Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten
BFC Dynamo – SV Tasmania Berlin 1-0
Mittwoch, 20.05.2015 | Jahnsportpark | Prenzlauer Berg | Pokal | 6914 Zs.
Es war ein entbehrungsreiches Jahr. Zu stolz das selbst auferlegte Versprechen zu brechen, jeden Woche einen Euro zurückzulegen, um im Mai 2015 das Berliner Pokalfinale aus dem VIP-Bereich bestaunen zu können, lernte ich den Verzicht. Na gut, ich will ehrlich sein: Vielleicht lernte ich den Verzicht auch bloß in der Woche vor dem Finale, als ich mich an meinen Plan erinnerte und plötzlich merkte, dass ich bisher null Euro gespart hatte und nun auf einen Schlag fünfzig Euro investieren musste, um dort zu sein, wo ich nun war. Dort. Dort oben.
Es hatte schon etwas Glamouröses als ich die Treppen zur Haupttribüne emporstieg; nur wenige Menschen nutzten den Eingang, den ich wählen durfte und wurden mit einem Lächeln und persönlicher Betreuung empfangen, während unten, neben dem Betonklotz, schier unendliche Massen Einlass begehrten; rechts die Wendeverlierer und links die neutralen Besucher. Obgleich es heute gar keine neutralen Zuschauer gab. Wer nicht in den BFC-Block wollte war automatisch TAS-Fan. Es war aber nicht der Abfertigungskomfort der mich nach oben lockte, sondern die Aussicht nicht mit einer 11Freunde abonnierenden Fußballgutmenschen-Horde das Spiel verfolgen zu müssen; selbst der rbb ließ es sich nicht nehmen, die Partie mit „DDR-Rekordmeister gegen das schlechteste Team der Bundesligahistorie“ anzukündigen…
Endlich das Bändchen ums Handgelenk, machte ich mich auf die Suche nach dem Buffet. Ein wenig störte ich mich an der Unmenge an Handwerkern, die wohl bis zum Ende im VIP-Bereich gewerkelt hatten und mir nun entgegenkamen. Aber das musste ich ihnen lassen: Sie hatten ganze Arbeit geleistet; es waren keine Baustellen mehr erkennbar. Was ich nach dem zweiten Hinschauen allerdings erkennen musste: Die angeblichen Malocher trugen gar keine Arbeitskluft, nein, sie trugen weinrote Insignien ihrer Zugehörigkeit.
Hatte etwa eine Horde Randberliner den Tribünenoberrang gestürmt?! Dafür bedienten sie sich allerdings zu selbstverständlich an Speis und Trank. Mich beschlich der entsetzliche Gedanke, dass dies tatsächlich die VIP-Gäste des BFC sind. Dem Übel der alternativen Fußballtheoretiker entkommen, war ich nun dem Übel der sonnenbrillentragenden Thor-Steinar- beziehungsweise Alpha-Industries-Erzpatrioten ausgeliefert. Sicherlich mag es Zeitgenossen geben, die dieser Anhäufung der Solarien- und Kampfsport-Jünger huldigen – vorneweg ganz ohne Zweifel turus.nets stimmungsvolle Adjektivkanone Marco Bertram mit seiner romantisierenden Sicht auf gesellschaftliche Schattenwelten in Marzahn – aber mir was das zu viel. Zu viel Abgrund. Dabei war diese Konstellation doch unausweichlich: Je höher der Platz, desto tiefer der Abgrund…
In der Halbzeitpause sah ich meine Chance gekommen wenigstens Hälfte Zwo in entspannter Atmosphäre verbringen zu dürfen – die leeren Sitze des Ehrenbereichs luden ein. Äußerst bequem erwiesen sich diese Ledersessel, so dass ich die Namensgravur „Dr. Hans-Georg Moldenhauer“ wohl wahrnahm aber doch übersah. Und außerdem, so beschwichtigte ich mein Gewissen, war dieser Moldenhauer doch schon zur Gründung des NOFV nicht nur dabei, sondern auch alt – so lange kann kein Mensch leben… Aber was der Mensch nicht kann, das kann anscheinend die moderne Medizin und so saß ich pünktlich zum Wiederanpfiff erneut im Pulk der 90er, ärgerte mich über das BFC-Tor und die neuköllnische Harmlosigkeit. Da wäre sportlich mehr möglich gewesen, zu pomadig wirkten die Regionalligaprofis gegen die Verbandsligakicker. Und zu guter Letzt hatte Marco Bertram durch die kreative Entblößung von mindestens 5.981 Marzahnern – ein Wechselgesang „BFC“ – „Dynamo“ – die journalistische Option „stimmungsvoll“ ziehen können…
Das musste alles verdaut werden. Gut, dass der Pokal-Sponsor eine Berliner Brauerei war und das Handgelenksbändchen Betäubung durch Suff offerierte. Nach und nach lichtete sich der VIP-Bereich, nur vereinzelte Grüppchen sowie die zur Anwesenheit verdonnerten Funktionäre verblieben. Leider erkannte ich erst Tage später, dass mein alkoholgeschwängerter Wink an BFV-Präsidenten Bernd Schultz und dessen Erwiderung die Chance der Chancen war, um das alte Thema des Austragungsorts und das neue Thema der Einlasspolitik ernsthaft zu besprechen. Muss ich wohl im nächsten Jahr nochmal hin; ich leg gleich mal den ersten Euro zur Seite.