Hyperfantastische Berliner Fußballgeschichten
FC Viktoria 1889 Berlin – SV Tasmania Berlin 2-1
Mittwoch, 04.06.2014 | Jahnsportpark | Prenzlauer Berg | Pokal | 3468 – 3469 Zs.
Tradition verpflichtet. Nun schon zum zweiten Mal(!) – und das in Folge(!!) – sollte ich Gast des Berliner Landespokalfinales sein. Wo im vergangenen Jahr noch Stiernacken mit karierten Dreiviertel-Hosen, Gürteltasche und Schlüsselbändern den Prenzlauer Berg marzahnisierten, scharte die heutige Ansetzung die 11Freunde-Freunde um die Kassenhäuschen. Kein Wunder, war diese Begegnung doch wie eine Blaupause für einen ihrer fulminanten Artikel: Zweimaliger Deutscher Meister trifft auf den schlechtesten Bundesligisten aller Zeiten! Und so strömten sie herbei; hier ein olivfarbenes Cap, dort ein paar Buttons – wahlweise mit roten Stern oder Totenkopf. Das alternative Who-is-who der Berliner Szene nutzte die Gunst der Stunde um seine Solidarität mit dem Amateurfußball zu demonstrieren. War es letztes Jahr noch eine Vermutung, die sich in der weinroten Heerschar verlief, war es in diesem Jahr eindeutiger. Nein – eindeutig! Das Berliner Pokalfinale mutiert immer mehr zu einem Sammelbecken des Gutbürgertums, welches verbal die Kommerzialisierung ihres geliebten Bundesliga-Teams zwar verflucht, aber mit dem Besuch eines Amateurspiels pro Jahr zumindest wieder den inneren Frieden herzustellen versucht. So suggerierte es ihnen zumindest ihr 11Freunde-Abonnement; die Pflichtlektüre in der Halbzeit einer jeden samstäglichen Sky-Konferenz.
Wie dem aber auch sei – alle waren da und alle waren wenig. Wenig, verglichen mit der alten Welt in schwarz-weiß, von Kanzler Adenauer und als diese Partie noch ein Schlagerspiel der Berliner Vertragsliga war. Für das Jahr 2014 war die Zuschauerzahl dieser Paarung dann aber letztlich doch eine stattliche Kulisse. Nichtsdestotrotz war die Kapazität des Jahnsportpark natürlich nicht nur etwas, sondern völlig überdimensioniert. Die feinen Herren vom Landesverband hätten den Zuschauern, aber vor allem auch den Spieler wohl einen riesigen Gefallen getan, hätten Sie als Spielstätte ein kleineres, engeres Stadion gewählt – und davon gibt’s in der Hauptstadt wahrlich genug. Tradition ist aber nun Tradition; auch beim Austragungsort; und da sollten Kritiker nicht mit Kleinkariertheit auffallen.
Die Ligendifferenz verteilte klar die Sympathien – und Vorurteile: Die meisten Daumen wurden an diesem sonnigen Juniabend für die kessen Neuköllner Feierabendkicker gedrückt; Buhrufe galten den abgezockten Tempelhofer Profibolzern. In der hitzigen Schlussphase konnte dieses Übergewicht auch akustisch ausgespielt werden, immer mehr Zuschauer beteiligten sich am „Ra-Ra-Ra! Tasmania!“. Half aber nix, am Ende war’s wie immer: Die Großen strahlten (un)verdient, Bier trocknete die Tränen und alle lobhudelten und beschworen den Geist des Amateurfußballs. Tradition halt.
Nächstes Jahr dann aber ohne mich; der Rand des Abgrunds ist 11Freunde-siert, ich muss weiter hinunter. Oder genauer: Hinauf. Jede Woche geht nun ein Euro ins Sparschwein und im Juni 2015 hole ich mir die VIP-Karte für den Oberrang. Dann kann ich mit den Herrn Funktionären auch mal über einen neuen Spielort verhandeln. Scheiß auf Tradition.