Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten
NSF Gropiusstadt – FSV Blau-Weiß Mahlsdorf-Waldesruh II 5-2
Sonntag , 18.05.2014 | Silbersteinsportplatz | Neukölln | 10. Liga | 10 Zs.
Einen nur weltrekordverdächtigen Steinwurf vom eigenen Schlafplatz entfernt, bettet sich der Silbersteinsportplatz zwischen den noch szenefreien Häuserschluchten südlich des S-Bahnhofs Hermannstraße. Hier, nahe des Dreiortsteilecks Tempelhof – Neukölln – Britz, ist die Westberliner Welt noch in Ordnung, laden Kneipen wie das „Neuköllner Gasthaus“ oder „Zu den 3 Stufen“ die Jeansjacken- und Vokuhila-Schickeria zum Verweilen zwischen Aufstehen und Schlafengehen ein. Eine Zeitmaschine war nicht von Nöten, das Heute war das stehengebliebene Morgen von Gestern. Ein intakter Mikrokosmos in der sich das Sportplatzgelände und seine Besucher nahtlos einfügten. Eine von außen ranzige Baracke diente als Casino, aus dem Dunkel lugten zum Anpfiff vier Augen scheu wie von Rehkitzen aus dem Dickicht. Zwei prä-Wende-Suffnasen mit einem festumklammerten „kurz vor Ultimo“-Bier gaben sich langsam zu erkennen – sonntags, kurz vor elf in Deutschland. Tschechische Verhältnisse und dabei war das böhmische Dorf noch ein paar Kilometer entfernt.
Ihr Interesse galt, neben dem Gebräu, den auflaufenden Akteuren, die schneller als ihnen lieb sein durften, durchtränkte Jerseys trugen. Schuld daran war aber nicht eine subtropische Hitzewelle, sondern gefühlte Polarluft mit ergiebigen Regengüssen. Wenigstens konnten sich die Zuschauermassen letzteres durch die fantasievolle Resteverwertung von Baumaterialien zu einem Vordach entziehen. Im Hochgefühl der trockenen Füße entwickelte sich zwischen der redseligen Meute eine Endlos-Debatte mit knapp 1000 Wiederholungen der Aussage: „Jeder hat das gesehen, jeder!“. Gemeint war aber keine strittige Szene im hier und jetzt oder gar im ehemaligen Fernsehmagneten „Wetten, dass…“, sondern das nicht gegebene Tor der Dortmunder im Deutschen Wembley.
Akustische und optische Flucht nach vorne also, auf den See mit sattgrünen Inseln, wo Rot gegen Blau, das klassischste aller Farbduelle stattfand. Erster gegen Achter in Liga zehn und nach drei Minuten eins zu null durch Nummer elf aus zwanzig Metern. Verrückte Mathematik und dann noch in Buchstaben. Infolgedessen plätscherte das Spiel wie der Regen vor sich hin und ich haderte mit meinen Grundsätzen: Nur Herrenpflichtspiele. Die Ü50 der Gastgeber war zwar nicht mehr ganz frisch gekürter, aber dennoch deutscher Fußballmeister. Grau-melierte Rastellis, die mit Sonne im Rücken und artistischen sowie zirkusreifen Nummern am Ball die Zuschauer in Ekstase brachten. Ich dagegen bibberte beim durch den Regen bedingten Rumpelfußball. Manchmal ist die Realität härter als die Fantasie – Zähne zusammenbeißen und durch!
Zwar klarte im Laufe der Zeit nicht der Himmel, dafür aber der fußballerische Horizont auf; plötzlich erreichten Bälle ihr Ziel, die zuvor in umliegende Büsche und Bäume krachten. Gropiusstadt drehte das Spiel und die eigene Laune: Tore satt statt Fußballmatt. Zum Schlusspfiff jubelten Spieler wie Fans, die einen über die verteidigte Tabellenführung, die anderen über die beiden Senioren-Equipen die schon am Spielfeldrand warteten und einen willkommenen Anlass boten, einfach weiter hier zu bleiben, die Zukunft auszuschließen und sich im Kontinuum zu suhlen.