mein Gehör erreichte, just zehn Minuten nachdem es auf Schlafen gestellt worden war. Also schnappte ich mir schnell den Rucksack und erreichte in, für die physischen Verhältnisse, atemberaubender Zeit die Haltestelle. Dass die halbe Waschtasche und ein guter Teil der Wechselklamotten ihr Dasein für den nächsten Monat in der Wohnung meines Kumpels fristen sollten, konnte man zum damaligen Zeitpunkt nicht ahnen.
Mit der Tram ging es zum Treffpunkt mit Lars aus Rochlitz und es konnte los gehen – der erste Grenzübergang wartete. Legnica wurde fast pünktlich erreicht, so dass es für den Fahrer nur Abzüge in der B-Note gab. Dieser begab sich weiter in den Pott, lockten ihn dort doch andere Spiele. Die PKS beförderte meinen geschlauchten Körper sicher nach Glogow, wo erst einmal die Gepäckfrage geklärt werden musste. Mein verlässliches Gedächtnis war sich sicher, dass dieser Bahnhof schon einmal nächtlich ausgiebig inspiziert wurde und es keine Schließfächer gab. Ein neues Einkaufzentrum gegenüber dem Busbahnhof schien wie geschaffen, das Problem zu lösen. Doch leider waren die dortigen Schließfächer eher für Einkaufstüten, ja bestenfalls geflochtene Körbe gedacht, so dass selbst unter Anwendung aller in jahrelanger Übung angeeigneten Quetschtechniken, der Rucksack hinausreckte, wie die Zunge einer Couch-Potato nach einem bei Kilometer Zwanzig abgebrochenem Marathon. Schließlich eilte ein Sicherheitsmann zur Hilfe und ließ mich den Rucksack in seinem Büro abstellen, was aber bedeutete, dass ein Notkauf getätigt werden musste. Einfach danke sagen und den Markt verlassen, ohne jemals in den Konsum jenseits der Pforte mit dem blauen Pfeil einzukehren, hätte doch eher zweifelhaft oder gar undankbar ausgesehen. Mit einer Alibi-Banane ging es erst gemächlich, dann schnell schreitend und kurz vor Anpfiff laufend zum MOSiR.

11.08.2006 Chrobry Glogow 3:3 Rakow Czestochowa
3. Liga Polen – MOSiR

Wenn Kassenrollen die Laufbahn verzieren, man aber weder etwas zur Flugbahn noch zum Abwurfpunkt berichten kann, war man zu spät – Künstlerpech. Vorsichtige Blicke nach links und rechts ließen einen aber beruhigt weiter dem Geschehen auf dem Rasen verfolgen – andere Vertreter der Groundhopperpolizei waren nicht vor Ort. Irgendwann traf man Herrn Linke, man plauderte und schwupps – 3:0 für die Heimelf. Bengalen gingen an, eine große Blockfahne wurde gezeigt und siehe da, bei Abpfiff hatte sich Rakow ein Unentschieden erarbeitet. Gastfreundschaft gibt es in Polen auch nach dem EU-Beitritt noch. Als ein Chrobry Ultra merkte, dass wir aus Deutschland kommen schenkte er uns eine Ladung Ultra Merchandising (Aufkleber, Karten, Poster…) – dziekuje

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – Abreise ist Anreise. Demzufolge startete der Freitagabend-PKP-Horizontal-Terror: Via Wroclaw, Czestochowa und Tarnow gelang ich nach Tuchow.
Da der Platzwart gerade erst die Kreidelinien nachzog, konnte ich mich also guten Gewissens auf dem zweiten Platz im Ort aufs Ohr legen. Man hätte länger liegen bleiben können, denn um 11 Uhr tat sich nichts am Sportplatz – das Spiel war auf 17 Uhr verlegt worden. So ging es gleich weiter nach Debica, wo ich vom Zwickauer in Empfang genommen wurde. Gemeinsam begaben wir uns zum Stadion, in dem auch schon TaliJan in Lauerstellung auf – vielleicht – Kommendes lag.

12.08.2006 Wisloka Debica 0:1 Motor Lublin
3. Liga Polen – Ul. Parkowa

Eigentlich war alles gerichtet: Ein eintreffender Gästemob und ein motivierter Heimmob. Dabei blieb es dann aber auch. Aber Dank des besten Kielbasa Polens war ich am Ende wenigstens satt.

Nach dieser Enttäuschung ging es zur Überbrückung der Nacht zurück nach Brzeg und weiter nach Rzeszow. Dort wurde kurz gefrühstückt und schon konnte die Fahrt weiter gehen, in das nur wenige Kilometer außerhalb gelegene Örtchen Boguchwala.

13.08.2006 Izolator Boguchwala 3:2 Orzel Przeworsk
4. Liga Polen – Ul. Techniczna

Rotzfreche sieben Zloty musste man bezahlen um den Sportplatz mit Bänken zu betreten. Die Heimelf führte schnell mit 2:0, doch pünktlich mit dem Eintreffen der cirka 20 Gästefans begann auch Orzel mit dem Fußballspielen, so dass ein Halbzeitstand von 2:2 zu Stande kam.

Dass sich Halbzeithopping rächt konnte ich auf dem Weg zum Dorfbus noch nicht ahnen. Von Rzeszow nach Krakow döste ich kurz, um dann frohen Mutes den 30minütigen Fußmarsch auf mich zu nehmen. Immer noch frohen Mutes vernahm ich vorm Wawel-Stadion die Gesänge der Bytom-Fans. Aber wieso sangen die schon zehn Minuten vor Anpfiff?! Geiz ist halt nicht immer Geil – ich hätte ruhig vier Zloty ins Internetsurfen investieren sollen: das Spiel war auf 14.40 Uhr vorverlegt worden – eigene Schuld. Also das Positive aus dem Missgeschick ziehen: das gesparte Eintrittsgeld konnte in Nahrungsmittel investiert werden. Von Krakow ging es wieder Richtung Osten nach Przemysl, wo nach kurzer Wartezeit auch schon der 23.45 Uhr Bus nach L’wow eintraf.
Drei Uhr Nachts, L’wow Busbahnhof, Regen – die Blase meldet sich. Kostenpflichtige Toiletten sind was für Sitzpisser. Darum ging es in die Dunkelheit zu meinem schon oft markierten Revier. Markierung erneuert und nichts wie zurück zum Bett, Typ „Holzpritsche“. Nur die Jungs der Miliz hatten etwas dagegen, denn sie teilten mir mit, dass ich Hauptdarsteller in ihrem Film wurde. Mit der Taschenlampe leuchteten sie den Drehort aus – alles roger, alles nass. Im Milizbüro bekam ich dann aber weder Preis noch Gage, vielmehr sollte ich noch 20 Euro für meinen Auftritt zahlen. Das hatte ich natürlich nicht vor. Dementsprechend gab ich mehrmals meine Version von der nicht gefundenen Toilette wieder. Dumm nur, dass mir der Milizchef sich daran erinnerte, mir an dem öffentlichen Pissoir entgegengekommen zu sein. 1:0 für die Staatsmacht. Nun zeigten sie mir Papier auf dem Schreibtisch, der angeblich auf ukrainisch belegen sollte, dass die Höhe der Strafe gerechtfertigt war. Kurz überflogen: das war vielleicht die Anleitung zum Bleistift anspitzen, aber kein Auszug einer behördlichen Verordnung. Nach langem Hin und Her einigten wir uns doch noch auf 10 Euro. Ausgleich in letzter Minute also und Zeit, mich wieder zu meinem Bett zu begeben.
Der Regen prasselte gegen die großen Fensterscheiben während das Tageslicht langsam den Kampf gegen die Dunkelheit gewann – ich hatte verschlafen. Zeitlich war es nun eigentlich zu eng, um zum Bahnhof zu fahren, die Verfügbarkeit der freien Plätze nach Odessa zu überprüfen und bei negativem Ergebnis zurück zum Busbahnhof zu eilen, um die halbwegs sichere Busverbindung zu bekommen. Es galt also abzuwägen zwischen Sicherheit (Bus) und Risiko (Zug). Für Leser früherer Berichte sollte klar sein, dass ich zehn Minuten später in der Marschrutka zum Hauptbahnhof saß. Den am Fahrkartenschalter zu sagenden Satz sagte ich so oft vor mir her, dass ich ihn fast wieder vergessen hatte. Doch er kam, wenn auch stotternd, über meine Lippen und selbst das Nachfragen der Verkäuferin konnte verstanden werden. Ein Hoch auf den Autor des Russisch-Lehrbuches, der in Lektion 4 das Thema „Am Bahnhof“ einbaute. Für 42 Griwna ergatterte ich das begehrte Ticket im Plazkartni-Waggon nach Odessa. Da die Abfahrt erst um 22 Uhr sein sollte, blieben 15 Stunden Freizeit. Die ersten drei Stunden brachte ich im Bahnhof über die Runden, da ansonsten der anhaltende Platzregen aus meiner gut sitzenden Jeans eine 80-er-Jahre-Freddy-Mercury-Gedächtnis-Jeans gemacht hätte.
Pünktlich zur Knoppers Zeit begann dann endlich der lang ersehnte Sommer; es begann der Urlaub – Auf in die Altstadt! Zehn Stunden später hatte ich eine Überdosis an Kirchen. Falls die Renovierung der Altstadt im jetzigen Tempo voranschreitet, wird L’wow, für Altgediente: Lemberg, in zehn Jahren auf einer Stufe mit Krakow, Budapest etc. stehen. Die restlichen Abendstunden bis zum Aufbruch wurden mit Lesen ausgefüllt, so dass ich, auch Dank der vorherigen Nächte, im Nachtzug schnell einschlief.
Im Laufe der Fahrt setzte Hektik im Wagon ein: die Kleidung der Reisenden wechselte von Alltags- in Strandmode: Odessa nahte. Da wollte ich in nichts nachstehen, war doch auch für mich das Vermischen von Körperdreck und -schweiß mit dem Wasser des Schwarzen Meeres geplant. Am Bahnhof brachte ich meinen überflüssigen Ballast zur Gepäckabgabe und mit Handtuch und sonstigen Strandutensilien ging es zum Büro von UKRFerry. Auf dem Weg dorthin knallte die Sonne erbarmungslos von oben und die Frauen ließen mich wieder einmal an der westeuropäischen Lebensweise zweifeln. Im Büro wurde man freundlich empfangen und knapp 140 Euro konnten bei UKRFerry als Einnahme verbucht werden. Im Gegenzug erhielt ich ein Ticket für eine Zwei-Mann-Außenkabine.
Jetzt war nur noch die Dauer meiner Freizeit, meines Strandaufenthaltes zu klären. Bei einer Abfahrtszeit von 23 Uhr wird eine Ankunft am Terminal um 20 Uhr völlig ausreichend sein; so dachte ich jedenfalls. Dass mein Gegenüber andere Vorstellung hatte, genauer gesagt: ganz andere Vorstellungen, eröffnete er mir sofort. Ich sollte doch gleich nach Illichewsk fahren, da ich noch zwei Stempel bräuchte. So saß ich 30 Minuten später in der Marschrutka nach Illichewsk und schwamm – statt im Cherno More – im eigenen Schweiß. Gegen 15 Uhr hatte ich die zwei Stempel und wurde zum Terminal gefahren, wo mich schon das in komprimierter Weise empfing, was ab Freitag zum Tagesablauf gehören sollte wie der tägliche Lauf der Sonne: Gammeln, Lungern und Glotzen.
Schnell fand ich unter den vielen Wartenden meinen Kabinenpartner, denn Georg wollte auch nach Georgien. Georg hatte gerade sein Maschinenbaustudium in Darmstadt abgeschlossen und war auf dem Weg nach Indien – mit dem Fahrrad. Gestartet war er zwei Monate zuvor in Wien und radelte seitdem immer an der Donau entlang, überquerte diese irgendwann und gelang nach Odessa. Weitere Abgesandte der Europäischen Union waren ein Pärchen aus Italien und der Slowakei. Den restlichen Platz im Warteraum füllten Ukrainer, Armenier und Georgier aus. Aus einem Augenblick wurde eine Weile, aus Minuten wurden Stunden und aus Vorfreude wurde Frust. Wäre in der Nähe wenigstens ein Strand gewesen, aber so weit das Auge blickte, ragten Hafenkräne dem Himmel empor. Wenigstens gab es im Terminal einen Imbiss, der zuweilen, aufgrund von fehlendem Kleingeld, das Rückgeld in Form von Feuerzeugen erstattete. Doch irgendwann machte auch dieser zu, da sich der Imbiss hinter der Zollabfertigung befand. Ich quatschte und döste, las und trank. Gegen 22 Uhr fühlten sich die Beamten endlich in der Verfassung die Passagiere ohne Auto abzufertigen. Ein Zöllner und ein Grenzbeamter waren für die 50 Wartenden zuständig. Das ich in der Schlange fast ganz hinten stand war an diesem Tag selbstverständlich.
An Bord wartete dann wenigstens schon das Abendbrot: Fisch und ungenießbarer Saft. Die Kabinen waren Top: Toilette und Dusche auf dem Zimmer, geräumig und sehr gepflegt. Einziges Manko: Die Schiffskneipe verfügte über Westpreise: Bier 1,50 Dollar und Wodka 8 Dollar. Scheinbar wurden die Preislisten der MS Greifswald seit den Überfahrten von Saßnitz nach Klaipeda nicht entfernt und den örtlichen Begebenheiten angepasst. Die Bar war an den drei Tagen dann auch so umlagert wie ein Steak-Stand beim Kongress der anonymen Vegetarier.
Am nächsten Morgen drang durch das kleine Bullauge vermehrt warme Luft und die Lautsprecher verkündeten den Beginn des Frühstücks. Also nichts wie aufstehen und ans Tagewerk machen: Frühstück essen – dösen – Mittag essen – dösen – Abendbrot essen. Kurzer Blick aus dem Bullauge: eine andere Fähre fuhr direkt neben unserer; aber na ja, der Kapitän wird das schon richten. Aber Moment mal, die parallel fahrende Fähre kam mir bekannt vor. Also wurde der Blick nach rechts gerichtet und siehe da: Entweder fuhr der ganze Hafen auf einer noch größeren Fähre mit nach Georgien oder aber unsere MS Greifswald hatte noch gar nicht abgelegt. Kurz vor Mittag war es dann doch so weit: Menschen mit weißen Taschentüchern säumten die Promenade, Gebete für die Passagiere wurden gen Himmel gesandt und Tränen flossen. Ob es sich tatsächlich so abgespielt hat, weiß ich leider nicht, denn ich döste, geflüchtet vor der unbarmherzigen Mittagssonne, in der Kabine. Doch ich befürchte, diese Schifffahrtsromantik existiert bei LKW- und Cargofähren gar nicht mehr. Folglich nässte ich mein Bett mit Schweiß, denn auch Liegen strengt bei solchen Temperaturen an, und wartete auf das Abendessen – Kreuzfahrerleben. Schnell stellte sich heraus, dass die Hälfte der Georgier Deportierte aus Europa waren. Die Jungs konnten daher auch spannende Geschichten von Festnahmen erzählen und Details zu gefälschten Einladungen in die Europäische Union preisgeben.
Am Abend entdeckte ich dann noch einen Australier und einen Neuseeländer auf der Fähre. Sie hatten einen Opel mit bulgarischem Nummernschild mit auf der Reise, da der Australier Chris in Bulgarien gearbeitet hatte. Die letzte Zeit war er berufstechnisch aber eher in der Ukraine unterwegs und wollte nun in Armenien seiner Tätigkeit als Mineningenieur nachgehen. Glenn war schon knapp 50, besaß einen neuseeländischen und einen englischen Pass, war Inhaber eines Internetcafes in Neuseeland und hatte ungefähr genauso viele Länder besucht wie Papst Johannes Paul II. Für Gesprächsstoff war also gesorgt und das vor der Kulisse eines Sonnenuntergangs über dem Schwarzen Meer. Das Leben kann manchmal auch schön sein.
Der Sonnenaufgang war ebenso imposant, nur musste man schon 5.30 Uhr aufstehen, damit die Fotoentwicklung im örtlichen Rossmann was zu tun hat. Am zweiten Tag war es endlich so weit; ich wusste nie ob es Ammenmärchen oder Wirklichkeit war. Nun weiß ich, es ist Wirklichkeit: es gibt sie im Schwarzen Meer. Angelehnt an der Reling, der MP3-Player täuschte dem Ohr Heimat vor, man sinnierte über dieses und jenes, die Augen waren geöffnet und starrten den Gedanken folgend emotionslos auf die blaue Wüste, als sich plötzlich Löcher in dem unendlich erscheinenden Gewässer auftaten und sechs Delphine neben der Fähre aus dem Wasser sprangen und wieder eintauchten. Ein schneller Griff zur Seite, wo sich normalerweise die Kamera befand, aber Pech gehabt. Manns „Buddenbrooks“ eignet sich wahrlich nicht zum Fotografieren. So wurden irgendwelche Erinnerungen gelöscht um das gerade Erlebte auf dem nun wieder frei gewordenen Speicher im Gedächtnis abzulegen. Verflixt, wie war der Weg von der Uni zu mir nach Hause?
Am letzten Abend gab es noch einmal Piwo und Wodka von den LKW- Fahrern und ein Armenier lud mich ein, bei ihm zu Nächtigen wenn ich in Jerewan ankomme. Freitag um 9 Uhr war endlich wieder Land in Sicht – Georgien. Die Fahrt hatte sich mehr als gelohnt: Ich bekam einen ersten Eindruck von den Leuten, ihrer Gastfreundschaft, konnte die russische Sprache verfeinern und den Körper an die bevorstehenden Temperaturen gewöhnen.
Kühe am Strand, heruntergekommene Hafenanlagen und verrostete Schiffe im Hafenbecken – Poti hieß uns willkommen. Jetzt war nur noch zu klären was, man in den nächsten Tagen anstellen wollte. Mit Glenn und Chris wollte ich erst einmal mit dem Auto nach Batumi und dann mal schauen, der erste Fußballtermin war schließlich erst für Sonntag notiert. Um vielleicht Samstag schon zu einem Zweitligaspiel zu kommen, rief ich bei Dinamo Tbilisi an und notierte erstaunt, dass die zweite Mannschaft am Montag ein Heimspiel hat. Also, nicht auf Teufel komm raus ein Samstagsspiel finden, sondern relaxen, ja Urlaub machen. Die Fußpassagiere durften gegen 14 Uhr die Fähre verlassen, fehlten nur noch meine neuen Bekannten plus Transportmittel. Ich setzte mich also neben die Fähre und schaute den arbeitswütigen Georgiern zu. Knapp drei Stunden später waren dann die Güterwagons (auf einer von fünf Schienen!) aus der Fähre befreit und gaben die Auto/LKW-Zufahrt frei.
Das erste Auto war dann ein Opel mit bulgarischem Nummernschild – Strike! „Come on Martin“ brüllte Glenn aus dem Fenster und so stürmte ich zum Auto und sprang hinein. Chris trat das Gaspedal durch um 200 Meter später die Bremsrückleuchten zu erhellen. Schon am ersten Checkpoint war Schluss.
Die grüne Versicherungskarte interessierte hier niemanden, man benötigte spezielle Papiere, wenn man mit dem eigenen Auto anreiste. Als erstes Auto des Fährkonvois erreichten wir die PKW-Meldestelle, einen Baucontainer. Hier drückte man Chris dutzende Papiere in die Hand, zum Glück wenigstens in kyrillischer Schrift, die er ausfüllen sollte, um diese dann an einer anderen Stelle vorzulegen bzw. abzugeben. Ordnungsgemäß wollte Chris die Papiere in dem anderen Büro überreichen. Dort erfuhr er jedoch, dass der Chef der Abteilung noch gar nicht da war. Bei den ganzen Fähren die in Poti einlaufen ist die Koordinierung der Arbeitszeit ein, zugegebenermaßen, heikles Unterfangen. Kurz vor der Abenddämmerung kam der Boss dann doch noch im abgedunkelten Auto vorgefahren, um sich mit den Problemen der Antragssteller zu befassen. Die meisten wollten die Autos nur überführen, vorwiegend waren diese in Deutschland gekauft und sollten nach Armenien gebracht werden. Dafür benötigten die Autos eine Art Transitvisum für 30 Dollar, gültig für fünf Tage. Dieses Transitvisum war auch unsere einzige Chance das Auto in Georgien fahren zu dürfen, nur sollten wir 100 Dollar bezahlen. Dieser Vorschlag traf bei uns natürlich auf Ablehnung, also wurde gewartet und gewartet. Mittlerweile war es dunkel geworden, sämtliche mit der Fähre transportierten Autos hatten das Hafengelände verlassen; nur wir standen noch da, ohne Erlaubnis das Auto bewegen zu dürfen und ohne Einsicht die Konsumfreudigkeit des Chefs zu finanzieren. Eine Radiostation sendete, für uns unverständlich, die 23-Uhr-Nachrichten als Beamter B. E. Stechlich wiederkam. Zum wiederholten Male fragten wir ihn wieso alle Autofahrer 30 Dollar bezahlten und wir 100 Dollar löhnen sollten. Er begründete dies mit der Erschwernis und blablabla. Zum tausendsten Male veranstalten wir nun das Handel-Spiel, wobei er uns bis jetzt keinen Dollar entgegenkam. Aber irgendwann wollte er wohl auch nach Hause, denn plötzlich war er mit 80 Dollar zufrieden, auch wenn ihm das großen Ärger mit seinem Chef einbringen würde. Der Sat1-Comedy-Freitag live in Georgien.
Nichts wie weg vom Hafengelände und nichts wie hin nach…, ja wohin fahren wir denn eigentlich? Ich hatte zum Glück die Adresse eines billigen Hotels in Poti, weshalb wir uns aufgrund der fortgeschrittenen Zeit dazu entschieden, in der Hafenstadt zu nächtigen und am nächsten Morgen nach Batumi zu fahren. Nach der ersten Stadtrunde wollten wir eigentlich gleich wieder aufs Hafengelände. Ich habe mittlerweile schon einige heruntergekommene Städte gesehen, aber Poti war eine neue Dimension. Okay, es war Nacht und man war gestresst, aber auch ohne diese Umstände wäre man geschockt gewesen. Kaum ein Haus an dem nicht etwas fehlte. Selbst vom normalen Ostblockstandard waren die Wohnhäuser so weit entfernt, wie ich von der Komplettierung der Verbandsliga Niederrhein. Straßen, als würde man auf Legosteinen fahren, und an allen Ecken lungerten die Leute in der typischen Hockposition herum und glotzten auf die Straße. So waren wir nicht wirklich traurig, dass wir das Hotel nicht finden konnten und somit einen Grund hatten, doch schon Richtung Batumi aufzubrechen.
Meine Informationen verrieten mir, dass an der Straße Richtung Batumi ein Beach-Resort beheimatet sein sollte. Circa zehn Kilometer außerhalb von Poti wurden wir fündig. Es war zwar nicht das gesuchte Beach-Resort aber immerhin ein Hotel. Die Zimmer waren okay (halt ein Bett und eine Lampe) und laut Inhaber waren es zum Strand keine 100 Meter. Vorm Schlafengehen füllten wir noch unsere Mägen und probierten heimische Biersorten. Das Essen ist mehr als empfehlenswert: scharf, viel Knoblauch, einfach lecker. Nur vom Bierbrauen sollten die Georgier lieber die Finger lassen…
Mit einem Lächeln im Gesicht schaltete ich die Weckfunktion meines Handys aus, denn ein morgendliches Bad im Schwarzen Meer wartete. Der Besitzer hatte Recht, es waren 100 Meter, es war ein Strand, nur der optische Zustand war ein anderer als die Vorstellungen, die man beim Wort Strand hat. Auf den ersten 20 Metern musste ich Kuhfladen ausweichen um die restlichen 80 Meter, die am besten gelegene Müllkippe der Welt, zu durchqueren. Ob hier auch Einheimische baden, dessen bin ich mir im Nachhinein nicht mehr so sicher, schließlich war außer mir und einer Kuh niemand zugegen. Auch wenn zum Teil Unrat im Wasser schwamm, war die Qualität nicht so schlecht; nur Tauchen mit offenem Mund sollte man unterlassen.
Mit dem Auto ging es die restlichen 70 Kilometer Richtung Batumi weiter. Die Straßen waren nicht so schlecht wie befürchtet, einzig die Kühe, die praktisch alle 500 Meter mitten auf der Straße standen (autobahnähnliche Straßen nicht ausgenommen) und selbst hupen ignorierten, erschwerten die Fahrt. Ob sie von der Regierung eingesetzt werden, um die Funktion wahrzunehmen, die bei uns Verkehrsinseln haben, – Verkehrsberuhigung – konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Aber zum Glück hatten wir keine A-Klasse, so dass der mehrfach vollzogene Elchtest ohne Probleme verlief. Am Bahnhof in Batumi versuchte ich ein Ticket für den Nachtzug nach Tbilisi zu bekommen, was aber leider nicht gelang. Die ganzen Wochenendtouristen vermasselten mir somit den Ground in Telavi. Da die Ozeanienfreunde kaum Informationen über Sehenswürdigkeiten besaßen, waren sie erfreut, dass ich einen weiteren Tag ihre Rückbank bevölkern wollte. So ging es zu dritt zum Stadtbummel nach Batumi. Die Innenstadt versprühte den typischen Charme einer sowjetischen Ferienhochburg (Karussells, gestellte Fotos mit Tieren…). Das Wasser war hier schon sauberer dafür war der Strand aber auch total überlaufen. Da zwölf Kilometer außerhalb von Batumi eine Festung aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. wartete, nahmen wir, ohne wirklich traurig zu sein, Abschied.
Die Festung war gar nicht mal so klein, war früher eine römische Siedlung und ist herrlich bewachsen. Überhaupt war die Vegetation am Fuße des kleinen Kaukasus ein Genuss. Wo man auch hinschaute: überall grünte es. Nachdem die touristischen Tagesaufgaben abgearbeitet waren, ging es auf die andere Straßenseite zum Schwarzen Meer. Dort gab es zwar kein Sandstrand, dafür aber knapp einen Meter hohe Wellen. Diese ließen mich kaum ins tiefe Wasser vordringen, da man kaum Standhaftigkeit auf den Steinen besaß und daher oftmals einfach zu Boden gerissen wurde. Das Wasser war mehr als sauber und der Strand nicht so umlagert wie in Batumi. Da auch die Ozeanier am Sonntag in Tbilisi ankommen wollten, schlug ich vor, die Hälfte der Strecke noch am selben Tag zurückzulegen. Um nach Tblisi zu gelangen, gab es zwei Möglichkeiten: eine ausgebaute Straße von Batumi nach Tbilisi, ohne Sehenswürdigkeiten und eine zweite Strecke mitten durch den kleinen Kaukasus (höchster Berg ist 3700 Meter hoch), bei der vier Steinbrücken aus dem Mittelalter passiert werden sollten. Die Straße konnte so schlecht auch nicht sein, schließlich war sie in einer Kaukasus-Karte von Georg gelb markiert. Einziges Manko war, dass wir Drei keine Karte unser Eigen nennen durften. Einzig eine kostenlose Touristenkarte auf englisch, grob gezeichnet, bei der mehr Bedacht auf die Sehenswürdigleiten gelegt wurde, stellte, neben meinem ungefähren geografischen Wissen, die kartographische Grundlage unserer Reise dar. Knapp 150 Kilometer war die Straße lang und der Bus benötigt sieben Stunden – dieses wusste ich noch zu berichten. Also nichts wie los, zeigte die Uhr doch schon 17 Uhr an.
Die ersten achtzig Kilometer waren recht angenehm zurückzulegen; die Straßen waren in Ordnung, die Landschaft mehr als reizvoll und die Steinbrücken eine Augenweide und sogar noch recht stabil. Neben der zweiten Brücke bauten ungefähr zehn Männer gerade eine neue Kirche und luden uns, als sie merkten, dass wir Touristen waren, sofort auf Wein und Äpfel ein. Sie erzählten uns von dem Projekt und boten uns an, bei ihnen zu nächtigen, was wir aber leider ablehnen mussten, wollten wir doch am Abend noch Akhaltsikhe erreichen. Serpentine um Serpentine gewannen wir an Höhenmetern und die Straße wechselte den Belag von Asphalt zu Schotter häufiger, als ein neues Lied von der CD erklang. Die Dämmerung setzte langsam ein, als wir an eine Weggabelung kamen. Schilderlos versteht sich. Laut Touristenkarte ging die Hauptstraße direkt nach Akhaltsikhe, während die zweite mitten durch die Berge führen sollte. Guter Rat war nun teuer und ein Verkaufsstand, der einen guten Rat anbot, war weit und breit nicht zu erblicken. Also folgten wir der Straße, die am besten ausgebaut war. Mit Anbruch der Dunkelheit verschwand der Asphalt. Die Dörfer, die wir passierten, hatten, wenn überhaupt, nur Ortsschilder auf georgisch. Ein Königreich für ein kyrillisches Schild. Nachdem wir vergebens auf einen größeren Ort namens Khulo warteten, fragten wir Jugendliche, ob dieser Weg denn überhaupt nach Khulo führen würde. „Da, da“ – immer geradeaus weiter. Die einzigen motorisierten Fahrzeuge, die uns noch entgegen kamen, waren alte russische Militärlaster und Jeeps. Diese konnten auch ohne Probleme fahren, ihre Tachonadeln erreichten teilweise bestimmt die 50-km/h-Marke. Wir hingegen tuckerten mit 20 Stundenkilometern die Berge hoch. Schlaglöcher, heruntergestürzte Steine und Steigungen der Kategorie „Geschwindigkeitsrekord durch Rollen“ ließen auf der Schotterpiste nicht mehr zu. Nachdem die Uhr schon 22 Uhr anzeigte und die Lichter der Stadt Khulo, auf die wir so sehnsüchtig warteten, noch immer nicht zu sehen waren, realisierten wir, dass wir wohl doch auf der falschen Straße waren. Zum Glück trafen wir Dorfbewohner hinter einen 2025 Meter hohen Pass an einer Bushaltestelle. Sofort nach unserer Ankunft versammelte sich eine Menschentraube um unser Auto. Da die Bewohner das lateinische Buchstabenwirrwarr nicht deuten konnten, lasen wir die Ortschaften auf unserer Karte vor, in der Hoffnung wir würden so herausfinden können, wo wir ungefähr waren. Schnell stellte sich heraus, dass wir uns auf einer Nebenstraße nach Akhaltsikhe befanden und ein Umdrehen und Zurückfahren zur Gabelung einen längeren Weg bedeuten würde. Also Augen zu – außer die des Fahrers natürlich – und durch.
Die Straße wurde immer besser: umgestürzte Bäume und zwei flache Flüsse waren u. a. die neuen Hindernisse. Der Opel ließ sich zum Glück nichts anmerken und spulte das von ihm verlangte Programm ohne Murren ab. Plötzlich vernahm ich ein Fluchen vom Fahrer und ein Blick nach vorn offenbarte das Problem: der Weg gabelte sich erneut. Demokratisch wurde abgestimmt und bei einer für Mitteleuropa schier utopisch klingenden Wahlbeteiligung von 100 Prozent gewann „Links“ mit 100 Prozent. Keine 500 Meter weiter war der Weg für ein normales Kraftfahrzeug jedoch überhaupt nicht mehr passierbar. Zu unserem Glück arbeitete aber noch ein Waldarbeiter mit seiner Familie um halb Elf – bei totaler Finsternis. Er starrte uns an, als hätte er noch nie Ausländer gesehen (was ich aber auch annehme), war dann aber sehr freundlich und hilfsbereit. Der Weg war natürlich falsch, ergo hieß es umzudrehen und den rechten Abzweig zu nehmen. Kurz darauf wurde der Track zu einer ebenen Schotterstraße; eine Straßenleuchte, eine Brücke – und Gott sei Dank – ein Georgisch/Russisches Verkehrsschild deuteten auf Zivilisation hin. Ungefähr um 23 Uhr erreichten wir Akhaltsikhe und checkten im ersten Hotel ein. Dies kostete zwar acht Dollar, aber das war uns jetzt auch wurst.
Am Morgen bestellten wir die komplette Vitrine des Hotels als Frühstück: Rührei mit Peperoni, Tomaten, selbst gemachter Käse und frisches Fladenbrot. Dazu ein Getränk – und das alles für knapp drei Euro. Unter dem Lachen der Ozeanier packte ich die übrig gebliebenen Nahrungsmittel fein säuberlich in Servietten ein und weiter ging die Reise. Über Borjomi (Heimat des bekanntesten und wohl besten Mineralwassers der ehemaligen Sowjetunion; der Mineralwasserpark ist aber nicht wirklich sehenswert) erreichten wir am Nachmittag Gori. Gori? Gori? War da nicht was?! Richtig, ein kleiner Fratz namens Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili, besser bekannt als Josef Stalin, wurde in Gori geboren. Am Rathaus steht daher eine riesige Stalin-Statue und ein Stalin-Museum darf natürlich auch nicht fehlen. Der Eintritt war uns dann aber doch zu teuer: Kriegsveteranen kostenlos, Georgier drei Lari, Ausländer zehn Lari, Fotoerlaubnis 30 Lari, Videoerlaubnis 200 Lari. Also erhielt sein Geburtshaus den Vorzug, kurz fotografiert und ab ins städtische Stadion.

20.08.2006 Dila Gori 0:3 FC Borjomi
1. Liga Georgien – Temur-Burjanadze-Stadion

Glenn und Chris kamen sogar mit und fragten nach den ersten gespielten Minuten, ob es tatsächlich mein Hobby sei, solche Spiele freiwillig anzugucken. Bei dem Anblick, was die 22 Spieler auf den Rasen veranstalteten, fiel es sogar mir schwer, dem positive Aspekte abzugewinnen. Ich habe bei einem Erstligaspiel noch nie soviel Inkompetenz seitens der Spieler beim Umgang mit dem Ball und mit den eigenen Füßen gesehen. Das Stadion hingegen ist schön alt und zerfallen und bietet als Panorama die Festung der Stadt.

Die 70 Kilometer bis nach Tbilisi gingen recht zügig von statten, war doch sogar eine zweispurige Schnellstraße vorhanden. Bei Ankunft im Stadtzentrum war es trotzdem schon dunkel, von daher musste ein Mitglied, der von mir am meisten gehassten Berufsgruppe, vorneweg fahren, um uns zu einem Homestay zu lotsen. Zwar war im eigentlichen Haus kein Zimmer mehr frei, dafür aber im Hof einer anderen Familie. Für 15 Lari gab es Sattelitenfernsehen, warmes Wasser und Abendbrot. Glenn und Chris zogen ein Hotel vor, so dass ich mich einschloss und Turmspringen sowie Euronews guckte.
Der Terminkalender für Montag war picke packe voll, ja er artete fast in Stress aus. Gleich nach dem Frühstück ging es mit einer Marschrutka zur aserbaidschanischen Botschaft. Ich verpasste natürlich die richtige Haltestelle, konnte durch diesen Fauxpas aber schon das Lokomotiwi-Stadion lokalisieren. Bei der Botschaft ging die Antragstellung schneller als gedacht. Eine Einladung war nicht vorzuweisen, denn das Hotel Baku lud alle Antragsteller ein. Von der Botschaft ging es zum Fußballverband, welcher im Lokomotiwi-Stadion seinen Sitz hatte, um die genauen Daten der Vorrundenrückspiele des georgischen Pokals in Erfahrung zu bringen. Der Verband fühlte sich aber überfordert und brachte mich zum Büro der Fußballliga. Dort versprach man mir sich darum zu kümmern und ich sollte doch am folgenden Tag noch einmal wiederkommen. Daraufhin sollte es zum Büro von Dinamo Tbilisi gehen, wurde mir doch mitgeteilt, dass diese heute spielen sollten. Da der Anwalt vom Erstligisten Zestafoni auch zum Dinamo-Stadion wollte, spendierte er die Taxifahrt und man unterhielt sich angeregt über die Probleme des georgischen Ligafußballs. Das Stadion wirkte von außen eher wie ein neues Projekt von Christo, da es für den anstehenden Ländervergleich gegen Frankreich renoviert wurde. Meine Annahme, dass somit auch Dinamo temporär seine Ligaspiele nicht hier austrägt, bestätigte ein Security-Mitarbeiter. Bei dieser Nachricht, so war ich mir sicher, würde meine noch eintreffende Begleitung Purzelbäume schlagen. Das Büro von Dinamo war, wie es dann immer so ist, auch nicht am Stadion, sondern ziemlich weit außerhalb. Zum Glück fuhr ein Bus in die Nähe, so dass ich alsbald die Security-Leute vom Dinamo-Gelände beim Playstation-Spielen stören konnte. Das Gelände selber durfte ich nicht betreten, aber per Haustelefon teilte mir eine Dame mit, dass im Stadion Sinatle im Stadtteil Awschala Dinamo 2 auf Akhaltsikhe treffen sollte.
Diese Stadt ließ mich also nicht in Ruhe. Mit der freudigen Nachricht ging es wieder zurück zur Botschaft und für 40 Dollar bekam ich meinen Pass samt 3-Tages-Visum. Mit einer Melone bewaffnet fuhr ich mit der Metro zur Endhaltestelle und von dort nochmals zehn Minuten mit dem Bus zum Sinatle-Stadion.

21.08.2006 Dinamo Tbilisi 2 0:0 Meskheti Akhaltsikhe

2. Liga Georgien – Sinatle-Stadion

Das Stadion hat auf einer Seite eine teilweise stark zerfallene Stahlrohrtribüne mit fünf Stufen, in der Mitte einen Sprecherturm und ansonsten nichts. UEFA- oder gar FIFA-Spiele dürften hier in nächster Zeit nicht über die Bühne gehen. Das Spiel war teilweise besser als das vom Vortag, dürfte Verbandsliganiveau aber nicht überschritten haben.

Zur Metrostation ging es durch die Vorstadtghettos zu Fuß zurück. Aufgrund meines für südliche Verhältnisse eher untypischen Aussehens wurde ich zwar stetig beglotzt, trotzdem fühlte ich mich sicherer als in Hamburg-Wilhelmsburg. Am Abend war ich mit den Ozeaniern verabredet, wir tranken Bier und schauten dem lustigen Treiben vor der Großen Halle des staatlichen Orchesters zu. Dort war ein riesiger Springbrunnen, der das Wasser im Rhythmus zur gespielten Musik in die Höhe beförderte. Die Musik war gar nicht mal so schlecht, aber ein bisschen abwechslungsreicher hätte sie schon sein können. Denn stundenlang wurde Song 2 von Blur gespielt, was spätestens nach dem dritten Mal dezent langweilig wurde. Im Springbrunnen tanzten Kinder und ein großer Pulk an Menschen stand darum herum, aß Popcorn und kaufte leuchtenden Krimskrams. Den Vorteil der Zeitverschiebung bekam ich an diesen Abend auch mit. Man verabredete sich zur georgischen Prime-Time in der Innenstadt, trank und quatschte, fuhr wieder zur Unterkunft und schaute dort den deutschen Prime-Time-Film auf ZDF.
Am nächsten Morgen zog ich aus meiner Herberge um zwei Straßen weiter wieder einzuziehen. In der dortigen Wohnung vermietete eine Oma Betten zum Preis von acht Lari. Ich hatte von nun an zwar kein eigenes Zimmer mehr – und von warmem Wasser und einer Toilettenspülung musste ich mich auch verabschieden –, aber der Preis zählte und schließlich muss man ja nicht 24 Stunden in seiner Unterkunft rumhängen.
Vor der Altstadtbesichtigung ging es zum Büro der Fußballliga, wo ich auch schon erwartet wurde. Nach einer Stunde Suchen präsentierte mir der Mitarbeiter überglücklich den Spielplan der ersten Liga. Nun ja, den hatte ich schon selbst, also verdeutlichte ich ihm noch einmal, dass ich die Pokalansetzung benötige. Jetzt ging alles ganz schnell: er holte die tägliche Sportzeitung und übersetzte mir die Ansetzungen. Zudem erzählte er mir, dass das Nachholspiel Bolnisi vs. Rustawi nicht Mittwoch sondern Donnerstag stattfinden sollte. Dies glaubte ich zwar nicht wirklich, wurde aber im Hinterstübchen abgespeichert. In der Zwischenzeit erreichte mich eine SMS von LingenFeno, dass er die Grenze überquert hatte und kurz vor Batumi war. So schlenderte ich gelassen durch die Altstadt, die ihr ganz eigenes Flair besitzt und nicht wirklich mit anderen Altstädten vergleichbar, auf jeden Fall aber sehr empfehlenswert ist. Viele Kirchen, kleinere Parks, ein Eldorado für Liebhaber alter Balkone und Wohnungen in der Stadtmauer. Kurz vor dem Beginn der alltäglichen Hitzephase floh ich in einen Park. Jeden Tag brachte die Sonne das Quecksilber so in Wallung, dass gegen 16 Uhr dem Betrachter eines Thermometers 40 Grad signalisiert wurden. Somit war zu dieser Stunde jede Fingerbewegung mit einem T-Shirt-Wechsel verbunden. LingenFeno ergatterte währenddessen sogar noch eine Marschrutka nach Tbilisi und forderte größere Mengen Nahrungsmittel für seine Ankunft. Nachdem auch dies erledigt war ging es wieder zur Unterkunft, in der ich eine Amerikanerin traf, die von China aus den Europäischen Kontinent ansteuerte – alleine. Mit ihr ging es zur besten Kneipe im Viertel, wo wir fürs Bier ganz schön tief in die Tasche greifen musste – das Kleingeld war ziemlich versteckt. Ein Bier kostete 70 Cent und eine Flasche Rotwein 3,50 Euro. Der Emslandhool teilte mir wenig später mit, dass sich seine Ankunft um vier Stunden verschieben würde. Da wir die Kneipe aber schon verlassen hatten, machte ich mich frühzeitig auf den Weg zum Hauptbahnhof. Vielleicht nicht der sicherste Ort für Touristen, schließlich haben sich im Bahnhofshotel die Flüchtlinge aus Abchasien einquartiert, aber was soll’s. Immerhin fuhr alle zehn Minuten ein Streifenwagen hinter mir entlang und es war warm – welcher Bösewicht wird in einer so lauen Sommernacht schon ein Verbrechen begehen?
Gegen ein Uhr betrat LingenFeno endlich hauptstädtischen Boden und es wurde schnell die Unterkunft aufgesucht. Bei einem Bierchen erzählten wir uns das Neueste und Wichtigste. War für mich auch Neu, dass es noch eine andere und bessere Anfahrt zum Sportplatz Hundsangen der SG Hundsangen/Oberbach gibt, als die, die mir bekannte war… Wir erzählten uns noch von großartigen Touren an vorherigen Wochenenden, als es zum Beispiel für mich mit SchwedtTorsten und AltenburgHarry zu einem Doppler in die Verbandsliga Saarland ging.
Ein wenig übermüdet vernahmen wir am nächsten Morgen den Weckruf des Handys, aber alles Fluchen half nicht, Organisatorisches musste erledigt werden. Immerhin benötigte meine Begleitung auch noch ein Visum für Aserbaidschan. Diesmal verzögerte sich die Abgabe immens, so dass wir gerade noch vor Schließung der Botschaft den Antrag und Pass abgeben konnten. Schnell ging es weiter zum Busbahnhof Didube um eine Marschrutka Richtung Batumi zu bekommen. Glück gehabt, wir waren die fehlenden zwei Fahrgäste, also konnte die Fahrt losgehen. Einzig das Ziel war noch unklar, hing dieses doch von den fahrerischen Qualitäten des Kraftfahrers ab. Aber schon die ersten gefahrenen Kilometer – wir konnten weder lesen noch schlafen da wir nur darauf bedacht waren unsere Habseligkeiten festzuhalten und mit dem Kopf nicht allzu sehr gegen Fenster und Decke zu knallen – ließen erkennen, dass wir Samtredia auf jeden Fall „in time“ erreichen würden. Bei einer Verbesserung der Überholtechnik – wieso nicht gleich eine zweite Überholspur eröffnen und somit die zweispurige Straße auf vier Spuren erweitern – könnten wir bis 17 Uhr sogar noch Lanchkhuti erreichen.
Von Lanchkuthi existierten faszinierende Groundfotos: eine Perle des sozialistischen Stadionbaus, Platz für 20.000 Zuschauer plus Flutlicht. Von Samtredia war hingegen nur das Fassungsvermögen bekannt: 15.000. Ein kurzer Raststopp sorgte im Nachhinein für Heiterkeit bei uns. LingenFeno entdeckte auf einem anderen Tisch eine Art Suppe, in die er sich – rein kulinarisch – auf den ersten Blick verliebte und auch unbedingt essen wollte. Also wurde sie bestellt und – pfui, kalt und total scharf. Anstandshalber haben wir sie dennoch fast ausgelöffelt und aßen dazu Brot, Salat und Fleisch gegessen. Total überfressen und mit dem Bedarf einen Liter Wasser auf Ex zu trinken, ging die rasante Fahrt über die Straße (Typ „Shaker“ weiter), so dass wir kurz nach halb Fünf Samtredia erreichten. Eine Weiterfahrt nach Lanchkhuti erschien uns nun zeitlich zu riskant, also Türen auf und Austritt in die Freiheit – wir hatten wieder festen Boden unter den Füssen. Über eine Brücke erreichten wir die Innenstadt, so jedenfalls nennt man ja häufig die Gegend um den Bahnhof. Das wohl ehemalige beste Haus am Platz stand noch als Steinskelett da, der Stadtpark war menschenleer und die Zahl an Autos, die auf der Hauptstraße fuhren, die einzig asphaltierte Straße durch die 28.000 Einwohner zählende Stadt, entsprach der Anzahl an Touristen in Nordkorea. Nach einem 20minütigen Fußmarsch durch die schlicht gehaltene Vorstadt erreichten wir schließlich das Stadion.

23.08.2006 Iberia Samtredia 0:0 Chikhura Sachkhere
Vorrunde georgischer Pokal – Erosi-Manjgaladze-Stadion

Die Vorfreude, dass dieses Spiel überhaupt stattfand, verging schnell, denn – unglaublich aber wahr – es waren mehr Bauarbeiter als Zuschauer vor Ort, die von sich allerdings behaupten konnten, in den letzten Monaten recht fleißig gewesen zu sein. Sie hatten das Stadion bis auf die Haupttribüne zurückgebaut. Die ganze Stadt verfällt und wo bauen sie neue Gehwege? Im Stadion. Von den knapp 200 Zuschauern beglotzten uns etwa 80 Prozent; die kleineren Kinder schafften es teilweise mich bis zu zwei Minuten mit offenem Mund anzustarren. Der Rest sah eine überlegene Heimelf ohne Torerfolg.

Vor dem Spiel hatten wir uns noch an einem Kiosk die für uns bisher billigste Limonade unseres Lebens zu besorgt. Diese kam, wie die Limonade aus unseren DDR-Kindheitstagen, in einer 0,7 Liter fassenden braunen Flasche daher. Der Preis für dieses Gesöff betrug knappe 12 Cent. Nach dem Spiel kauften wir uns unsere Tickets für den Nachtzug nach Tbilisi und zogen aus dem einzigen Bankautomaten der Stadt, der in einer riesigen Halle, bewacht von einem Extra-Sicherheitsmann, stand, einen Bündel Lari. Da wir knapp sechs Stunden Zeit hatten, peilten wir erstmal ein Restaurant an, in dem wir uns an georgischen Spezialitäten versuchten. Diesmal bekamen wir, ohne extra Bestellung, wieder diese Art Suppe hingestellt, doch erst jetzt kapierten wir was es war – eine Art Dipp-Sauce. Muss für die Einheimischen an der Raststätte nicht schlecht ausgesehen haben – man stelle sich vor, in Deutschland schleckert jemand eine Schale mit Ketchup pur. Nachdem unsere Bedürfnisse befriedigt waren, wollten wir zurück zum Bahnhof um die restliche Zeit mit dem „Name-Kapazität-Zuschauerrekord-Spiel“ in der Kategorie Landesliga Hessen-Mitte totzuschlagen.
Aber was war das? Entweder war in unserem Essen ein Narkosemittel gewesen und man hatte uns so an einen anderen Ort geschafft oder Samtredias Bürger trauen sich erst am Abend aus ihren Häusern. Im Stunden zuvor ausgestorbenen Stadtpark war eine riesige Videoleinwand aufgebaut, die russische Musikvideos zeigte und an die 500 Jugendliche drehten ihre Runden im Stadtpark – sehen und gesehen werden in Samtredia. Da dieses Treiben einen größeren Reiz als der Bahnhof auf uns versprühte, bestellten wir ein Bier und nahmen Platz. Schnell gruppierte sich ein Haufen Kleinwüchsiger neben unserem Tisch und versuchte, mit denen für sie so Fremden ins Gespräch zu kommen. Da sie aber weder Russisch noch Englisch sprachen, wurde es schnell lästig, was sie aber nicht davon abhielt, uns, trotz deutlichem Desinteresse unsererseits, weiterhin anzusprechen. Schnell ermahnten die ringsum sitzenden, älteren Georgier die Kinder und entschuldigten sich bei uns. Damit aber nicht genug. Kurze Zeit später trafen zwei Polizisten ein, die uns nicht mehr aus den Augen ließen. Da uns die ganze Situation langsam ein wenig peinlich wurde, verließen wir zwei Bier später den Pavillon und trabten zum Bahnhof. Dort wurden wir wenig später von zwei Männern auf Russisch angesprochen, wiesen diese aber zurück, da sie uns etwas suspekt waren. Daraufhin hoben sie ihre T-Shirts und es kamen eine Polizeimarke mitsamt Pistole zum Vorschein. Wir hatten also bis zu unserer Abfahrt nun also unsere eigenen Zivilpolizisten. Diese verscheuchten Bettler, die sich uns näherten, und brachten uns bis zum Wagon. Mich würde es nicht wundern, wenn die örtliche Zeitung am nächsten Tag vom Besuch zweier Investoren aus Europa geschrieben hat. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass Samtredia im Bürgerkrieg 1993 von den Regierungstruppen stark zerstört wurde und sich somit Touristen wohl eher selten in diese Stadt verlaufen.
Die Nachtzugfahrt war für mich sehr angenehm, da ich fünf Stunden Schlaf fand, während meine Begleitung bei der Ankunft über Bauchschmerzen und Schlafdefizite klagte.
Tagesaufgabe Nummer eins war am nächsten Morgen die Informationsbeschaffung bezüglich der Abfahrtszeiten von Marschrutkas am Busbahnhof Ortochala. Der Fahrer der Marschrutka zum Busbahnhof war einer der ganz freundlichen Sorte; verlangte er doch kein Geld von uns – Touristenbonus. Vor Ort mussten wir aber feststellen, dass nachts keine Marschrutkas nach Aserbaidschan fuhren. Also ging es direkt zur Botschaft, den Pass von LingenFeno abholen und zur Unterkunft, das überflüssige Gepäck bei unserer Herbergsoma deponieren. Beim Einkauf im gegenüberliegenden Konsum war es endlich soweit – unser erster Stromausfall. Das ganze Viertel war ohne Strom. Ein paar Geschäfte hatten Notstromaggregate, bei den meisten war es aber einfach nur dunkel – auf Eis verzichteten wir lieber.
Von der Absteige ging es weiter, erneut mit der touristenfreundlichen Marschrutka 108 (wieder war die Fahrt gratis), zurück zum Busbahnhof Ortochala. Die Marschrutka nach Bolnisi stand schon da, die Abfahrt sollte um 15.30 Uhr sein; von daher war noch Zeit für Speis und Trank. Damit das Essen auch seine Funktion erfüllte, verzichteten wir anschließend auf kalorienvernichtende Bewegungen und setzten uns gleich abfahrtsbereit in den Kleinbus. Fasten your seatbelts nicht vorhanden – und ab ging die Fahrt. Nach 40 Minuten war der Startvorgang abgeschlossen und man tuckerte endlich los. An einer fehlenden Starterlaubnis hatte die verspätete Abfahrt nicht gelegen, vielmehr versuchte der Fahrer eine höhere Dichte an Fahrgästen zu erreichen als die Bahnangestellten der Tokioter U-Bahn; klaustrophobische Mitfahrer waren zum Glück nicht dabei. Kurz hinter Tbilisi verschlechterten sich die Straßen, so dass man die letzten 20 Kilometer mit einer asphaltierten Variante eines von Akne verschönerten Gesichtes vergleichen könnte. Während LingenFeno versuchte im Takt der Schlaglöcher Schlaf zu finden, wanderten meine Augen hinaus in die Wirklichkeit Georgiens: faszinierend schöne Landschaften, verziert mit erschreckender Armut. Nirgends wurde der Kontrast zwischen Stadt und Land deutlicher als in dieser Gegend. Könnte die Stadt Tbilisi genauso gut auch in Rumänien liegen, sieht man in der ländlichen Region, weshalb 53 Prozent der Georgier unterhalb der Armutgrenze leben und das Durchschnittseinkommen lediglich bei 74 Prozent des offiziellen Lebensminimums liegt. Dabei muss man natürlich bedenken, dass Tbilisi den Wert deutlich nach oben drückt.

24.08.2006 Sioni Bolnisi 0:1 Olimpi Rustawi
1. Liga Georgien – Temur-Stepania-Stadion

15 Minuten zu spät – da muss ich wohl noch einmal anreisen. Mannschaft und Stadion werden von einer (wohl der einzigen) ansässigen Fabrik unterhalten – man ist Meister und spielt in einem All-Seater. Dank phänomenaler Arbeitslosenquote war dieses Donnerstagnachmittagsspiel gut besucht, selbst eine Handvoll Gäste hatte die 30 Kilometer weite Anreise nicht gescheut. In der Halbzeitpause ging es kurz zum Klubpräsidenten, um wenigstens eine Art Schnipsel als Eintrittskartenersatz zu erhalten. Den Weg zu meinem Platz zurück trat ich zwar ohne den erhofften Fetzen an, dafür aber mit Wimpel und erfrischt von Früchten und Getränken. Während LingenFeno Groundhopping light betrieb, widmete ich mich der zweiten Halbzeit. Aufgrund einer Vielzahl von Torchancen war es eines der besten Spiele der Tour.

Kurz nach dem Abpfiff kämpften wir uns an brennenden Müllbergen vorbei, um eine, besser gesagte DIE einzige, Marschrutka nach Tbilisi zu finden. Die bescheidene Zahl der Mitfahrer und die damit gepaarte (verspätete) Abfahrtszeit kollidierte allerdings mit der Anstoßzeit des Schlagerspiels der UEFA-Cup Qualifikationsrunde. Also biss ich in den sauren Apfel und bezahlte einen Euro mehr, damit der Fahrer ungefähr auf seinen Gesamtbetrag kam. Dank eines dämlichen Mitfahrers, der an irgendeiner Kreuzung auf irgendwas wartete, trafen wir aber erst 30 Minuten vor Anstoß in der Hauptstadt ein – für den dortigen ÖPNV zu spät.

24.08.2006 Ameri Tbilisi 2:2 Hertha BSC
2. Qualifikationsrunde UEFA-Cup – Mikheil-Meshki-Stadion

Das Taxi lieferte pünktlich und richtig, so dass sogar der Luxus eines Toilettenbesuches vor dem Anpfiff möglich war. Da das Spiel als sportliches Highlight in deutschen Landen praktisch auf allen öffentlich-rechtlichen sowie privaten Fernsehanstalten ausgiebig besprochen und beleuchtet wurde und jeder auch nur halbwegs an dem Wohlergehen einer deutschen Mannschaft Interessierte, in diesen so selten gewordenen internationalen Vergleichen die Chance wahr genommen hatte, dieses mit einer Portion Stolz und Bewunderung wahrzunehmen, brauche ich zu diesem Spiel nicht viel zu schreiben. Die 14 Herthaner sangen ein paar Mal und die restlichen 4986 Gestalten gaben manchmal den Klassiker A-M-E-R-I zur Melodie vom Hit „Langsam vorlesen“ von sich.

Eigentlich war nach dem Spiel vorgesehen, eine Marschrutka nach Rustawi zu finden, um von dort irgendwie bis zur aserbaidschanischen Grenze zu gelangen, aber die fortschreitende Krankheit von LingenFeno bescherte uns eine Taxifahrt. Nachdem ein bisschen verhandelt wurde, war ein Fahrer bereit, unseren Wunsch zu unserem Preis zu erfüllen. 30 Lari sollte uns die Fahrt zum Grenzübergang Krasny Most (ungefähre Übersetzung: Krasser gekelterter Fruchtsaft) kosten. Da die sozialistischen Autokonstrukteure Schlaglöcher bei der Planung von Achsen und Fahrwerk eingeplant hatten, kam der Lada, trotz, ich nenne es mal, Unebenheiten auf der Straße, mit zwei Achsen und vier Rädern an unserem Ziel an. Teilweise erinnerte das Ganze an die alten Fahrgeschicklichkeitsspiele auf Atari oder C64, es fehlten nur die Ölspuren. Den klassischen Pay-and-Go-Vorgang bei Vollendung der Beförderung seitens der Fahrgäste unterbrach der zuvor noch freundliche Fahrer. Zufrieden reichte ich ihm einen 50 Lari Schein, woraufhin er vor sich hin murmelte, dass er das nicht wechseln könne. Nach kurzer Denkpause und in der Annahme es hätte niemand verstanden/gehört, offenbarte er uns seine eigentliche Forderung: 30 Euro. Aha, Lari=Euro=Estische Kronen oder wie?! Es startete wieder das altbekannte Handeln. Letztendlich fand er 20 Euro für angemessen. Bleibt rückblickend nur die Frage, wieso er dann nicht die 50 Lari behalten hatte; ist dieser Schein doch mehr wert als 20 Euro.
Um den Abkotzfaktor bei LingenFeno um Eins zu erhöhen, gesellten sich nun, neben den schon vorhandenen Magenkrämpfen, auch noch die Kumpanen Regen und Sturm zu uns. Als weniger schlimm war dann die Wartezeit an der aserbaidschanischen Grenze zu bezeichnen, da die Wahrscheinlichkeit, um Mitternacht noch einen Bus nach Baku zu bekommen, doch mehr als gering war. Die Grenzer, ein Zwischending zwischen Kindersoldaten und Soldaten (=Teenagersoldaten?!), waren aber sehr freundlich. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, betraten wir muslimischen Boden und begannen uns zu fragen, was man knapp 1 Uhr nachts tun sollte. Die nächste Ortschaft war knapp acht Kilometer entfernt und um von Verkehr auf der Straße zu sprechen, würde man das Wort Verkehr beleidigen. Wenigstens blinkten an den drei, vier Häusern ein paar Lichter, so dass die Nacht nicht auf der Straße verbracht werden musste. Auf dem Weg zum Café „Nachtasyl“ erblickten wir eine Marschrutka samt schlafendem Fahrer. Der Taximann nebenan wusste zu berichten, dass die Marschrutka für sieben Dollar nach Baku verkehrt und er den gleichen Service für 100 Dollar anbietet. Bei diesen fast identischen Angeboten musste natürlich längere Zeit überlegt und beraten werden, aber letztendlich waren wir uns einig, für die 93 Dollar Differenz lieber Tee zu trinken. Das Café bot zwar Schutz von oben, aber vor dem himmlischen Kind, dem Wind, gab es kein Entkommen. Von daher murmelte sich mein Begleiter wie ein Eskimo ein. Erster Gesprächspartner war ein Grenzpolizist, der bei leckerem Tee und Schaschlik einen ersten Einblick in die Lebensverhältnisse vor Ort gab. Zur zweiten Runde Tee gesellten sich zwei Arbeiter aus der Nähe von Baku zu uns, die die freudige Information hatten, dass ein Busunternehmer den Bus gen aserbaidschanische Hauptstadt um Fünf für Fünf bereitstellt. Das verringerte die Wartezeit und die Reisekosten um Zwei und Zwei. Da der zukünftige Student neben mir einen so mitleidserregenden Eindruck auf die Betreiber der Spelunke gemacht haben muss, durften wir in den wind- und regengeschützten VIP-Bereich des Cafés und schalteten dort auf Campingstühlen den Schlafmodus ein. Pünktlich um Fünf wurde der müde Körper in den Bus geschleppt und ich musste mich entscheiden: weiter pennen oder die unendlichen Weiten vertrockneter Erde links und rechts der Straße bestaunen? Die Wahl fiel ähnlich schwer wie zuvor bei der Entscheidung zwischen Taxi und Bus…
Bei Hälfte der Strecke ging langsam der Standby-Modus des Körpers wieder an und ich musste feststellen, dass der Bus im Gegensatz zur Abfahrt ziemlich voll geworden war und aus diesem Grund fühlte ich mich mehr als nur bedrängt. Ein Blick zu den anderen Mitfahrern offenbarte mir aber schnell, dass diese nicht solche argen Platzprobleme besaßen. Der Sitz vor mir war das Problem, denn er stellte durch seine Position eine Art Liegestuhl dar, die aber so gar nicht einstellbar war. Die Verankerung mit der Bodenplatte des Busses war total im Arsch, wodurch der Sitz eine ungefähre Neigung von 40 Grad erreichte. So lag mir also eine junge Muslime mit ihrem Hinterkopf so zwischen den Beinen, dass jede Erektion einer Eruption gleich gekommen wäre. Die Mutter richtete den Sitz zwar alle 30 Minuten auf, aber da die Straßen in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf mit denen von Georgien standen, war der anfangs beschriebene Zustand schnell wieder hergestellt. Gegen 16 Uhr wurde endlich die Hauptstadt Baku erreicht, welche sich sehr staubig und hektisch präsentierte. Schnell die Rückfahrttickets gesichert und es ging erst per Metro und dann mit dem Taxi zum Hotel. Neun Dollar für ein Dreibettzimmer mit unbekanntem Dritten klangen in unseren Ohren akzeptabel. Schnell wurde geduscht und ab ging’s auf die Piste. Freitagabend – Fußball wartete.

25.08.2006 Inter Baku 2:0 Simurq Zaqatala
1. Liga Aserbaidschan – Tofiq-Behramov-Stadion

Das Spiel wurde, nicht etwa aus Kapazitätsgründen – trotz freiem Eintritts verirrten sich nur knapp 400 Menschen in die riesige Schüssel – sondern aufgrund der Live-Fernsehübertragung (die Einschaltquoten würden mich mal interessieren) und dem damit benötigten Flutlicht, ins Nationalstadion verlegt. Der Sport an sich war besser als der in Georgien: bringen hier doch ein paar Legionäre Technik und Können mit ins Spiel. Lauter Verzierungen, eine geschwungene Bauform und ein schönes Panorama sorgten für eine Platzierung in meiner Stadien Top-Ten.

Die Metrofahrt zum Hotel artete mal wieder in eine Fleisch- und Haarbeschauung aus. Hätte ich für jedes Angeglotztwerden einen Euro verlangt, müsste jetzt nicht ich diesen Bericht verfassen, sondern mein Schreibbüro um Günter Grass und Martin Walser. In der Nacht bekamen wir auch unseren Mitbewohner zu Gesicht; die maskuline Endung lässt es vermuten: er war männlich.
Während LingenFeno am nächsten Morgen versuchte die Schmerzen auszuschlafen, spulte ich das touristische Programm ab – Stadtbesichtigung. Diese ging schneller als erwartet, was an den fehlenden Besichtigungsobjekten lag. Im Hotel entschied sich LingenFeno aufgrund der körperlichen Fehlfunktionen gegen einen Besuch des Kaspischen Meeres und so ging es allein zum Busbahnhof, von dem, laut Führergott Lonely Planet, die Busse zu dem von mir auserkorenen Strand fahren sollten. Wie so viele Führer hat auch dieser mehr als nur einen kleinen Makel – viele Informationen sind schlichtweg falsch. Der richtige Busbahnhof war natürlich am anderen Ende von Baku, weshalb mir eine Stunde verloren ging. Ob mir diese vom Verlag bezahlt wird ist fraglich?! Zum Glück ging die Fahrt gleich los, dauerte jedoch länger als geplant. Unterwegs fuhr ich an einem unendlich erscheinenden Ölfeld vorbei, auf dem noch unendlicher erscheinende kleine Ölpumpen ihre 24-Stunden-Schicht absolvierten. Wenn das die Gewerkschaft wüsste…
Am Badeort angekommen rannte ich den Kilometer zum Strand herunter, schließlich musste das, wozu ein normaler Tourist den ganzen Tag Zeit hat, in knapp 30 Minuten absolviert werden. Der erstbeste seriös erscheinende Mann wurde mit der Beaufsichtigung meiner Klamotten beauftragt und ab ging’s ins Wasser. Zehn Minuten das kühle Nass genossen, abgetrocknet, Schaschlik bestellt, abreisefertig gemacht, Schaschlik gegessen und wieder zurück zur Bushaltestelle gerannt. Wäre ich alle 30 Minuten so angegangen, hätte ich für die gesamte Tour wohl nur zwei Tage gebraucht. Aber der Zeitplan für den Weg zurück war mit zwei Stunden auch mehr als knapp bemessen, musste ich doch erst nach Baku, dort durch die ganze Stadt und nochmals 30 Kilometer nach Sumquayit. Der Marschrutkafahrer tat dann auch alles dafür, dass es noch enger wurde, fuhr er doch die erste halbe Stunde höchstens im dritten Gang, bei einer maximalen Geschwindigkeit von 40 Km/h. Dass ich kurz vorm Explodieren war, muss ich eigentlich nicht extra erwähnen, will es an dieser Stelle aber dennoch tun. In Baku ging es mit der Metro zum anderen Busbahnhof, wo ich den Abfahrtort der Marschrutka nicht schnell genug finden konnte und somit notgedrungen mit einem Taxifahrer verhandeln musste. Zum Glück beherrsche ich einigermaßen das kyrillische Zahlensystem und wir einigten uns auf zehn Dollar.

26.08.2006 Genclerbirliyi Sumgayit 1:1 Olimpik Baku
1. Liga Aserbaidschan – Mehdi-Hüseynzade-adina-sehar-Stadion

Kurz nach dem Anpfiff betrat ich das Stadion, wieder einmal ohne bezahlen zu müssen. Positiv: ich spare Geld; Negativ: es gibt keine Eintrittskarten. Wobei das Negative deutlich überwiegt. Im Stadion war der Virenimporteur nicht auszumachen – ihm wird doch nichts zugestoßen sein? Zur zehnten Minute erblickte ich ihn dann, als er gerade durch den Eingang schritt. Als Abteilungsleiter der GH-Polizei, Abteilung Vorpommern, wurde er von mir natürlich sofort ermahnt. Das Beste war aber das Transportmittel mit dem er angereist war – einem Taxi. Er fuhr fünf Minuten nach mir in der Innenstadt los. Da sieht man mal wieder, wie wichtig Reden in einer Beziehung sein kann. Genclerbirliyi besaß sogar einen Fanblock mit Fahnen und sang ab und zu. Vielleicht aber auch nicht, im Endeffekt auch völlig egal.

Der körperliche Zustand von LingenFeno war immer noch nicht zum Besten bestellt, weshalb er die Taxifahrt zurück spendierte. Ach Feno, ich fahre öfter mit dir! In Baku hauten wir noch einmal richtig auf den Putz und verjubelten unsere übrig gebliebenen Manat für ein Bier.
Die Währung ist auch komisch, wurde sie doch vor kurzer Zeit neu bewertet und taufrische Geldscheine ausgegeben. Problem, wie so oft: die alten Scheine sind noch immer im Umlauf. Um die Touristenabzocke perfekt zu machen ist das System kaum durchschaubar. Unsere Version bei der Abfahrt war folgende: Kostet ein Produkt drei Manat, kann man diese bezahlen in dem man entweder drei neue Manat vorlegt oder aber 15.000 alte Manat, da 5000 alte ein neuer Manat sind. Nur sind die Preise selten glatt; von daher war Beschiss vorprogrammiert. Ein Grund, wieso dieses Land uns nicht wirklich überzeugte. Voller Vorfreude auf ehrliche Menschen, einfache Währung und Fußball der Kategorie „Egalisieren durch Schlechtheit“ begaben wir uns frühzeitig zum Abfahrtspunkt unseres Busses Richtung georgische Grenze. Ich ging vor, um zu überprüfen, ob der Bus schon bereit steht. Krasny Most, 0.15 Uhr: ja, das musste unser Bus sein. Ich stieg ein und zeigte dem Beifahrer unsere Tickets. Kurzer Blick von ihm und er schickte mich wieder vor die Tür. Nun kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung der besonderen Art denn die Logik verstehe ich bis heute nicht.
Vorgeschichte: Freitag, den 25.08.2006 kauften wir zwei Tickets nach Krasny Most für Sonntag, den 27.08.2006, Abfahrt 0.15 Uhr. Nun schreiben wir Samstag, den 26.08.2006, 23.45 Ortszeit und der Bei- und Busfahrer meinten unsere Tickets seien für morgen, den 27.08.2006 gültig. Ist ja auch richtig; nur sollte der Bus ja 0.15 Uhr fahren, also am Sonntag. Denn ab 23.59 Uhr und 59 Sekunden beginnt ein neuer Tag. Der Beifahrer meinte allerdings, 0.15 Uhr sei noch am Samstag. Ob er mit dem Bus durch eine Zeitschleuse fahren könne um die 24 Stunden zurückzuergattern, konnte er mir nicht erklären. Obendrein hatten komischerweise alle Passagiere Tickets für den 26.08.2006. Ich teile LingenFenos Theorie, dass für die Aserbaidschaner ein neuer Tag wohl erst mit dem Aufgang der Sonne beginnt.
Tja, was tun? Wir hatten kein Geld mehr und unser Visum lief ja auch bald ab. Ich stiefelte zum Direktor des Busbahnhofes und erklärte das Problem. Ob es am höheren Bildungsgrad lag weiß ich nicht, jedenfalls machte es bei ihm Klick. Mit einer Armada von Bediensteten gingen wir zurück zum Bus. Der dortige Fahrer zeigte sich aber uneinsichtig. Es wurde viel telefoniert, LingenFeno und ich tischten immer abstrusere Geschichten von wegen Flugzeug in Tbilisi bekommen müssen auf, aber es half nichts, der Bus fuhr los. Zwar wurde der Bus vom Personal des Busbahnhofes nochmals zehn Minuten bei der Ausfahrt aufgehalten, aber der Bus war voll – kein Platz für unsere gestressten Seelen. Der Direktor beschaffte uns zwei Sitzplätze in einer Marschrutka, ohne Bezahlung wie er meinte. Das war natürlich alles andere als ein Traumlos. Knappe neun Stunden Fahrt in einem Kleintransporter mit weiteren elf Körpergeruchsfetischisten. Da wir aber nur noch weg wollten, willigten wir ein und warteten auf die Abfahrt. Der Fahrer kam an und verlangte auf einmal 25 Dollar von jedem von uns. Jetzt reichte es! Ich wieder zum Direktor, der nun auch meinen Wutfaktor erreicht hatte, und zurück zum Fahrer. Dem wurde nun schreiend erklärt, dass wir nicht bezahlen müssten. Scheinbar hatte er es nun kapiert, denn wenig später startet der Horrortrip.
Beinfreiheit = 0, Körperbewegungsradius = 0, Außentemperatur = 20 Grad, Innentemperatur = 30 Grad, Musikauswahl: eine Kassette mit muslimischer Volksmusik. Völlig im Arsch erreichten wir mit einigen neuen Ohrwürmern die Grenze. Schnellstens ging es zu Fuß hinüber und per Marschrutka via Rustawi weiter nach Tbilisi zu unserer georgischen Omi, die uns schon erwartete – die Betten ebenfalls. Keine drei Stunden später verlangte aber der georgische Fußball wieder Anwesenheit von uns. Der immer noch Kranke wollte erst in Tbilisi bleiben und anfangen die Grounds zu bestätigen. Aber bestätigen können wir im Alter – Frischfleisch braucht der Groundhopper. Mit der Marschrutka ging es dorthin, wo wir am Vormittag schon umgestiegen waren, nach Rustawi.

27.08.2006 Olimpi Rustawi 1:0 Lokomotiwi Tbilisi
1. Liga Georgien – Metallurgi

Das Stadion lag in der Altstadt von Rustawi, die 1947 erbaut wurde. Eine überdachte Tribüne, eine hohe Gegengerade und zwei baugleiche, nichtfunktionstüchtige Anzeigetafeln bekommt der Stadioninteressierte geboten, wenn er das Stadion betritt. Natürlich war es wieder kostenlos und trotzdem verirrten sich nur 500 Sonnenblumenkern-Genießer beim Spitzenreiter der georgischen Liga. Der Verein stieg zwar nicht aus der zweiten Liga auf, kaufte aber die Lizenz oder fusionierte mit dem FC Tbilisi und scheint höhere Ambitionen zu haben – 1. Platz ohne Gegentor. Das Tor des Tages fiel erst kurz vor Schluss und sogar fürs Ultraauge wurde etwas geboten: 10 Kinder präsentierten eine Tapete.

Dabei müsste Rustawi theoretisch einen super Hoolmob haben, wenn denn die Stadt in Polen liegen würde. Der Ort besteht aus der kleinen Altstadt und einem, durch einen kleinen Wald getrennten, Plattenbau-Ghetto unerreichten Ausmaßes. Rustawi wurde als Stadt erst 1947 gegründet, da Stalin dort das größte Stahlwerk der Kaukasus-Länder errichten ließ. Nach der Wende überlebten aber nur 2 von 118 Betrieben den wirtschaftlichen Wandel, 40.000 Bewohner verließen die Stadt und die Arbeitslosenquote beträgt mittlerweile stolze 65 Prozent. Aber auch hier war, wie in ganz Georgien, ein gewisser Aufbruchwille zu erkennen. Der Versuch sich an den Westen zu binden und die damit verbundene Hoffnung ist auf jeden Fall, wenn auch nur bei genauerer Betrachtung, zu erkennen.
In Tbilisi zurück ging es bei Omi gleich ins Reich der Träume. Montag früh hieß es den Trennungsschmerz zu überwinden, da ich tief in den Kaukasus an die russische Grenze wollte, während der immer noch Kranke magenschonenden Tourismus in Tbilisi betreiben wollte. Vor der Abfahrt nach Kazbegi wollte ich mir noch eine Eintrittskarte für das Länderspiel gegen Frankreich sichern. Schlangen waren schon um 9 Uhr vorhanden, also wurde sich eingereiht und gewartet. Um 12 Uhr bewegten sich immer noch nicht die Fenster der Kassenhäuschen, also mal bei anderen Wartenden nach der Öffnungszeit gefragt – 15 Uhr; gut, dann soll sich LingenFeno ein Loch in den Bauch stehen!
Mit einer Marschrutka ging es in den Norden vorbei an einem türkisgrünen See. Dieser war ungefähr 5 Kilometer lang, eingeschlossen von knapp 2000 Meter hohen Bergen, die sich durch die reichhaltige Vegetation in dunkelgrün farblich vom See differenzieren. Dekoriert wurde das ganze mit einem strahlend blauen Himmel. Selten eine farblich so einprägende Beobachtung gehabt. Leider hielt der Fahrer nirgends an und der Zustand der Straße verhinderte Fotografieren aus dem fahrenden Fahrzeug.
Ungefähr 80 Kilometer vor Kazbegi begann der Military Highway (so heißt die Straße von Tbilisi nach Wladikawkas, fertig gestellt 1799; dt.: Georgische Heerstraße) zu einer Schotterpiste zu werden – es ging in den großen Kaukasus. Unter dem Geheul des ruhestandsbedürftigen Motors kämpfte sich der Kleinbus die Steigungen hoch um den höchsten Punkt der Strecke zu erreichen, den Krestowypass auf einer Höhe von 2379 Meter über dem Meeresspiegel. Erste schneebedeckte Gipfel wurden gesichtet und die Vegetation ging in Stein- und Geröllgewächse über. Am frühen Nachmittag erreichte die Marschrutka Kazbegi. Das Dorf liegt 1700 Meter über dem Meeresspiegel und der bekannteste Schriftsteller Georgiens, Alexander Kazbegi, wurde hier geboren. Eine Unterkunft wurde schnell gefunden; bei Vano bekam ich ein Zimmer mit Bett und Tee zum Abwinken für 5 Lari die Nacht. Ein freundlicher Mann der perfektes Englisch sprach und einen mit allen nötigen Informationen ausstattete, die man für die Region um Kazbegi benötigt, war ebenfalls im Preis inbegriffen.
Nach einer kurzen Ruhepause machte ich mich auf den Weg, um die Heerstraße entlang des Flusses Terek bis zur, für Ausländer gesperrten, russischen Grenze, zu bewandern. Diese knapp 18 Kilometer lange Strecke führt durch den Darielpass (11 Kilometer lange Schlucht), wobei links und rechts die Felswände 600 Meter senkrecht empor schossen. Greifvögel und der reißende Fluss Terek, dessen Ausmaße ich gern mal im Frühjahr sehen würde, rundeten ein atemberaubendes, unberührtes Naturspektakel ab. Die russische Grenze wurde um die Ecke rum fotografiert und dem 20 Kilometer entfernten Tschetschenien gewunken. Auf dem Rückweg hielt zum Glück nach wenigen Kilometern ein Jeepfahrer an und beförderte mich zurück nach Kazbegi. Da auch Vano meinte was alle Touristenführer schrieben, dass der Aufstieg bis zum Gletscher knapp 8 Stunden in Anspruch nimmt, startete ich bereits um 6 Uhr in der Früh mit dem Aufstieg. Mein treuer Wegbegleiter war gefüllt mit Getränken, Pflaumen und weiteren Nahrungsmitteln, nur eine Karte besaß ich nicht; na ja, alle Wege führen zum Gletscher.
Bereits nach einer Stunde erreichte ich den Wallfahrtsort für viele Georgier, die 400 Meter über dem Dorf gelegene Dreifaltigkeitskirche. Diese wurde im 14. Jahrhundert gebaut und war selbst um diese Zeit gut besucht. Nach einer kurzen Rast machte ich mich wieder auf den Weg zum eigentlichen Ziel des Tages, zum Gletscher des zweithöchsten Berges Georgiens, den Kazbeg (dt. Eisgipfel; 5047 Meter). Dank fehlender Karte lief ich zuerst nicht auf dem Wanderpfad sondern auf einen Kuhpfad. Dieser Fehler wurde durch eine Querfeldeinwanderung beseitigt, war doch die Koordinierung nicht allzu schwer, so viele Gletscher waren nicht zu sehen. Eine gewisse körperliche Konstitution ist allerdings schon von Nöten um diesen Weg zu bewältigen. Hitze selbst um 9 Uhr morgens, teilweise ziemlich steil und nicht so befestigt wie man es von europäischen Wanderpfaden gewohnt ist. Langsam kämpfte ich mich an der Vegetation vorbei um dann durch ein Geröllfeld, flankiert von einem eisigen Wind, zu wandern, an dessen Ende Gletscherwasser den Berg hinunter rauschte – Schuhe aus und durch das zwar nur knöcheltiefe aber eiskalte Gletscherwasser gewatet. Kurz darauf traf ich georgische Bergsteiger, die auf einer der wenigen begrünten Flächen im Geröllfeld zelteten. Kurzer Schwatz und eine Warnung bekommen, dass noch tieferes und reißenderes Gletscherwasser kommt und weiter ging der Aufstieg.
Der Pfad war völlig verschwunden nur noch bemalte Steine wiesen mir den richtigen Weg. Wenige 100 Meter später erreichte ich die zweite Stelle mit abfließendem Gletscherwasser. Diese war breiter, die Überquerung allerdings bestand aus drei Teilen. Die ersten zwei Teile waren zum Glück wieder nur knöcheltief. Das letzte Drittel hingegen bereitete mir Sorgen, erreichte mich der Klang des Steines beim Aufprall auf den Boden doch ziemlich spät. Da sich die Stelle aber als die am besten geeignete herausstellte, fasste ich Mut und trat hinein. Schnell sprang ich wieder raus, denn erstens wurde es schnell tief, zweitens war das Wasser arschkalt und drittens war die Strömung gehörig. Zum Glück gab es zwei größere Steine, an denen ich mich festhalten konnte um nicht mitgerissen zu werden. Also gab es nun einen zweiten Versuch, mit dem Vorsatz bloß nicht stehen zu bleiben. Ich war nur noch einen halben Meter vom rettenden Ufer entfernt, als ich plötzlich bis zu den Oberschenkeln im Eiswasser stand – ein Festhaltegriff am Stein und mit dem letzten noch vorhanden Quäntchen Schwung wurde der Bach verlassen. Nachdem auf dem Geröll kurz die Hose getrocknet wurde, ging es weiter Richtung Gletscher. Es waren nur noch ein paar zwei Meter hohe Felswände zu überwinden und schon stand ich am Fuße des Gletschers auf 3270 Meter Höhe.
Nach nur vier Stunden war die Strecke bewältigt, so dass es zur Feier des Tages Sprotten, Peperoni und gletschergekühlte Fanta gab. Ab und An zeigte sich sogar der Gipfel des Mount Kazbeg zwischen den Wolken. Mit einem Bergführer, der 50 Dollar kostet, kann man, wenn man drei Tage Zeit hat, sogar den Aufstieg wagen.
Diese Momente der absoluten Freiheit am Fuße des Gletschers, mit dem Blick auf diese vom Massentourismus noch verschonten Gipfel, die senkrecht, wie riesige Bordsteine herab fallenden Felsen und die Schluchten, in denen man die Greifvögel auf der Suche nach Beute kreisen sah, hätte ich am liebsten im Eis eingefroren, um sie im heimischen Gefrierschrank aufzubewahren.
Der Abstieg konnte dank des beruhigenden Zeitpolsters bis zum Anbruch der Dunkelheit ganz in Ruhe in Angriff genommen werden. Schnell erreichte ich wieder die Stelle, an der sich das Gletscherwasser zu einem kleinen, reißenden Bach formierte. Diesmal haderte ich fast 20 Minuten mit mir, welche Stelle denn die Beste sei. Mehrmals machte ich den Steinwurftest und entschied mich schließlich. Die tiefste Stelle des Übergangs war nun gleich nach dem Eintritt ins kalte Nass und sofort hatte mich die Strömung erwischt. Mit dem Oberkörper fiel ich nach vorne und konnte mich gerade noch so durch Abstützen über dem Wasser halten. Der Rucksack, der mal wieder nicht richtig geschlossen war, gab bei dieser Aktion mein letztes Getränk der Natur preis – Ciao Fanta. Schnell richtete ich mich wieder auf und erreichte trockenes Geröll. Die Pflaumen reichten beim Abstieg glücklicherweise als Flüssigkeitsspender. Mit gemächlichem Schritt erreichte ich das Dorf, um am folgenden Morgen Abschied zu nehmen, denn LingenFeno erwartete mich zurück in Tbilisi.
Die Fahrt führte wieder über den Krestowypass, wobei man nicht den Fehler machen sollte aus dem Fenster auf die Straße zu gucken. Randsteine sind hier nur schlichte Schotterhaufen und obwohl es an Gegenverkehr mehr als mangelte, ließ es sich der Fahrer nicht nehmen, 30 Zentimeter neben der auf ganzer Strecke vorhandenen Schlucht zu fahren. Kurz vor Mittag traf ich bei Omi und dem Kranken, der nun aber Halbgenesener hieß, ein, packte meine Sachen und verabschiedete mich von Omi. Diesmal verließen wir sie für immer. Vor der ortsüblichen Fahrt mit einer Marschrutka bis kurz vor die armenische Grenze nach Sadakhlo, sicherte ich mir noch mein Ticket für das Frankreichspiel. LingenFeno konnte an den vorherigen Tagen kein Ticket kaufen, da erst die Massen fast randalierten und dann der Vorverkauf wegen einer Bombendrohung abgebrochen wurde.
In Sadakhlo angekommen fragten wir einen Herren nach dem Weg zur Grenze, woraufhin wir das Angebot bekamen, mit dem Antwortenden mitzufahren. Da er für unser Befinden aber ein wenig zu mafiamäßig aussah, entschieden wir uns für den fünf Kilometer Southic-Walking-Trip. Der Unterschied zum Nordic Walking ist einfach: Keine Stöcke und perfekte Temperatur für Buntwäsche.
Kurz vor der Grenze hielt eine große Mercedes-Limousine neben uns an. Wir hatten doch gar keinen Fahrservice bestellt oder sehen wir so sehr nach Hopper aus?! Der Mittfünfziger fragte uns, ob er uns mitnehmen sollte und nach einem entfernungsschätzenden Blick bis zur Grenze und die Aussicht auf Ledersitze und Lüftung statt des flimmernden Asphalt ließ unsere Antwort nicht lange auf sich warten… Eine Minute später standen wir im Grenzstau. Da wir noch das Visum beantragen mussten, gingen wir zu Fuß vor und hofften, dass unser Fahrer nicht allzu lange bräuchte. Als wir unseren Ausreisestempel holten, stand unser Fahrer schon neben uns, ohne das irgendein anderes Auto die Grenze bis zu diesem Zeitpunkt überquerte. Auf der armenischen Seite holten wir fix das Visum und ließen es abstempeln; da stand er schon wieder neben uns. Sein Pass war allerdings verziert mit ein paar Lari-Scheinen. Kurz vor der Abfahrt gesellte sich dann noch eine Person zu unserer nun vierköpfigen Gruppe – der Mann, den wir vorher wegen Mafiosi-ähnlichem Aussehen noch ablehnten. Eigentlich wollten wir nur bis Ayrum fahren, aber da der Fahrer eh nach Jerewan fuhr, wurde nett angefragt; kein Problem, also zurückgelehnt und die Landschaft genossen. Uns wurden frisch gekaufte Feigen und Fanta gereicht und Gespräche über Beatles und Armenien wurden geführt. Die ungefähr fünf Polizeikontrollen wurden grüßend angehupt bzw. kleine Plauschs geführt. Seinen Beruf wollte er uns leider nicht nennen, dürfte aber wohl etwas sein, für das es keine Gewerkschaft gibt. Die Landschaft erinnerte teilweise ein bisschen an die Highlands in Schottland: sanft geschwungene, grasbewachsene Berge. Plötzlich lag Nationalstolz in der Luft und schau an, uns wurde der große und der kleine Ararat gezeigt. In der Dämmerung erreichten wir die armenische Hauptstadt, wo uns der Fahrer am Busbahnhof raus ließ.
Nachdem wir uns artig bedankten, wollten wir eigentlich im Busbahnhof einchecken, da es hier für einen Dollar Notquartiere für Reisende geben sollte. Dem war aber nicht so, also nannten wir einem Taxifahrer unser Budget, woraufhin er eine Bleibe für uns nennen konnte. Auf die Frage ob die Fahrt weit wäre nickte er, also schien der Preis von 1000 Dram angebracht. Er bog auf die Schnellstraße, fuhr bis zur nächsten Wendemöglichkeit, fuhr zurück bis Höhe Busbahnhof, bog rechts ein und da waren wir. Ey, geht’s noch?! Da er mit den gezahlten zwei Dollar nicht wirklich zufrieden war, erklärte ich ihm, dass dies mehr als viel sei und wir in Armenien und nicht Deutschland wären. Die Unterkunft war ein Privathaus, welches noch halb im Bau war. Im Zimmer waren vier Betten und Fenster der Größe 1,5 Liter Tetrapack. Da der Magen sich durch Knurren bemerkbar machte, ging es in die Innenstadt. Da mich LingenFeno mehrmals daran erinnerte, dass wir im Urlaub waren, verdrängte dieser Gedanke den aufkommenden Geiz und statt Supermarkt gab es russische Kost im Restaurant. Schlaf fand ich trotz allerbester Voraussetzungen, ich war mehr als nur satt und müde war ich eigentlich auch gewesen, erst spät, da im Raum ein perfektes Klima herrschte um Wasser zu kochen.
Der obligatorische Organisationsvormittag in einem neuen Land hielt uns in Jerewan ganz schön auf Trab. Zuerst bestätigte uns eine attraktive Dame beim Fußballverband die Ansetzungen für die zweite armenische Liga und mit Hilfe des Oberschiedsrichters konnten auch die Stadien lokalisiert werden. Weniger erfolgreich waren wir am Bahnhof, obwohl es, egoistisch gesehen, für mich super lief. Der Nachtzug nach Batumi, der lauf Fahrplan hätten fahren müssen und somit LingenFeno eine zeitlich sichere Anreise zum Flughafen nach Antalya ermöglicht hätte, fuhr nicht. Des einen Leid ist des anderen Freud – der Zug fuhr einen Tag später und garantierte mir somit eine komfortable Anreise zum Länderspiel in Tbilisi. Da auch keine Nachtbusse Richtung Türkei/Georgien verkehrten, kam meine Begleitperson auch noch einmal in den Genuss, eine weitere Nacht in der Pension zu verbringen. Da durch diese ungeplante Übernachtung die pünktliche Ankunft im Mekka des deutschen Türkeiurlaubs gefährdet war, verschwand seine gute Laune und wurde erst zum Abend hin wieder gesichtet.
Den Ararat bekamen wir übrigens zu keiner Tageszeit zu Gesicht. Nur ein total verschleiertes großes Etwas mit weißer Spitze, was auch eine Wolke hätte sein können, konnten wir entdecken. Von den drei bereisten Ländern wirkte Armenien noch am meisten russisch. In manchen Punkten sicherlich nicht vorteilhaft, aber in Punkto Sauberkeit und Ordnung ein großer Vorteil. Der historische Stadtkern von Jerewan ist nicht unbedingt etwas für Liebhaber mittelalterlicher Architektur, bestimmen doch größtenteils sozialistische Gebäude der Marke „Funktional“ das Stadtbild. Durch viel Grün, zahlreiche Cafés und einem Hauch von Internationalität, der Diaspora sei Dank, hat aber auch Jerewan einen gewissen Reiz. In einem dieser Cafés wurde schließlich noch einmal Tourist gespielt um so natürlich zu spät loszukommen und aufgrund der nicht gesichteten Marschrutka 89, mit dem Taxi edel zum nächsten Spiel vorzugleiten.

31.08.2006 Dinamo Jerewan 2:0 Gandazar Kapan 2
2. Liga Armenien – Erebuni-Stadion

Ziemlich weit außerhalb fanden wir uns im gleichnamigen Stadtteil, also nicht Dinamo, wieder. „Das sieht ja aus wie in Bagdad“ – mit diesem Vergleich von LingenFeno war es wohl am besten beschrieben; auch wenn vom Stadionbau her unverkennbare Parallelen zum Sportplatz am Hain in Eiterfeld erkennbar waren, bestach das Umfeld mit vertrocknetem Boden und Häuser, deren Eigentümer wohl selber nicht wussten, ob die Häuser gerade abgerissen oder aufgebaut werden. Das Heimteam wurde von Familienangehörigen unterstützt, welche eifrig klatschten aber viel mehr Gelegenheiten zum Fluchen hatten, denn was Dinamo an Chancen vergab, war nicht mehr feierlich. Der Höhepunkt des gesamten Spiels war allerdings die Halbzeitpause, in der sich der Ersatzschlussmann von Gandazar „warm“ machte. Groß genug um Achterbahn zu fahren und vielleicht ein Handballtor zu hüten, aber als Torwart für ein Fußballspiel mehr als ungeeignet, hielt er keinen einzigen Schuss der Mitspieler. Auf eine Einwechslung warteten wir dann aber leider vergebens.

Nach dem Spiel begaben wir uns zu Fuß zum Hauptbahnhof/Metrostation, powerten den Körper mit Kebab und verhandelten mit einem Privatfahrer zwecks Fahrt nach Batumi für den, der bald VechtaFeno heißt. Kann man nur hoffen, dass es in der ostfriesischen Gemeinde Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog keinen Jungen mit Namen Friedrich-Wilhelm gibt, der Hopper werden will. In unserer Unterkunft wartete schon unser armenischer Onkel, der übrigens schon mal in Schwerin war und Greifswald kannte – und da behaupte noch einmal jemand, dass Mecklenburg-Vorpommern für Asylbewerber uninteressant sei. Diesmal bekamen wir ein 2-Bett-Zimmer mit Farbfernseher der Marke Robotron, der immerhin in der Lage war uns drei Sender vorzuführen. Nachdem sich meine Begleitung cirka eine halbe Stunde mit Wasserspielen im Bad vergnügte, kam es wie es kommen musste – das Wasser war alle. Nicht, dass nur ich von diesem Problem betroffen war, nein auch die anderen Gäste der Herberge schliefen ungewaschen. Der Abend wurde noch lang, was nicht daran lag, dass wir es so wollten, sondern weil wir nicht anders konnten. Anekdote um Anekdote wurde versucht die Raumtemperatur zu senken, aber egal wie cool die Geschichte oder deren Helden auch war, es klappte nicht. Erst als man Planungen bezüglich der Komplettierung des Main-Taunus-Kreises aufstellen wollte, brach der Körper ab.
Am nächsten Morgen gab es endlich wieder Wasser – aber keine Begleitung mehr. Ohne Zettel oder wenigstens Verabschiedungsgeld machte sich der feine Herr aus dem Westen aus dem Staub – darüber wird zu reden sein. Während LingenFeno irgendwo, wahrscheinlich in einem luxuriösen, klimatisierten Gefährt, zwischen Armenien und Georgien war, musste ich mich zwischen Kultur und bedingter Kultur entscheiden. Die Badekultur bekam den Zuschlag vor einem Ausflug nach Swartnoz. Dort hätten die Überreste einer Kirche aus dem 7. Jahrhundert gewartet, die UNESCO Weltkulturerbe sind. Nachdem ich endlich am richtigen Busbahnhof eingetroffen war und die lästige Schar Taxifahrer (Ja, ich habe zu diesem kleinen Busbahnhof am Arsch von Jerewan gefunden um nun mit dem Taxi zu fahren…oahrr, ich hasse Taxifahrer!) abgeschüttelt hatte, konnte die Fahrt ins nur 40 Kilometer entfernte Paradies beginnen. An einer Kreuzung verabschiedete ich mich von den anderen Fahrgästen wie man es bei guten Bekannten tut. Selten war ich mit so vielen Menschen auf so beengtem Raum, so dass ich schon fast von persönlichen Beziehungen sprechen möchte. Zwar kannte ich kaum einen Namen aber mit dem Austausch intimer Berührungen war ich vertraut. Der Sewan-See, 1900 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, übertraf meine kühnsten Erwartungen. Majestätisch lag der See wie ein türkisfarbener Teppich völlig bewegungslos zwischen den umliegenden Bergen. Der kleine Sandstrand zwinkerte mir auch gleich zu, so dass ich mich wenige Minuten später auf ihm wälzte. Leider hatte ich aufgrund meines vollen Terminkalenders nur knapp anderthalb Stunden zur Verfügung, so dass nur für zweimaliges Plantschen Zeit war. Auf einem in direkter Nachbarschaft zum Strand befindenden Hügel, thronte eine Kirche, die schon so richtig fotogeil war. Also erfüllte ich der Kirche ihren Wunsch und genoss die Aussicht. Von dem Hügel konnte man wunderbar die Tiefen und die damit verbundenen Farbabstufungen des Wassers erkennen.
Zurück ging es mit einem Schulbus bis Sewan und von dort mit einer Marschrutka weiter zu hauptstädtischem Fußball. Am Vortag hatte mir die Dame im Sekretariat des Fußballverbandes „Soccerschool Pjunik, near Hrazdan-Stadium“ auf einen Zettel geschrieben. Da das „near“ Raum für Spekulationen ließ, hoffte ich auf ein Spiel im alten Nationalstadion. Doch alles Hoffen half nicht, das Hrazdan-Stadium war nicht der Schauplatz für mein Zweitligaspiel. Als ich den Kick schon fast abgeschrieben hatte, hörte ich endlich Gebrüll und einen Schiedsrichterpfiff.

01.09.2006 Patani 1:3 Pjunik Jerewan 2
2. Liga Armenien – Pjunik-Stadion

Zum Glück hatte ich rechtzeitig eine Karte bestellt und per „first come, first serve“ Modus auch den Zuschlag erhalten. Deshalb musste ich nicht, wie viele der zu Tausenden vor den verschlossenen Toren traurig guckenden und wartenden Menschen, draußen bleiben. Der Ground war besser als angenommen, verfügte dieser doch über fünf Stufen mit Schalensitzen, einem kleinen überdachten Teil und einer manuellen Anzeigetafel. Das Stadion dürfte somit eigentlich auch für die erste Mannschaft in der ersten Liga ausreichen, solange es nicht zum Derby gegen Jerewan United kommt, bei dem sich die Fans angeblich gegenseitig aufessen.

Beim Weg aus dem Stadion wurde ich gefragt, ob ich Späher der schottischen U17-Nationalmannschaft sei, da diese demnächst gegen Armenien spiele (Patani ist die U17-Nationalmannschaft von Armenien und nimmt am Spielbetrieb der zweiten Liga teil). Kurz vor der Innenstadt sah ich Rauchwolken und entdeckte die Ursache: ein Waldbrand oberhalb des alten Nationalstadions. Außer mir interessierte sich aber kaum jemand dafür, weswegen ich einziger Gaffer blieb. Ob das Feuer von alleine ausging, der Wind Schnee vom Ararat hinüberbeförderte oder aber sich doch noch jemand erniedrigte und staatliche Hilfe orderte kann ich nicht niederschreiben, da in den seltensten Fällen Züge auf Menschen warten. Dass andersrum dies öfter der Fall ist, scheint aber niemanden zu interessieren. Eigentlich ein Unding! Im Abteil kam ich ziemlich schnell mit einem Ehepaar ins Gespräch, das Verwandte in Batumi besuchen wollte. Bei Weintrauben und Nektarinen unterhielten wir uns über die Lebensverhältnisse, Politik und Sport. Nachdem der Ehemann in Rente ging, bekamen sie vom Staat eine 83 Quadratmeter große Wohnung direkt im Zentrum geschenkt. Aber bevor jetzt Leute vermehrt nach Armenien auswandern wollen sei auch gesagt, dass man mit einem armenischen Pass, ohne Visum nur nach Georgien und Russland einreisen kann. Ihre Tochter bezahlte kürzlich für einen 3-Tages-Trip nach Prag allein für das Visum eine hohe dreistellige Summe. Mit der deutschen Tugend Pünktlichkeit fuhr der Zug in Tbilisi ein. Das Thema Sightseeing in Tbilisi war mehr als ausgereizt, so dass ich mich den Einheimischen anschloss und rumgammelte. Irgendwann war es dann soweit: hupende Autos, bemalte Menschen und viele Polizisten wiesen mich auf den baldigen Anpfiff hin.

02.09.2006 Georgien 0:3 Frankreich
EM 08 Qualifikation – Boris-Paichadze-Stadion

Trotz der für georgische Verhältnisse exorbitanten Preise war das Stadion mit 65.000 Menschen bis zum letzten Platz gefüllt. Obwohl Deutscher, hatte der georgische Trainer Toppmöller kein Losglück. In einer Gruppe unter anderem mit Italien, Frankreich und der Ukraine scheint ein Weiterkommen so ausgeschlossen wie die Ernennung von Marco Materazzi zum französischen Nationalcoach. Das Spiel war leider schnell entschieden, so dass die zu Beginn – für georgische Verhältnisse – frenetische Atmosphäre schnell estnisch wurde. Die Tore waren allesamt herrlich herausgespielt, während Georgien vor Respekt zu umständlich wirkte. Letzter Aufreger in einer einseitigen Partie war der Platzsturm eines Georgiers inklusive Kniefall vor Terry Henry. Unter dem Gejohle des eher fußballunkundigen Publikums (Neureiche, Metrosexuelle und Trendfolger – wobei das eine auf keinen Fall das andere ausschließt) wurde der heißblütige Fan, oder gar Liebhaber, wer weiß, vom Platz getragen. Wenigstens für ihn war der triste Samstag gerettet.

So schwer es auch fiel, hieß es nun für mich Abschied von Tbilisi zu nehmen. Ich hatte diese Stadt richtig lieb gewonnen, verbrachte ich hier doch mehr Tage meines Lebens als in München, Stuttgart und Freiburg zusammen. Mit dem Nachtzug ging es für 2,50 Euro auf eine 10stündige Reise nach Batumi. Der (Fast-) Ausgangspunkt der Reise durch Transkaukasien war somit auch Endpunkt. Nach einem kurzen Bad im Schwarzen Meer ging es mit einer Marschrutka nach Sarpi zur georgisch-türkischen Grenze.
Mit strömenden Regen begrüßte mich die Türkei und in gewisser Art und Weise auch europäische Verhältnisse. Im Kleinbus drückte ich 15 Dollar für die Fahrt bis Trabzon ab und war mir sofort sicher, dass dies ein Fehler war. Ein wenig fremd kamen mir die Straßen und die am Verkehr teilnehmenden Fahrer mit Fahrzeugen vor. Glatt und eben waren die Straßen und wurden in die jeweilige Richtung auch nur in so vielen Spuren befahren wie markiert. Die Anzahl der Fahrgäste stimmte auch mit der Anzahl der Sitzplätze im Bus überein und Extraausstattung wie Gurte waren ebenfalls vorhanden. In Hoppa erfolgte der erste Bustausch noch ohne Probleme, wurde dem Fahrer doch gesagt, dass ich bezahlt hatte. Beim zweiten Tausch in Rize kam, was kommen musste: ich durfte fünf Dollar nachbezahlen – Kapitalismus, da bin ich wieder. Der Regen ließ auch bei meiner Ankunft in Trabzon nicht nach, wo es darum ging, trotz Ferienende in der Türkei ein Ticket nach Ankara oder Istanbul zu beschaffen. Istanbul war komplett ausverkauft, folglich blieb mir nur eine Fahrt für 70 TL nach Ankara um voran zu kommen und die Nacht zu überbrücken. Mit Ticket links und einem Kebab rechts ging es per Kleinbus nach Akcaabat.

03.09.2006 Akcaabat Sebatspor 1:2 Eskisehirspor Kulübü
2. Liga Türkei – Fatih Stadyumu

Ligaspiel und Stimmung? Es war zwar nur zaghaft und nicht wirklich konstant, doch führte mir dieses Spiel vor Augen, dass Ligafußball nicht nur aus Zugucken bestehen muss. Ein kleines Häufchen junger Kerle versuchte schön melodisch Sebatspor voranzutreiben, damit die Rote Laterne auf ein anderes Team übergeht. Man sollte sich jedoch nicht wundern, dass man absteigt, wenn man in der Schlussminute völlig überflüssig den Siegtreffer hinnehmen muss.

Von Trabzon ging es durch die Nacht mit einem übernetten Türken, der Kekse und Tee springen ließ, nach Ankara. Nach meinen Prognosen war das Montagabendspiel in Izmir eh nicht zu erreichen und von daher sollte in der türkischen Hauptstadt ein touristischer Tag verbracht und abends kostengünstig mit dem Nachtzug Istanbul angesteuert werden. Soweit der Plan. Nach einem Frühstück im Busbahnhof brach aber akutes Groundhopperfieber in meinem Körper aus. Um das Fieber zu drücken fragte ich nach der Ankunftszeit der nächstmöglichen Busse in Izmir. Acht Uhr Abends – ha, acht Uhr ist auch Anstoß, nichts mit hoppen, Touri spielen! Jedoch wusste der Angestellte auch noch von einem Express-Bus zu berichten – Ankunft in Izmir 19.30 Uhr. Kaum saß ich im Bus war das Fieber vorbei und ich fragte mich, was das soll… Wieder erwischte ich einen netten Nachbarn, Student der Mathematik und wieder gab es Tee für lau. Er fuhr nach Izmir, um Kumpels zu besuchen und türkische Schönheiten am Strand zu betören. Angesprochen aufs Thema Armenien wusste er sofort zu berichten: „They steal and are fucking people“. Na ja, Stereotypen allez. Die Frage nach dem Genozid verkniff ich mir lieber… Pünktlich mit der untergehenden Sonne erreichte der Bus Izmir. Mit Hilfe meines Nachbars wurde ein Ticket für den Nachtbus Izmir-Istanbul besorgt und er setzte mich in den richtigen Stadtbus zum Stadion.

04.09.2006 Altay Izmir 4:2 Genclerbirligi
2. Liga Türkei – Atatürk-Stadyumu

Wieder mal ein wenig zu spät, aber ich war da. Solch eine „Fast-„Punktladung nach knapp 22 Stunden Busfahrt wurde dann auch mit einer riesigen Schüssel von Stadion belohnt. Zwar war das Stadion kaum zu 1/10 gefüllt, aber die beiden Stimmungsblöcke ließen sich davon nicht beirren und erreichten eine sehr gute Lautstärke trotz der Akustikdefizite des Stadions. Gästefans waren nicht zu finden, so dass nur die Auswechselbank zweimal Applaus spendete. Das schönste Tor der Tour war dann das 4:2, ein Sololauf über den gesamten Platz mit abschließender Vernaschung des Gästetorhüters, welcher aufgrund einer gelb-roten Karte, ein handschuhtragender Feldspieler war.

Nachdem die nächtliche Busfahrt in Sachen Schlafen so lala verlief, war die Vorfreude auf ein Hostelbett in Istanbul immens. Aufgrund der Budgetüberschreitung mussten aber erste Sparmaßnahmen ergriffen werden. Statt Tram und Bus hielten die geschlauchten Füße als Fortbewegungsmittel her. Die übrigen Tagesaufgaben (Duschen, Stadtbesichtigung) wurden zur Zufriedenheit meines Gewissens absolviert, so dass ich mir das Bett mehr als verdient hatte. In der Nacht erreichten mich dann aber doch noch LingenFenos Abschiedsgeschenke: Magenkrämpfe und Durchfall. Zum Glück war ich nicht müde, weswegen ich mit Vergnügen und voller Tatendrang die halbe Nacht auf dem Häuschen verbrachte. Der Morgen stand dann weiterhin unter dem Vorzeichen der fix zu erreichenden Toilette, so dass der Aktionsradius stark beschränkt war. Der Abteilung Geiz hingegen gefiel diese Einschränkung der körperlichen Aktivitäten; brauchte ich doch aufgrund der immer wieder einsetzenden, aber nicht bestellten, wehenartigen Vorgänge in der Magengegend kein Geld für Nahrungsmittel ausgeben. Trotz dieser widrigen Umstände raffte ich mich auf, den Bezirk Karagümrük aufzusuchen.

06.09.2006 Karagümrük SK 1:1 Sariyer Genclik
3. Liga Türkei – Karagümrük Vefa

Die obligatorische Verspätung durfte ebenso wenig fehlen wie ein halbes Kilo Weintrauben. So lässt sich Fußball genießen: ab und zu, nur wenn der Magen es zulässt, eine Weintraube, Gesang von Links und Rechts, schickes Stadtambiente und ein spannender Kick. Der Heimmob, der leider nicht ganz einzusehen war, schien recht gut zu sein, zogen die Polizisten doch immer wieder Unruhestifter heraus. Klang teilweise sehr brachial, was sich unter dem Tribünendach an Stimmen zusammentat, um die heimischen Farben zu unterstützen. Aber auch der Gästemob wusste, wenn er sich zusammenstellte (vom 20jährigen Jungspund bis zum 50jährigen Greis war alles vertreten), vollends) zu überzeugen.

Direkt vom Stadion ging es zum Busbahnhof, wohl das einzige türkische Wort, das ich nie vergessen werde: „Otogar“, und von dort fuhr ich in Richtung griechische Grenze nach Edirne. Der eigentliche Plan sah vor, die Strecke Istanbul-Sofia-Beograd-Bar-Tirana durch meine Befahrung aufzuwerten. Jedoch sind Planungen langweilig, Spontanität ist gefragt. Also sollte es per pedes über die Grenze gehen, in Griechenland wollte ich irgendwie zur nächsten Stadt kommen, ja und von dort würde es schon irgendwie nach Albanien gehen.
Kurz vor elf Uhr erreichte der Bus den Otogar, der eher untypisch für die Türkei nicht zentral gelegen war sondern nahe eines Gewerbegebietes. Im Stadtbus, der ins Zentrum fuhr, lernte ich zwei Türken kennen, ohne deren Hilfe ich meine Halbmarathon-Zeit aus Bucuresti hätte schlagen können. Ob ich das gewollt hätte, ich glaube nicht. Eine gewisse Kommunikation war zwar zwischen uns vorhanden, aber mehr als gestört, da ich sie nicht verstand und sie mich nicht. Aber das Wort Grenze konnte wild gestikulierend dargestellt werden, so dass keine zehn Minuten später ein weiterer Freund der zwei mit einem Auto erschien. Mit dem Auto fuhren wir dann zur Grenze, kurze Verabschiedung und Dankesreden und unsere Wege trennten sich.
Durch die nicht gerade freundschaftlichen Beziehungen beider Länder zueinander wirkte der Grenzübergang etwas gespenstisch. Die türkischen Grenzer, alle mit Gewehren bewaffnet, verabschiedeten mich und einen Kilometer später am anderen Ende des unbeleuchteten Niemandslandes empfingen mich griechische Grenzer, alle mit Gewehren bewaffnet. Gelb stach das einzige Auto an der Grenze aus der finsteren Kulisse heraus. Gelb war auch das Bundeslandwappen und deutsch die Insassen. Da ist des Nachts ein einziges Auto an der türkischen-griechischen Grenze und dieses ist auch noch aus Deutschland und könnte mich jawohl bis zum nächsten Ort mitnehmen. Könnte, wenn’s nicht voll gewesen wäre.
Einer schlechten Botschaft folgt an solchen Tagen schnell die Nächste. Vom Grenzdorf aus fuhr nichts Richtung Orestiada. Aber wenigstens meinte eine Beamtin, dass fünf Kilometer außerhalb des Dorfes die Schnellstraße zur bulgarischen Grenze liegt. Dort wäre nach ihrer Meinung die Möglichkeit größer, eine Mitfahrgelegenheit nach Orestiada oder gar Alexandroupoli zu bekommen. Zwei Stunden reckte ich meinen Daumen vergebens in die sich abkühlende Luft. Zwei Stunden hoffte ich vergebens, dass eines der wenigen vorbeifahrenden Autos stoppte. Zwei Stunden, in denen man an „Kleider machen Leute“ denkt. Da mit voranschreitender Zeit die eh schon geringen Chancen in den Nanobereich sanken, wurde die Assidecke ausgepackt und es sich im Straßengraben gemütlich gemacht. Kein Weckservice, kein Frühstück ans Bett, nur das Licht ging von alleine an – in diesen Straßengraben checke ich nicht wieder ein! Zum Glück hatte ich die gute Tschibo-Thermounterwäsche mit dabei, denn es wurde teilweise sehr unangenehm. Nach einer flüchtigen Mundspülung begab ich mich wieder an meinen Arbeitsplatz. Glücklicherweise hielt ungefähr eine Stunde später ein Dorfbus an und beförderte mich Richtung Orestiada. Dort blieb aber auch keine Zeit sich wohl zu fühlen, stand doch schon der Bus nach Alexandroupoli bereit. Die Preise waren ziemlich gewöhnungsbedürftig: fast zehn Euro für eine 150-Kilometerfahrt. Ich erinnerte mich gelesen zu haben, dass von Alexandroupoli Züge nach Thessaloniki verkehren; also ging es nach meiner Ankunft rennend vom Busbahnhof zum Bahnhof. Der billige D-Zug war vor zehn Minuten abgefahren, also wurde es nichts mit Thessaloniki, denn die Fahrkarte für einen IC-Zug kostete fast das Doppelte.
Ein Blick nach draußen: Strand und Mittelmeer; ein Blick auf die Abfahrtstafel: D-Zug Thessaloniki 0.33 Uhr. Die Entscheidung war gefallen, dem Magen wurde Ruhe gegönnt und der Geldbeutel geschont. Mit Leckereien aus dem Supermarkt wurde es sich am Mittelmeer gemütlich gemacht. Ab und zu, wenn es zu warm wurde, ging es in die salzige Brühe und die restliche Zeit wurde genutzt, sich mit den Problemen von Thomas, Erika und Christian in Lübeck zu beschäftigen – Abenteuer Groundhopping.
Nach kurzer Asselphase am Bahnhof rollte schon das fahrende Hotel ein, welches in Punkto Bequemlichkeit gegenüber dem vorherigen Hotel kaum Vorteile besaß. Mit Rückenschmerzen erblickte ich nach quälend langen Stunden aus dem Zug dann das Bahnhofsschild „Thessaloniki“. Neben dem Abstellgleis änderte ich kurzerhand mal wieder meinen abgestanden Geruch in duftende Minze und ab ging’s zum, vom Bewohner der Welthauptstadt empfohlenen, Albanien-Busbüro. Hier hatte sich einiges getan, gibt es doch nun mehr Tagesverbindungen in das Land mit dieser so lustig aussehenden Nationalflagge. Die erste Entscheidung des Tages war somit gefallen – nichts mit Nachtbus, die Fahrt sollte schon 9 Uhr morgens losgehen.
Kurz nach meinem Eintreffen am Busbahnhof verdoppelte sich die Zahl der Wartenden, da ein Albaner, mit dem ich nach und nach ins Gespräch kam, dazukam. Alliu ist Französisch-Lehrer in Elbasan und war auf dem Weg nach Hause. Er hatte die ganzen Sommerferien über auf einer Baustelle in Griechenland gearbeitet, um Geld dazuzuverdienen. Meine Entscheidung sich Tickets bis Korce zu kaufen, erwies sich nach kurzem Dialog schnell als Griff in die Tonne, da Alliu meinte, es gebe keine Direktverbindung Korce-Vlore. Laut Planung vom Vorabend war eigentlich geplant, in Korce zu übernachten und dann am Samstag an die albanische Adria nach Vlore zu reisen. Ohne groß zu überlegen bot mir meine neue Bekanntschaft an, bei sich zu schlafen, da ich von Elbasan ohne Probleme nach Vlore kommen würde. Das Angebot, die albanische Lebensweise und Gastfreundschaft kennen zu lernen ließ ich mir natürlich nicht entgehen und willigte ein. Kurz darauf fuhr auch schon der Bus los, der Erinnerungen an Georgien aufkommen ließ. Alles ratterte, knatterte und flatterte.
Nach wenigen Stunden wurde die Grenze erreicht, wo ich dann live sehen durfte, wovon mir mein Gastgeber schon berichtigt hatte – die innigen Liebesbeziehungen von Griechen und Albanern. Diese äußern sich in sinnlosen Schikanen und überschäumender Freundlichkeit. Kaum waren die ersten zehn Pässe kontrolliert, wurde das Fenster geschlossen und Pause gemacht. Wenn Griechen kamen, wurde kurz wieder geöffnet, um sie dann vor den Augen der wartenden Albaner wieder zu schließen. Griechen sind aber nicht die einzigen, die einen so respektvollen Umgang mit Albanern pflegen, wusste mein Gastgeber Alliu zu berichten. „Albanien liegt mitten in Europa, aber wir werden nicht wie Europäer behandelt.“ Wenn man sich das mal überlegt, fällt wirklich auf, dass Albanien in den Nachrichten so gut wie nie präsent ist, ja das Land im Grunde fast totgeschwiegen wird. Eine ungefähre Stunde später war endlich die griechische Seite passiert. Nun musste ich als EU-Bürger noch die fälligen zehn Euro Einreisegebühr bezahlen und schon hatte ich meinen Albanien-Stempel. Dem Busfahrer fiel in Korce zum Glück nicht auf, dass ich nur für Thessaloniki-Korce bezahlt hatte, so dass die Weiterfahrt gratis war.
Korce präsentierte sich als sehr moderne und gepflegte Stadt, wurde aber von meinem Gastgeber schnell als Oase inmitten einer Müllkippe beschrieben. Ähnlich (verhalte es sich mit Tirana. Die Reise führte an der albanischen Seite des Ohridsee vorbei. Ein Jahr zuvor war ich keine zehn Kilometer weiter östlich durch einen Pass-Klau an der Albanien-Einreise gehindert worden. Nun hatte ich es aber endlich geschafft – innere Zufriedenheit stellte sich ein. Am späten Nachmittag erreichte der Bus sein Ziel: Elbasan. Mit einem Privattaxi fuhren wir in Allius‘ Heimatdorf, in dem er von jedem Menschen, den wir auf der Straße trafen, begrüßt und herzlichst wieder willkommen geheißen wurde. Obwohl ich in dem Dorf mehr als nur fremd wirkte, gaben mir viele Leute die Hand und wünschten mir das Beste. Am Haus seiner Eltern angekommen, fanden erst einmal minutenlange Liebkosungen des Heimgekehrten statt, bevor ich vorgestellt wurde. Schnell wurden die Cousinen beauftragt Essen zu kochen während wir in der Stube Platz nahmen. Das Haus war schlicht eingerichtet, wirkte dadurch aber sehr liebenswürdig. Wieso fallen einem diese sinnlosen Geräte, die unser Leben zu Hause, bei neutraler Sichtweise, mehr behindern als fördern, erst in einer einfacheren Umgebung auf?
Die Traditionen und das Geschlechterverhältnis waren schnell ersichtlich. Bevor die Cousinen die Stube betraten, wurde geklopft und sobald das Essen abgestellt war, verließen sie schnell wieder das Zimmer. Erst nach dem Essen betraten wieder weibliche Personen das Zimmer. Das Essen war trotz noch vorhandener Magenprobleme unglaublich gut. Alles war selbst hergestellt oder im eigenen Garten gewachsen: Eine Art Käsepastete mit Peperoni, Brot, gekochte Eier und Tomatensalat. Als Nachtisch gab es noch Melonen, die ich aber selbst unter bestem Zureden an meinen Magen nicht mehr schaffte. Der Abend wurde länger als erwartet. Allius‘ Frau traf mit dem gemeinsamen Sohn ein, verschiedene Onkels kamen vorbei um mit mir einen Schluck Raki zu trinken und es wurde viel erzählt. Ich glaube mein Wissensdurst, Details über das Leben in Albanien zu erfahren war genauso groß wie der der Familie meines Gastgebers, mehr Informationen über das so nahe und doch so ferne Deutschland zu bekommen. Vor dem Schlafen gehen wurde mir das komplette Grundstück und die angrenzenden Häuser gezeigt, die allesamt von mehr oder weniger nahen Familienangehörigen bewohnt wurden. Bevor mich mein Gastgeber am Samstagmorgen zurück in die Stadt brachte, wurde reichhaltig gefrühstückt. Die Portionen waren für meinen auf Geiz getrimmten Magen aber zu groß, so dass leider vieles auf dem Teller zurück blieb. In Elbasan gingen wir dann zum Busbahnhof, wo Alliu mir den Minibus zu einer Kreuzung an der Straße nach Vlore bezahlte, von wo aus ich dann mit einem anderen Minibus nach Vlore kam.
Vlore ist neben der Gegend um Durres die Touristenhochburg in Albanien, was sich im Stadtbild deutlich niederschlägt – riesige Hotelanlagen und viele Cafés. Nachdem ich zweimal das so genannte Zentrum durchlaufen hatte, fand ich das von mir gesuchte Hotel. Für knapp sechs Euro bekam ich ein Doppelzimmer. Dabei brauchte mein Rucksack doch gar kein eigenes Bett… Einzelzimmer kosteten ungefähr vier Euro, wurden mir aber nicht gegeben, obwohl ich mich als russisch sprechender Pole ausgab. Zum Aufregen über die Abzocke blieb aber nicht viel Zeit, sollte doch der Länderpunkt Albanien noch am selben Tag fallen.

09.09.2006 Flamutari Vlore 4:0 Apolonia Fier
1. Liga Albanien – Flamutari-Stadion

Das Duell der Aufsteiger war zugleich ein Derby, was mit der Hauptgrund war, neben der extrem guten Lage von Vlore am Mittelmeer, sich für dieses Spiel zu entscheiden. Bilder von Länderspielen beweisen ja die Existenz von Stimmung und Fanatismus in Albanien. Für zwei Euro sicherte ich mir eine Stehplatzkarte, sah dann aber, dass es noch ein paar Sitzplätze gab, sogar überdacht, die günstiger waren – in der Anzeigetafel. Zum Intro gab es von den Vlore-Fans vier, fünf Bengalen und ein paar Fähnchen, während die Fier-Fans ihre Choreographie, wohl auch Thema der Mottofahrt, über 90 Minuten präsentierten: Unsichtbar. Ein bisschen Trompeten-Gespiele hier, Zwischenrufe da – Heimat, so nah und doch so fern. Positiv muss erwähnt werden, dass selbst diese körperliche Reserviertheit beim Zuschauen enthusiastisch gegenüber Georgien wirkte, aber bei weitem nicht so war, wie erhofft.

Dieses verflixte „nach dem Spiel“ umgehe ich mal mit diesem Satz. Der Bus stoppte jedenfalls direkt in Strandnähe. Der Strand war sehr sauber und die Qualität des Wassers nicht so schlimm wie befürchtet, war der Hafen doch nicht fern. Noch ein kurzes Fotoshooting mit der untergehenden Sonne gemacht und ab ging’s in die Heia.
Wenn ich jetzt wenigstens schreiben könnte, dass ich um 4.30 Uhr am Sonntagmorgen aufgestanden bin um Brötchen zu holen, würde das noch einigermaßen plausibel klingen, obwohl selbst die Verbindung von 4.30 Uhr und Albanien und Brötchen für Außenstehende abstrus klingt. Die Wahrheit ist natürlich eine andere: Das letzte Spiel der Tour wollte beehrt werden. Das günstigste Transportmittel, die albanische Eisenbahngesellschaft, betrieb mit dieser frühen Abfahrtszeit Raubbau an meinem fußballabhängigen Körper. Durch Ghettos und Holzhüttensiedlungen auf unbeleuchteten und unasphaltierten Straßen näherte ich mich dem Bahnhof. Von außen als solcher nicht zu erkennen – besteht dieser doch aus einem größeren Gebäude, ohne Fenster und Türen, an dessen anderem Ende zwei Gleise stranden. Der Zug war, wie der Bahnhof und die Straßen, ohne Beleuchtung. Die erfahrenen Zugfahrer hatten Taschenlampen dabei, während ich als Novize mir einen freien Platz ertastete. Die Fahrt konnte beginnen.
Mit einer scharfen Bremsung von knapp 30 km/h auf Null weckte der Lockführer die schlummernden Insassen. Ein Bahnhof oder gar ein Wartesignal kamen als Ursache dafür nicht in Betracht. Zehn Minuten später war der Spuk vorbei und die Lösung nahte. Links und rechts der Strecke loderte ein Waldbrand. Mit welcher Messtechnik der Lokführer bestimmen konnte, dass kein Baum auf den Zug fällt weiß ich nicht, aber sie funktionierte. So ging die Fahrt weiter und man konnte durch die Fenster hindurch den Brandherd beobachten. Das einzig Spektakuläre bis zur Ankunft des Zuges in Durres war das eintretende Tageslicht, konnte ich so doch die Eisenbahnwaggons, Deutscher Bauart aus den 60iger Jahren, genauer betrachten. Kein Fenster, das keinen Sprung oder kein Einschussloch hatte. Rückblickend stellt sich mir noch immer die Frage, ob diese vor der Überführung aus Deutschland, beispielsweise auf der Strecke Uelzen-Lüneburg, entstanden oder erst in Albanien? Für die 130 Kilometer lange Strecke benötigte der Zug gute fünf Stunden, kostete aber auch nur 1,60 Euro. Ein Eurodomino Ticket wird es in absehbarer Zeit also eher nicht geben.
In Durres ließ ich meinen Rucksack bei einer netten Fahrscheinverkäuferin und erkundete die Innenstadt, die im Vergleich zu Vlore zwar schöner war, aber keinen eigenen oder neuen Stil besaß. Dank der prädestinierten Lage der Stadt gibt es täglich mehrere Fährverbindungen nach Italien, was sich auch im Straßenbild widerspiegelt. Viele italienische Autos und ein gewisser Flair, den man sonst nur südlich des Brenners findet, sind eigentlich in ganz Albanien gegenwärtig, aber in Durres ganz besonders stark ausgeprägt. Zum Einkaufen werden die Italiener aber nicht die Republika e Shqipërisë besuchen; sind doch Güter wie Benzin teurer als in Griechenland. Die nahe liegende Gleichung: zweitärmstes Land Europa = billiges Land gilt hier nicht.

10.09.2006 Teuta Durres 4:0 Partizani Tirana
1. Liga Albanien – Stadiumi Niko Dovana

Bilanz vor dem Spiel: 118 Aufeinandertreffen, 23 Siege für Teuta, 33 Unentschieden, 62 Siege für Partizani; Torverhältnis: 94:207
Letzter Sieg von Teuta: 15.04.2006 – 1:0; Letzter Sieg von Partizani: 18.02.2006 – 4:1
Aufstellungen: Teuta: Kapllani, A.Duro, Vrapi, Tetova, Kapaj, Bespalla (Kuli 61′), Idrizi(Kote 75′), Buna, Devolli, Mancaku (Gega 82′), D.Xhafa
Trajner: Sulejman Starova
Partizani: Shehi, Ndreka, Beqiri, Babamusta, Kardek, Gjyla, Hallaçi, Dhëmbi, Karapici, Abilaliaj (Bulku 65′), Progri (Malindi 76′)
Trajner: Neptun Bajko
Gelbe Karten: Mancaku, D.Xhafa – Progri, Karapici, Beqiri; Rote Karte: Albert Duro
Zuschauer: 3.000

Die Abfahrtszeit der Fähre war wie schon in der Ukraine für 23 Uhr angesetzt; um es vorwegzunehmen, die Fähre fuhr auch pünktlich. Das Hafengelände durfte man eigentlich erst gegen 21 Uhr betreten, aber mein norddeutsches Aussehen, das sich in diesen Ländern meist als Nachteil erweist, war diesmal von Vorteil. Ich wurde von der Security an den Wartenden, Bettlern und Zigeuner vorbeigeführt und konnte es mir auf dem abgezäunten Hafengelände gemütlich machen. Den großen Zaun überwanden auch immer wieder Zigeunerkinder mit Klebstoff, um bei den meist ausländischen Fährgästen zu betteln. Zwei Stunden vor Abfahrt konnte ich endlich an Bord gehen und mir ein gemütliches Plätzchen suchen, hatte ich doch nicht einmal einen Schlafsessel reserviert. Eine rückenkomfortable Übernachtungsmöglichkeit war fix aufgebaut, so dass das Nachtprogramm Schlafen erfolgreich angegangen werden konnte.
Mit der üblichen italienischen Verspätung erreichte die Fähre den WM-Spielort von 1990: Bari. Sonne, ansehnliche Altstadt und diese italienische Leichtigkeit des Lebens – dafür blieb keine Zeit. Es musste die billigste Transportmöglichkeit nach Pisa gefunden werden, von wo mein Flieger am nächsten Morgen starten sollte. Die Angebotstickets der Bahn konnten leider nicht gebucht werden, weshalb nur eine unbequeme Verbindung mit dreimaligen Umsteigen übrig blieb. Im Supermarkt wurden örtliche Spezialitäten wie Jogurt und Bananen eingekauft, die mit auf die Reise in die Toskana gingen. Bis zur Abfahrt litt ich noch mit Hanno, der wirklich kein einfaches Leben hatte. Im Zug nach Bologna konnte ich wenigstens noch im Sitzen ruhen. Auf Bolognas Bahnhof machte ich mich noch für zwei Stunden lang, um mich anschließend auf die Nahverkehrsfahrt weiter nach Pisa zu machen. Hier wurde erstmal das letzte saubere T-Shirt übergestreift und alle riechenden Körperecken mit Deo bekämpft. Im Warteraum beschäftigte ich mich geistig schon wieder mit der harten Realität in Deutschland und wehmütig wurde Abschied vom einmonatigen Vagabundenleben genommen. Wie der Zufall es wollte, hatte ich mich kurz vor dem Anflug auf den Flughafen Lübeck auch durch die Buddenbrooks durchgekämpft. Auf einen Besuch der Fischergrube und Mengstraße musste aber verzichtet werden, die Geburtsstadt rief mahnend und eindringlich. Das heimische Klo auch.

17.09.2006 TSV 1950 Chemnitz 0:0 VTB Chemnitz
7. Liga Deutschland – Erdmannsdorfer Str.

Ich hasse Foren! Da wollte man ein wenig posen und postete die genannte Partie im weltweiten Datennetz um somit den Anschein zu erwecken, Sonntag um 15.45 Uhr einen Ground mehr auf meinem Konto zu haben (Nur nebenbei, gibt’s da eigentlich auch Zinsen?). Tatsächlich hatte ich aber kurzfristig die Attraktivität dieses stadtinternen Machtkampfes, bei dem es unter anderen darum geht, die Vorherrschaft zu gewinnen und somit beim Bäcker auf die Vereinsangehörigen der Verlierermannschaft mit dem nackten Finger zeigen zu dürfen, aus den Augen verloren. Aus den Augen aus den Sinn? Eher aus den Sinn aus den Augen, denn nach einer tanzwütigen Nacht im Südbahnhof war ich gerade bedacht mir die Kopfschmerzen wegzuschlafen, als brb mich anrief und mir die Partie wieder in den Sinn und somit in die Augen brachte. DANKE noch mal! Aber wieso dem verehrten Kollegen aus der Stadt, die für viele als eine touristische Attraktion Deutschlands gilt – das Leben kann so schön sein wenn man sich selber was vorlügt – die Schuld geben, wenn ich ihn nur mit meinem sinnfreien Forumseintrag animierte, Zentralsachsen zu besuchen? Ich hasse Foren!

Greifswald – Dresden-Friedrichstadt in 59 Stunden

Symptome sollte man ernst nehmen. Geht es nun um die Gesundheit, das Auto oder die Beziehung. Zu wem auch immer… Auch Hopper sollten sich da nicht ausnehmen und Anzeichen früh erkennen, um etwaige Folgen auszuloten.

Das völlig unerwartete Überschreiten des 26. Lebensjahres, dem damit unerreichbar gewordenen Jugendtarif bei vielen Bahngesellschaften Europas und der baldige Verlust der Gültigkeit meines Reisepasses ließen mich schon aufhorchen, das schwerwiegendste Indiz indes führte zur Fällung meiner Entscheidung. Bedingt durch die vielen Strapazen und Umfunktionalisierungen schritt die Abnutzung meines treusten Begleiters in Siebenmeilenstiefeln voran. Die Nähte rissen langsam aber stetig und dort, wo vorher sicherer Stauraum für lebensexistenzielle Reiseutensilien war, prangten große Löcher, die fortan die Funktion eines schwarzen Loches wahrnahmen.
Und so sollte es einmal noch losgehen. Einmal noch sollte der Studienbeginn selbstheroisch nach hinten verlegt werden, einmal noch sollte Szczecin Glowny als Sprungbrett in die Kornkammer der ehemaligen Sowjetunion dienen.

Der Erfolg einer Reise, einer Tour, ist abhängig vom Erreichen des Ziels, des Plans, plus die Summe von positiv verlaufenden Situationen, dem zumeist nicht Planbaren.

Das Bemerken der fehlenden Assidecke war somit gesehen, ein erster Anhaltspunkt für den rückblickend scheinbar klaren Ablauf der folgenden Tage. Mit dem frisch gedruckten Ticket machte ich es mir im noch leeren D-Nachtzug gen Przemysl gemütlich. Jedoch wurde diese Gemütlichkeit schnell gestört, ja zerstört: Meine in zehnminütiger Handarbeit geschmierten Stullen lagen griffbereit auf dem kleinen Abteiltisch. Meine Füße lagen horizontal, befreit von den Schuhen, die ihre Hauptfunktion als Geruchsunterdrücker somit nicht mehr wahr nehmen konnten, auf den gegenüberliegenden Sitzen und ich war gerade dabei meinen MP3-Player einzuschalten, um dem Idyll das musikalische i-Tüpfelchen aufzusetzen. Das makellose Ideal wäre erreicht gewesen, wäre die „Hold“-Taste nur gedrückt worden. Irgendwo musste ich irgendwie gegen irgendwas gekommen sein, was zur Folge hatte, dass das Formatieren des Speichers geglückt war. Ohne, oder besser gesagt: gegen meine Einwilligung und/oder mein Wissen. Aber früher ging es ja auch „ohne“ und so kramte ich ein Buch hervor und las mich müde.
Die Planung war knapp bemessen, aber machbar. Immerhin konnte ich mich auf meine Erfahrungen berufen und war mir daher sicher, dass alles klappen würde. Der ausgesuchte 11-Uhr-Bus von Przemysl hätte es selbst bei einigen miteingerechneten Eventualitäten bis 15 Uhr nach L’wow schaffen müssen; Zeitverschiebung inklusive. Am Busbahnhof erhielt ich jedoch die nächste Hiobsbotschaft, denn die Abfahrt um 11 Uhr wurde eine Stunde nach hinten verschoben. Zu knapp für meine Planungen, so dass ich auf das Angebot eines Kleinbusses zurückgriff, der mich für 50 Groszy bis zur Grenze chauffieren sollte. Noch „in-time“ entstieg ich dem Fahrservice und wechselte meine übrigen gesparten polnischen Münzen in einen tauschbaren Schein.
Voll bepackt mit tollen Sachen, die das Leben schöner machen, watschelte ich anschließend zum Grenzübergang für Fußgänger. Oder besser gesagt: zum vermeintlichen Grenzübergang für Fußgänger. Eine riesige Baustelle klaffte dort, wo sonst tonnenschwere karierte Reisetaschen über die EU-Außengrenze getragen und gezogen wurden. Zur Bestätigung meiner Vermutung, dass es hier zurzeit keinen Fußgängerübergang mehr gab, befragte ich eine wartende Frau. Meine Vermutung stimmte und so stellte sich mir nun die Aufgabe, Insasse eines Fahrzeugs zu werden. Während ich die Angebote auf dem Markt sondierte, entdeckte ich ziemlich weit vorn einen nigelnagelneuen Opel mit deutschem Nummerschild. Schnell stürmte ich an das Auto und deutete dem jugendlich-aussehenden Fahrer wild gestikulierend, dass er sein Fenster öffnen sollte. Nachdem er sich drei Mal erkundigte, ob ich auch ja keine Drogen oder Waffen schmuggeln wollte, willigte er ein, mich über das schmale Stückchen Land mit Beton und Wellblech verziert, welches sicherlich mehr über Korruption berichten könnte als jede Studie von Transparency International, zu bringen. Aber bereits nach den ersten akustischen Lauten meines Fahrers, war ich mir nicht mehr so sicher, ob diese Entscheidung die Richtige war: Er sprach Deutsch mit russischem Akzent. Seine slawischen Wurzeln verriet er mir kurz vor dem polnischen Teil der Grenze. Dass sein Köpfchen, mit dem speckigen, lackritzartigen Haarschmuck, das sich mit meinen verfetteten Haaren messen wollte, nicht das Hellste war, erkannte ich nach der Frage meiner Herkunft. „Greifswald.“ – „Hmm, nee, kenn ich nicht.“ – „Das liegt an der Ostsee, 100 Kilometer von Rostock entfernt!“ – „Hmm, nee, das sagt mir nichts.“ – „Wo kommst Du denn her?“ – „Flensburg.“
Die schicke polnische Grenzerin war schnell befriedigt. Das Vorzeigen unserer Reisepässe genügte, so dass wir uns „in time“ in den Stau im Niemandsland einreihen konnten. „Ach übrigens, ich habe keine grüne Versicherungskarte, weshalb ich schon nicht über die Grenze Hrubieszow-Ustilug gekommen bin. Aber mach dir keine Sorgen, das klappt hier schon.“ Nun ja, da er zur Not auch bereit war, sich die grüne Versicherungskarte beim uniformierten Personal „nachzukaufen“, stufte ich diese Offenbarung als einfache Bagatelle ein. Gegen 13 Uhr erreichten wir schließlich die ukrainische Passkontrolle, wo mein Begleiter seinen Reisepass bunt ausschmückte. Es sah gut aus, ich lag sehr gut in der Zeit, das Wetter spielte auch mit und überhaupt – Donezk, ich komme! Doch die Vollendung misslang, denn das letzte Puzzleteil fehlte. Freundlich winkte uns der Zollbeamte heraus, Routine dachte ich, reine Routine, wozu hatte mein Fahrer denn einen Pass mit erhöhtem Wert und das nicht nur immateriell?! Als ich dem Zöllner erzählte, dass ich sein Land nur zum Fußballgucken besuchte, war seine Freude so groß, dass er jegliches Durchsuchen meines Gepäcks für überflüssig hielt. Wissbegierig fragte er nun meinen Fahrer, was ihn denn in dieses Land lockte. Sag Fußball! Sag Urlaub! Sag irgendwas Triviales, wie Frauen, das passt gut zu dir! Nach langem Stottern und der allmählichen Bildung von Schweißtropfen auf seiner verkrampften Stirn brachte er ein „Urlaub“ hervor. Augrund des einsetzenden Rinnsals unterhalb der schwarzen Haarpracht meines Beförderers überzeugte unseren Gegenüber diese Aussage aber nicht vollends. „Schönes Auto. Was arbeitest du denn in Deutschland?“ – Stottern und meine Gedanken streiften um dieses eine Wort, welches ich jetzt bloß nicht zu Gehör bekommen wollte, welches aber doch das Stottern unterbrach und meine heile Welt platzen ließ: „I-ich bi-bi-bin ARBEITSLOS.“
Es war ja nicht so, dass ich keine Wahl hatte. Es standen genug Autos vor der Grenze im Stau, mit denen ich wohl problemlos von Polen in die Ukraine hätte kommen können. Ich aber wollte die Sicherheit, suchte mein Glück in der Vertrautheit der deutschen Sprache, anstatt meine Zukunft für ein paar Stunden in die Hände eines Ukrainers oder Polen zu legen. Der Konjunktiv brachte mich nun aber nicht weiter. Es galt klaren Kopf zu bewahren und das Optimum aus dieser Situation zu holen – schnellstmöglich die restlichen 50 Meter bis zur Ausfahrt des Grenzüberganges bewältigen.
Mein Fahrer sollte Deklarationspapiere für seinen Wagen ausfüllen, um einen vermeintlichen Weiterverkauf des Automobils in der Ukraine zu verhindern. Dass ein Stück Papier in einem Land wie der Ukraine wohl kaum über eine solche Macht verfügt, den offensichtlich geplanten Vorgang zu stoppen, noch bevor er begonnen hatte, dürfte jedem klar sein. Aber es war des Zöllners Wille, und so sollte es geschehen. Und außerdem würde mein Fahrer die Deklaration sicherlich zur Zufriedenheit aller beteiligten Personen hinbekommen; dessen war ich mir sicher. Beamtenmühlen mahlen allerdings langsam und wenn ich von einer Komponente wenig zur Verfügung hatte, dann war es die Zeit. Diese verging schneller als mir lieb war; unbeirrbar bahnte sich der Zeiger von immer wieder seinen kurzen Weg zur Zwölf. Die erste Anlaufstelle war falsch. Zum Glück merkte dies mein russisch-sprechender Freund geschlagene 30 Minuten später. Die Beamten hier waren zwar für die Deklarationen zuständig, aber dafür musste diese natürlich erst einmal ausgefüllt werden und die Blankoformulare gab es an anderer Stelle. Obwohl keine 20 Meter gegenüberliegend, fand mein Zeitvernichter das Gebäude erst zehn Minuten später. Den nächsten Schock bekam er beim Anblick der Deklinationspapiere – alle in ukrainischer oder englischer Sprache. Schnell riss ich eine englische Version an mich und übersetzte für ihn. Schön, wenn man einem gebürtigen Russen teilweise sagen muss, wie manche Wörter orthographisch korrekt in Kyrillisch wiedergegeben werden. Schritt Eins war also getan, wir hatten die Papiere ausgefüllt, nun mussten diese nur noch von einem Beamten elektronisch erfasst werden und ein Stempel plus Signum den Ausdruck als behördlich genehmigt erscheinen lassen. Um dies zu erreichen, mussten wir einmal quer über die gesamte Grenzstation laufen und schon waren wir wieder bei unserer ersten Anlaufstelle. Von drinnen drangen die wuchtigen Anschläge einer Schreibmaschine heraus, welche von einer emsigen Uniformierten zu Höchstleistungen getrieben wurde. „Ne Frau! Das ist unsere Chance. Geh rein und gib ihr die Unterlagen!“. Zu viel Deutschtum, das war es, was ich meiner Begleitung attestieren konnte, denn er stellte sich brav vor die Tür, während die Ukrainer, die die ziemlich neuwertig ausschauenden Autos übrigens zum größten Teil ohne Motor und Räder über die Grenze transportieren, da sie so weniger Zoll zahlen müssten (die fehlenden Bestandteile des Autos gehen dann über eine andere Grenze), einfach die Barackentür öffneten, die fleißigen Finger kurz stoppten, Wünsche äußerten und gleichzeitig die Beamtin beschenkten und wenig später die abgeschriebenen Deklinationspapiere wiederbekamen. Auch nach mehrmaligem Aufordern meinerseits kauerte der schlechteste Autoschieber der Welt vor der Tür und war sich mehr als unschlüssig. Unschlüssigkeit konnte ich aber nicht gebrauchen, also teilte ich ihm entschlossen mit, dass ich ab jetzt versuchen würde mit dem Bus weiterzukommen.
Gesagt, getan. Ich presste den Rucksack an meine Wirbelsäule und ging los. Weit kam ich allerdings nicht, denn am Tor zur Freiheit war Schluss. Wenn ich mit einem Auto auf das Grenzgelände gefahren war, so konnte ich es auch nur mit Auto verlassen. Meine Argumente, dass ich einen gültigen Einreisestempel besitze und nur zur Haltestelle der Marschrutka wollte, interessierten die Grenzer wenig bis überhaupt nicht. Aber wenn sie ein Auto wollten, sollten sie auch eins bekommen. Das erste Auto, das mir entgegenkam, nötigte ich zum Halten und schwupdiwupp war ich Insasse und erfüllte alle geforderten Direktiven. So dachte ich. Allerdings erhält jedes Auto beim Befahren der Grenze einen kleinen Zettel, der aufzeigt, wie viele Leute im Auto sitzen und mit welchem Nummernschild es amtlich unterwegs ist. Und da zwei nun mal nicht drei waren, konnte ich wieder aussteigen und unter lautem Fluchen die 50 Meter zu meinem Peiniger zurückstampfen. Während ich auf ihn zuging, erklang plötzlich ein unmelodischer Zwischenfall aus meiner Hose. Penis rief an. Nur, was wollte er?! Das kostet doch nur Geld, also drückte ich ihn weg und dann erblickte ich das, was ich mir eigentlich ersparen wollte. Das, was ich leugnen konnte, solange ich es nicht sah und mir stattdessen eine eigene, rosige Wahrheit vorgaukeln konnte. Nachdem ich den eingehenden Anruf abwies stand er da, der mehr als aussagekräftige Indikator, der mir unmissverständlich verdeutlichte, dass Metallurg Donezk am nächsten Tag ohne meine Anwesenheit auskommen musste: die Uhrzeit.
Ein Ass hatte ich noch im Ärmel, denn in Nowomoskowsk sollte das Reservespiel zwischen Dnjepr Dnjepropetrowsk und Dinamo Kiew über die Bühne gehen. Das wären 800 Kilometer Zugfahrt für ein Reservespiel. Es war soweit, geistige Umnachtung überkam mich… Nun galt es nur noch, meinen Taugenichts von Fahrer Feuer unterm Arsch zu machen. Dieser stand mittlerweile in einer langen Schlange vor einer Stempelmaschine aus Menschenhaut, eingekleidet in sanften Grüntönen auf Baumwolluntergrund. Das Spiel, das hier gespielt wurde, war eine Eins-zu-Eins-Kopie, welches in der Schreibmaschinenbeamtenstube, ja sind wir ehrlich, eine Diskrepanz wird im ganzen Land nicht vorhanden sein, gespielt wurde. „Geben und Nehmen“ wurde hier noch groß geschrieben. Ob es im Sinne der Bibel geschah, sei einmal dahingestellt. Da meine klägliche Fehlentscheidung dieses Spiel aber nicht spielen konnte oder wollte, kamen wir über das Schwanzende nicht hinaus, während liquide und potentielle Unterweltgrößen aus L’wow, Iwano-Frankowsk und Ternopol lässig mit ihren Sonnenbrillen und Jogginghosen das Schwanzende überholten ohne einzuholen und den Kopf der Schlange immens füllten. Ich hatte zwischenzeitlich Angst, dass der Kopf der Schlange diesem enormen Druck nicht standhalten könnte. Eine so immense Ballung von Wichtigtuerei, Potenz und Gerissenheit auf so kleinem Raum konnte nicht gut gehen. Da der Druck durch die sich wechselnden Protagonisten mit den bunten Scheinen aber konstant gehalten werden konnte, passierte in dieser Hinsicht nichts und somit änderte sich auch unsere hoffnungslose Lage am Schwanzende nicht.
Diesem fortlaufend sich wiederholenden Naturschauspiel konnte ich nicht länger regungslos folgen. Ich musste etwas tun. Nur was, das wusste ich selber nicht. Zwei Dumme – ein Gedanke. Anders kann ich es mir nicht erklären, denn just in diesem Augenblick wählte Penis wieder meine Nummer. Ach, weg mit den Gedanken an mögliche Kosten, her mit den Informationen. Thüringenliga, Sonneberg und Wochenendticket waren die Schlagwörter. Vom fußballerischen mindestens genauso wertvoll wie ein Reservespiel und ein Zweitligaspiel am Samstag in der Ukraine. Aber fahren wir wegen Fußball zum Groundhopping?! Wo sollte an einer Partie dicht an der innerdeutschen Grenze der Reiz liegen?! Und so begann die nächste Entscheidungsphase (die wievielte war es eigentlich mittlerweile) und schnell errechnete ich, wie im Studium fürs Leben beigebracht, die Opportunitätskosten. Mehr als falsch konnte mein Entschluss nicht werden, und dass dieser falsch werden würde, war eh klar. Während in meinem Gehirn die Zellen rotierten, rotierte die Verpackung von selbigen wieder zum Hauptgeschehen – meiner untätigen Mitfahrgelegenheit und der Schlange. Sanft umspielte ihre, aus vielen farbigen Banknoten bestehende Zunge, die Hände des Staatsdieners, während der Rest der Schlange zur Untätigkeit verdammt war. Ach, Scheiß drauf – Sonneberg ich komme! Eine hastige Bewegung verschluckte meinen Abschiedsgruß, denn in dem Augenblick, als ich ein „Tschüß“ zum Leben erwecken wollte, sah ich auf der anderen Seite der Grenze einen Bus gen Przemysl, so dass mein durch Wut gesättigter Körper sich um 180 Grad drehte und entfloh. Somit dürfte mein Lebensabschnittsgefährte bestenfalls ein „Tsch“ empfangen haben, was aber sicherlich sowieso im Zischen der Schlange untergegangen war. Falls irgendwer das „üß“ findet, so kann er sich gerne bei mir melden. Der Fahrer des Busses – das Gesicht war mir sehr bekannt, kutschierte es mich doch schon des Öfteren zwischen Polen und der Ukraine umher und sah mich demzufolge schon weitaus häufiger als manch ein Dozent – war bereit, mich für 15 Griwna in den Heimathafen der Busse von PKS, nach Przemysl zu schiffen. Ein flüchtiger Kassensturz ergab, dass mir abzüglich der Fahrkosten noch ein Haufen Münzen blieben, der mir durch seinen goldenen Glanz im Spiel mit der Sonne nur eins offenbarte: Goldene Taler für königlichen Trunk. Eine Flasche aus Kartoffeln gebranntem Schnaps, die auf den wohlklingenden Namen „Boschak“ hörte, entsprach genau dem, was mein Klimpergeld noch hergab und königlich sah der Schnaps allemal aus.
Nach einem Zusammenspiel von Lustlosigkeit und Arroganz war die Busbesatzung eine Stunde später von der ukrainischen Seite abgefertigt und neben meinem Einreisestempel machte sich der Ausreisestempel gemütlich – schade, dass die Uhrzeit nicht vermerkt war. Die zwei Stunden Wartezeit vor der polnischen Grenzstation wurde von den Businsassen auf ganz unterschiedliche Weise genutzt. Während der Hauptteil der Besatzung sich daran machte_ Verstecke anzulegen, bei denen es eher um Quantität statt Qualität ging, um so einen höchstmöglichen Prozentsatz auf der Skala „Illegal in die Europäische Union eingeführte Genussmittel“ zu erreichen, übte ich mich im Dösen und Gaffen. Anschließend wurden die Fahrgäste in das Zollgebäude gebeten und zwei Beamte filzten den Bus. Die Zugeständnisse von Seiten der ukrainischen Frauen waren wohl annehmbar für die polnischen Zöllner, denn die Untersuchung des rollenden Schmuggelcontainers war sehr lasch. Teilweise fieberten die Damen hinter mir in der Wartehalle richtig mit und kommentierten die Aktionen im Stile einer Sportübertragung: „Nein, schau nicht nach rechts! Ja, geh geradeaus! Weiter! Ja! Juchhu, er hat die Flasche nicht gefunden!“ Das ganze Prozedere dauerte eine knappe Dreiviertelstunde. Schließlich verließ der Bus die Grenze um 18.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Viele Frauen waren glücklich, denn es schien, als hätten sie mehr als den anvisierten Prozentsatz importieren können. Ich war nach diesem Nachmittag um eine Erkenntnis reicher: man kann sehr gut 7½ Stunden an einer Grenze verbringen. Die Frage, ob dies allerdings verlorene oder gewonnene Stunden waren, sollte sich erst knapp zwei Tage später beantworten lassen.
Przemysl, mein Przemysl, da hattest du mich wieder! Da der Nachtzug nach Wroclaw erst um 23 Uhr fuhr, blieb mir noch genug Zeit, um im ortsansässigen Imbiss Pierogi Ruski zu verschlingen, Bier zu kaufen und durch eine der schönsten polnischen Altstädte zu schlendern – wieder einmal. Indes setzte sich die Fehlerkette ungeahnt wieder in Gang. Oder beschleunigte sie sich gar und hatte in den vergangenen Stunden nie still gestanden?! Nach einer in Form eines kleinen Mitteilungsservice praktizierten Korrespondenz mit dem Budapester in Dresden, waren auch schon die Stunden bis zur Abfahrt des Sonnebergexpresszuges am Samstagmorgen verplant. Ich schickte Penis die nötigen Instruktionen, was er mit meinem leblosen Körper in Chemnitz anzustellen hat, damit eine Weiterfahrt gesichert wäre. Denn dazu bedurfte es keiner Glaskugel und keinen hellseherischen Kräften – artikulationsbeschränkt und mit motorischen Defiziten, so würde ich Chemnitz erreichen. Voller Vorfreude auf Kommendes bestieg ich den menschenleeren D-Zug und machte es mir bequem. Ich entledigte mich meiner Schuhe, aktivierte die Kopfkissenfunktion meiner Begleitung – ach Rucksack, könntest du doch sprechen, mit deinen Erlebnissen würdest du aufmerksamkeitsgestörte und hyperaktive Kinder einen ganzen Abend lang fesseln – und führte meinem nimmersitten Schlund im hohen Neigungswinkel das Schlafbier zu.
Kalt war es, als mich der Konduktor zur ersten Kontrolle weckte. Die Heizung schien einen direkten Anschluss an einen Kühlschrank zu haben; aber was soll ich hier meckern: im Sommer ist es uns zu heiß, im Winter zu kalt… Kurz vor Wroclaw konnte ich durch energische Reibbewegungen wieder Leben in meine Füße bringen, immerhin mussten mich diese noch zur angestammten Waschmöglichkeit gleich rechts vom Hauptbahnhof und zum Busbahnhof bringen. Anschließend lud Wroclaw mich mit seinem unwiderstehlichen Charme zum Verweilen ein. Wegen der unheimlich zugigen Lage der Bahnhofshalle kommt in den kalten Monaten des Jahres nur die Busbahnhofshalle zum Verweilen in Betracht. Knapp drei Stunden musste ich mich bis zur Abfahrt des Zuges nach Zgorzelec noch vergnügen. So hatte ich nun von dem Gut, das mir noch am Tag zuvor viel zu wenig zur Verfügung stand, viel zu viel. Eine Folge der Globalisierung oder der Erderwärmung? Wer weiß das schon, jedenfalls nutzte ich die Zeit, um mich an den vielen bunten Bildern in der polnischen Metro-Zeitung zu erfreuen, Obdachlose zu beobachten und Gedankenspiele anzustellen. Man glaubt es gar nicht, in welche Sphären der Selbstunterhaltung man vordringen kann, wenn man a) keine Musik dabei hat und b) zu faul zum Lesen ist.
Das rhythmische Gleis- und Waggonknarren lies mich nach Abfahrt des Zuges schnell einschlafen, so dass ich mit dem Kinn auf der Brust in einer dieser wenigen polnisch-deutschen Städte erwachte. Vom Bahnhof eilte ich schnellen Schrittes zur Grenze, da ich nicht genau wusste, wann die Züge nach Dresden abfuhren. Dass ich trotz dieser sportlichen Höchstleistung eine Stunde auf dem Bahnhof warten durfte, sollte den aufmerksamen Leser nicht verwundern. Das Sachsenticket und somit eine potentielle und kostenfreie Mitfahrgelegenheit für mich war in Görlitz genauso unbekannt wie zivilisiertes Aussehen bei der örtlichen Jugend. Scheinbar hatte sich die komplette Elite an Dummvolk und optischer Entgleisung auf den Weg zum Bahnhof gemacht, um mich auf meiner Weiterfahrt gen Elbflorenz zu begleiten. Erst in diesem Moment erkannte ich wieder einmal, dass eine Grenze nicht nur für unterschiedliche Sprachen, Systeme und Religionen sorgen kann, sondern, dass diese willkürlich angelegte Trennung von Ethnien im Laufe der Zeit auch zu vollkommend unterschiedlichen Körperproportionen führen – sowohl beim starken als auch beim schwachen Geschlecht.
In Dresden – für die letzten 770 Kilometer benötigte ich 19 Stunden – empfing mich schon das Empfangskomitee bestehend aus Fradi und Thomas, samt Flaschen eines meisterhaften Bräus. Diese fanden reichlich den Weg in meinen Hals, so dass die Stimmung proportional zum Konsum anstieg. Nur einer spielte nicht mit – der Budapester fühlte sich schlapp und müde und erklärte mir lapidar, dass er mit mir nicht die Nacht zum Tage – das ganze tanzenderweise und komatös verpackt – machen wolle. Tja, wenn er nicht will, dann freut sich der nächste. Kurzerhand trieb ich die monatliche Telefonrechnung arg in die Höhe, bis ich schließlich einen Trinkpartner in der Neustadt fand. Mit meinem Grenzsouvenir begab ich mich in das Mekka der alterna(t)iven Studenten Dresdens und begann samt Kumpel mit dem Verzehr.

TedStriker und sein Kumpel ließen es sich schmecken – Wodka um Wodka stieg der Alkohol- und fiel der Füllpegel. Als die Flasche Leerstand anzeigte, stolperten die Beiden in Richtung Sputnik-Club. Dort war es freitags meist sehr gut; ausgelassen feierten und tanzten dort die Leute wie von einem Voodoo-Magier gesteuert. Dieser thronte über den Plattentellern und steuerte mit kurzen Stichen der Plattenspielernadel auf dem Vinyl die Körper der sich hingebenden und euphorischen Menge. Das wollten sich die Beiden natürlich nicht entgehen lassen. Um sicher zu gehen, dass ihnen der Eintritt nicht verwehrt werden würde, machte sie vor dem Club kurz Rast um frische Luft zu schnappen. Verhängnisvollerweise verwechselte TedStriker die Betonplatten auf dem Gehweg mit dem Walk of Fame. Es sah eine Bordsteinkante nicht, stolperte und fiel frontal mit dem Gesicht auf die dafür nicht konzipierten Platten. Boschak war nicht nur für die gute Laune und die Rast verantwortlich, sondern auch für eine Grobmotorik sondergleichen. Die Hände blieben während des Sturzes am Körper und mit voller Wucht hinterließ TedStriker einen roten Abdruck am Boden. Nach dem Erkennen der Wunden informierte sein Kumpel den Rettungsdienst, welcher kurz darauf den sich im Delirium befindenden Geist samt schorfiger Hülle in das Krankenhaus Friedrichstadt fuhr.

Hm, wo bin ich? Das war mein erster klarer Gedanke, den ich gegen 15 Uhr am Folgetag fasste und laut äußerte. Die Schwester hatte neben der Diagnose – Gehirnerschütterung, Alkoholvergiftung und Wunden an der Nase – sogar eine Antwort darauf: im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt. Da lag ich nun also für die folgenden zwei Tage, zwischen Donezk und Sonneberg, in einem Bett und mein Rucksack hing wortlos an einem Haken an der Wand – es hätte auch ein Nagel sein können.

Was ich „verpasst“ habe:
Freitag, 13.10.2006: Metallurg Donezk 3:2 Zorja Lugans’k, 2.000 Zuschauer. Das Reservespiel Dnjepr Dnjepropetrowsk vs. Dinamo Kiew gewann vor 3.000 Zuschauern Dnjepr. Allerdings wurde das Spiel kurzfristig auf Samstag verlegt.
Samstag, 14.10.2006: Das Zweitligaspiel MFK Nikolaew vs. Spartak Sumi fiel aus, weil die Gäste nicht antraten. 1. FC Sonneberg 2004 4:0 SV Germania Ilmenau, 250 Zuschauer.

Impressum
Redaktion: TedStriker, DerBudapester, RalleRalinski
Lektorat: Gebrüder Mannheimer

Dieses Heft ist kein Erzeugnis im presserechtlichen Sinne, sondern eine Zeitschrift an Freunde, Bekannte und Fußballinteressierte. Ich rufe weder zu exzessiven Genuss von alkoholischen Getränken und zu Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen auf, noch propagiere ich irgendeine politische Einstellung. Satire ist ein fester Bestandteil dieses Heftes und wird nicht als solche gekennzeichnet. Mit dem Preis werden nur die Herstellungskosten gedeckt.
Die gefundenen Rechtschreibfehler können entweder gesammelt, gebunden und weggeschmissen werden oder aber dem Lektorat vorgelegt werden, das sehr debattierfreudig ist.

Autorenteam
TedStriker aka Cousin Martin aka TheGodFatherOfArrogance aka Nase alias ich – Der Hobby-Psychologe und Teilzeit-Soziologe TedStriker hat den Hauptteil, der in diesem Machwerk geschilderten Erlebnissen und Begebenheiten, zu verantworten und erlebt.
Werdegang: Geburt

RalleRalinski

der budapester

Mein größter Dank und Gruß richtet sich an meine Eltern, die mich in meinem bisherigen Leben moralisch und materiell unterstützt haben, wo sie nur konnten und ohne die vieles nicht möglich gewesen wäre!
Der nächste Dank geht an die fleißigen Helfer bei der Herstellung dieses Heftes: Ralf und Gert Mannheimer, ohne die die Berichte ein Sammelsurium sprachlicher Unzulänglichkeiten geworden wären. Ein Dank auch an die stark dezimierte Redaktion der Beziehungskiste, für die Freigabe der Berichte und dem damit verbundenen Verzicht auf exklusive Veröffentlichung. Dem emsigen Stephan von nordostfussball.de gebührt noch Dank für den Vertrieb.

Grüße: an meine Kumpels jenseits der Fußball-/Hoppingwelt, an die treuen Allesfahrer vom Greifswalder SC, an den einzigwahren Fußballclub aus Greifswald und Vorpommern, dem Greifswalder SC (R.I.P., DANKE ALL IHR ROTHOSEN), den Jungs aus der Stadt mit gleichnamigem Fluss, Chemnitz: Erik, Penis, Schmacus, Toppi und Nico, Lars; den Jungs aus Zwickau: FenOtsch, Fantic, Ober-L, Rik, MV; an die Dynamos: BrB, Massa, Thomas, Braun, FrostForst Army-Man und Kaden und an die Unioner: Talijan und Erkner.
Dazu Einzelgrüße an: Budapester, Marc04, 96Linke, RalleRalinski, BFC-Marko, ksf, VfB-Markus, Lohner, Freddy, Obi, psa, Stralsundisti, sge-freak und allen Leuten, die mir auf den verschiedenen Touren halfen.

#0 Victoria Friedrichshain

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

Victoria Friedrichshain – FSV Spandauer Kickers 75 II 4-1
Samstag, 05.04.2014 | Laskersportplatz | Friedrichshain | 9. Liga | 20-30 Zs.

Zart schickte die Sonne wärmende Vorboten des Sommers, ein Fußballspiel musste her! Fündig wurde ich unweit des Ostkreuzes auf dem Lasker-Sportplatz, wo die heimische Victoria die zweite Equipe der Spandauer Kickers zum Interzonenderby empfing. Mein Fahrrad am Geländer geparkt und auf einer der gut erhaltenen Stufen der Längsseite Platz genommen. Erschlagen wurde ich sofort vom einem achtgeschossigen Monument der sozialistischen Blockbaukunst, einer Art Plattenbau-Findling hinter dem Tor. Diesen ergrauten Ballzaun zu überschießen dürfte selbst bei einem Field Goal unmöglich sein.

Meinem Blick über die Traversen wurde zunächst nichts Überraschendes geboten: Trinkende Männer mit Sporttaschen, also Reste der zweiten Mannschaft, die später am heimischen Abendbrottisch ihrer Frau ihr stundenlanges Fehlen mit dem „geselligen Vereinsleben“ erklären konnten, sowie Freaks, zu denen ich mich in diesem Moment auch zählte, die wohl keine plausible Erklärung für ihr Tun stammeln konnten.

Indes änderte sich die Szenerie nach wenigen Spielminuten, nachdem eine junge Mutter samt Bub eintrudelte und mit ihrem Äußeren einen Nebenkriegsschauplatz eröffnete. Ganz eindeutig Spielerfrau, dachte ich mir; die sind doch in jeder Liga gleich und überall ein beliebtes Fotomotiv stark bis sehr stark übergewichtiger und anormal proportionierter Groundhopper. Hier war aber heute keiner der kamerabewaffneten Zunft zu sehen – das sonst unterhaltsame Blitzlichtgewitter blieb aus, so dass ich mich schnell wieder abwendete und Unterhaltung bei den 22 Schwitzenden suchte.

Kurz vorm Halbzeitbier bekam der Sohnemann Instruktionen der Mutter, die danach das Stadion ver- und ihn zurückließ. Dem schloss ich mich nach dem Pfiff an, jedoch mit ganz anderer Intention, wie sich später herausstellen sollte.

Ich durchradelte die angrenzenden Wohngebiete auf der Suche nach dem schnellen Döner-Glück. Ich fand vieles aber kein rotierenden und mich erlösenden Fleischspieß. Gentrifizierung bedeutet eben nicht nur eine Homogenisierung der Mieter, sondern auch des Kulinarischen. Statt der Einfachheit der Schnellsättigung buhlten panasiatische Konzepte um die Gunst der nomadisierenden und bereits im Kiez sesshaft gewordenen Touristen. Mit einer großen Portion Hunger im Gepäck parkte ich wieder mein Fahrrad am Geländer. Halbzeit Zwo brachte fußballerisch keine neuen Erkenntnisse, dafür konnte das Rätsel um die verschwundene Mutter gelöst werden. Zur 80. Minute sah ich sie sich wieder dem Stadion nähern. Kurz bevor sie dieses betrat, überprüfte sie in einem Spiegel an einem geparkten Auto ihr Make up und den Sitz ihrer Kleidung. Die Spuren ihrer gelebten Frühlingsgefühle waren beseitigt, einzig ihr Lächeln offenbarte noch die Reste der Befriedigung. Nach einem flüchtigen Aufenthalt, nahm sie wieder die Hand Ihres Sohnes und schritt von dannen. König Fußball missbraucht als Babysitter für eine Spartakiade der Triebe. Ich wünschte mir den Winter zurück.

#1 Friedrichshagener SV 1912

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

Friedrichshagener SV 1912 – BFC Meteor 06 7-3
Samstag, 10.05.2014 | Am Wasserwerk Friedrichshagen | Friedrichshagen | 9. Liga | 40-50 Zs.

Puristisch mutete der Sportplatz „Am Wasserwerk“ in Friedrichshagen an. Das lag aber weder daran, dass über Nacht das Wasserwerk demontiert wurde, und auch ein längsseitiger Stufenausbau war vorhanden – es fehlten auf dem natürlichen Grün einfach jegliche Linien. Die Platzentscheidung erschien umso fraglicher, als dass doch die beide synthetischen Nebenplätze mit einem „Permanent Make Up“ versehen waren. Sei’s drum, die vier Adleraugen der Linienrichter ersetzen die Kreide und erhöhten zugleich das Spannungs- bzw. Unterhaltungspotenzial um den Faktor menschliche Fehlbarkeit.

Der Tabellenführer aus dem Wedding hatte eine ethnisch buntgemischte Truppe gegen die Randberliner Schmidt-Schulz-und-Meier-Truppe aufgestellt und lag schneller als ihr lieb sein konnte mit 0 zu 4 Toren im Hintertreffen. Wurde zu diesem Zeitpunkt die Kritik noch mit lautstarken Zuweisungen intern geäußert, änderte sich dies nach dem zwischenzeitlichen 2 zu 5. Mit einem vorrausgeschickten „Aaaaaaaaaaaabseits!“ sprintete der Weddinger Linksaußen, in einer während des Spiels nie gezeigten, nicht einmal angedeuteten Schnelligkeit, zum staksigen Linienrichter. Wie ein gallischer Hahn mit osmanischen Wurzeln plusterte er sich vor ihm auf und krähte: „Ey! Das war Abseits. Setz deine Brille mal richtig auf, man! Ey!“ Etwas verunsichert blickte sich der Angesprochene um, beharrte aber auf seine Entscheidung. Fauchend wie der Orientexpress trabte der Akteur zum Mittelkreis zurück, um sofort wieder kehrtzumachen, als er bemerkte, dass der Linienrichter nun seinen Chef zum Plausch einlud. Trotz seiner Bitte, doch einfach nur hören zu wollen, was der Assistent zu berichten hätte, beließ es der Pfeifenmann bei einer intimen Unterredung, um sich anschließend umzudrehen und dem Spieler die rote Karte zu präsentieren. Wie vom Glauben abgefallen, zersprang dessen Gesichtsfassade und verzogen sich seine Aggressionsfalten zu einer weichen und beschwörenden Mimik. „Super! Ich habe doch nur ‚super‘ zu ihm gesagt. Zeigen sie mir einen, der was anderes gesehen haben will.“

Vielleicht hatten andere in der Tat etwas anderes gesehen – gehört haben sie aber auf jeden Fall das Gleiche, weshalb auch völlig zu Recht der mehrstimmige, teutonische „So etwas haben wir hier noch nicht erlebt!“-Zuschauer-Kanon angestimmt wurde. Die Stimmung schaukelte sich nun hoch, Trainer und Ersatzspieler beleidigten sich gegenseitig und auch die klar im Abseits stehenden Auswärtsfahrer unterbrachen das Shisharauchen, um Vulgäres loszuwerden. Ein Heidenspektakel auch für Fromme.

Nach einer Weile wurde dann aber auch noch weitergespielt – hier ein Törchen, dort zwei Törchen – und so konnte am Ende nicht einmal mehr die Einwechslung der Nummer 11 auf Friedrichshagener Seite, den Heimsieg gefährden; hätten doch, um das Durchschnittsgewicht auf dem Platz aufrecht erhalten zu wollen, mindestens zwei Grün-Weiße den Platz verlassen müssen. Aber das wollte niemand und so blieb es beim 7 zu 3 sowie der Erkenntnis, dass der Videobeweis der Tod des Fußballs wäre.

#2 SV Nord Wedding II

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

SV Nord Wedding II – RFC Liberta 1-0
Sonntag, 11.05.2014 | Werner-Kluge-Sportplatz | Wedding | 10. Liga | 5-10 Zs.

„Warum?! Souley! Warum?“ Die Antwort auf dieses mehr flehende Klagen als wissbegierige Fragen vom stotternden Mittelfeld-Motor der Gästemannschaft, konnte keiner der fünf Hartgesottenen geben, die trotz einiger Wetterkapriolen freiwillig oder gezwungen, zufällig oder geplant, hier am Spielfeldrand des Werner-Kluge-Sportplatz gelandet waren. Aber zweifelslos war der Einwand berechtigt. Die Nummer 3 von Liberta war in den wenigen bisher verstrichenen Spielminuten bereits mehrfach durch konzeptloses Nach-vorne-dreschen des Balls aufgefallen; zumeist sogar in Momenten völlig frei an Bedrängnis. Aber dies muss man Souley zugute halten: Immerhin einem dieser 40-Meter-Versuche hatte der Reinickendorfer Verein seinen bisher einzigen Torschuss zu verdanken. Zu mehr Torgefahr sollte es das ganze Spiel dann auch nicht mehr reichen; aber so realistisch waren zu diesem Zeitpunkt wohl weder die Akteure auf als auch die Gaffer neben dem Platz. Wie auch, an einem solchen Wochentag, zu so einer Zeit, bei so einem Wetter, kann, ja muss, die Entscheidung zur Freizeitgestaltung plausibel und korrekt sein.

Der Rand des Kunstackers wusste zu gefallen: Stufen und wildbewachsene Fangzäune, ein Sportplatzbiotop. Wie inmitten eines verwunschenen Gartens fühlte ich mich, wenn ich denn die stetig durch die Wolkendecke brechenden Flugzeuge hätte ignorieren könnte. Konnte ich aber nicht. Genauso wie der Fünfer der Gastmannschaft im Laufe der zweiten Halbzeit das unreflektierte Kritisieren des eigenen Siebeners noch länger überhören konnte. Oder wollte. Nachdem ein Konter an seinen eigenen Beinen eher stoppte, als dass er begann, hagelte es nicht Aufmunterung, sondern kurzformulierte Giftpfeile vom eigenen Mann. Die Reaktion kam prompt. Der Spieler stellte das Spielen ein. Also qualitativ ging es schon weiter wie bisher, nur quantitativ fehlten nun zwei sich selbst im Weg stehende Beine. Trainer und Kapitän brüllten und schrien wie am Spieß, flehten um Beendigung des Kindergartens. Aber verlassen wie Erich Ribbeck nach dem Portugalspiel der EM 2000 stand der Fünfer am Seitenaus und fluchte fünf Minuten vor sich hin, bis er das Traben schließlich wieder aufnahm. Liberta, das vor kurzem erst seinen 100. Jubeltag feierte, war zweifellos um eine Anekdote reicher, und auch die sich mittlerweile verdoppelte Zuschauermasse hatte eine Antwort auf die nicht gestellte Frage ihres Kommens.

#3 BFC Preussen Berlin III

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

BFC Preussen Berlin III – Steglitzer FC Stern 1900 III 7-2
Samstag, 17.05.2014 | Preussen-Stadion Nebenplatz | Lankwitz | 13. Liga | 20 Zs.

Eine Dröhnung zu viel Profifußballvorberichterstattung schien die Trikotnummer Elf der Preussen abbekommen zu haben; mit riesigen Kopfhörern, groß wie ein Baustellen-Gehörschutz, flanierte er am Platz entlang, entledigte sich an der Auswechselbank lässig seiner Trainingsjacke und der Musikkulisse und begab sich behäbig zur Mittellinie, wo bereits 21 andere Spieler auf ihn warteten. Die Zuschauer, einer weniger denn Spieler, versammelten sich am Außenzaun des ehrwürdigen Preussen-Stadions – dem wohl schönsten Stadion Berlins – um von dort auf den Kunstrasen zu glotzen. Obwohl noch ein kleiner Wall die Seitenlinie umgab, war ein Betreten dieses Bereiches nicht gestattet. Dass der Schiri es Ernst mit dieser Liebe zur Ordnung meinte, zeigte sich noch vor Anpfiff, als er die sich vor der Auswechselbank hingefläzten Ersatzspieler im ernsten Ton aufforderte, ihre Hintern auf den dafür vorgesehenen Bänken zu platzieren.

Auffällig viele Spielerfrauenmütter befanden sich unter den Kiebitzen, die Akteure schienen also scharf zu schießen. Zwei der Damen waren augenscheinlich kaum 18, die Kinder aber schon zwei bis drei Jahre alt – der Berliner Süden unterschied sich in diesem Punkt nicht allzu sehr vom Osten.

Bei der ersten Freistoßsituation beorderte der Steglitzer Torwart „vier Mann in die Mauer“, bei seiner anschließenden Reaktionsschnelligkeit hätte er mal lieber zehn Spieler dorthin geschickt – und sich selbst; null zu eins.
Als der Schiri die erste Halbzeit für beendet erklärte, lag Preussen bereits drei zu null in Front und die Gäste verblieben zum Pausentee gleich auf dem Platz. Und hier wurde es laut, die eigene Unfähigkeit wurde mit Schuldzuweisungen von Spieler zu Spieler weitergewiesen. Dem Kapitän der blau-gelben reichte es schließlich; er zog sich demonstrativ die Schuhe aus und verkündete: „das tue ich mir nicht mehr an“. Nun beschwichtigten ihn die anderen, bis die Schnürsenkel wieder gebunden waren, um sich anschließend aber erneut und beherzt die Meinung zu geigen. Den Höhepunkt erreichte das etwas andere Taktikgespräch, als ein Spieler sich jegliche Kritik mit dem Zusatz verbat: „Und guck mich nicht so an als ob Du schwul wärst. Und ich auch“.

Das war doch mal ein Halbzeitprogramm; besser als ein Torwandschießen zwischen einem undefinierbaren Wollknäuel von Maskottchen und einem torkelnden Glückskind aus der Fankurve, begleitet durch halbtänzelnde halbstolpernde Minderjährige in Ganzkörperleggins und Pompons. Kurz vor Anpfiff der finalen 45 Minuten rauften sich die Steglitzer wieder zusammen, formten einen Kreis und beschworen den Teamgeist und den Fußballgott.

Das Spiel ging 2:7 verloren.

#4 NSF Gropiusstadt

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

NSF Gropiusstadt – FSV Blau-Weiß Mahlsdorf-Waldesruh II 5-2
Sonntag , 18.05.2014 | Silbersteinsportplatz | Neukölln | 10. Liga | 10 Zs.

Einen nur weltrekordverdächtigen Steinwurf vom eigenen Schlafplatz entfernt, bettet sich der Silbersteinsportplatz zwischen den noch szenefreien Häuserschluchten südlich des S-Bahnhofs Hermannstraße. Hier, nahe des Dreiortsteilecks Tempelhof – Neukölln – Britz, ist die Westberliner Welt noch in Ordnung, laden Kneipen wie das „Neuköllner Gasthaus“ oder „Zu den 3 Stufen“ die Jeansjacken- und Vokuhila-Schickeria zum Verweilen zwischen Aufstehen und Schlafengehen ein. Eine Zeitmaschine war nicht von Nöten, das Heute war das stehengebliebene Morgen von Gestern. Ein intakter Mikrokosmos in der sich das Sportplatzgelände und seine Besucher nahtlos einfügten. Eine von außen ranzige Baracke diente als Casino, aus dem Dunkel lugten zum Anpfiff vier Augen scheu wie von Rehkitzen aus dem Dickicht. Zwei prä-Wende-Suffnasen mit einem festumklammerten „kurz vor Ultimo“-Bier gaben sich langsam zu erkennen – sonntags, kurz vor elf in Deutschland. Tschechische Verhältnisse und dabei war das böhmische Dorf noch ein paar Kilometer entfernt.

Ihr Interesse galt, neben dem Gebräu, den auflaufenden Akteuren, die schneller als ihnen lieb sein durften, durchtränkte Jerseys trugen. Schuld daran war aber nicht eine subtropische Hitzewelle, sondern gefühlte Polarluft mit ergiebigen Regengüssen. Wenigstens konnten sich die Zuschauermassen letzteres durch die fantasievolle Resteverwertung von Baumaterialien zu einem Vordach entziehen. Im Hochgefühl der trockenen Füße entwickelte sich zwischen der redseligen Meute eine Endlos-Debatte mit knapp 1000 Wiederholungen der Aussage: „Jeder hat das gesehen, jeder!“. Gemeint war aber keine strittige Szene im hier und jetzt oder gar im ehemaligen Fernsehmagneten „Wetten, dass…“, sondern das nicht gegebene Tor der Dortmunder im Deutschen Wembley.

Akustische und optische Flucht nach vorne also, auf den See mit sattgrünen Inseln, wo Rot gegen Blau, das klassischste aller Farbduelle stattfand. Erster gegen Achter in Liga zehn und nach drei Minuten eins zu null durch Nummer elf aus zwanzig Metern. Verrückte Mathematik und dann noch in Buchstaben. Infolgedessen plätscherte das Spiel wie der Regen vor sich hin und ich haderte mit meinen Grundsätzen: Nur Herrenpflichtspiele. Die Ü50 der Gastgeber war zwar nicht mehr ganz frisch gekürter, aber dennoch deutscher Fußballmeister. Grau-melierte Rastellis, die mit Sonne im Rücken und artistischen sowie zirkusreifen Nummern am Ball die Zuschauer in Ekstase brachten. Ich dagegen bibberte beim durch den Regen bedingten Rumpelfußball. Manchmal ist die Realität härter als die Fantasie – Zähne zusammenbeißen und durch!

Zwar klarte im Laufe der Zeit nicht der Himmel, dafür aber der fußballerische Horizont auf; plötzlich erreichten Bälle ihr Ziel, die zuvor in umliegende Büsche und Bäume krachten. Gropiusstadt drehte das Spiel und die eigene Laune: Tore satt statt Fußballmatt. Zum Schlusspfiff jubelten Spieler wie Fans, die einen über die verteidigte Tabellenführung, die anderen über die beiden Senioren-Equipen die schon am Spielfeldrand warteten und einen willkommenen Anlass boten, einfach weiter hier zu bleiben, die Zukunft auszuschließen und sich im Kontinuum zu suhlen.

#5 FC Viktoria 1889 Berlin

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

FC Viktoria 1889 Berlin – SV Tasmania Berlin 2-1
Mittwoch, 04.06.2014 | Jahnsportpark | Prenzlauer Berg | Pokal | 3468 – 3469 Zs.

Tradition verpflichtet. Nun schon zum zweiten Mal(!) – und das in Folge(!!) – sollte ich Gast des Berliner Landespokalfinales sein. Wo im vergangenen Jahr noch Stiernacken mit karierten Dreiviertel-Hosen, Gürteltasche und Schlüsselbändern den Prenzlauer Berg marzahnisierten, scharte die heutige Ansetzung die 11Freunde-Freunde um die Kassenhäuschen. Kein Wunder, war diese Begegnung doch wie eine Blaupause für einen ihrer fulminanten Artikel: Zweimaliger Deutscher Meister trifft auf den schlechtesten Bundesligisten aller Zeiten! Und so strömten sie herbei; hier ein olivfarbenes Cap, dort ein paar Buttons – wahlweise mit roten Stern oder Totenkopf. Das alternative Who-is-who der Berliner Szene nutzte die Gunst der Stunde um seine Solidarität mit dem Amateurfußball zu demonstrieren. War es letztes Jahr noch eine Vermutung, die sich in der weinroten Heerschar verlief, war es in diesem Jahr eindeutiger. Nein – eindeutig! Das Berliner Pokalfinale mutiert immer mehr zu einem Sammelbecken des Gutbürgertums, welches verbal die Kommerzialisierung ihres geliebten Bundesliga-Teams zwar verflucht, aber mit dem Besuch eines Amateurspiels pro Jahr zumindest wieder den inneren Frieden herzustellen versucht. So suggerierte es ihnen zumindest ihr 11Freunde-Abonnement; die Pflichtlektüre in der Halbzeit einer jeden samstäglichen Sky-Konferenz.

Wie dem aber auch sei – alle waren da und alle waren wenig. Wenig, verglichen mit der alten Welt in schwarz-weiß, von Kanzler Adenauer und als diese Partie noch ein Schlagerspiel der Berliner Vertragsliga war. Für das Jahr 2014 war die Zuschauerzahl dieser Paarung dann aber letztlich doch eine stattliche Kulisse. Nichtsdestotrotz war die Kapazität des Jahnsportpark natürlich nicht nur etwas, sondern völlig überdimensioniert. Die feinen Herren vom Landesverband hätten den Zuschauern, aber vor allem auch den Spieler wohl einen riesigen Gefallen getan, hätten Sie als Spielstätte ein kleineres, engeres Stadion gewählt – und davon gibt’s in der Hauptstadt wahrlich genug. Tradition ist aber nun Tradition; auch beim Austragungsort; und da sollten Kritiker nicht mit Kleinkariertheit auffallen.

Die Ligendifferenz verteilte klar die Sympathien – und Vorurteile: Die meisten Daumen wurden an diesem sonnigen Juniabend für die kessen Neuköllner Feierabendkicker gedrückt; Buhrufe galten den abgezockten Tempelhofer Profibolzern. In der hitzigen Schlussphase konnte dieses Übergewicht auch akustisch ausgespielt werden, immer mehr Zuschauer beteiligten sich am „Ra-Ra-Ra! Tasmania!“. Half aber nix, am Ende war’s wie immer: Die Großen strahlten (un)verdient, Bier trocknete die Tränen und alle lobhudelten und beschworen den Geist des Amateurfußballs. Tradition halt.

Nächstes Jahr dann aber ohne mich; der Rand des Abgrunds ist 11Freunde-siert, ich muss weiter hinunter. Oder genauer: Hinauf. Jede Woche geht nun ein Euro ins Sparschwein und im Juni 2015 hole ich mir die VIP-Karte für den Oberrang. Dann kann ich mit den Herrn Funktionären auch mal über einen neuen Spielort verhandeln. Scheiß auf Tradition.

#6 SF Johannisthal

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

SF Johannisthal – Berliner SC 4-1
Freitag, 06.06.2014 | Segelfliegerdamm | Johannisthal | 6. Liga | 50 -70 Zs.

Jothal, was zum Henker ist Jothal? Spät, aber immerhin am Ende doch, machte es klick bei mir: Jothal, das ist wie „L.E.“, wie „Stuggi-Town“ oder, um auf der Berliner Ebene der Ortsteile zu bleiben, wie „White Lake City“, eine Namenskreation mit Gänsehaut-Garantie, mit hervorgerufenem Ekel vor der Grenzenlosigkeit von Sprachen. Wer zum Henker denkt sich sowas aus und wer zum Henker-Henker multipliziert das? Einen der Multiplikatoren hielt ich bereits in meinen Händen – das Programmheft „drei:null“. Dort wurden meine Erwartungen an diesen sommerlichen Freitagabend angeheizt: „Obwohl es nicht gelang einen Heimsieg einzufahren, standet ihr immer wie eine Wand hinter dem Team. Vorneweg unsere Ultras, die von der ersten bis zur letzten Minute für Stimmung auf den Rängen sorgten. Leider verliert die Liga eine Mannschaft, wo die meiste Stimmung bei Heimspielen war. Das es so war, haben wir unserem singenden Stadionsprecher Ronny zu verdanken.“.

Dazu warb die grüngetränkte Web-Groundhopping-Fibel förmlich um einen Besuch des Areals: „…aber der Sportplatz am Segelfliegerdamm, […], hat wirklich beste Chancen, der deutschlandweit schlechteste Spielort seiner Ligatiefe zu sein.“. Soweit würde ich nun nicht gehen; ein paar Bänke und zwei kleine provisorische Tribünen sind mehr als Nichts und mehr als Nichts kann nicht schlecht sein. Aber gut, wer weiß in dieser verrückten Welt schon, was richtig und was falsch ist?! Bevor ich mich nun weiter in geistiger Leere verlaufen konnte holte mich Ronny Rothé in die Wirklichkeit meines Feierabends.

Ronny Rothé, schon diese namentliche Symbiose aus Marzahn und Provence sprengte die kulturelle Monotonie des Berliner Südostrands. Wo früher zivile und militante Propellermaschinen auf einem der ältesten Flugplätze Deutschlands starteten, dort bestimmte nun die aus Lautsprechern verstärkte Stimme des singenden Stadionsprechers die Umgebung: „Die Spieler wollen alles geben, drum stimmt mit mir jetzt ein: Johannisthal, Johannisthal, du bist unser Verein, und so soll es immer sein!“.

Sechszehn Mal ertönte die Hymne der Grün-Weißen nun schon auf dem heimischen Platz in der Berlin-Liga, sechszehn Mal verließen die Kleeblätter ohne Sieg das künstliche Geläuf. Und auch heute sah es nicht besser aus; 0 zu 1 zur Pause. Die „Ultras“ ölten zwar kompromisslos ihre Stimmen, konnten die Erwartungen, die das Programmheft geweckt hatte, bis dato aber nicht im Mindesten erfüllen. Es sei schlichtweg eine lange Saison gewesen, so ließen sie einen Fragenden wissen. Währenddessen schmetterte Ronny voller Inbrunst einen Klassiker nach dem anderen, fünfzehn Minuten Power-Schlagering, die Zuschauer bedankten sich mit einem Klatschgewitter. Die elf Johannisthaler schienen sich solch einen Beifall auch zu ersehnen, kehrten wie ausgewechselt zurück und droschen vier Mal den Ball in die Maschen. Nun schaukelte es sich hoch, die Ultras vergaßen die Qualen der 32 bisherigen Spiele und stimmten mit Mannschaft und Ronny ein: „Johannisthal, Johannisthal, du bist unser Verein, und so soll es immer sein!“ – noch Wochen später musste ich diese Melodie summen.

#7 SG GW Baumschulenweg

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

SG GW Baumschulenweg – BSV Hürriyet Burgund II 10-1
Samstag, 21.06.2014 | Willi-Sänger-Sportanlage | Baumschulenweg | 10. Liga | 10 Zs.

Kanonenfutter zum Abschluss. Zwar standen die Grün-Weißen selber nur auf Platz 10 der 13er Liga und der Abstand zum Schlusslicht betrug letztlich doch nur überschaubare 15 Punkte, jedoch differenzierte das Torverhältnis um weniger schlanke 107 Tore. Die Marschrichtung war vom Teufel Statistik also klar vorgegeben – nur ihrem mathematischen Schicksal fügen, das wollten sich die frankophilen Osmanen nicht. Zwar trabten nach den ersten 45 Minuten nur noch zehn Spieler in Richtung Kabinentrakt, dafür dürfte das 1 zu 1 aber in den verrauchten Hinterzimmern der Wettbüros mit einem asiatischen Lächeln quittiert worden sein. Anleitende Worte wie die verbliebenden zehn mit diesem Glücksgefühl umzugehen haben, konnte es aber nicht geben. Weder Trainer noch Betreuer waren aus Marienfelde angereist. Aus Sicht eines S-Bahn-Fahrers sicherlich nachvollziehbar. Die Heimstätte – die herrlich gammlig in die Jahre gekommene Willi-Sänger-Sportanlage – lag zwar nah an der S-Bahnstation Baumschulenweg, jedoch war diese nur auf Netzplänen existent. Hier hielt der SEV öfter als die ratternden gelb-roten Museumsstücke.

So kam es wie es kommen musste: 2 zu 1, 3 zu 1 und schließlich begannen die Sicherungen durchzubrennen. Leider nicht im Vereinsheim nebenan, das teutonische geschmückt, die schon vereinzelnd in dreifarbiger Kampfmontur Anwesenden mit einem Wolfgang-Petry-CD-Konzert auf das abendliche Gebolze einstimmte, nein, bei einem rüpelhaften Gast. Die Aufmerksamkeit, die ihm nun von zwanzig zuschauenden Augen geschenkt wurde, reichte ihm aber nicht. Ganz und gar nicht einverstanden mit der Entscheidung des Spielleiters, wollte er ein Zeichen für Schiedsrichtergewalt setzen und holte erst mit dem abgestreiften Trikot dann mit den Händen aus. In panischer Angst floh der Unparteiische zur Seitenauslinie und gab zu Protokoll: „Er hat mich geschlagen, ich pfeife hier ab.“. Hilfe von der Seitenlinie konnte er aber nicht erwarten, Assistenten waren in dieser Liga eine Budgetbombe. Selbige Funktion kam während der bisherigen Minuten dem einzigen Wechselspieler des BSV Hürriyet Burgund zu, der aber mehr Interesse an Kommunikation, denn am Abseits zu haben schien – an seinem Smartphone war er aktiver als an der Fahne. Nun kamen aber die Heimspieler angelaufen und versuchten den Bedrohten zu beruhigen, ihn von einer regulären Beendigung dieses Matches zu überzeugen. Als dann auch noch der Kapitän der Gäste versicherte, das Gekicke fair zu Ende spielen zu wollen, ging es weiter – nun aber nur noch auf ein Tor.

Und schnell wurde klar, welche Intention die Grün-Weißen hatten: Sie wollten ihrem Kapitän einen Treffer auflegen. Äußerlich eher als Jockey in Altersteilzeit zu vermuten, kämpfte dieser verbissen um einen Torerfolg. Aber was auch von der Mannschaft versucht wurde, er scheiterte. Quasi als Nebenprodukt fielen sieben weitere Tore, aber die Krönung einer sicherlich imposanten Karriere in der Kreisliga blieb aus. Und so gab es also weder auf Heim- noch auf Gästeseite plausible Gründe, ausgiebig die Sektkorken nach dem Saisonfinale knallen zu lassen und doch rief die Ankündigung im Vereinsheim – 25 Liter Freibier ab neun Uhr des folgenden Sonntags zum Aufstiegsspiel zur Tennisverbandsliga zwischen den Treptower Teufel und dem TC Weißensee – nach einer durchzechten Nacht. Dass im Event-Zeitalter nicht nur Siege und Erfolge gefeiert werden müssen, zeigten dann aber ohnehin die Public-Viewing-Hooligans, als sie das abendliche 2 zu 2 gegen Ghana gebührend mit einem Autokorso auf dem Ku’damm feierten.