Interviews
„Reden statt Schreiben“ aber ohne Schreiben wäre ich nicht gefragt worden zu Reden und wenn ich dann noch bedenke, dass „Reden Silber ist und Schweigen Gold“, hätte ich wohl gar nicht erst mit dem Schreiben anfangen sollen. Oder heißt es eigentlich: „Schreiben ist Gold?!“ Wie dem auch sei – ich habe geschrieben und darüber geredet.
Ya Basta! 2014 | kölsch live 2008 | NOFB-Shop.de 2008
Ein anderer Blick auf den Alltag
Da erscheint zehn Monate keine reguläre Ya Basta! und schon sind manche Themen durch oder uninteressant. So ging es uns häufig beim Erstellen dieser Ausgabe. Im Falle von Martin Czikowski (aka Ted Striker) und seinem Heft „Im Norden des Südens“, immerhin schon ein dreiviertel Jahr erhältlich, machen wir dabei gerne eine Ausnahme. Bereits durch „Eine Reise dorthin wo der Osten schon wieder Westen ist“ wurde Czikowski deutschlandweit bekannt. 2007 reiste er auf dem Landweg von Greifswald einmal quer über den Kontinent bis nach China. Sein treuer Begleiter: König Fußball.
Die Erinnerungen an diesen Trip hielt er für die Nachwelt fest. Und bekam dafür durchgehend Lob. Im Herbst 2013 erschien schließlich „Im Norden des Südens“. Dieses Mal im Fokus der Tour: das nördliche Südamerika. Grund genug Martin einmal selbst zu Wort kommen zu lassen. Denn inzwischen ist vieles über seine Reisen (meist alleine, fast durchgehend mit Bus oder Bahn), aber eher wenig über seine Person bekannt.
Martin, bekannt wurdest du vor vor allem durch deinen Eurasien- Trip, „Eine Reise dorthin wo der Osten schon wieder Westen ist“. Von Greifswald bis an den Pazifik und zurück, das alles auf dem Landweg. Wie kamst du damals überhaupt auf die Idee und war dir von Anfang an klar, dass du das in dieser Form für die Nachwelt erhalten willst?
Die Idee zu der Reise kam nicht über Nacht, sie beruhte vielmehr auf Erfahrungen. Mit den Jahren wagte ich mich immer weiter gen Osten und lernte zu unterscheiden zwischen dem Bild das gewisse Länder in unseren Breiten besitzen und dem Bild was sich mir bot. Da mich der Kaukasus auf einer Reise davor schon faszinierte, wollte ich noch tiefer in die ehemalige Sowjetunion eindringen und das am liebsten per Bahn. Bahnfahren ist meine Leidenschaft, daher bot sich bei der dortigen Infrastruktur der Landweg förmlich an. Und wenn ich schon Zentralasien ansteuerte, durfte es China auch noch sein. Zum Glück grenzt China im Osten ans Meer, sonst wäre ich wohl heute noch unterwegs.
Dass ich meine Erlebnisse (vor allem für mich) erhalten wollte, war von Anfang an geplant. Mein Tagebuch war mein treuster Begleiter. Mit so viel positiver Resonanz auf die Veröffentlichung habe ich dann aber nicht gerechnet.
Bereits vor dieser Tour warst du ja ordentlich unterwegs. Wie waren denn deine Anfänge als Fußballreisender?
Die Anfänge waren bescheiden: ein verlängertes Wochenende reiste ich nach England, dem Sehnsuchtsland meiner Jugend und schaute dort paar Spiele, ohne überhaupt zu wissen, dass es dafür sogar einen Begriff gab: Groundhopping. Nebenbei fuhr ich bis zum Fortgang vom Bökelberg auswärts mit meinem Nachwendeflirt Mönchengladbach, bis ich mich meiner Wurzeln besann und meine Kinderliebe intensiv neu aufleben ließ: Mit dem Greifswalder SC ging es durch die Oberliga Nordost, hinzu kamen Abstecher in die Nachbarländer und nach der Insolvenz meines Heimvereins gab es kein Halten mehr, die Wochenenden waren nun alle frei.
Bei deinen Touren fällt im Gegensatz zu anderen Schreibern auf, dass für dich die Eindrücke der Reise – sprich Land und Leute – eher im Vordergrund stehen als die zwanghafte Jagd nach dem nächsten Ground. Siehst du dich somit überhaupt als Groundhopper? Und welchen Stellenwert hat der Fußball auf deinen Reisen?
Seitdem ich nicht mehr meine Stadien zähle, sehe ich mich nicht mehr als Groundhopper, sondern als Fußballreisenden… Spaß beiseite! – Klar kann ich als Groundhopper bezeichnet werden, vielleicht aber mit einer anderen Ausprägung. Ich Reise um zu erleben und erleben kann ich nur, wenn ich mich mit offenen Augen durch die Welt bewege.
Die Erkenntnisse und Begebenheiten, die ich in meinen Texten wiedergebe, beruhen darauf und sicherlich auf der Tatsache, dass ich große Reisen alleine bewerkstellige. Von daher bin ich ja schon gezwungen mich intensiv mit meiner Umgebung auseinanderzusetzen. Wenn ich nur Bestandteil einer enthemmten und grölenden Meute wäre, die ihr Verhalten überallhin projiziert, würde ich nur Quark niederschreiben. Fußball besitzt für mich immer einen hohen Stellenwert und öffnet meist Türen zu unbekannten Kulturen, die sonst verschlossen bleiben würden. Somit ist Fußball auf jeder Reise gesetzt. Vielleicht weder in der Masse, noch in der Klasse, geschweige denn im Anspruch auf Neider in Groundhopperkreisen, dafür oftmals mit der Sicherheit die einzigen käseweißen Beine im Stadion zu haben.
Dennoch hast du natürlich schon eine Menge Grounds, Fanszenen und unterschiedliche Support-Stile gesehen. Gab es ein Land oder eine Szene, dass dir dabei ganz besonders gefallen hat?
Ohne Wenn und Aber, ganz klar Fürth, direkt dahinter die Bayern…(lacht) Nein, also da fällt mir eine Einschätzung schwer. Dieses Denken, dass im Ausland alles besser sei, teile ich nicht. Die Szenen unterscheiden sich auf unserem Kontinent, trotz der häufigen namentlichen Gemeinsamkeit „Ultras“, vielfältig. Was dort gut ist, ist hier schlecht. Dafür sind hier Sachen gut, die dort schlecht sind und der größte Faktor bleibt der Spielverlauf.
Ich denke, auch mit Rückblick auf meine „Fan-Karriere“, wichtig sind die Authentizität und Intensivität. Egal ob Du mit 5 oder 5.000 Leidensgenossen in der Kurve stehst. Und das spürt auch der neutrale Besucher.
Deine Reisen haben etwas Exotisches an sich. Im aktuellen Heft etwa Venezuela, Kolumbien und Guyana. Nach welchem Schema wählst du deine Zielländer aus und auf welche Region dürfen wir uns in deinem nächsten Heft freuen?
Die Bestimmung des Ziels der letzten Reise war eher pragmatisch – der Preis ist heiß, da musste ich bei Venezuela zuschlagen. Und da die nördlichen Länder Südamerikas in der Reise- und Fußballliteratur eher stiefmütterlich behandelt werden, war für mich klar, ich bleibe in der Region. Das „eher Unbekannte“ wird bei mir wohl immer den Zuschlag bekommen. Ansonsten wechseln die Ziele mit den Lebensabschnitten: Als Student mit langen Sommerferien nutze ich primär diese Zeit, um für den kleinen Geldbeutel Neues zu entdecken. Nun als Büro-Malocher favorisiere ich unseren Winter, um am Jahresende auf zwei Sommer gekommen zu sein. Ob es allerdings noch zu einem Heft über eine einzelne Tour kommt, wage ich zu bezweifeln. Alle vier Himmelsrichtungen sind in Titelnamen verbaut. Ich könnte mit oben und unten weitermachen – aber ob ich in den Himmel oder die Hölle komme liegt nicht in meiner Hand – obgleich ich da eine eindeutige Tendenz erkenne…
Zudem ist der Bürostuhl nicht mehr so flexibel wie noch vor zwei Jahren, presst mich in das Lebensgefüge von Max Mustermann. Die Exotik des Reisens wird es weiterhin geben, aber am Ende nur noch mit Erinnerungen für meinen Kopf. Teilhaben lasse ich den Leser vielleicht an der wunderbaren Welt des Berliner Amateurfußballs. Kleine Geschichten fernab der großen Bühnen. Wie, wann und wo entscheidet aber die Motivation.
Du begibst dich hierbei in Ecken, in die der Otto-Normal-Tourist eher nicht fahren wird. Gerade ein Land wie Venezuela ist extrem von Kriminalität gebeutelt. Andere Länder wie Usbekistan, das du bei der Eurasien-Tour besucht hast, gelten als sehr korrupt. Gibt es Länder oder Regionen, von denen du anderen Reisenden aufgrund deiner Erfahrungen abraten würdest?
Vor dem Reisen und Entdecken würde ich nie abraten. Abgezogen werden kannst du auch vor der Haustür. Vielleicht hatte ich bisher nur Glück von extrem negativen Erfahrungen verschont worden zu sein, aber ein Stückweit kann es auch gesteuert werden. Dazu gehören ganz klar Verhaltensregeln: der Respekt vor der fremden Kultur und das gleichzeitige Akzeptieren, dass das Übertragen von gefühlter Normalität in die Fremde nicht funktioniert. Es ist manchmal befremdlich zu lesen, wenn Leute ins Ausland reisen und sich dann über die dortigen Verhältnisse beschweren, mit dem sinnlosen Hinweis, bei uns sei es besser.
Kommen wir mal zur Vorbereitung solcher Trips. Dass man Touren wie deine nicht ohne Vorbereitung beginnt ist selbstverständlich. Beim Lese n merkt man allerdings, dass du häufig auch ganz spontan reagierst und umdisponierst. Wie viel Zeit nimmst du dir im Vorfeld so einer Tour, wie zum Beispiel der durch Südamerika, um zu planen und zu organisieren?
Das ist eine interessante Frage, sehe ich bei mir, wie Du schon erwähnst hast, zwei Persönlichkeiten. Ist es das Alter, ist es das Umfeld? Manchmal stehe ich kurz vor der Selbstohrfeige, wenn der Chaot in mir wieder erstarkt und sieht was der Sicherheitsfanatiker organisiert hat. Da werden Unterkünfte weit vorher gebucht, muss die Abfahrtszeit der Stadtbuslinie feststehen, um mit Beruhigung abzufahren. Ich denke Sicherheit ist menschlich, sie ist einfach beruhigend, presst aber zugleich in eine Schablone, in der wir schon unseren Alltag verleben. Dann bin ich eben froh, wenn der Chaot kommt und alles über den Haufen wirft, mir wieder meine Freiheit gibt. Einen Monat hat die Planung für Südamerika schon gedauert, der ständige Abgleich der Spielpläne mit der Fahrtroute, das frisst Zeit. Und am Ende wusste ich trotzdem nicht wann wer in Guyana oder Barbados spielt. Glück gehört auch dazu.
Bei meiner letzten Reise durch Teile von Mittelamerika war ich mehr als angespannt: Alle Anzeichen standen auf Saisonende in Belize, zumindest für die Ligen, die im Internet zu recherchieren waren. Und dann bekam ich vor Ort eine Zeitung in die Hand und sah, dass regionale Meisterschaftsspiele genau dort stattfinden sollten, wo ich eh durchmusste. Solche Situationen lassen den Sicherheitsfanatiker nach Luft ringen, der Chaot hingegen ist befriedigt und beruft sich darauf, dass es früher an den Rändern der „westlichen Zivilisation“ meist nur so zuging. Bedingt auch dadurch, dass überhaupt keine Hinweise im Netz oder gedruckt existierten. Heutzutage unvorstellbar, vor 10, 15 Jahren noch Realität. Das sorgte aber dafür, dass die Berichte über die Prise Abenteuer verfügten, welche die Informationsflut heute neutralisiert.
Wenn du so auf deine Reisen zurückblickst, gibt es da dann ein Erlebnis, dass dich vielleicht ganz besonders geprägt hat? Positiv wie negativ.
Da die Erlebnisse oft mit Menschen verbunden sind, möchte ich nicht sortieren. Alle Erfahrungen prägen mich, ob ich nun will oder nicht. Das eigene Handeln ist nur das Produkt der Umwelteinflüsse. Zusammenfassend kann ich sagen, dass die gesammelten Erlebnisse einen anderen Blick auf den Alltag zulassen. Ich habe Ruhe gewonnen und kann differenzieren zwischen Wichtig und Unwichtig, zwischen Muss und Kann. Somit war das Erlebnis mit der relevantesten Prägung sicherlich die Entscheidung zu Reisen.
Ob nun 500 km oder 5.000 km weit, Veränderungen wirken inspirierend und die Chance, die sich uns durch Geburt im kuscheligen Europa bietet – relativ problemlos Grenzen zu überschreiten – sollte ein jeder nutzen.
(Ya Basta! Nr. 40, S. 88-90)
Interview mit kölsch live 2008
„Nicht nur der Körper muss widerstandsfähig sein…“
Bastian Hoyer unterhielt sich mit Ex-Groundhopper Martin Czikowski
Als das Herz seines Vereins – dem Greifswalder SC – aufhörte zu schlagen, zog er in die weite Welt des Fußballs hinaus. Nach nunmehr 768 Spielen in 45 Ländern hat er sich inzwischen zur Ruhe gesetzt. Einige Male kreuzten sich irgendwo in Europa auch die Wege der beiden Interviewpartner. In kölsch live blickt Martin noch einmal zurück – ohne Wehmut und mit zwei lachenden Augen.
kl: Martin, Deine letzte Tour führte Dich bis nach China. Wie war es?
M.C.: Um ehrlich zu sein, ich kann es nicht komprimiert in wenigen Sätzen wiedergeben. Zu viel passierte in den zweieinhalb Monaten. Ein Wort, welches eine Menge abdeckt, ist sicherlich: lehrreich. (Eine Reise dorthin, wo der Osten schon wieder Westen ist. 100 S.; 3,33 Euro inkl. Porto unter heft@soccerweb.de, d. Red.)
kl: Können solche Touren über den Verlust des eigenen Vereins hinwegtrösten?
M.C.: Auf gar keinen Fall. Die Sache an sich, der Sport auf dem grünen Rasen, bleibt die gleiche. Aber selbst wenn auf den Rängen ein frenetischer Gesang den nächsten jagt, wenn auf dem Rasen ein Thriller zelebriert wird, so fehlen doch die eigenen Emotionen. Es spielt sich alles aus der neutralen Beobachterperspektive ab. Wie wünsche ich mir meine rot-weiße GSC-Vereinsbrille zurück! Fußball ohne eigenen Verein ist wie die Ostsee ohne Wind – eine kalkulierbare Angelegenheit.
kl: Hast Du noch Ziele und wenn ja, wohin soll es noch gehen?
M.C.: Nein. Sicher, wenn ich Fußballbilder aus Südamerika sehe, wenn ich ferne Naturschönheiten erblicke, dann möchte ich am liebsten den Rucksack packen und los. Eigentlich bedarf es nur eines Zuges und ich bekomme Fernweh, aber die Strapazen der letzten Jahre haben mich müde gemacht, von der Verantwortung meinem eigenen Leben gegenüber ganz zu schweigen. Manchmal rappele ich mich auf, aber spätestens wenn ich am Ziel bin, ist alles weg und ich wünsche mir nichts lieber als die Heimat. Vorgenommen habe ich mir dennoch meine persönliche Liste an Partien, die mich noch reizen, abzuarbeiten. Dann aber nur ins Auto setzen, Spiel anschauen und wieder zurück.
kl: Wenn Du Dich auf drei Partien festlegen müsstest, welche wären das?
M.C.: Zagreb gegen Split und die jeweiligen Derbys in Genua und Stockholm. Natürlich sollte dann die sportliche Konstellation stimmen.
kl: Viele Leser werden sich fragen, wie Du diese oftmals sehr weiten, langen und daher möglicherweise auch äußerst kostspieligen Trips finanziert hast?
M.C.: Kostspielig ist aus meiner Sicht ein sehr relativer Begriff. Nehmen wir einmal die Chinatour. Fahrt-, Lebens- und Visumskosten beliefen sich auf insgesamt 2.500 Euro. Das klingt zuerst enorm und ist auch für einen Studenten viel. Rechne ich allerdings die Entfernung und die Reisedauer von 73 Tagen gegen, ist der Preis fast lächerlich. Der Input erfolgte natürlich übers Arbeiten.
kl: Worin liegt der Reiz an solchen Touren, für die Du große Mühen auf Dich genommen hast?
M.C.: Sicherlich waren die Strapazen immens. Nicht nur der Körper muss widerstandsfähig sein, auch das Nervenkostüm sollte Castordicke haben. Der Reiz ist nicht das Ziel, sondern der Weg. Das Erlebte auf solch einer Tour über den Landweg und mit Umwegen ist unbezahlbar und bringt mich persönlich weiter. Mir ging es nicht nur darum ein Spiel in irgendeinem Land zu sehen, sondern vor allem auch etwas von dem Land zu Gesicht zu bekommen, um vergleichen zu können und auf das eigene Leben zu reflektieren. Das wäre mir mit einem Airport-Länderpunkt nicht gelungen. Dies ist natürlich aber auch eine Zeitfrage. Zeit, die ich dafür leider nicht mehr besitze.
kl: Somit würdest Du Zeit als den wichtigeren Faktor im Vergleich zu Geld bezeichnen?
M.C.: Zeit kann man sich nun mal schwer kaufen. Wer sie allerdings hat, kann unter Umständen bei den Reisekosten sparen.
kl: Warst Du meist alleine unterwegs, oder hast Du immer mindestens einen Kompagnon dabei gehabt?
M.C.: Größtenteils bin ich alleine gefahren. Ein Vorteil in meinen Augen ist sicherlich die Unabhängigkeit. Ich war dann nur mir selbst gegenüber Rechenschaft schuldig. Ging es mir schlecht konnte ich es langsamer angehen lassen oder mal einen unkonventionellen Schlafplatz aufsuchen und bin nicht der Laune eines anderen ausgeliefert gewesen. Manchmal fehlte aber trotzdem jemand, mit dem man über das Erlebte reden konnte. Erlebnisse zu teilen ist in manchen Situationen sehr wichtig. Trotz alledem würde ich immer noch alleine losziehen.
kl: Wie sah solch ein Schlafplatz konkret aus?
M.C.: Nun ja, die Variationen reichen von der traditionellen, hölzernen, polnischen Bahnhofsbank über die überdachten Traversen eines Stadions bis hin zum Straßengraben. Wenn die Müdigkeit kam oder es sinnlos erschien noch weiter zu ziehen, ließ ich mich halt nieder. Von daher gab es nicht den Schlafplatz beziehungsweise keinen konkreten. Es war immer situationsbedingt.
kl: Wohin führte Dich Deine bislang beste Tour? Welches Land hast Du durch Deine Reisen besonders ins Herz geschlossen?
M.C.: Da möchte ich jetzt keine Tour wie einen Pokal emporrecken. Alle Touren hatten, mit dem nötigen Abstand betrachtet, Höhe- und Tiefpunkte. Die Gesamtheit lehrte mich Erfahrungen, von denen ich hoffentlich mein Leben lang zehren kann. Ein Land, welches mir besonders ans Herz gewachsen ist, ist die Ukraine. Es ist immer wieder toll für mich gewesen die blau-gelbe Flagge auf einem Grenzgebäude zu sehen.
kl: Was für Erinnerungen löst speziell der Anblick dieser Fahne aus?
M.C.: Als allererstes ist da die unglaubliche Weite dieses Landes, die durch den Zustand der Straßen und der sehr gemächlichen Geschwindigkeit der Züge subjektiv gen unendlich reicht. Die Bodenständigkeit der dort lebenden einfachen Bevölkerung und der krasse Gegensatz zwischen arm und reich, den man ungefiltert wahrnimmt. Dann ist da auch die Vielschichtigkeit der Landschaft: langgezogene Schwarzmeerstrände, die dichtbewaldeten Berge der Karpaten und endlose Kornfelder neben den Schienen. Irgendwie ist auch alles größer und breiter – Bordsteine, Straßen, Lokomotiven, Flüsse. Es scheint alles eine Maßeinheit größer gestaltet zu sein.
kl: Was trieb Dich zu derartigen Unternehmungen, der Fußball als solches wird es vermutlich nicht ausschließlich gewesen sein?
M.C.: Nein, natürlich nicht. Im Falle einer Wochenendausfahrt, wenn ich wusste in der Stadt X ist das Spiel X vs. Y, dann bin ich schlicht nur deswegen dahin gefahren. Aber eine Tour ist in meinen Augen kein Wochenende. Eine Tour erstreckt sich über einen größeren Zeitraum. Und dann trieb mich der Weg. Der Reiz des Weges zum Ziel war der Grund, wieso ich mich überhaupt aufraffte.
kl: Was macht für Dich die Faszination am Groundhopping aus?
M.C.: Die Faszination liegt für mich in der facettenreichen Ausprägung, die der Groundhopper rund um das Fußballfeld vorfinden kann. Ob überdimensionierte Betonschüssel im ehemaligen Ostblock, oder innerstädtische Anlage mit einer morschen Holztribüne in England. Ekstatische Mobs, entspannte Familienatmosphäre oder Sonnenblumenkerne vertilgende Rentner. Das, was unseren Sport ausmacht, divergiert von Land zu Land, von Ort zu Ort und manchmal sogar von Stadtviertel zu Stadtviertel. Für mich ist diese Komplexität der Hauptreiz, der auf mich so eine magische Anziehungskraft ausübt. Erwähnen muss ich im selben Atemzug natürlich auch, dass die unaufhaltsam fortschreitende Globalisierung auch eine Angleichung der jeweiligen Begebenheiten, insbesondere der Architektur an die, als für allgemein betrachteten Standards, nach sich zieht. Teilweise ist heutzutage die Beurteilung schon schwierig, unter Ausschließung von Sprache und Umgebung, in welchem Land man sich ein Spiel angeschaut hat. Warst Du in Kielce, warst Du in Wolfsburg, warst Du in Middlesbrough.
kl: Wie betrachtest Du die zahlreichen Leute, denen es primär nur noch um das Abhaken von Stadien und Länderpunkten geht?
M.C.: Abgewinnen kann ich dieser Einstellung eigentlich nichts, denn ich finde es bedauernswert, wenn man sich über Länderpunkte definiert. Die Generation „Billigflieger“ vertut meiner Meinung nach eine große Chance, die ihr im Grunde geboten wird: Nie zuvor war es so leicht und kostengünstig mit anderen Gesellschaften in Kontakt zu kommen, Neues zu entdecken und vor allem den eigenen Horizont zu erweitern. Oftmals bleibt als Erinnerung jedoch nur ein Foto, geschossen aus dem fahrenden Taxi vom Flughafen zum Stadion. Fußball, so ist mein Standpunkt, sollte ein Nebenprodukt sein. Reisen bildet, Abenteuer befriedigt und der Fußball rundet ab. Diese Erkenntnis erwarb ich allerdings auch erst im Laufe der Zeit.
kl: Würdest Du Dich heutzutage abermals für dieses etwas andere Hobby entscheiden?
M.C.: Ja, ich würde mich nochmals dafür entscheiden und denselben lehrreichen und steinigen Pfad betreten, den ich gegangen bin. Nur über die Selbstreflexion der eigenen Fehler, aber auch der Triumphe reift die eigene Persönlichkeit in Bezug auf die Wahrnehmung der Geschehnisse. Für mein Leben haben mich meine Reisen mehr gefördert und gelehrt als jeder Studiengang es jemals vermögen wird.
kl: Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!
(kölsch live Nr. 67, S. 38-41)
Interview mit NOFB-Shop.de (11. August 2008)
In einer Wertung dürfte TedStriker mit seinem neuen Magazin eine Bestmarke aufgestellt haben. „Ein Reise dorthin, wo der Osten schon wieder der Westen ist“ sollte die Neuerscheinung mit dem längsten Titel sein. Auf den 100 Seiten des Heftes schreibt er über seine zweieinhalb Monate andauernde Reise von Greifswald über Zentralasien zum Gelben Meer. Wie TedStriker dazu kam, solche eine Tour allein in Angriff zu nehmen und was er dabei erlebte, erklärte er mir in einem kurzen Gespräch.
Was treibt einen eigentlich an, in 73 Tagen 34.587 Kilometer zurückzulegen, um Endeffekt ‚nur’ Fußballspiele zu besuchen?
Hätte ich wirklich 34.587 Kilometer zurückgelegt, um nur Fußballspiele zu besuchen, hätte ich mich selber hinterfragen müssen. Ganz klar: der Fußball war ein Neben- und Orientierungsprodukt – wäre die Tour akribisch unter hoppingtechnischer Gesichtspunkte geplant worden, hätte ich sicherlich 50+x Spiele besucht. Der Antrieb für diese Unternehmung war das völlig Unbekannte, der Drang nach Abenteuer, den man im Alltag nicht findet, um im Endeffekt eine gewisse, längerfristige Befriedigung zu erlangen. Das Erreichte kann mir keiner mehr nehmen – außer vielleicht die Demenz im Alter. Von den gewonnen Erinnerungen werde ich noch lange zerren können und muss mir später hoffentlich nie die Frage stellen, ob ich alles dass, was realistisch betrachtet im Bereich des für mich Möglichen lag, umgesetzt habe.
Was waren die Highlights Deiner Reise?
Touristisch stachen auf jeden Fall das usbekische Buchara und der Baikalsee in Sibirien heraus. Von den besuchten Fußballspielen blieb sicherlich Spartak Moskau gegen Zenit Sankt Petersburg in Erinnerung, aber auch beispielsweise die Partie MLT Duschanbe gegen FK Wachdat in der dritten tadschikischen Liga hatte durch ihre Ursprünglichkeit einen ganz besonderen Reiz…Die Hilfsbereitschaft von vielen Menschen, die ich unterwegs traf, egal ob arm oder reich, hat mir zudem sehr imponiert.
Hattest Du während der Fahrten durch Asien auch mal Situationen, die nicht so angenehm waren?
Die gab es natürlich. Die Schattenseite der von mir bereisten, zentralasiatischen Länder war die Willkür seitens der Miliz. Es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass wenn etwas passiert, man keine Chance besitzt, fair behandelt zu werden. Auf Gesetze kann man sich dort nicht berufen. Einzig das Winken mit Geldscheinen lässt subjektives Recht gewähren. Persönlich hatte ich mit meiner Niederlage Kirgisistan zu hadern, als mein Knie mich zwang, die Trekkingtour abzubrechen.
Hopper gelten ja als sehr mitteilungsbedürftig, so gibt es mittlerweile zahlreiche Publikationen. Woran, glaubst Du, liegt das?
Um es vorweg zu nehmen, halte ich mich nicht wirklich für mitteilungsbedürftig – liegt wohl an meiner norddeutschen Herkunft. Ich schreibe eigentlich für mich selber. Es ist immer wieder faszinierend alte, eigene Berichte zu lesen und an die erlebten Details erinnert zu werden. Vieles würde sonst über die Jahre wohl vergessen werden. Die Berichte sind meine Zeugen für die Ewigkeit.
Weshalb es so viele Veröffentlichungen gibt? Zum einen sicherlich wie bei mir als eine Art Tagebuch für die Autoren selber, zum anderen ist es mit dem technischen Fortschritt ein Kinderspiel, seine Anschauungen und Erlebnisse zu vervielfältigen oder/und via Internet einem breiten Publikum zur Verfügung zu stellen. Ob nun alles auch lesenswert ist, sei dahingestellt.
Welche anderen Magazinen würdest Du empfehlen und warum? Gibt es vielleicht auch Bücher zum Thema, die Du gerne gelesen hast?
Am Markt haben sich einige aus meiner Sicht sehr lesenswerten Zines etabliert. Die Avantgardistenrolle fällt ohne Wenn und Aber den Balkan- und Polenfetischisten aus Zwickau zu. Die Beziehungskiste sollte, wie die Eigenironie noch vor dem Erwerb des Informers vom angehenden Hopper zugelegt werden bzw. ausgeprägt sein. Daneben muss ich natürlich, wie es mir oft vorgeworfen wird, selbstverherrlichend sein und ‚Grütze mit Sahne’ anfügen – ein durchaus gelungenes Heft, meiner Einschätzung nach. Ganz oben rangieren auch, die Aufzählung erfolgt Querbeet und nicht nach Wertigkeit, die Magazine Fränkisch Brot, Dehli Belly, BG International, Drohnbüttel, Dünnpfiffblattl, Im Tal der Ahnungslosen und mit Abzügen in der B-Note Hopp Hard.
Bücher die ich gelesen hab, gibt es – es gibt ja praktisch nur ein Produkt in diesem Segment, aber gerne gelesen habe ich das eigentlich nicht. Abenteuer Groundhopping in der ersten Auflage hatte zwar teilweise gute Berichte, aber insgesamt stört mich das Konzept hinter dieser Publikation. Mit dem Erlebten von anderen profiliert sich eine Person, die am Schreibtisch sitzt und ein wenig ‚Copy und Paste’ spielt. Meiner Meinung nach kann man Faszination für dieses rastlose Hetzen von einem Ground zum anderen auch aus den oben genannten Zines beziehen.
Wie siehst Du allgemein die Entwicklung in der Hopping-Szene?
Mit der Beantwortung dieser Frage kann ich mich nur wieder in dem Licht platzieren, in dem mich meine Kritiker zu gerne schieben. Ich sehe die Entwicklung nicht als wirklich positiv, obwohl ich dies nur aus der Ferne beurteilen kann, da ich eigentlich kaum Kontakt zu anderen ‚Kollegen’ pflege. Die reine Jagd nach Kreuzen getreu dem Motto ‚auf Teufel komm raus’, die durch den immer weiter voranschreitenden Verlust der Distanz in Folge der drastischen Ausweitung der Verfügbarkeit von Transportmittel zum Discounterpreis immer obskurere Formen annimmt, will sich mir nicht wirklich erschließen. Hauptsache es wird im Land X ein Kreuz gemacht, am besten unter kompletter Abschirmung von den Einheimischen und schnell weg. Den Sinn hinter diesem Konzept verstehe ich nicht wirklich, aber auseinandersetzen tue ich mich damit auch nicht mehr – man wird ruhiger.
Irgendwie ist das Groundhopping seit einigen Jahren zu einer Mode verkommen – bin ich nicht Ultra, muss ich wenigstens Hopper sein. Aber der Aussiebungsprozess ist gewaltig – aus meiner Sicht sind zu der kleinen Schar, an für mein Empfinden Groundhopper mit Leib und Seele, eh keinen neuen Gesichter hinzu gestoßen.
Wohin führt Dich Deine nächste Reise?
Eine Reise oder Tour in dem Sinn wird es für mich nicht mehr geben. Ein paar kleinere Ausflüge östlich von Neiße und Oder sollen aber auch in Zukunft stattfinden.