#8 SG Blau-Weiß Friedrichshain

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

SG Blau-Weiß Friedrichshain – VfB Sperber Neukölln 6-0
Samstag, 09.08.2014 | Metro-Sportanlage | Friedrichshain | Pokal | 20 Zs.

Nur zwei Monate und fünf Tage waren vergangen, seitdem Viktoria und Tasmania Berlin den Berliner Landespokalwettbewerb 2013/14 beendet hatten. Seither galt das Motto „Sommer, Sonne, Sonnenschein“, welches aber schon arg durch das nahe Ende der schönsten Zeit des Jahres bedroht war. Ein ernsthafter Warnhinweis dafür war auch, dass das Spiel von vorne begann – mit der Qualifikationsrunde wurde die neue Pokalsaison eingeläutet. Und das Ziel aller Beteiligten war selbstverständlich klar: JEDER will ins Endspiel. Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!

Oben auf dem Dach der Metro, unweit des Ostbahnhofs, liefen die zweiundzwanzig Protagonisten zum Mittelkreis, winkten den überraschend zahlreich erschienenen Fans, den Groundhoppern und Vereinsoffiziellen auf der kleinen Stahlrohrtribüne zu und genossen den weiten Blick über den östlichen Teil der Hauptstadt. Fußballhimmel – gar nicht so weit hergeholt, die mehr oder weniger offizielle Bezeichnung des Kunstrasengeläufs… Vom Papier her war die Ausgangssituation eindeutig: Sperber Neukölln war als A-Kreisligist Favorit gegen den Neu-B-Kreisligisten Blau-Weiß Friedrichshain. Um für Nicht-Berliner die Verhältnisse deutlicher zu machen: Nehmen wir die 16er A-Kreisliga (mit dem Elftplatzierten Sperber) als Basis und setzen diese mit der 18er Bundesliga gleich – alles reine Mathematik und purer Dreisatz: 11 von 16 gegen X von 18 sind 11 mal 18 gegen 16 mal X macht 11 mal 18 durch 16 gleich X macht 12,375, also 12 – so vertrat sie den zwölftplatzierten Bundesligisten der Vorsaison: Werder Bremen. Nach dem gleichen Prinzip vertraten die Blau-Weißen als Dritter der C-Kreisliga, den Fünften der dritten Liga; den VfL Osnabrück.

Und so, oder so ähnlich ging Sperber auch ins Spiel; die beim Auflaufen verkündete Spieldevise lautete: Kräfte sparen. Die Heimmannschaft begann von Anfang an mit einem ruhigen Aufbauspiel um durch Ballbesitz den Gegner vom eigenen Kasten fern zu halten. Jedoch versagten dem ersten Kicker, der einen etwas öffnenden Pass spielen wollte, die Nerven und das Fünf-Meter-Zuspiel landete in den Beinen eines Neuköllners. Dieser suchte sein Heil sofort in der Offensive, dribbelte los, spielte ab, eine kleine Ballstafette entstand, die erst durch ein unklug platziertes Friedrichshainer Bein im Strafraum sowie einen Pfiff des Schiedsrichters unterbrochen wurde: Elfmeter. Die Sperberianer feixten nun laut auf. Jeder, selbst der Torwart, dürfte sich in diesem Moment schon ausgemalt haben wie viele Tore er erzielen würde.

Anlauf, Pfosten, Nachschuss, gehalten.

Dabei sah der heimische Torwart gar nicht so einsatzfähig aus. Seine chaotische Tolle wirkte eher, als sei er im Darkroom des nahen Berghains eingeschlummert und hätte diesen nach seinem zufälligen Aufwachen überstützt verlassen müssen, um pünktlich auf dem Metro-Dach zu sein. Mit zunehmender Spieldauer stabilisierte sich die Heimelf, kam zu ersten zaghaften Chancen und schlug kurz vor der Pause zweimal eiskalt zu. Trotz allem und noch immer siegesgewiss kamen die Gäste aus der Kabine, verloren aber spätestens mit der Dezimierung durch eine rote Karte den (hihi…) roten Faden. Das Debakel nahm seinen Lauf.

Einen Widerhall in der deutschen Presselandschaft fand diese Pokalsensation allerdings nicht. Bei einem Osnabrücker 6 zu 0 gegen Bremen wäre dies sicherlich anders gewesen.    

#9 Cimbria Trabzonspor

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

Cimbria Trabzonspor – SVM Gosen 3-1
Mittwoch, 20.08.2014 | Jubiläumssportplatz Platz 1 | Neukölln | Pokal | 10 Zs.

Den Wunsch des Schiedsrichters, nach einem fairen Spiel, habe ich schon oft vernommen. Die Intensität mit dieser heute allerdings vorgetragen wurde, war außergewöhnlich. Er hatte anscheinend gesonderte Anweisungen vom Verband erhalten und beschwichtigte schon vor dem Anpfiff beide Mannschaften eindringlich. Immerhin trat Cimbria Trabzonspor an; am Tag zuvor musste das Spiel ihrer Ü40 gegen Lankwitz abgebrochen werden – ein Spieler hatte scheinbar die Sportarten verwechselt und boxte seinen Gegenspieler um.

Je oller, desto doller – und wenn dann auch noch Temperament hinzukommt, scheinen Stadionverbote für Aktive (Spieler, nicht Fans) nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Zwar versuchte der Cimbria-Präsident im „Tagesspiegel“ zu beschwichtigen – es sei eine undramatische, private Fehde gewesen und blaue Flecken beziehungsweise Blut waren Fehlanzeige – aber der Verband war nun gewarnt. So ließ es sich Tamer Bekis auch nicht nehmen und flankierte den Spielfeldrand beim heutigen Pokalspiel der Ersten. Wer weiß, was er heute noch zu rechtfertigen hatte.

Erstmal gab es aber dreifachen Jubel. Und das nicht aufgrund der Tiefpreis-Garantie im himmelhohen Sconto-Möbeldiscounter gegenüber, die Exil-Schwarzmeerauswahl führten nach zwanzig Minuten bereits schier uneinholbar. Falls dies von den wenigen Schaulustigen bejubelt oder beklatscht wurde, verschlangen dies die Motorengeräusche des nahegelegen Autobahndreieck Neukölln. Diese charmante Lage des Jubiläumssportplatzes dürfte jedoch nicht der Bewegrund für das Kommen der ersten weiblichen Zuschauerin gewesen sein. Schnell zeigte sich ihr Motiv; gab sich einer der Gästeersatzspieler als Besatzer zu erkennen. Neben dem deprimierenden Rückstand musste er noch seine Reservistenrolle erklären. Das hatte sich die Auserwählte bei einer Anfahrt von knapp 20 Kilometer sicherlich anders vorgestellt. Und viele Möglichkeiten, ihr in der Folge ein Schlafzimmerlächeln zu entzaubern, hatte er auch nicht. Später, nachdem er mit stolzer Brust und mit übereifrigen Bewegungen den Platz betrat – die für ihn ausgewechselte Sturm-Diva war indes mit dieser Trainer-Entscheidung gar nicht einverstanden, brüllte den Lehrmeister ein „Warum?!“ entgegen, polterte für alle gut hörbar in die Kantine, ein Wunder dass die Tür in den Angeln blieb und verließ wutschnaubend und ohne Verabschiedung den Ort des Geschehens –, konnte er zwar einmal eine Chance verbuchen, vergeigte diese aber stümperhaft. 

Redebedürftig präsentierte sich der Schiedsrichter auch während des Spiels und dann so langsam, langsam aber sicher, so sicher wie das Amen in der Kirche, erkannte ich ihn akustisch. Seiner prägnanten Stimme lauschte ich schon bei der rbb-Dokumentation „Der 23. Mann – Das harte Leben der Amateurschiedsrichter“. Wahrhaftig rannte er nun vor mir hoch und runter, Thomas Sohr. Fehlte ja nur noch das Umbro-Maskottchen aus der damaligen DSF-Groundhopping-Reportage und es wäre ein Stelldichein der Unvergesslichen gewesen. Aber dafür fehlte hier wohl so eine „gigantische Absperrung“ zum Spielfeld.

Trotzdem waren viele am Ende glücklich: Ich über die Erscheinung meines Doku-Stars, das Mädel über die aktive Teilnahme ihres Stoßstürmers und der Cimbra-Präsident über den Verlauf des Spiels; über das Sportliche werden selten Stellungnahmen eingeholt.

#10 SV Buchholz

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

SV Buchholz – SV Bau-Union Berlin 2-1
Samstag, 23.08.2014 | Chamissostr. | Pankow | 9. Liga | 60 Zs.

Zwei Mannschaften, zwei Trainer und ich mittendrin. Oder besser gesagt: dazwischen. Am neutralsten wollte ich heute sitzen – und am „bratigsten“, schließlich geizte die Sonne kaum mit Hitze. Und so blieb mir gar nichts anderes übrig, als in der Mitte der dreistufigen Gegengerade Platz zu nehmen.

Auf dem Weg dorthin bot sich das Vereinsheim zur Proviantaufstockung an. Durch die Luke orderte ich den Sportplatzklassiker – gefüllter Schweinedarm mit einem unbehandelten, feinporigen Weizenbrot an einer pikanten Senfbrühsauce – und durfte während der Zubereitungszeit dank des Gesprächs zwischen der Michelinsternanwärterin und einer heiseren Suffnase ungebeten erfahren, dass die Party im Vereinsheim bis gestern drei Uhr ging. Gut, die Informationsgeberin sah mehr nach einer maßlosen Schnapsfeier seit Überschreiten der Volljährigkeit Ende der 80er aus, aber ich wollte sie ja nicht heiraten, sondern nur um ihre dargebotenen Speisen erleichtern. Beladen mit einer Bocker, labrigem Toast und scharfen Senf erreichte ich meinen ausgekundschafteten Platz.  

Rechts von mir, bisweilen aber auch links von mir beackerte der Buchholzer Trainer Peter Rohde wort- und gestenreich den Beton wie ein Epo-gestärkter Flügelstürmer. Das hatte schon etwas von Trapattoni, auch wenn dieser selten die Vorstadtstyle-Kombination Sonnenbrille und Jogginganzug wählte. Mit zunehmendem Alter bekam Trapattoni äußerlich immer mehr Ähnlichkeit mit dem US-Komiker Leslie Nielsen, und so verwunderte es nicht, dass der Trainer der Bau-Union Stefan Thier, wie eine 1zu1-Kopie des US-Komiker Steve Martin aussah. Und da sich dieser Bogen momentan mit ungeheurem Druck spannt, fahre ich lieber gleich im Text fort…

Peter Rohde dirigierte, navigierte und kommentierte in bestem Norddeutsch. Kein Wunder, erlernte er das Fußballer-ABC doch bei Empor Rostock, bevor er beim BFC Dynamo mit dem 1×1 weiter machte. 150 Oberligabegegnungen als Spieler und ein halbes Jahr auf der Trainerbank der Oberliga-Mannschaft standen am Ende zu Buche, wobei für jüngere Leser erwähnt werden sollte, dass die Oberliga in einem fernen Land einst erstklassig war. Kompetenzen schien der Mann also erlangt zu haben.

Kurz vor der Grenze zum Cholerischen – manchmal auch weit darüber hinweg – gab er Anweisungen und kritisierte. Den Spieler wurden mehr Fehler als Fähigkeiten entgegengeschrien; der Unparteiische bekam ständig sein Fett weg. Kurz vor dem Spielende reichte es dem Schiedsrichter dann auch und er verwies Peter Rohde in die Coaching-Zone. Zusätzlich verwarnte er ihn, dass, wenn er noch einmal das Wort „Blinder“ in seine Richtung rufen würde, er des Feldes komplett verwiesen würde. „Dann sollten Sie aber die Regeln besser beherrschen“, antworte das Rumpelstilzchen.

Ganz anders trat Stefan Thier auf. Ruhig und besonnen motivierte er seine Spieler, hob lautstark nur Positives hervor, auch wenn das Negative im Bau-Union Spiel überwog. An Slapstick fehlte es trotzdem nicht, wobei seine Steve-Martin-Ähnlichkeit dies noch verstärkte. Der Lichtenberger Verein ging am Krankenstock, punktlos, nur zu zwölft und zudem ohne Getränke reisten sie an. Dem nach sechzig Minuten durstig und qualvoll schauenden Neuner, konnte Thier nur mit entschuldigendem Blick signalisieren, dass sie außer seiner Halbliterflasche Wasser auf dem Trockenen saßen. Als sich sein Sturmtank kurze Zeit später verletzte, eilte Thiel sofort zum Sanitätskoffer um dem lädierten Knöchel Linderung zu ermöglichen. Beim Öffnen verriet sein mitleidiger Blick aber, das außer leeren Verpackungen nichts zu finden war. Zum Glück konnten aber wenigstens die Buchholzer mit dem Abgesang auf den hippokratischen Eid, mit dem Allheilmittel der Kurpfuscher und Quacksalber, dem Eisspray aushelfen.   

Buchholz führte lange 2 zu 1 und verpasste es mehrfach den Sieg in trockene Tücher zu schießen. So kam es, wie es kommen musste: Die Bau-Unioner mobilisierten den letzten Funken Kraft aus ihren dehydrierten Körpern, drückten den Gegner in die Abwehr und bekamen die Mutter aller Chancen zum Ausgleich: Strammer Schuss, lautes Ballklatschen und von der Latte sprang der Ball zurück ins Feld in die nun fixe Niederlage. Knapp war es am Ende aber analog zu meinen Sympathien;  „Die nackte Kanone“ fand ich schon immer einen Ticken besser als „Ein Ticket für Zwei“.

#11 FC Liria II

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

FC Liria II – Kickers Hirschgarten II 12-2
Samstag, 23.08.2014 | Am Rodelbergweg | Treptow | 11. Liga | 10 Zs.

Zwei Tore, zwei Torhüter und ich irgendwo dazwischen. Der mir näher stehende Ballfänger des FC Liria wies augenscheinlich keine Anhaltspunkte fürs Kuriositätenkabinett auf. Nun gut, er war bereits etwas ergraut, aber vom Körperbau her, glich er eher dem Max Mustermann der Torhütergilde. Anders verhielt es sich bei seinem Gegenüber. Die Entfernung zwischen mir und ihm war zwar beträchtlich, doch um die große Lücke zwischen seinem Kopf und der Latte festzustellen, reichte meine natürliche Sehstärke noch aus. Max Neumann, wie schön, dass fussball.de den Amateurfußball mittlerweile entanonymisiert hat, hätte für eine namentliche Durchschnittlichkeit nur sein „Neu“ in ein „Muster“ tauschen müssen. Zur sportlichen Durchschnittlichkeit fehlte in den folgenden 90 Minuten aber allerhand…

Sein Start ins Spiel verlief – vorsichtig ausgedrückt – holprig. Ein Freistoß, ohne sonderlich viel Wums, Bums und Effet, dafür knapp unterhalb der Latte platziert, schlug ohne Beeinträchtigung seiner Flugkurve ins Netz ein. Es war nun nicht so, dass Max keinen Abwehrversuch startete, den Ball vielleicht unterschätzt hatte oder gar überrascht wurde. Nein, er sprang zu richtigen Zeit hoch, streckte auch, wie es von professionellen Einser im Fernsehen zu sehen ist, seine Arme in die Höhe, ja, es schien fast so als ob er verzweifelt versuche an Höhe und Größe zu gewinnen – letztendlich flog er aber unter dem Ball hindurch. Normalerweise zeichnen sich kleinere Torhüter wie Uwe Kamps oder Jorge Campos durch enorme Sprungkraft aus, davon schien Max aber befreit worden zu sein. Die Zwote von Liria kannte auch kein Mitleid oder machte irgendeinen Bonus geltend, der kleineren Menschen manchmal zu Gute kommt. Im Zehn-Minuten-Takt schlugen haltbare Bälle in die Maschen ein.

Die zweite Halbzeit verlagerte das Spielgeschehen nun endlich auf meine Seite und bot mir die Möglichkeit bei den Dia- und Monologen der Hintermannschaft der Hirschgartener Mäuschen zu spielen. Nun sah ich erst, wie blutjung Max noch war. Vielleicht war es sein erstes Spiel bei den Herren, vielleicht war er einfach nur aufgeregt und würde nun von Minute zu Minute an Sicherheit gewinnen. Doch noch bevor ich diese Eventualitäten mildernd geltend machen konnte, ging es weiter wie zuvor. Von Schuldeigengeständnissen oder ähnlichem, war er genauso befreit wie vom Können. 

Als nach einem der wenigen Gästeangriffe ein Abseitspfiff ertönte, polterte Max los. Seiner Ansicht nach unterband der Schiedsrichter ständig gute Chancen der Hirschgartener während auf der anderen Seite die Heimspieler einen Persilschein ausgestellt bekommen hatten. Irgendwann wurde es dem eigenen Kapitän Sebastian Haacke zu bunt und er forderte seinen Mit- oder eher Gegenspieler auf „nicht zu nerven“. Er sollte doch nicht unterschlagen, dass es 1 zu 8 stand und der Unschuldigste der vermeintlich Schuldigen der Schiedsrichter sei. Max gab nicht klein bei und antwortete, dass fünf Tore aber regelwidrig erzielt worden waren. Nun wurde ein Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Vor jedem Abstoß bat der Kapitän Max doch kurz zu spielen, um einen Aufbau zu ermöglichen. Dem „Wieso?“ folgte dann meist ein weiter Abschlag direkt zum Gegner und ein neue Angriffswelle.

Nach dem 2 zu 12, Max zeigte bei diesem Gegentreffer gar keinen Aktionismus mehr und ließ sich stillstehend umkurven, bölkte  ihn der Kapitän an, dass, wenn er keinen mehr Bock habe, auch gleich nach Hause gehen könne. Konnte er dann auch – Schlusspfiff. In den folgenden Spielen ersetzte ihn dann ein Stürmer im Tor. Max Neumann blieb auf fussball.de fortan ungenannt…

#12 BSV Victoria Friedrichshain II

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BSV Victoria Friedrichshain II – SV Treptow 46 2-1
Samstag, 30.08.2014 | Alt Stralau | Friedrichshain | 10. Liga | 20-30 Zs.

Mit quietschenden Reifen kam ich zwar nicht zum Stehen, aber als sportlich konnte mein Einparken schon bezeichnet werden. Kurz vor knapp stellte ich meinen Roller vor einem makaber monotonen Plattenblock, der grauer und klotziger nicht sein konnte, ab und eilte dem Eingang zum Sportplatz entgegen; Dopplerhatz. Auf dem Weg zu meinem Platz an der Seitenauslinie des engen Kunstrasenplatzes, passierte ich den Gästetrainer, der die ersten zehn Minuten einen lautstarken Monolog auf Rumänisch hielt und in den wenigen Atempausen Sonnenkerne knabberte. Das kam mir schon alles ziemlich spanisch, wenn nicht sogar rumänisch vor. Und dabei befand ich mich keinesfalls auf irgendeinem Sportplatz in der Bukowina oder Walachei – ich befand mich in Stralau. Und Stralau war bei weitem nicht Rumänien, Stralau war viel mehr eine wassernahe Renditenhäusersiedlung. Kein Haus schloss hier mit einem Dachboden ab, Penthouses bildeten die höchste Stufe der Gebäude- und Quadratmeterpreispyramide; die Baukosten des Kunstrasenplatzes waren sicherlich geringer als der Wert der kleinsten Stralauer Eigentumswohnung; Bauland kam hier eine Goldmine gleich. Und so verwunderte es nicht, dass der Sportplatz gleich hinter den Seitenauslinien abschloss; die Ersatzspieler sich außerhalb warm machen mussten.

Nach zehn Minuten ermahnte der Unparteiische den Seitenlinienkommentator und bat um Ruhe; immerhin wäre er weder Trainer noch Betreuer. Das verblüfte mich doch ein wenig. Wer beziehungsweise wo war der Treptower Trainer und wer zum Henker war der Ermahnte? Da auf der Auswechselbank nur ein einsamer Spieler rumlungerte, blieb lediglich die Variante Spielertrainer. Also schaute ich nach dem ältesten Spieler der Rothemden und identifizierte einen ergrauten Valderrama. Und wie zur Bestätigung sprach er in just diesem Moment einige beruhigende Worte in Richtung Mitspieler. Aber er war auch nicht irgendwer, er war Laszlo Kleber. Keine Angst, der pelesche-beckenbauersche Personenkult hat FIFA-Schreibtischtäter (noch) nicht dazu ermuntert einen noch begabteren Kicker aus sämtlicher Fußballliteratur entfernen zu lassen, aber eine erstaunliche Vita für die Kreisliga konnte Kleber schon vorweisen: U18-Nationalspieler der Magyaren, Jungprofi bei Ferencvaros, (Ex-)Ehemann und Manager in Personalunion der MDR-Schlager-Ikone Veronika Fischer sowie 63 Jahre Lebenserfahrung.

Eine spielende Wachablösung in den Reihen der Treptower war also zweifelsfrei von Nöten. Beim Blick auf die Treptower bzw. dem Lauschen auf ihre Kommunikation, sollte diese augen- oder ohrenscheinlich durch eine Romanisierung eingeleitet werden. Die Schlappen waren für die vier Rumänen aber zu groß; ihr Gekicke eher mitleidserregend. Da halfen auch die Anweisungen von draußen, die so energisch vorgetragen wurden, also ob der Adressat, der Treptower Stürmer Marius-Iulian Sibiceanu, von der Kreisliga in die Bundesliga gehievt werden sollte, nichts. Die Ausführungen waren sehr Kreisklassenverdächtig; bis in die Beletage des deutschen Fußballs wäre der Weg mit diesem Potenzial nicht nur steinig, sondern mit Nägel durchsetzten Glasscherben gepflastert.

Es verwunderte also nicht, dass mit der 1 zu 0 Führung in der 25ten Minute schon der Zenit des Könnens erreicht war, es fortan nur noch bergab ging. Das 1 zu 1 fiel noch vor der Pause und als in der 78ten Minute ein gewisser Marvin Diegmann sein Glück kaum selbst fassen konnte und jubelnd abdrehte, war das Verdiente eingetreten. Auch wenn der Treptower Keeper nicht ganz unpassend schimpfte: „Der kann mit dem Ball ja nicht mal gerade auslaufen, peinlich ist das!“. Was aber ebenso gut die eigene Leistung beschrieb…

#13 Spandauer FC Veritas

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

Spandauer FC Veritas – CFC Hertha II 4-5
Freitag, 21.11.2014 | Grüngürtel KR3 | Spandau | 9. Liga | 10 Zs.

„Hochspringen, du musst einfach nur hochspringen!“. Es waren gut gemeinte Ratschläge des Gästetrainers zum eigenen Torhüter; aber auch sie konnten den Gegentreffer zum zuschauerfreundlichen 3-zu-3-Halbzeitstand nicht verhindern. Zu verdanken hatte die Reserve von CFC Hertha dieses Ergebnis eigentlich nur einem Spieler: Burak Salantur. In seiner Vita stehen beachtliche 61 Oberligaspiele und so schob er sich durch die gegnerische Abwehrreihe wie ein Panzer durch einen Jungwald. Mit Blick auf die eigene Abwehr hatte er nicht ganz Unrecht, als er während einer Trinkpause zum eigenen Trainer meinte, sie könnten zehn Tore erzielen und würden dennoch mit elf Gegentreffern verlieren.

So trotteten die Spieler in die Kabinen und ich zur gegenübergelegenen Verpflegungsstation „Imbiss zum Sieger“. Nach einem Studium der Preisliste verstand ich den Namen; hier war jeder Sieger, hier brauchte es kein Gold um glücklich zu werden: Currywurst mit Pommes für 2,50 Euro, Glühwein ein Euro – mit Schuss (und Treffer) fünfzig Cent mehr. Überhaupt gab es hier alle Heißgetränke mit Schuss; der Alkoholismus konnte hier zivilisiert kaschiert werden – wer unterstellt einem Fußballfan mit einem Mix aus frischer Vollmilch vom Bio-Bergbauer und Fair-Trade-Kakao im Becher schon Suchtprobleme?

Die Einflugschneise des Flughafens Tegel hatte bei einer Abendbegegnung wie heute ihre Vorteile. Die zur Landung runterkommenden Metallvögel verstärkten mit ihren Scheinwerfern das eher schwache Flutlicht im Drei-Minutentakt. Da wurde auch immer wieder der Polizeigebäudetrakt gegenüber und insbesondere dessen Eingangsportal samt riesigem steinernem Greifvogel in grelles Licht getaucht. Keine Frage, seine Krallen trugen vor einigen Jahrzehnten noch das obligatorische Kreuz, aber wiederverwertet werden musste damals alles; Mensch und Material.

Aus diesen Überlegungen holte mich ein Gespräch zwischen einem Zuschauer und dem Gästetrainer während der zweiten Hälfte. Der Endzwanziger rühmte sich seiner alten Tage; er wäre Zehner gewesen, zwar nicht schnell, aber dieses Manko hätte er mit viel Technik ausgeglichen. Berlin-Auswahl hat er in der Jugend auch gespielt. Die Einseitigkeit des (Vorstellungs-)Gesprächs ließ auf wenig Interesse seitens des Hertha-Trainers schließen, die derzeitige körperliche Verfassung des Traumonautens sprach aber wahrlich keine Fürworte. 

Und eigentlich brauchte er auch keine Verstärkung. Burak Salantur war stärker als seine eigene Abwehr, mit 5:4 behielten die Herthaner die Oberhand. Während die Veritas-Spieler nach Spielende klar den Schiedsrichter als Schuldigen identifizierten, haderte einer der Sieger eher mit der Ansetzung: „Ich habe noch zehn Promille drinnen, wie kann man Freitag Fußball spielen?“. Da endete das Freitagsgebet wohl feuchtfröhlich. Zum Schluss kam zufrieden der Gästetrainer des Weges. Alles richtig gemacht; Ratschläge erteilt, den richtigen Mann spielen lassen und nicht in Versuchung gekommen, das Mannschaftsgefüge zu stören.

Fast alles richtig gemacht, denn der Berliner Fußballverband wertete das Spiel ein paar Wochen später mit 0 zu 6.

#14 FC Liria II

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

FC Liria II – FC Kreuzberg 2-9
Samstag, 29.11.2014 | Am Rodelbergweg HP | Treptow | 11. Liga | 5 Zs.

Samstag, 15.30 Uhr in Berlin. Der Tabellenführer FC Bayern München gastierte bei Hertha BSC. Die Massen pilgerten in den Westen und verwaiste S-Bahnen ratterten gen Osten. Dabei gastierte auch hier um 15.30 Uhr ein Tabellenführer. Der FC Kreuzberg gab sich in Treptow beim FC Liria II die Ehre. Falls die Kreuzberger nun einen knallroten Teppich, einen saftiggrünen Rasen- oder aber wenigstens einen blassgrünen Kunstrasenplatz erwartet hatten, wurden sie bitter enttäuscht. Ihnen wurde die zweifelhafte Ehre zu teil, einen von nur acht für den Spielbetrieb angemeldeten Hartplätze benutzen zu dürfen. Des einen Leid ist des anderen Freud.

Ursprünglicher und entwurzelter vom Profigeschiebe kann Fußball nicht sein. Hier und heute gab es die Blaupause für das, wonach das 11Freunde-Gutlesertum giert, was die aktive Fanszene propagiert: „Against modern football“. Einzig – sie fehlten. Vier weitere Zuschauer trotzten dem Olympiastadion, Sky und der Kälte. Hier bestand keine Chance sich später in der Sportschau oder bei Youtube wiederzufinden, hier bestand keine Chance sich mit tausend anderen Dressierten einer Inszenierung hinzugeben, hier bestand keine Chance auf Verständnis oder gar Bewunderung durch andere Menschen. Hier bestand nur eine Chance: Fußball zu gucken. Und das war für sie bei allem Pathos dann anscheinend doch zu wenig.

Die Aufstellungen beider Mannschaften hätten einen Töpperwien oder Rubenbauer ins sprachliche Schlingern gebracht; nur zwei teutonische Namen verloren sich auf dem Spielberichtsbogen: Anja Schwarzmann und Nico Düver. Und Anja Schwarzmann war kein Gender-Pilotprojekt des BFV oder Neueinkauf vom SV Seitenwechsel; sie war wie ihr Name es vielleicht schon erahnen lässt, die Schiedsrichterin; heute jedoch in Gelb gekleidet. Und im Gegensatz zu Nico Düvel stand sie schnell im Mittelpunkt – und das nicht nur beim Anstoß. Es ging gelinde gesagt temperamentvoll zu und wo Temperament war, waren klassische Rollenbilder nicht fern.

Zwar führten die nur zu zehnt angetretenen Gäste schnell mit 2 zu 0, jedoch glich Liria durch diskussionswürdige Treffer schnell aus. Und diskutiert wurde im Anschluss viel: „Bitte brechen Sie hier doch einfach ab, Sie haben ja nichts unter Kontrolle!“. Diesem Wunsch eines Kreuzberger Abwehrspielers entsprach die Schiedsrichterin nicht ganz; es ging zwar in die Kabinen, aber nur zur Halbzeit. Das i-Tüpfelchen dieser Klischee-Parade war das Augenscheinliche: ein blonder Zopf im Schwarzen Meer.

Der elfte Kreuzberger trudelte zur zweiten Hälfte ein und fortan ging es nur noch in Richtung Liria-Gehäuse. Die Ausweglosigkeit kann es aber nicht gewesen sein, die einen Liria-Abwehrrecken dazu veranlasste plötzlich den Platz zu verlassen. Ohne Platzverweis. Nach dem 2 zu 4 zog nach lautem Getöse der Liria-Keeper die Handschuhe aus und strebte ebenfalls Richtung Kabine. Die Mitspieler oder vielleicht eher mitspielenden Spieler bzw. spielenden Mitspieler, also am Ende eigentlich doch nur die spielenden Spieler, konnten ihn noch einmal überzeugen weiterzuspielen, aber nur für zwei Minuten. Dann verließ er ohne große Worte die Bühne. Nun wollten sich die Anderen auch nicht mehr lange bitten lassen; wenn schon keine Geschlossenheit, dann wenigstens Geschlossenheit. Alle wollten nun gehen. Alle bis auf den Kapitän: „Seid ihr Männer oder was?“. Eine rhetorische Frage bei den kulturellen Wurzeln – die Verbliebenen standen wieder bereit.

Bis zum 2 zu 7 hielten die neun Helden tapfer dagegen, dann war es der Kapitän, der das Kapitel des 16. Spieltags beenden wollte. Und nun waren es seine Mitspieler, die den Spielführer zum Weitermachen überredeten. Auch der Gast kam ihnen taktisch entgegen: die Abwehr wechselte in den Sturm, der Sturm in die Abwehr. Trotzdem klingelte es noch zwei weitere Male. Die letzten Minuten unter dem fragenden Gesichtsausdruck der Schiedsrichterin wurden mit Ballstafetten in der Kreuzberger Abwehr runtergespielt. Ob der Bewegungslosigkeit des Spiels befragte mich einer der Gästespieler, was ich hier tat. Zuschauen?! So konnte ich aber gleich klären woher die Dominanz des Tabellenführers kam: vereinzelt waren sie ehemalige Oberligaspieler des BSV Hürtürkel und suchten nun wieder den Spaß am Spiel. Diesen schienen sie gefunden zu haben, aber das schien kaum jemanden zu interessieren. Sepia-Fotos und tränenreiche Artikel sind dann doch bequemer, als die Wirklichkeit. 

#15 FC Spandau 06 III

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

FC Spandau 06 III – FC Concordia Wilhelmsruh 1895 III 2:4
Samstag, 09.05.2015 | Sandheidenweg | Spandau | 14. Liga | 4 Zs.

Stolze 21 Kilometer trennen meine Wohnung vom Sportplatz Sandheidenweg in Spandau. Aber mit meinem Roller und seiner wahnsinnigen Maximalgeschwindigkeit von 45 km/h sollten diese 21 Kilometer in einer gemütlichen halben Stunde zu bewältigen sein. Also schenkte ich mir noch einmal Kaffee nach und zog das Frühstück genüsslich in die Länge.

Selbstredend war ich kurz nach Abfahrt höher getourt als der Roller, auf 180 in unter zehn Sekunden – Koffein ist das bessere Benzin. Meine Ausgangsrechnung war wie immer in der Wissenschaft: rein theoretisch und auf einer Optimalsituation beruhend, mit Ausblenden jeglicher Umwelteinflüsse. Und mit diesen – vor allem mit der völlig unberechenbaren Variante: andere Verkehrsteilnehmern – hatte ich auf den 21 Kilometern mehr als genug zu tun. Zu kämpfen. Nicht verwunderlich also, dass ich die Punktlandung trotz mehrfacher Nichtbeachtung der StVO verpasste. Aber Dank akademischen Viertels und der damit einhergehenden Elastizität der Wissenschaft, war der Beweis gelungen; die Rechnung aufgegangen. So irgendwie…

Kaum am Platz, begann ich bereits mit der nächsten Denkaufgabe: Habe ich Ähnlichkeit mit einem Spandauer Ersatzmann, der anscheinend sehnlichst erwartet wurde? Die Ähnlichkeit mit diesem Leimener Besenkammercasanova ist mir leidvoll bewusst, aber mit einem Vierzehntligaspieler!? Die Ursache meiner Überlegungen war das Heraus-, das mir Entgegeneilen eines Spielers der Spandauer direkt nach meiner Ankunft. Bevor ich aber in die Bredouille geriet, zu erklären, dass ich nicht der bin, für den sie mich zu halten schienen, erkannte ich den wahren Grund für das frühe Platzverlassen: Infantile Bockigkeit! „Sören! Sören, nun hör doch mal auf!“ rief ein Mitspieler hinterher, aber der Angesprochene würdigte weder ihm noch der Mannschaft einen Blick, zog sich stattdessen mit viel Tamtam das Trikot aus und ging unter wutentbrannten Flüchen in Richtung Kabine.

Der Bock war also erst einmal weg, hätte aber auch nicht zum Gärtner gemacht werden können – die Spieler duellierten sich heute auf einem künstlichen Rasen, der ausbautechnisch immerhin über ein abgrenzendes Staket verfügte. Eingebettet war das falsche Grün zwischen Oberschule, Tennisplätzen und der Havel. Und einzig die Letztgenannte rettete Spandau irgendwie vor dem Marzahn-Sein; beim Blick auf die drei anderen Zuschauer allerdings auch nur landschaftlich…

Ob es nun der Schönheit der Havel geschuldet oder einfach nur vernunftbedingte Einsicht war, kann ich nicht beurteilen; Fakt war, dass Sören Mitte der ersten Hälfte wieder auf den Platz zurückkam. Die aufmunternden Worte seiner Mitspieler waren kaum verklungen, da bewies er allerdings schon wieder, dass es mit Vernunft und Einsicht doch nicht gut bestellt war bei ihm und er begann wieder mit seinem unerträglichen Diskutieren und Lamentieren. Der Gegner stieg freudig mit ein und die überforderte Schiedsrichterin zeigte ihnen wegen Beleidigung einmal Gelb und einmal Rot. Trotz dieser Unterzahl konnten die Concorden das Spiel noch drehen, erzielten nicht nur den Ausgleich, sondern zogen auf 4 zu 1 davon. In einem seiner wenigen lichten Momenten verkürzte Sören noch auf 2 zu 4. Für mehr sollte es gerechterweise aber nicht mehr reichen.

21 Kilometer später, vor dem heimischen Rechner, erbrachte meine Recherche, dass es sich bei Sörens Facebookprofil um eine Blaupause für jeden Kreisligafußballer handelt. Spitzname: „Schweini“ – Musik: Enrique Iglesias und Usher – Fernsehen: „Two and a Half Men“ – Spiele: GTA und FIFA – Sonstiges: Bud Spencer und Mario Barth. So gesehen also völlig die Norm und deshalb wissenschaftlich absolut uninteressant. Wenn man kein Verhaltensforscher ist…

#16 BFC Dynamo

Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten

BFC Dynamo – SV Tasmania Berlin 1-0
Mittwoch, 20.05.2015 | Jahnsportpark | Prenzlauer Berg | Pokal | 6914 Zs.

Es war ein entbehrungsreiches Jahr. Zu stolz das selbst auferlegte Versprechen zu brechen, jeden Woche einen Euro zurückzulegen, um im Mai 2015 das Berliner Pokalfinale aus dem VIP-Bereich bestaunen zu können, lernte ich den Verzicht. Na gut, ich will ehrlich sein: Vielleicht lernte ich den Verzicht auch bloß in der Woche vor dem Finale, als ich mich an meinen Plan erinnerte und plötzlich merkte, dass ich bisher null Euro gespart hatte und nun auf einen Schlag fünfzig Euro investieren musste, um dort zu sein, wo ich nun war. Dort. Dort oben.

Es hatte schon etwas Glamouröses als ich die Treppen zur Haupttribüne emporstieg; nur wenige Menschen nutzten den Eingang, den ich wählen durfte und wurden mit einem Lächeln und persönlicher Betreuung empfangen, während unten, neben dem Betonklotz, schier unendliche Massen Einlass begehrten; rechts die Wendeverlierer und links die neutralen Besucher. Obgleich es heute gar keine neutralen Zuschauer gab. Wer nicht in den BFC-Block wollte war automatisch TAS-Fan. Es war aber nicht der Abfertigungskomfort der mich nach oben lockte, sondern die Aussicht nicht mit einer 11Freunde abonnierenden Fußballgutmenschen-Horde das Spiel verfolgen zu müssen; selbst der rbb ließ es sich nicht nehmen, die Partie mit „DDR-Rekordmeister gegen das schlechteste Team der Bundesligahistorie“ anzukündigen…

Endlich das Bändchen ums Handgelenk, machte ich mich auf die Suche nach dem Buffet. Ein wenig störte ich mich an der Unmenge an Handwerkern, die wohl bis zum Ende im VIP-Bereich gewerkelt hatten und mir nun entgegenkamen. Aber das musste ich ihnen lassen: Sie hatten ganze Arbeit geleistet; es waren keine Baustellen mehr erkennbar. Was ich nach dem zweiten Hinschauen allerdings erkennen musste: Die angeblichen Malocher trugen gar keine Arbeitskluft, nein, sie trugen weinrote Insignien ihrer Zugehörigkeit.

Hatte etwa eine Horde Randberliner den Tribünenoberrang gestürmt?! Dafür bedienten sie sich allerdings zu selbstverständlich an Speis und Trank. Mich beschlich der entsetzliche Gedanke, dass dies tatsächlich die VIP-Gäste des BFC sind. Dem Übel der alternativen Fußballtheoretiker entkommen, war ich nun dem Übel der sonnenbrillentragenden Thor-Steinar- beziehungsweise Alpha-Industries-Erzpatrioten ausgeliefert. Sicherlich mag es Zeitgenossen geben, die dieser Anhäufung der Solarien- und Kampfsport-Jünger huldigen – vorneweg ganz ohne Zweifel turus.nets stimmungsvolle Adjektivkanone Marco Bertram mit seiner romantisierenden Sicht auf gesellschaftliche Schattenwelten in Marzahn – aber mir was das zu viel. Zu viel Abgrund. Dabei war diese Konstellation doch unausweichlich: Je höher der Platz, desto tiefer der Abgrund…

In der Halbzeitpause sah ich meine Chance gekommen wenigstens Hälfte Zwo in entspannter Atmosphäre verbringen zu dürfen – die leeren Sitze des Ehrenbereichs luden ein. Äußerst bequem erwiesen sich diese Ledersessel, so dass ich die Namensgravur „Dr. Hans-Georg Moldenhauer“ wohl wahrnahm aber doch übersah. Und außerdem, so beschwichtigte ich mein Gewissen, war dieser Moldenhauer doch schon zur Gründung des NOFV nicht nur dabei, sondern auch alt – so lange kann kein Mensch leben… Aber was der Mensch nicht kann, das kann anscheinend die moderne Medizin und so saß ich pünktlich zum Wiederanpfiff erneut im Pulk der 90er, ärgerte mich über das BFC-Tor und die neuköllnische Harmlosigkeit. Da wäre sportlich mehr möglich gewesen, zu pomadig wirkten die Regionalligaprofis gegen die Verbandsligakicker. Und zu guter Letzt hatte Marco Bertram durch die kreative Entblößung von mindestens 5.981 Marzahnern – ein Wechselgesang „BFC“ – „Dynamo“ – die journalistische Option „stimmungsvoll“ ziehen können…  

Das musste alles verdaut werden. Gut, dass der Pokal-Sponsor eine Berliner Brauerei war und das Handgelenksbändchen Betäubung durch Suff offerierte. Nach und nach lichtete sich der VIP-Bereich, nur vereinzelte Grüppchen sowie die zur Anwesenheit verdonnerten Funktionäre verblieben. Leider erkannte ich erst Tage später, dass mein alkoholgeschwängerter Wink an BFV-Präsidenten Bernd Schultz und dessen Erwiderung die Chance der Chancen war, um das alte Thema des Austragungsorts und das neue Thema der Einlasspolitik ernsthaft zu besprechen. Muss ich wohl im nächsten Jahr nochmal hin; ich leg gleich mal den ersten Euro zur Seite.

Road to Jahn 2015-16

Road to Jahn 2015-16

8 Runden und 7 Auslosungen – aus 180 mach 1!

Ein Projekt, das es noch nicht gab; ein fantastisches – manche sagen sogar: ein hyperfantastisches Projekt!
Die Regel ist einfach – never change a winning team.
Der Rahmenspielplan diktiert mir meine Urlaubsplanung, der Vorrundensieger die Folgepaarung, Fortuna den Gegner.
Und so geht es Runde für Runde. Nur eins steht fest – das Ziel; der Friedrich-Ludwig-Jahnsportpark. Am 28. Mai 2016.

 

Berliner SV 1892 – SV Karow 1996 4-1
Sonntag, 16.08.2015 | Stadion Wilmersdorf 4 KR2 | Schmargendorf | Qualifikationsrunde | 40 Zs. 

Die Qual der Wahl hatte ich in der Qual(i)-Runde; mit welcher Mannschaft starte ich? Nicht das Los, sondern die Ansetzungsstätte entschied. Für den Berliner SV 1892.
Stadion Wilmersdorf und der BSV 92. Das klingt nach Schwarz-Weiß-Fußball vor tausenden Zuschauern in der Stadtliga Berlin. Kunstrasenplatz Stadion Wilmersdorf und der BSV 92. Das ist Farb-Fußball vor 40 Zuschauern im Berlinpokal.
Der Sommer und der Winter – und manchmal halt auch der Frühling und der Herbst – sind zum Rasenschonen. Die Verlegung auf den Nebenplatz akzeptierte ich zähneknirschend.
Bei 30 Grad im Schatten schien ein Ersatzspieler des BSV 92 in der Kabine die Niete gezogen zu haben und lief als Storch verkleidet zum Anstoßkreis. Dies war allerdings kein Griff in die psychologische Trickkiste um den Gegner aus dem Nordosten Berlins ob der Hässlichkeit – der Storch glich eher einer Vogelscheuche – zu verunsichern. Es war ein Fingerzeig auf die eigene Geschichte.
Der BSV 92: Das war vor den Westberliner Jahren Gauligameisterschaften und Nationalspieler. Und wegen der roten Stutzen die Herausbildung eines Spitznamens: Die Störche.
Verunsichert war der Favorit aus Karow aber wohl trotzdem. Schon nach drei Minuten lag sie mit 0 zu 2 im Hintertreffen. Trotz klarster Chancen zum dritten Tor fällt noch vor der Pause das 1 zu 2. Aber Spannung kam deshalb in Hälfte Zwei nicht auf. Statt dem Bezirksligisten kamen immer wieder die Störche brandgefährlich zum Abschluss. Nicht angetan von der Leistung der Karower Elf waren die Fans und Offiziellen – einer von ihnen stach besonders durch seine Schiedsrichtersprüche heraus. Typus Bauunternehmer und Vereinsvorstand: Ende 50, Polohemd, Hose und Schuhe von NewYorker, Wohlstandsbauch, Sonnenbrille mit Goldgestell und eine Zeitung unterm Arm: „Dit war ne Ecke du Jurke!“ – Berlin ick liebe dir! Mit dem hochverdienten 3 zu 1 für den Kreisligisten waren alle Messen gelesen. Blieb nur noch die Gala-Show des Sven Harry Haase. Einwechslung in der 80. Minute, Elfmeter-Tor in der 83. Minute und rote Karte in der 86. Minute.
In der nächsten Runde also mit dem BSV 92, aber ohne Sven Harry Haase.

Berliner SV 1892 – FC Spandau 06 2-3
Sonntag, 06.09.2015 | Stadion Wilmersdorf 4 KR2 | Schmargendorf | 1. Runde | 40 Zs. 

Und täglich grüßt der Kunstrasen! Zwar war die sommerliche Rasenplatzsperre mittlerweile aufgehoben, aber das Bezirksamt beorderte die SF Charlottenburg-Wilmersdorf für ihr Pokalspiel ins Stadion. Ich befand mich also wieder dort ein, wo ich drei Wochen zuvor bereits stand.
Diesmal liefen die Mannschaften allerdings ohne Maskottchen auf; möglicherweise machte der letztmalige Unglücksrabe im Storchenkostüm Gründe der Würde geltend oder aber die BSV-Oberen hatten etwas vom Projekt „Road to Jahn“ erfahren und ich sollte ab sofort ihr Maskottchen sein!?
Wie schon in der Qualifikationsrunde legte der Kreisligist BSV 92 los wie die Berufsfeuerwehr, die Zielgenauigkeit entsprach aber eher der freiwilligen Feuerwehr nach einem Dorffest. Vielleicht lag es ja am Wetter: Vor 21 Tagen beglückte uns Petrus noch mit wolkenfreiem Himmel und 30 Grad – heute war’s bedeckt und 15 Grad kalt. Und kaum öffnete der Himmel seine Schleusen gelang den Gästen das 1 und 2 zu 0.
Und es lief weiter hervorragend für die 06er. Sie kombinierten nach Belieben, vergaßen aber den krönenden Abschluss. Den bot zum Ende der ersten Halbzeit dann nicht nur die durchbrechende Sonne, sondern auch die Schönwetterfußballer des BSV 92. Aus dem Nichts erzielten sie das 1 zu 2.
Die zweite Hälfte dominierten die Sonne und der BSV 92. In der 69. Minute fiel das mittlerweile überfällige 2 zu 2 und in der Folge erarbeiteten sich die Störche Chance über Chance. Spandaus erster Torschuss nach dem Pausentee ließ bis zur 75. Minute auf sich warten. Der Bezirksligist war klinisch tot.
Aber: Totgesagte leben länger. 90. Spielminute, Freistoß aus dem Halbfeld für die Randberliner. Alle Spieler sind hoch konzentriert, die Verlängerung ist für den BSV 92 nur noch einen Angriff entfernt. Die Flanke kommt, Spandauer und Wilmersdorfer Köpfe steigen empor, ein Spandauer erwischt den Ball, aber weit vorbei. Durchatmen. Kurzer Abstoß, die Weiterleitung aus der Abwehr ins Mittelfeld misslingt, Steilpass, 1-gegen-1-Duell, 2 zu 3, Abpfiff.
Dabei war der Himmel mittlerweile so blau, wie gegen den SV Karow in der Runde zuvor. Blauer wie er für den BSV 92 nicht hätte sein können.

FC Spandau 06 – Sportfreunde Charlottenburg-Wilmersdorf 4-2
Sonntag, 11.10.2015 | Ziegelhof | Spandau | 2. Runde | 95 Zs. 

Der Fußball schreibt bekanntlich die besten Geschichten. Kaum war ich dem BSV 92 und dem Kunstrasenplatz des Stadions Wilmersdorf entkommen, drohte mir über den heutigen Gegner, dem Kreisligisten Sportfreunde Charlottenburg-Wilmersdorf, die Rückkehr an die gleiche Spielstätte. Davor standen ab 10.45 Uhr aber 90 Minuten Pokalkampf, deren erste 45 Minuten schnell erzählt sind: 1 zu 0, 1 zu 1, Halbzeitpfiff.
Da bot die Halbzeitpause schon mehr Unterhaltung – und dass nicht aufgrund einer Verlosung von Kostbarkeiten wie zum Beispiel dem Bernsteinzimmer oder aber der Präsentation eines lebendigen Einhorns. Als sich die Pause dem Ende neigte und die Spieler langsam wieder auf den Platz trabten, wurden sie informiert, doch bitte wieder in der Kabine Platz zu nehmen. Neben zwei Mannschaften bedarf ein Spiel eines Balls und Schiedsrichters. Und Letztgenannter war nicht mehr in der Lage aufs Feld zurückzukehren. Und kaum war klar, dass der Schiedsrichter der Spielverderber war, setzten sich Gerüch(t)e frei. Diese reichten von Durchfall bis zu Kreislaufproblemen. Und Durchfall hätte ich gar nicht mal für unmöglich gehalten – die im Kiosk servierte Currywurst samt Zwiebeln hatte es schon in sich. Und dass der Unparteiische vor dem Spiel bereits ein Katerfrühstück benötigte – nichts war hier jetzt noch unmöglich.
Die Verlängerung der Pause kam dem Kiosk aber auf jeden Fall zu Gute; der Rubel rollte, das Bier schäumte. Das dürfte der Nachmittagsplanung einiger Familien aber einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht haben, denn die Väter shoppten am Kiosk nun bereits ganz ordentlich…
Zehn Minuten später war klar: es ging für den Pfeifenmann nicht weiter und zwanzig Minuten später war auch endlich ein Ersatzschiedsrichter gefunden; die Begegnung konnte fortgesetzt werden. Aus der Neutralisierung wurde ein Spandauer Übergewicht sowie die Führung. Und als kurz darauf Mahmoud Akkaoui aus über 30 Metern per Bogenlampe einfach mal anvisierte, konnte sich der Wilmersdorfer Keeper noch so strecken wie er wollte, es reichte nicht. Unter dem Beifall der 95 zahlenden Zuschauer mischte sich nun vom rechten Spielfeldrand ein stark alkoholisiertes Gegröle. Und wenige Minuten später tauchten die Chorknaben auf. Zwar trieb ihnen der Treffer zum 2 zu 3 kurzzeitig Zornesröte ins Gesicht, aber viel Zeit für Spannung blieb bis zum finalen vierten Treffer der Gastgeber nicht.
„Komm, noch ein Bier?!“ krakeelte der eine zum Anderen. Und objektive Gründe für eine Ja-Antwort waren neben dem Heimsieg zu Hauf zu finden: der Nachhauseweg, die Sonnenstrahlen oder der zum tausensten Mal einsetzende Herbst.
Der Fragende war nicht der Tragende. Wobei selbst der Tragende schon ordentliche Mühe mit Gestik, Mimik und Motorik hatte. Das war alles aber noch harmonisch im Vergleich zu seinem Kompagnon, der nicht nur angescheppert, sondern schon ziemlich zerscheppert war.
Das war für die beiden kein Grund für ein „Nein“ – in Spandau geben alle alles. Und manchmal sogar noch ein bisschen mehr.

FC Spandau 06 – SFC Stern 1900 4-1
Sonntag, 15.11.2015 | Ziegelhof | Spandau | 3. Runde | 60 Zs. 

Daumen wurden am 16.10., Punkt 18 Uhr gedrückt und was schlussendlich blieb war leider nur gedrückte Stimmung. Fortuna – statt einer knapp bekleideten Aphrodite, stelle ich mir bei den BFV-Auslosungen eher betagte und Zigarre rauchende Verbandsfunktionäre in karierten Hemden und Pullunder vor – gönnte mir wieder um halb Zehn in der Früh die Weltreise nach Spandau zu 06. Aber gut, das Schicksal wäre nicht das Schicksal wenn es nicht das Schicksal wäre. Und so unspektakulär war das letzte Pokalmatch ja nun auch nicht. Gute Miene zum bösen Spiel.
Der Lauf der Zeit; die Bäume waren mittlerweile kahl, dafür wurde der Rasen mit einem Laubteppich bedeckt und leichte Kleidung musste gegen Gefüttertes getauscht werden. Und als Bonbon hielt Petrus noch Regen parat. Schirme wurden verzweifelt gegen den Wind gestemmt. Die Trockenheit hielt aber nur bis zur nächsten Windrichtungsänderung. Ein Wetter für Fußballliebhaber. Und der Zweiklassenunterschied offerierte mir eine gute Möglichkeit dem Spandauer Gefängnis zu entkommen.
Die in schwarz spielenden Gefängniswärter von 06 ließen aber schnell erkennen, dass sie einiges dagegen hatten. Mit viel Leidenschaft und Einsatz egalisierten sie die Favoriten aus der Berlinliga. Damit nicht genug, einen Freistoß nutzte in der 21. Minute Sebastian May zur Führung, die der Bogenlampenspezialist Mahmoud Akkaoui noch ausbauen konnte. Kurz vorm Pausentee flog dann noch ein Stern-Spieler nach einer Tätlichkeit vom Platz. Nachdem der Stern-Trainer dies Richtung Schiedsrichter mit: „Soll das dein Ernst sein, verlierst du jetzt völlig den Überblick?“ kommentierte, durfte er auch hinter die Absperrung. Mit dem nun vorhandenen besseren Überblick sah er in Hälfte zwei noch zwei Kontertore für 06 sowie den (zu) späten Anschlusstreffer seiner Equipe.
4 zu 1: So war ich bis zum Schlusspfiff nur am Rechnen, denn Fußballspiele bedeuten Serien; irgendwo ist immer eine versteckt. Und Serien bedeuten Sicherheit, das wohlige Gefühl zu wissen was passiert. Denn mit einer Serie in der Hinterhand kann das Schicksal nicht das Schicksal sein, wenn es das Schicksal ist. Es fehlte entweder ein zweites Gegentor, das 06 bisher in allen zwei (!) Spielen kassiert hatte oder aber es musste ein fünftes Tor her; denn im ersten Spiel gab’s drei und im zweiten vier Tore für die Spandauer.
Am Ende blieb es beim 4 zu 1, fünf Tore in Summe. Die Serie war zumindest „angerissen“. Was mag das fürs nächste Spiel bedeuten? Ich befürchte nichts. Außer vielleicht, dass ich Spandau in der nächsten Runde mal auswärts zugelost bekomme…

BFC Dynamo – FC Spandau 06 5-0
Dienstag, 09.02.2016 | Jahnsportpark | Prenzlauer Berg | Achtelfinale | 250 Zs. 

Es gibt gute Lose, es gibt schlechte Lose und es gibt den Griff in die Tonne. Und so einen Griff erwischte ich wohl am 22. Januar. Ich stelle es mir in etwa so vor: 14 Loskugeln wurden aus der Trommel gezogen; die Losfee im Bikini inklusive. Die letzten beiden Lose lagen allerdings rechts davon, in der Mülltonne und die Losfee war plötzlich ziemlich stiernackig…
BFC Dynamo vs. Spandau, die Paarung war eine Farce; die Oberliga, Verbandsliga und Landesliga lagen zwischen den Vereinen, einen größeren Ligen-Unterschied bot keine andere Begegnung. Und somit war klar, ich war gefangen in der Einbahnstraße BFC Dynamo; einer Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit.
Und so durfte ich bereits am 9. Februar den Endspielort betreten und es sprach alles dagegen, dass ich nochmal woanders hin durfte. Wenn wenigstens ein Nebenplatz herausgesprungen wäre, aber nein, die großen Flutlichtmasten erhellten die dunkle Winternacht und ermöglichten den wenigen Zuschauern eine kinderleichte Orientierung. Wenn hyperfantastisch.de die Marketingmaschinerie anschmeißen würde, würde hier jetzt stehen: „Flutlichtspiele haben ihren eigenen Reiz“ oder „Pokalspiele haben ihre eigenen Gesetze“, aber ich lasse lieber die nackten Tatsachen bzw. das nackte Stadion sprechen: 5 zu 0 in einem zu 1,27% gefüllten Rund.
Wobei geschrieben werden muss: Das 5 zu 0 klingt fast nach Friede-Freude-Eierkuchen. Das war es aber bei weitem nicht. Zwar waren die Profis drückend überlegen, aber die Spielintelligenz der Weinroten endete meist schon mit der Ballannahme. Spielzüge waren rar, zum Glück bot der Kiosk Alkoholfutter; die Öde der Begegnung wich der Freude des Pegels.
Alkohol bedeutet Emotionen, bedeutet Sentimentalität: „Für mich wird der BFC Dynamo immer der FC Berlin bleiben!“ Nur mit solchen Gesprächen waren die 90 Minuten zu ertragen; die Angst vor den noch kommenden 180 Minuten Einbahnstraße konnte aber nicht besiegt werden. Einen Blick nach rechts und einen Blick nach links später war ich mir aber sicher: die 248 Losfeen um mich herum quittierten meine Angst nur mit einem spöttischen Lächeln.

SC Staaken – BFC Dynamo 4-1 n.E.
Mittwoch, 09.03.2016 | Sportpark Staaken | Staaken | Viertelfinale | 570 Zs. 

Experten, überall Experten. „Jetzt müssen wir uns nur auf die hässlichen Menschen konzentrieren.“ Ganz Unrecht hatte der Polizist mit dieser Bemerkung zu seinem Kameraden sicherlich nicht, als sie auf der Eisenbahnbrücke standen und die gerade eingetroffenen Zugpassiere auf mögliche BFC-Sympathisanten filterten. Von den Hässlichen gab’s in diesem Zug aber nicht viele; der Großteil der Weinroten war zu diesem Zeitpunkt bereits im Sportpark Staaken.
Für die Ostberliner eine seltene Gelegenheit mal ihre Stadt kennenzulernen. Seit der Saison 2008/09 bestritt der BFC inklusive Finale im Jahn-Sportpark 48 Landespokalspiele. Davon wurden 40 Begegnungen daheim absolviert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der BFC oft mit der Fortuna Mielke im Bunde war. Eher war der BFC beglückt vom Sicherheitswahn. Die Marzahner als Gast sind nicht anspruchslos: Separater Eingang, eigene Verpflegung und auch der grüne Sicherheitsapparat will seine Wannen parken, eine Wurst essen, Cola trinken und bezahlte Gespräche mit Kameraden führen.
Staaken wollte sich seine (Heim-)Chance nicht nehmen lassen und erfüllte dem Gast, Verband und Innenministerium seine Ansprüche. Die Chance besteht im Geläuf; auf Kunstrasen trainiert der Regionalligist vielleicht im Winter hin und wieder, Wettkampferfahrung ist aber eine Mangelerfahrung – im Gegensatz zum Berlinligisten. Für den Experten der ostdeutschen Fußballlandschaft von turus.net, Marco B., war die Platzwahl schon zwei Runden zuvor vernachlässigungswürdig: „Als ob das für den BFC jetzt die große Mandoline gespielt hat, in Charlottenburg oder im Sportforum zu spielen.“
Dass es für den BFC doch die große Mandoline spielt, sahen die Zuschauer heute. Optisch zwar überlegen, aber zwingend wie ein Kaufentscheider nach dem Studium von Bewertungsseiten im Internet, passte sich der BFC in die Langeweile. „Attacke, Attacke, Staaken ist Kacke“ skandierten zwar die 300 Gästeanhänger, ändern tat es nichts, im Gegenteil, nach der Pause vergab ein Staakener Stürmer sogar freistehend vor dem BFC-Torhüter. Und so hätte sogar M. Bertram konstatieren müssen: Es macht doch einen Unterschied, ob ich die Enge eines Kunstrasens oder die Weite eines Rasenplatzes nutzen muss, um eine Chance als Underdog zu haben.
0 zu 0, 83 Minuten gespielt, Temperatur um den Gefrierpunkt – gefühlt im sibirischen Minusbereich – und die komfortable Zugverbindung startet in fünf Minuten. Abmarsch, denn der BFC wird’s schon schaukeln, Elfmeter- oder Eigentor inklusive. Schließlich schrieben meine Expertenhände bereits vor wenigen Wochen: „Ich war gefangen in der Einbahnstraße BFC Dynamo, eine Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit.“ Was kam war der SC Staaken mit einem LKW voller Napalm, 100 Km/h auf dem Tacho, Handbremse und Lenkradreißen in der Einbahnstraße: Feuer, Schreie ein ebener Straßenzug; 4 zu 1 nach Elfmeterschießen. Staaker Auftritt.

BFC Preußen – SC Staaken 3-2 n.V.
Montag, 28.03.2016 | Preußenstadion | Lankwitz | Halbfinale | 971 Zs. 

Nächstes Spiel, nächster Sportplatz! Ja, so war „The Road To Jahn“ eigentlich konzipiert – die Siegermannschaft der Vorrunde muss immer wieder auswärts ran und ich geh auf Reisen durch die Hauptstadt. Ein, zwei neue Grounds hatte ich mir dabei eigentlich schon erhofft; am Ende waren es null. Aber manchmal müssen individuelle Wünsche dem Großen und Ganzen untergeordnet werden und das lautet: „The Road To Jahn“.
Das selbst das Große und Ganze auch wackligen Beinen stand, bemerkte ich beim Luschern ins Programmheft. Auf der letzten Seite war an diesem Ostermontag ein faules Ei versteckt: Der BFV erwog aufgrund des zu erwartenden geringen Zuschauerzuspruchs im Finale einen Umzug ins Amateurstadion. Puh, das saß, durchatmen, bis drei zählen und auf die alten Traversen des Preußenstadions setzen. Der BFV wird wohl nie wieder den BFC Dynamo als Gast antreten lassen, so viel steht fest. Aber was interessierte mich die Zukunft, „The Road To Jahn“ war in Gefahr, das Projekt konnte doch nicht unbenannt werden! „The Road To Wurfplatz“ – selten dämlich; das hyperfantastischste Projekt der Fußballnachkriegsgeschichte darf nicht am Verbandsegoismus scheitern!
Vor dem Krieg – 1938 um genau zu sein – wurde der heutige Schauplatz erschaffen: das Preußenstadion. Und noch weiter zurück sind die größten Erfolge der Adlerträger angesiedelt. Übrig ist davon, außer der Spielberechtigung in der Berlin-Liga, nicht viel. Das Stadion und die Schwarz-Weiß-Erfolge warfen Schatten, die die Gegenwart auffraßen.
Schon den zweiten ansehnlichen Angriff des Spiels schloss der SCS mit dem 1 zu 0 ab. Die mindestens 200 mitgereisten Blau-Weißen lagen sich siegessicher in den Armen, so viel Freude war mir dann jetzt doch zu viel. Seitenwechsel. Preußen-Gerade, Preußen-Casino und die „Alte Garde“, immerhin mit Preußen-Wappen. Ein Rudel von ungefähr 20 Modulkanten mit Sonnenbrille und Glatze oder Pomade. Marzahner Verhältnisse im Berliner Süden, BFC ist BFC egal ob Dynamo oder Preußen. Kaum in der langen Warteschlange am Verpflegungsstand die letzte Position übernommen, schon ertönte ein „Bambule, Randale, Rechtsradikale“. Ganz klar, hier war das AFD-Parteiprogramm noch bolschewistisches Gedankengut.
Die Eltern der „Alten Garde“ bedienten scheinbar am Grill- und Getränkestand, die alte „Alte Garde“ sozusagen. Mit einer Arschruhe, die nur Kleinkinder und Rentner weghaben, erfolgte die Bedienung unabhängig von der wartenden Masse. Und die war größer als die auf den Traversen. Zeit immerhin um eine Oberflächenstudie der schwarz gekleideten Herren vorzunehmen. Jeder trug irgendwo irgendetwas der alten Dame, im Hauptberuf waren sie also Herthaner, der BFC war nur ein Hobby.
In der zweiten Halbzeit ging es nur noch aufs Gästetor, schnell belohnt mit dem 1 zu 1. Aber noch schneller bestraft mit dem 1 zu 2. Und so blieb es auch bis zur 90. Minute, ja sogar bis zur 94. Minute. Und als schon 200 Zuschauer jubelnd bereitstanden und 700 angesäuert das Rund verlassen wollten, verlängerte eine äußerst unglücklich positioniertes Schienbein eine harmlose Flanke und das Spiel. Verlängerung, mal wieder ohne mich, Serien sollen nicht gebrochen werden, fürs Finale gelobe ich aber Besserung.
Lichtenberg vs BFC Preußen lautet das Finale und der Verband hat sich doch noch für ein leeres Jahn-Stadion entschieden, das Projekt kann ordnungsgemäß beendet werden und die Alte Garde steht nur noch ein Spiel vor dem Endsieg.

SV Lichtenberg 47 – BFC Preußen – 0-1 
Samstag, 28.05.2016 | Jahnsportpark | Prenzlauer Berg | Finale | 3874 Zs. 

Endstation Jahnsportpark; der Berliner Pokal 2015/16 und somit das Projekt „Road to Jahn“ neigten sich dem Ende zu; was fehlt war die Krönung in der Kathedrale des Berliner Fußballs auf dem Brauerei-gesponserten Thron. Von 180 gestarteten Mannschaften blieben zwei Teams übrig, zwei Teams mit nicht den besten Buchmacherquoten, dafür mit großer lokaler Wertigkeit.
Oberliga gegen Berlin-Liga, 1947 gegen 1894, rot-weiß gegen schwarz-weiß, Lichtenberg gegen Lankwitz, Ost gegen West. An diesem Samstag traf alle Gegensätzlichkeit aufeinander, die ein Duell zum Duell macht; ohne Gemeinsamkeiten war ein schonungsloser Kampf garantiert. Diesen wollten immerhin 3.873 Zuschauer und ich sehen und dass obwohl das Wetter eher zum Plantschen im See einlud und wenn schon nicht See, dann wenigstens im aufblasbaren Pool auf dem Balkon und die Live-Übertragung der ARD im Fernseher auf dem Hocker davor. Richtig gelesen, die ARD übertrug dieses und noch andere Landespokalfinale in einer großen Konferenz. Die joviale Zielsetzung war es, den Amateurfußball zu stärken. Resultat war er Eventisierung und Konsumierung des Sports auf unterer Ebene fortzusetzen. – raus aus dem Stadion, rauf aufs Sofa.
Auf dem Platz spielten die Adlerträger unbekümmert nach vorne, das 0 zu 0 konnte nicht nur gehalten, sondern verbessert werden – auf 1 zu 0. Die Lichtenberger wollten und konnten nicht, die Spannung blieb wie Stimmung eher mau, am Ende konnten aber wenigstens die Lankwitzer „Mau-Mau“ sagen und den Pokal gen Himmel strecken. Ein eher trister Abschluss einer langen Pokalreise. Und wie es immer so ist am Ende, zum Schluss rollen die Tränen, speisen die Emotionen einen positivgestimmten Abgesang auf eine lange Pokalsaison.
Aber nicht hier, nicht jetzt und schon gar nicht mit mir. Road to Jahn muss enden wie es begann mit Schnaps und einer Idee und von daher präsentiere ich nach sieben K.O.-Runden und einem Finale das durchschnittliche Pokalspiel der Saison 2015/16:
Das Spiel fand am Freitag den 15. Juni bei 15 Grad statt. Es endete mit einem 3:1 vor 738 Zuschauern und 1,125 unterschiedliche Mannschaften standen sich hierbei gegenüber.
Durchschnittsberechnungen machen eben nicht immer Sinn, aber wer weiß in dieser verrückten Welt schon, was richtig und was falsch ist?!